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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Henriette volge

Kunst." Nicht lange danach hörte sie an drei Abenden, einmal in engerm
Kreise bei Professor Weiße, das Quartett der Bruder Müller aus Braunschweig;
die Art, sagt sie, wie diese Haydn, Mozart und Beethoven wiedergeben, werde
jedem wahren Kunstfreund unvergeßlich sein.

Bei Weiße machten Voigts auch zuerst die Bekanntschaft des jungen Klavier¬
spielers und Komponisten Ludwig Schurke, der, von Taubert ihnen warm
empfohlen, durch seine herrliche musikalische Begabung und sein Talent für
Freundschaft bald ein gern gesehener Gast im Hause wurde. Er war es, der
in seinem mit ihrer Hilfe erfolgreich zustande gebrachten Konzert (27. Januar 1834)
den damals etwas menschenscheuen Schumann mit ihnen bekannt machte und
nach Monaten auch endlich zu einem Besuch vermochte. Inzwischen hatte sich
Henriette schon ratend und helfend an der Vorbereitung der "Neuen Zeit¬
schrift für Musik" beteiligt und war als "Eleonore" unter die "Davidsbündler"
aufgenommen worden. Das allmähliche Wachstum der Freundschaft zu schildern,
das Schumann durch das große Crescendo-Zeichen auf dem Albumblatt ver¬
sinnbildlichte, dazu reicht der mir zugemessene Raum nicht aus. (Näheres in
dem Sonderabdruck 1892, II d. Bl.) Auch Klara Wieck schloß sich ver¬
trauensvoll an Henriette an. -- Schurke starb schon am 7. Dezember 1834
an der Schwindsucht, schmerzlich betrauert von den Freunden. Noch vierzehn
Tage zuvor hatte er für das neue, größere Album, das Henriette von ihrem
Gatten zum Geburtstag erhielt, ein "Religioso" komponiert. Auf sein Grab
ließ Voigt ein eisernes Kreuz setzen, mit derselben Inschrift, die am Eingange
dieses Gedenkblattes zu lesen ist. Es folgte ein längerer freundlicher Brief¬
wechsel mit Schunkes Eltern in Stuttgart, denen Henriette schon vorher über
seine Krankheit berichtet hatte.

Vom 1. bis 4. Oktober desselben Jahres war Mendelssohn auf der Rück¬
reise vom Elternhause nach Düsseldorf wieder in Leipzig eingekehrt, hatte am
Abend des 1. in einer Gesellschaft bei Raymund Härtel u. a. mit der
Freundin vierbändig seine Hebriden-Ouverture gespielt, sich am folgenden Vor¬
mittage von ihr zu Rochlitz geleiten lassen, wo sie "eine erhebende Stunde"
verlebten, und am 4. in der Konzertprobe durch ihre Vermittlung auch
Schumann persönlich kennen gelernt. In diesen Tagen hatte er Voigts zum
Besuche des zu Pfingsten 1835 in Köln unter seiner Leitung abzuhaltenden
Musikfestes eingeladen -- eine reizvolle Aussicht, die auch in Erfüllung ging.
Sie trafen schon am Tage nach Himmelfahrt in Kassel ein, wo sie eine Woche
verweilten und mit der Frau von der Malsburg, Hauptmann und Spohr viel
verkehrten, musizierten und Musik hörten, u. a. Spohrs drittes Doppelquartett.
Die weitere Reise machten sie in Gesellschaft des Malers Julius Hübner, mit
dem sie in Frankfurt in der Ausstellung sein Bildnis Schadows, Mendels¬
sohns Bildnis von Theodor Hildebrandt und Lessingsche Landschaften sahen.
Das Musikfest selbst war ein hohes Erlebnis. Handels Salomon, Beethovens
Festouverture und achte Symphonie, Webers Euryanthe-Ouverture waren die


Henriette volge

Kunst." Nicht lange danach hörte sie an drei Abenden, einmal in engerm
Kreise bei Professor Weiße, das Quartett der Bruder Müller aus Braunschweig;
die Art, sagt sie, wie diese Haydn, Mozart und Beethoven wiedergeben, werde
jedem wahren Kunstfreund unvergeßlich sein.

Bei Weiße machten Voigts auch zuerst die Bekanntschaft des jungen Klavier¬
spielers und Komponisten Ludwig Schurke, der, von Taubert ihnen warm
empfohlen, durch seine herrliche musikalische Begabung und sein Talent für
Freundschaft bald ein gern gesehener Gast im Hause wurde. Er war es, der
in seinem mit ihrer Hilfe erfolgreich zustande gebrachten Konzert (27. Januar 1834)
den damals etwas menschenscheuen Schumann mit ihnen bekannt machte und
nach Monaten auch endlich zu einem Besuch vermochte. Inzwischen hatte sich
Henriette schon ratend und helfend an der Vorbereitung der „Neuen Zeit¬
schrift für Musik" beteiligt und war als „Eleonore" unter die „Davidsbündler"
aufgenommen worden. Das allmähliche Wachstum der Freundschaft zu schildern,
das Schumann durch das große Crescendo-Zeichen auf dem Albumblatt ver¬
sinnbildlichte, dazu reicht der mir zugemessene Raum nicht aus. (Näheres in
dem Sonderabdruck 1892, II d. Bl.) Auch Klara Wieck schloß sich ver¬
trauensvoll an Henriette an. — Schurke starb schon am 7. Dezember 1834
an der Schwindsucht, schmerzlich betrauert von den Freunden. Noch vierzehn
Tage zuvor hatte er für das neue, größere Album, das Henriette von ihrem
Gatten zum Geburtstag erhielt, ein „Religioso" komponiert. Auf sein Grab
ließ Voigt ein eisernes Kreuz setzen, mit derselben Inschrift, die am Eingange
dieses Gedenkblattes zu lesen ist. Es folgte ein längerer freundlicher Brief¬
wechsel mit Schunkes Eltern in Stuttgart, denen Henriette schon vorher über
seine Krankheit berichtet hatte.

