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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Über die Forderung der Persönlichkeitserziehung

Erziehung, die sich im persönlichen Vorbilde darstellt. Insbesondre wäre eines
zu wünschen. Wie wir von dem Schüler, wenn auch unter wachsenden
Schwierigkeiten, verlangen und stets verlangen müssen, daß er, solange er
Schüler ist, den Mittelpunkt und den Schwerpunkt seines Lebens und Strebens
in die Aufgabe der Schule lege, die ja seine Schule ist und nicht die des
Lehrers, so soll auch dieser unter Vergönnung aller mit seiner Berufsaufgabe
verträglichen Freiheit, seine Persönlichkeit menschlich und beruflich zu pflegen
und zu bilden, den Nerv seines Wirkens und Schaffens in seinem Lehrer¬
berufe finden und durch die mancherlei Reizungen und Lockungen des modernen
Lebens, seiner Liebhabereien und Genüsse, seines gesellschaftlichen und Vereins¬
lebens, denen so manche sonst tüchtige Persönlichkeiten unterliegen, sich von
ihm nicht abziehn lassen. Feine Fühlfäden haben die Jünger dafür, ob ihr
Meister ihnen und ihrer Aufgabe sein ganzes Sinnen, sein volles Herz, sein
zentrales Wollen, kurz seine eigne ganze Persönlichkeit ungeteilt schenkt.

Für eine solche Hingabe ist freilich die unerläßliche Voraussetzung, daß
sich niemand dieser schönen, aber schweren Lebensaufgabe zuwendet, dem der
innere Beruf dazu versagt ist. Nein vulpis oonurü oolltinAit aäiro Vormtnum,
heißt es hier; viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt, und den ge¬
wählten Lebensberuf nur als Versorgungsanstalt zu betrachten, rächt sich
nirgends bittrer als hier. Denn der Nichtauserwählte wandelt nicht unge¬
straft unter den Palmen des Lehramtes, die uns wohl süße Früchte, daneben
aber auch wohl einmal eine Dornenkrone tragen können. Und da drängt sich
nun der Gedanke auf, daß die Bedingungen der Auslese für diesen Beruf
nach manchen Seiten nicht vorsichtig und nicht tiefgründig und nicht liebevoll
genug festgestellt sind. Eine auch noch so wohlgeordnete Prüfung vermag dem
allein nicht gerecht zu werden. Denn keinen Beruf gibt es, bei dem mehr
von der Persönlichkeit abhängt als den des Lehrers. Nicht eine erlernbare
Wissenschaft ist ja die Erziehungslehre, wie man sie einseitig nennt, wozu
man sie gerade gegenwärtig mit aller Gewalt stempeln möchte, woraus so
manche Fehlgriffe entspringen, sondern eine Kunst, die freilich wie jede Kunst
ruht auf dem Grunde vielseitiger wissenschaftlicher und technischer Bildung, aber
ihre Spitze und Vollendung findet in persönlichster Eignung, die eine freie
Gabe von oben ist.

Stellen wir uns nun vor, daß diese Voraussetzung einer möglichst hohen,
freien und feinen Persönlichkeitsbildung des Lehrers, deren Verwirklichung
zwar zu einem ganz wesentlichen Teile, aber doch nicht ausschließlich an ihm
selber liegt, ganz oder im wesentlichen erfüllt wäre, dann müssen wir nun
unsrerseits doch noch einen doppelten Anspruch erheben, ehe wir uns als voll
ausgerüstet für jene hohe Aufgabe betrachten dürfen. Der eine dieser Ansprüche
richtet sich nach außen. Es ist in den letzten zehn bis zwanzig Jahren der
Brauch, man darf fast sagen Mode geworden, an der Wirksamkeit von uns
Lehrern der höhern Schulen, nicht etwa nach feiten persönlicher Unzuläng-


Über die Forderung der Persönlichkeitserziehung

Erziehung, die sich im persönlichen Vorbilde darstellt. Insbesondre wäre eines
zu wünschen. Wie wir von dem Schüler, wenn auch unter wachsenden
Schwierigkeiten, verlangen und stets verlangen müssen, daß er, solange er
Schüler ist, den Mittelpunkt und den Schwerpunkt seines Lebens und Strebens
in die Aufgabe der Schule lege, die ja seine Schule ist und nicht die des
Lehrers, so soll auch dieser unter Vergönnung aller mit seiner Berufsaufgabe
verträglichen Freiheit, seine Persönlichkeit menschlich und beruflich zu pflegen
und zu bilden, den Nerv seines Wirkens und Schaffens in seinem Lehrer¬
berufe finden und durch die mancherlei Reizungen und Lockungen des modernen
Lebens, seiner Liebhabereien und Genüsse, seines gesellschaftlichen und Vereins¬
lebens, denen so manche sonst tüchtige Persönlichkeiten unterliegen, sich von
ihm nicht abziehn lassen. Feine Fühlfäden haben die Jünger dafür, ob ihr
Meister ihnen und ihrer Aufgabe sein ganzes Sinnen, sein volles Herz, sein
zentrales Wollen, kurz seine eigne ganze Persönlichkeit ungeteilt schenkt.

