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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Drei vortrage Haman?s

bestätigt wird, und die Vorurteilslosigkeit, mit der er der alten Kirche gerecht
wird. Alles dieses, namentlich, daß er ganz frei ist von Gehässigkeit gegen
die katholische Kirche, rühmt auch die Germania an ihm.

Nun hat das Berliner Komitee zur Veranstaltung volkstümlicher Vor¬
träge, das vorigen Winter Johannes Reinke berufen hatte, der Propaganda
des materialistischen Monismus entgegenzutreten, diesmal Harnack eingeladen,
und dieser hat am 9., 13. und 16. Januar in der alten Singakademie vor
einer zahlreichen, aus allen Ständen und Konfessionen gemischten Zuhörerschaft
gesprochen und sich deren tiefempfundnen Dank erworben. (Der Geldertrag
dieser Vorträge wird der Kolonialfrauenschule in Witzenhausen überwiesen.)
Er zeigt darin, wie das Christentum Weltreligion, Weltanschauung und
Weltmacht geworden ist. Der erste Vortrag schildert, wie die orientalischen
Religionen im Reiche Alexanders miteinander in Berührung gekommen sind,
wie jede von ihnen, missionierend, ihre nationalen Grenzen überschreitend, mit
der andern Ideen austauschend, unter der Führung der griechischen Philosophie
sich vergeistigend und nationale Äußerlichkeiten abstreifend, die Tendenz zeigt,
Weltreligion zu werden, wie es aber keiner von diesen alten Religionen gelungen
ist. Zwei Lieblingsansichten moderner Parteien: daß Jesus nicht wirklich ge¬
lebt habe, nur eine mythische Figur sei, und daß er kein Jude sondern ein
Arier gewesen sei, werden mit gebührender Schärfe zurückgewiesen, ebenso später
das sehr verbreitete Vorurteil, das im Christentum nur weltflüchtige Askese
sieht, und die Phantasie der Marxisten, die es aus einer Bewegung prole¬
tarischer Sozialreformer hervorgehen lassen. Der zweite Vortrag beschreibt
den Prozeß der Aufnahme des Ideengehalts der griechischen Philosophie in
den Glauben der Christenheit. Das Ergebnis der griechischen Denkarbeit be¬
stand in der Erkenntnis, daß Geist und Zweck wirklicher sind als alles andre,
daß der Geist den Körper baut und nicht der Körper den Geist, daß alles
Vergängliche nur ein Gleichnis, das Reich der Ideen das wahrhaft Wirkliche
und das Bleibende ist. Zwischen dieser Überzeugung und dem Gedanken des
Evangeliums: "Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne,
aber Schaden litte an seiner Seele", bestand eine ebenso tiefe Wahlverwandt¬
schaft wie zwischen der griechischen Logoslehre und dem Sohne Gottes, den die
Jünger Jesu in dessen Person erlebt hatten. Auf die Frage, ob es gut sei,
daß sich der Kirchenglaube mit der griechischen Philosophie verschmolzen habe,
antwortet Harnack: wer wird so vorwitzig sein, zu fragen, ob die Entwicklung
auch anders hätte verlaufen können; sie ist nun einmal so verlaufen. Ich
erlaube mir zu antworten, daß der Bund, die Verschmelzung gut, natürlich
und notwendig gewesen ist, daß die religiöse Entwicklung des Judentums, die
in der Person und Lehre Jesu gipfelte, und die philosophische Entwicklung
der Griechen providentiell so gelenkt worden sind, daß sie einander in ihren
Spitzen berühren und miteinander verschmelzen mußten. Daß wir an die
Formulierung dieser Entwicklungsergebnisse in den Konzilsbeschlüssen des


Drei vortrage Haman?s

bestätigt wird, und die Vorurteilslosigkeit, mit der er der alten Kirche gerecht
wird. Alles dieses, namentlich, daß er ganz frei ist von Gehässigkeit gegen
die katholische Kirche, rühmt auch die Germania an ihm.

Nun hat das Berliner Komitee zur Veranstaltung volkstümlicher Vor¬
träge, das vorigen Winter Johannes Reinke berufen hatte, der Propaganda
des materialistischen Monismus entgegenzutreten, diesmal Harnack eingeladen,
und dieser hat am 9., 13. und 16. Januar in der alten Singakademie vor
einer zahlreichen, aus allen Ständen und Konfessionen gemischten Zuhörerschaft
gesprochen und sich deren tiefempfundnen Dank erworben. (Der Geldertrag
dieser Vorträge wird der Kolonialfrauenschule in Witzenhausen überwiesen.)
Er zeigt darin, wie das Christentum Weltreligion, Weltanschauung und
Weltmacht geworden ist. Der erste Vortrag schildert, wie die orientalischen
Religionen im Reiche Alexanders miteinander in Berührung gekommen sind,
wie jede von ihnen, missionierend, ihre nationalen Grenzen überschreitend, mit
der andern Ideen austauschend, unter der Führung der griechischen Philosophie
sich vergeistigend und nationale Äußerlichkeiten abstreifend, die Tendenz zeigt,
Weltreligion zu werden, wie es aber keiner von diesen alten Religionen gelungen
ist. Zwei Lieblingsansichten moderner Parteien: daß Jesus nicht wirklich ge¬
lebt habe, nur eine mythische Figur sei, und daß er kein Jude sondern ein
Arier gewesen sei, werden mit gebührender Schärfe zurückgewiesen, ebenso später
das sehr verbreitete Vorurteil, das im Christentum nur weltflüchtige Askese
sieht, und die Phantasie der Marxisten, die es aus einer Bewegung prole¬
tarischer Sozialreformer hervorgehen lassen. Der zweite Vortrag beschreibt
den Prozeß der Aufnahme des Ideengehalts der griechischen Philosophie in
den Glauben der Christenheit. Das Ergebnis der griechischen Denkarbeit be¬
stand in der Erkenntnis, daß Geist und Zweck wirklicher sind als alles andre,
daß der Geist den Körper baut und nicht der Körper den Geist, daß alles
Vergängliche nur ein Gleichnis, das Reich der Ideen das wahrhaft Wirkliche
und das Bleibende ist. Zwischen dieser Überzeugung und dem Gedanken des
Evangeliums: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne,
aber Schaden litte an seiner Seele", bestand eine ebenso tiefe Wahlverwandt¬
schaft wie zwischen der griechischen Logoslehre und dem Sohne Gottes, den die
Jünger Jesu in dessen Person erlebt hatten. Auf die Frage, ob es gut sei,
daß sich der Kirchenglaube mit der griechischen Philosophie verschmolzen habe,
antwortet Harnack: wer wird so vorwitzig sein, zu fragen, ob die Entwicklung
auch anders hätte verlaufen können; sie ist nun einmal so verlaufen. Ich
erlaube mir zu antworten, daß der Bund, die Verschmelzung gut, natürlich
und notwendig gewesen ist, daß die religiöse Entwicklung des Judentums, die
in der Person und Lehre Jesu gipfelte, und die philosophische Entwicklung
der Griechen providentiell so gelenkt worden sind, daß sie einander in ihren
Spitzen berühren und miteinander verschmelzen mußten. Daß wir an die
Formulierung dieser Entwicklungsergebnisse in den Konzilsbeschlüssen des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/402>, abgerufen am 12.12.2024.