Vom 1. bis 4. Oktober desselben Jahres war Mendelssohn auf der Rück¬
reise vom Elternhause nach Düsseldorf wieder in Leipzig eingekehrt, hatte am
Abend des 1. in einer Gesellschaft bei Raymund Härtel u. a. mit der
Freundin vierbändig seine Hebriden-Ouverture gespielt, sich am folgenden Vor¬
mittage von ihr zu Rochlitz geleiten lassen, wo sie „eine erhebende Stunde"
verlebten, und am 4. in der Konzertprobe durch ihre Vermittlung auch
Schumann persönlich kennen gelernt. In diesen Tagen hatte er Voigts zum
Besuche des zu Pfingsten 1835 in Köln unter seiner Leitung abzuhaltenden
Musikfestes eingeladen — eine reizvolle Aussicht, die auch in Erfüllung ging.
Sie trafen schon am Tage nach Himmelfahrt in Kassel ein, wo sie eine Woche
verweilten und mit der Frau von der Malsburg, Hauptmann und Spohr viel
verkehrten, musizierten und Musik hörten, u. a. Spohrs drittes Doppelquartett.
Die weitere Reise machten sie in Gesellschaft des Malers Julius Hübner, mit
dem sie in Frankfurt in der Ausstellung sein Bildnis Schadows, Mendels¬
sohns Bildnis von Theodor Hildebrandt und Lessingsche Landschaften sahen.
Das Musikfest selbst war ein hohes Erlebnis. Handels Salomon, Beethovens
Festouverture und achte Symphonie, Webers Euryanthe-Ouverture waren die


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[0409] Henriette volge Kunst." Nicht lange danach hörte sie an drei Abenden, einmal in engerm Kreise bei Professor Weiße, das Quartett der Bruder Müller aus Braunschweig; die Art, sagt sie, wie diese Haydn, Mozart und Beethoven wiedergeben, werde jedem wahren Kunstfreund unvergeßlich sein. Bei Weiße machten Voigts auch zuerst die Bekanntschaft des jungen Klavier¬ spielers und Komponisten Ludwig Schurke, der, von Taubert ihnen warm empfohlen, durch seine herrliche musikalische Begabung und sein Talent für Freundschaft bald ein gern gesehener Gast im Hause wurde. Er war es, der in seinem mit ihrer Hilfe erfolgreich zustande gebrachten Konzert (27. Januar 1834) den damals etwas menschenscheuen Schumann mit ihnen bekannt machte und nach Monaten auch endlich zu einem Besuch vermochte. Inzwischen hatte sich Henriette schon ratend und helfend an der Vorbereitung der „Neuen Zeit¬ schrift für Musik" beteiligt und war als „Eleonore" unter die „Davidsbündler" aufgenommen worden. Das allmähliche Wachstum der Freundschaft zu schildern, das Schumann durch das große Crescendo-Zeichen auf dem Albumblatt ver¬ sinnbildlichte, dazu reicht der mir zugemessene Raum nicht aus. (Näheres in dem Sonderabdruck 1892, II d. Bl.) Auch Klara Wieck schloß sich ver¬ trauensvoll an Henriette an. — Schurke starb schon am 7. Dezember 1834 an der Schwindsucht, schmerzlich betrauert von den Freunden. Noch vierzehn Tage zuvor hatte er für das neue, größere Album, das Henriette von ihrem Gatten zum Geburtstag erhielt, ein „Religioso" komponiert. Auf sein Grab ließ Voigt ein eisernes Kreuz setzen, mit derselben Inschrift, die am Eingange dieses Gedenkblattes zu lesen ist. Es folgte ein längerer freundlicher Brief¬ wechsel mit Schunkes Eltern in Stuttgart, denen Henriette schon vorher über seine Krankheit berichtet hatte. Vom 1. bis 4. Oktober desselben Jahres war Mendelssohn auf der Rück¬ reise vom Elternhause nach Düsseldorf wieder in Leipzig eingekehrt, hatte am Abend des 1. in einer Gesellschaft bei Raymund Härtel u. a. mit der Freundin vierbändig seine Hebriden-Ouverture gespielt, sich am folgenden Vor¬ mittage von ihr zu Rochlitz geleiten lassen, wo sie „eine erhebende Stunde" verlebten, und am 4. in der Konzertprobe durch ihre Vermittlung auch Schumann persönlich kennen gelernt. In diesen Tagen hatte er Voigts zum Besuche des zu Pfingsten 1835 in Köln unter seiner Leitung abzuhaltenden Musikfestes eingeladen — eine reizvolle Aussicht, die auch in Erfüllung ging. Sie trafen schon am Tage nach Himmelfahrt in Kassel ein, wo sie eine Woche verweilten und mit der Frau von der Malsburg, Hauptmann und Spohr viel verkehrten, musizierten und Musik hörten, u. a. Spohrs drittes Doppelquartett. Die weitere Reise machten sie in Gesellschaft des Malers Julius Hübner, mit dem sie in Frankfurt in der Ausstellung sein Bildnis Schadows, Mendels¬ sohns Bildnis von Theodor Hildebrandt und Lessingsche Landschaften sahen. Das Musikfest selbst war ein hohes Erlebnis. Handels Salomon, Beethovens Festouverture und achte Symphonie, Webers Euryanthe-Ouverture waren die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/409>, abgerufen am 01.07.2024.