Für eine solche Hingabe ist freilich die unerläßliche Voraussetzung, daß
sich niemand dieser schönen, aber schweren Lebensaufgabe zuwendet, dem der
innere Beruf dazu versagt ist. Nein vulpis oonurü oolltinAit aäiro Vormtnum,
heißt es hier; viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt, und den ge¬
wählten Lebensberuf nur als Versorgungsanstalt zu betrachten, rächt sich
nirgends bittrer als hier. Denn der Nichtauserwählte wandelt nicht unge¬
straft unter den Palmen des Lehramtes, die uns wohl süße Früchte, daneben
aber auch wohl einmal eine Dornenkrone tragen können. Und da drängt sich
nun der Gedanke auf, daß die Bedingungen der Auslese für diesen Beruf
nach manchen Seiten nicht vorsichtig und nicht tiefgründig und nicht liebevoll
genug festgestellt sind. Eine auch noch so wohlgeordnete Prüfung vermag dem
allein nicht gerecht zu werden. Denn keinen Beruf gibt es, bei dem mehr
von der Persönlichkeit abhängt als den des Lehrers. Nicht eine erlernbare
Wissenschaft ist ja die Erziehungslehre, wie man sie einseitig nennt, wozu
man sie gerade gegenwärtig mit aller Gewalt stempeln möchte, woraus so
manche Fehlgriffe entspringen, sondern eine Kunst, die freilich wie jede Kunst
ruht auf dem Grunde vielseitiger wissenschaftlicher und technischer Bildung, aber
ihre Spitze und Vollendung findet in persönlichster Eignung, die eine freie
Gabe von oben ist.

Stellen wir uns nun vor, daß diese Voraussetzung einer möglichst hohen,
freien und feinen Persönlichkeitsbildung des Lehrers, deren Verwirklichung
zwar zu einem ganz wesentlichen Teile, aber doch nicht ausschließlich an ihm
selber liegt, ganz oder im wesentlichen erfüllt wäre, dann müssen wir nun
unsrerseits doch noch einen doppelten Anspruch erheben, ehe wir uns als voll
ausgerüstet für jene hohe Aufgabe betrachten dürfen. Der eine dieser Ansprüche
richtet sich nach außen. Es ist in den letzten zehn bis zwanzig Jahren der
Brauch, man darf fast sagen Mode geworden, an der Wirksamkeit von uns
Lehrern der höhern Schulen, nicht etwa nach feiten persönlicher Unzuläng-


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[0398] Über die Forderung der Persönlichkeitserziehung Erziehung, die sich im persönlichen Vorbilde darstellt. Insbesondre wäre eines zu wünschen. Wie wir von dem Schüler, wenn auch unter wachsenden Schwierigkeiten, verlangen und stets verlangen müssen, daß er, solange er Schüler ist, den Mittelpunkt und den Schwerpunkt seines Lebens und Strebens in die Aufgabe der Schule lege, die ja seine Schule ist und nicht die des Lehrers, so soll auch dieser unter Vergönnung aller mit seiner Berufsaufgabe verträglichen Freiheit, seine Persönlichkeit menschlich und beruflich zu pflegen und zu bilden, den Nerv seines Wirkens und Schaffens in seinem Lehrer¬ berufe finden und durch die mancherlei Reizungen und Lockungen des modernen Lebens, seiner Liebhabereien und Genüsse, seines gesellschaftlichen und Vereins¬ lebens, denen so manche sonst tüchtige Persönlichkeiten unterliegen, sich von ihm nicht abziehn lassen. Feine Fühlfäden haben die Jünger dafür, ob ihr Meister ihnen und ihrer Aufgabe sein ganzes Sinnen, sein volles Herz, sein zentrales Wollen, kurz seine eigne ganze Persönlichkeit ungeteilt schenkt. Für eine solche Hingabe ist freilich die unerläßliche Voraussetzung, daß sich niemand dieser schönen, aber schweren Lebensaufgabe zuwendet, dem der innere Beruf dazu versagt ist. Nein vulpis oonurü oolltinAit aäiro Vormtnum, heißt es hier; viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt, und den ge¬ wählten Lebensberuf nur als Versorgungsanstalt zu betrachten, rächt sich nirgends bittrer als hier. Denn der Nichtauserwählte wandelt nicht unge¬ straft unter den Palmen des Lehramtes, die uns wohl süße Früchte, daneben aber auch wohl einmal eine Dornenkrone tragen können. Und da drängt sich nun der Gedanke auf, daß die Bedingungen der Auslese für diesen Beruf nach manchen Seiten nicht vorsichtig und nicht tiefgründig und nicht liebevoll genug festgestellt sind. Eine auch noch so wohlgeordnete Prüfung vermag dem allein nicht gerecht zu werden. Denn keinen Beruf gibt es, bei dem mehr von der Persönlichkeit abhängt als den des Lehrers. Nicht eine erlernbare Wissenschaft ist ja die Erziehungslehre, wie man sie einseitig nennt, wozu man sie gerade gegenwärtig mit aller Gewalt stempeln möchte, woraus so manche Fehlgriffe entspringen, sondern eine Kunst, die freilich wie jede Kunst ruht auf dem Grunde vielseitiger wissenschaftlicher und technischer Bildung, aber ihre Spitze und Vollendung findet in persönlichster Eignung, die eine freie Gabe von oben ist. Stellen wir uns nun vor, daß diese Voraussetzung einer möglichst hohen, freien und feinen Persönlichkeitsbildung des Lehrers, deren Verwirklichung zwar zu einem ganz wesentlichen Teile, aber doch nicht ausschließlich an ihm selber liegt, ganz oder im wesentlichen erfüllt wäre, dann müssen wir nun unsrerseits doch noch einen doppelten Anspruch erheben, ehe wir uns als voll ausgerüstet für jene hohe Aufgabe betrachten dürfen. Der eine dieser Ansprüche richtet sich nach außen. Es ist in den letzten zehn bis zwanzig Jahren der Brauch, man darf fast sagen Mode geworden, an der Wirksamkeit von uns Lehrern der höhern Schulen, nicht etwa nach feiten persönlicher Unzuläng-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/398>, abgerufen am 23.07.2024.