Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches vom Dreibund lossagte -- in diese Falle geht es natürlich nicht --^ aber doch Man wird vielleicht hiergegen einwenden, daß die leitenden Staatsmänner Maßgebliches und Unmaßgebliches vom Dreibund lossagte — in diese Falle geht es natürlich nicht —^ aber doch Man wird vielleicht hiergegen einwenden, daß die leitenden Staatsmänner <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0376" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312727"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1448" prev="#ID_1447"> vom Dreibund lossagte — in diese Falle geht es natürlich nicht —^ aber doch<lb/> mehr der Vorstellung Raum gab, daß es zwischen den beiden Bündnisgruppen<lb/> das Zünglein an der Wage werden könne. Auch diese Stellung Italiens erscheint<lb/> nach außen hin als ein reiner Vorteil der englischen Politik und als ein Nachteil<lb/> des Deutschen Reiches. Endlich erhielt England durch diese Politik wieder freie<lb/> Hand im nahen Orient, und es erschien auch hier als der Gegenspieler Deutsch¬<lb/> lands. So ist das zustande gekommen, was man bei uns die Politik der „Ein¬<lb/> kreisung" Deutschlands genannt hat. Diese Politik war ursprünglich nicht so ge¬<lb/> dacht, sie mußte aber so wirken und empfunden werden. Das um so mehr, als<lb/> die englische Regierung zur Begründung ihrer auswärtigen Politik auch die innern<lb/> Verhältnisse und die öffentliche Meinung berücksichtigen muß. Auch diese Rück¬<lb/> sichten, auf deren Charakteristik wir hier nicht im einzelnen eingehn können,<lb/> wirkten in der gleichen Richtung, daß die britischen Staatsmänner den Anschein einer<lb/> deutschfeindlichen Politik nicht zu scheuen brauchten, im Gegenteil darin ein Hilfs¬<lb/> mittel für gewisse innerpolitische Zwecke und eine Steigerung ihrer Volkstümlichkeit<lb/> erblicken mußten. Aber aus diesem allerdings weite Kreise des englischen Volkes<lb/> beherrschenden und durch die Presse künstlich aufgestachelter Mißtrauen gegen Deutsch¬<lb/> land und die Deutschen auf kriegerische, direkt feindselige Absichten der Mehrheit<lb/> des englischen Volkes schließen zu wollen, halten wir gleichwohl für falsch.</p><lb/> <p xml:id="ID_1449" next="#ID_1450"> Man wird vielleicht hiergegen einwenden, daß die leitenden Staatsmänner<lb/> des britischen Reichs unter solchen Umständen doch wohl einen andern, für den<lb/> Weltfrieden weniger gefährlichen Weg zu ihrem Ziele hätten finden können. Nun,<lb/> einen andern Weg gab es allerdings, und er ist tatsächlich zu betreten versucht<lb/> worden. Joseph Chamberlain wünschte im Jahre 1899 die britische Machtstellung<lb/> nicht durch ein Einverständnis mit Frankreich, sondern durch ein Bündnis mit<lb/> Deutschland und womöglich mit Amerika zu sichern. Als sich damals dieser Plan<lb/> zerschlug, kam Chamberlain nach der Thronbesteigung König Eduards noch einmal<lb/> darauf zurück. Im Berliner Tageblatt wird jetzt erzählt, der Vorschlag sei an<lb/> einer Nebensächlichkeit gescheitert, und das wird lebhaft bedauert und als ein Fehler<lb/> der deutschen Politik bezeichnet. Man kann darüber verschiedner Meinung sein.<lb/> Es darf nämlich nicht vergessen werden, daß der Zweck Englands bei diesen Vor¬<lb/> schlägen nicht war, irgendeinen beliebigen Bundesgenossen zu finden, der die schöne<lb/> Dame Britannia aus ihrer sxlsnäiZ isolation befreite, sondern daß der leitende<lb/> Gedanke schon damals derselbe war wie jetzt; es handelte sich in erster Linie darum,<lb/> unbequeme Einflüsse im Mittelmeer auszuschalten. Ob man dies dadurch erreichte,<lb/> daß man Frankreich als Freund an seine Seite lockte, oder dadurch, daß die größte<lb/> Landmacht und die größte Seemacht, als Bundesgenossen vereint, Frankreich in<lb/> nicht mißzuverstehender Weise umklammert hielten, das kam auf dasselbe hinaus.<lb/> Dem ehrgeizigen, nach Taten drängenden Chamberlain mußte diese zweite Mög¬<lb/> lichkeit wohl näherliegen, da sie ein umfassenderes, stolzeres Programm in sich<lb/> schloß und der Volksstimmung besser entsprach, die damals gegen Frankreich viel<lb/> mehr als gegen Deutschland erbittert war. Aber wir durften uns durch diesen<lb/> Vorschlag nicht blenden lassen. Die Zwecke, die dadurch erreicht werden konnten,<lb/> lagen nur in englischem, nicht in unserm Interesse. Wenn die Triple-Entente<lb/> zwischen England, Frankreich und Rußland heute als eine Kriegsdrohung erscheint,<lb/> so wissen wir zugleich, daß diese Mächte uns in ihrem eignen Interesse niemals<lb/> angreifen werden, solange wir ruhig und fest bleiben und unser gutes Schwert<lb/> scharf geschliffen erhalten. England erreicht das, was es dabei braucht und will,<lb/> viel besser durch die bloße Existenz seiner Bündnisse und Freundschaften als durch<lb/> die Erprobung dieser Freundschaft in kriegerischen Abenteuern gegen Deutschland.<lb/> Im Bunde mit Deutschland dagegen würde England wahrscheinlich längst der Ver¬<lb/> suchung erlegen sein, zur Wahrung seiner Interessen einen kriegerischen Konflikt</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0376]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
vom Dreibund lossagte — in diese Falle geht es natürlich nicht —^ aber doch
mehr der Vorstellung Raum gab, daß es zwischen den beiden Bündnisgruppen
das Zünglein an der Wage werden könne. Auch diese Stellung Italiens erscheint
nach außen hin als ein reiner Vorteil der englischen Politik und als ein Nachteil
des Deutschen Reiches. Endlich erhielt England durch diese Politik wieder freie
Hand im nahen Orient, und es erschien auch hier als der Gegenspieler Deutsch¬
lands. So ist das zustande gekommen, was man bei uns die Politik der „Ein¬
kreisung" Deutschlands genannt hat. Diese Politik war ursprünglich nicht so ge¬
dacht, sie mußte aber so wirken und empfunden werden. Das um so mehr, als
die englische Regierung zur Begründung ihrer auswärtigen Politik auch die innern
Verhältnisse und die öffentliche Meinung berücksichtigen muß. Auch diese Rück¬
sichten, auf deren Charakteristik wir hier nicht im einzelnen eingehn können,
wirkten in der gleichen Richtung, daß die britischen Staatsmänner den Anschein einer
deutschfeindlichen Politik nicht zu scheuen brauchten, im Gegenteil darin ein Hilfs¬
mittel für gewisse innerpolitische Zwecke und eine Steigerung ihrer Volkstümlichkeit
erblicken mußten. Aber aus diesem allerdings weite Kreise des englischen Volkes
beherrschenden und durch die Presse künstlich aufgestachelter Mißtrauen gegen Deutsch¬
land und die Deutschen auf kriegerische, direkt feindselige Absichten der Mehrheit
des englischen Volkes schließen zu wollen, halten wir gleichwohl für falsch.
Man wird vielleicht hiergegen einwenden, daß die leitenden Staatsmänner
des britischen Reichs unter solchen Umständen doch wohl einen andern, für den
Weltfrieden weniger gefährlichen Weg zu ihrem Ziele hätten finden können. Nun,
einen andern Weg gab es allerdings, und er ist tatsächlich zu betreten versucht
worden. Joseph Chamberlain wünschte im Jahre 1899 die britische Machtstellung
nicht durch ein Einverständnis mit Frankreich, sondern durch ein Bündnis mit
Deutschland und womöglich mit Amerika zu sichern. Als sich damals dieser Plan
zerschlug, kam Chamberlain nach der Thronbesteigung König Eduards noch einmal
darauf zurück. Im Berliner Tageblatt wird jetzt erzählt, der Vorschlag sei an
einer Nebensächlichkeit gescheitert, und das wird lebhaft bedauert und als ein Fehler
der deutschen Politik bezeichnet. Man kann darüber verschiedner Meinung sein.
Es darf nämlich nicht vergessen werden, daß der Zweck Englands bei diesen Vor¬
schlägen nicht war, irgendeinen beliebigen Bundesgenossen zu finden, der die schöne
Dame Britannia aus ihrer sxlsnäiZ isolation befreite, sondern daß der leitende
Gedanke schon damals derselbe war wie jetzt; es handelte sich in erster Linie darum,
unbequeme Einflüsse im Mittelmeer auszuschalten. Ob man dies dadurch erreichte,
daß man Frankreich als Freund an seine Seite lockte, oder dadurch, daß die größte
Landmacht und die größte Seemacht, als Bundesgenossen vereint, Frankreich in
nicht mißzuverstehender Weise umklammert hielten, das kam auf dasselbe hinaus.
Dem ehrgeizigen, nach Taten drängenden Chamberlain mußte diese zweite Mög¬
lichkeit wohl näherliegen, da sie ein umfassenderes, stolzeres Programm in sich
schloß und der Volksstimmung besser entsprach, die damals gegen Frankreich viel
mehr als gegen Deutschland erbittert war. Aber wir durften uns durch diesen
Vorschlag nicht blenden lassen. Die Zwecke, die dadurch erreicht werden konnten,
lagen nur in englischem, nicht in unserm Interesse. Wenn die Triple-Entente
zwischen England, Frankreich und Rußland heute als eine Kriegsdrohung erscheint,
so wissen wir zugleich, daß diese Mächte uns in ihrem eignen Interesse niemals
angreifen werden, solange wir ruhig und fest bleiben und unser gutes Schwert
scharf geschliffen erhalten. England erreicht das, was es dabei braucht und will,
viel besser durch die bloße Existenz seiner Bündnisse und Freundschaften als durch
die Erprobung dieser Freundschaft in kriegerischen Abenteuern gegen Deutschland.
Im Bunde mit Deutschland dagegen würde England wahrscheinlich längst der Ver¬
suchung erlegen sein, zur Wahrung seiner Interessen einen kriegerischen Konflikt
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