Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.Gin Lesebuch der Sozialstatistik in den Einleitungen Klagen darüber lesen, daß das Verbrechen der Hexerei Eine dankenswerte Zugabe zu dem Buche sind die guten graphischen Gin Lesebuch der Sozialstatistik in den Einleitungen Klagen darüber lesen, daß das Verbrechen der Hexerei Eine dankenswerte Zugabe zu dem Buche sind die guten graphischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312706"/> <fw type="header" place="top"> Gin Lesebuch der Sozialstatistik</fw><lb/> <p xml:id="ID_1351" prev="#ID_1350"> in den Einleitungen Klagen darüber lesen, daß das Verbrechen der Hexerei<lb/> im letzten Jahre leider wiederum zugenommen habe, während wir statt dessen<lb/> folgern würden, daß die Dummheit, Rachsucht und Grausamkeit gewachsen<lb/> sei. Und wie groß oder klein ist der Prozentsatz der Gesetzübertretungen, die<lb/> gerichtsnotorisch werden und dadurch in die Statistik kommen? In Neapel<lb/> wird jeder Fremde ausgelacht, der eines kleinen Taschendiebstahls wegen die<lb/> Polizei belästigt, und namentlich bei Hausdiebstählen, bemerkt Schnapper,<lb/> halte Milde (oder auch die Furcht vor Unannehmlichkeiten) sehr häufig von<lb/> der Anzeige ab. „Milde Herrschaften entlassen unehrliches Gesinde, ohne es<lb/> zu verfolgen. Das hiesige Geschäftshaus Rothschild ist bekanntlich erst ganz<lb/> spät dazu übergegangen, ungetreue Angestellte anzuklagen. Wer darf ich<lb/> wohl eine Anekdote anführen, die einmal in der Frankfurter Zeitung stand.<lb/> Einer der Herren Rothschild geht mit einem Bekannten spazieren. Dieser<lb/> ruft plötzlich: »Herr Baron, eben hat Ihnen ein Kerl das Taschentuch ge¬<lb/> stohlen.« Jener aber erwidert: »Lassens'n, lassens'n, mer haben alle klein<lb/> angefangen.«^ In einem Bericht an das ?von oormoil von Manchester hat<lb/> der vtusk voustavls behauptet, daß im Jahre 1891 Geschäftshäuser von<lb/> Personen aus den sogenannten bessern Ständen um mehr als 90000 Pfund<lb/> beraubt, daß aber in den wenigsten Fällen Anzeigen erstattet worden seien."<lb/> In dieser Schätzung mögen wohl verschiedne Kategorien zusammengefaßt worden<lb/> sein: Veruntreuungen von Angestellten, Schädigung durch leichtsinnige und<lb/> unehrliche Kunden und Ladendiebstähle. Auf solche sind bekanntlich die großen<lb/> Berliner Geschäfte als auf etwas Alltägliches eingerichtet, indem sie eine Auf-<lb/> Passerin anstellen und die Ertappten in einem dazu bestimmten Kabinett<lb/> durchsuchen lassen, ohne Aufsehen zu erregen und die Behörden in Anspruch<lb/> zu nehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1352"> Eine dankenswerte Zugabe zu dem Buche sind die guten graphischen<lb/> Darstellungen, die den Inhalt der Tabellen veranschaulichen. Wie schlank<lb/> steigt die sich zur Säule verjüngende Pyramide der preußischen Einkommen¬<lb/> stufen empor, wie winzig ist das Klötzchen der Talermillionäre auf der breiten<lb/> Grundlage der übrigen Steuerzahler, wie anders sieht der Aufbau der Alters¬<lb/> stufen in Frankreich als der in Deutschland aus, und wie unregelmäßig er¬<lb/> scheint dieser Aufbau in Berlin, verglichen mit dem regelmäßigen und natür¬<lb/><note type="byline"> Carl Jentsch</note> lichen eines ganzen Landes! </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0355]
Gin Lesebuch der Sozialstatistik
in den Einleitungen Klagen darüber lesen, daß das Verbrechen der Hexerei
im letzten Jahre leider wiederum zugenommen habe, während wir statt dessen
folgern würden, daß die Dummheit, Rachsucht und Grausamkeit gewachsen
sei. Und wie groß oder klein ist der Prozentsatz der Gesetzübertretungen, die
gerichtsnotorisch werden und dadurch in die Statistik kommen? In Neapel
wird jeder Fremde ausgelacht, der eines kleinen Taschendiebstahls wegen die
Polizei belästigt, und namentlich bei Hausdiebstählen, bemerkt Schnapper,
halte Milde (oder auch die Furcht vor Unannehmlichkeiten) sehr häufig von
der Anzeige ab. „Milde Herrschaften entlassen unehrliches Gesinde, ohne es
zu verfolgen. Das hiesige Geschäftshaus Rothschild ist bekanntlich erst ganz
spät dazu übergegangen, ungetreue Angestellte anzuklagen. Wer darf ich
wohl eine Anekdote anführen, die einmal in der Frankfurter Zeitung stand.
Einer der Herren Rothschild geht mit einem Bekannten spazieren. Dieser
ruft plötzlich: »Herr Baron, eben hat Ihnen ein Kerl das Taschentuch ge¬
stohlen.« Jener aber erwidert: »Lassens'n, lassens'n, mer haben alle klein
angefangen.«^ In einem Bericht an das ?von oormoil von Manchester hat
der vtusk voustavls behauptet, daß im Jahre 1891 Geschäftshäuser von
Personen aus den sogenannten bessern Ständen um mehr als 90000 Pfund
beraubt, daß aber in den wenigsten Fällen Anzeigen erstattet worden seien."
In dieser Schätzung mögen wohl verschiedne Kategorien zusammengefaßt worden
sein: Veruntreuungen von Angestellten, Schädigung durch leichtsinnige und
unehrliche Kunden und Ladendiebstähle. Auf solche sind bekanntlich die großen
Berliner Geschäfte als auf etwas Alltägliches eingerichtet, indem sie eine Auf-
Passerin anstellen und die Ertappten in einem dazu bestimmten Kabinett
durchsuchen lassen, ohne Aufsehen zu erregen und die Behörden in Anspruch
zu nehmen.
Eine dankenswerte Zugabe zu dem Buche sind die guten graphischen
Darstellungen, die den Inhalt der Tabellen veranschaulichen. Wie schlank
steigt die sich zur Säule verjüngende Pyramide der preußischen Einkommen¬
stufen empor, wie winzig ist das Klötzchen der Talermillionäre auf der breiten
Grundlage der übrigen Steuerzahler, wie anders sieht der Aufbau der Alters¬
stufen in Frankreich als der in Deutschland aus, und wie unregelmäßig er¬
scheint dieser Aufbau in Berlin, verglichen mit dem regelmäßigen und natür¬
Carl Jentsch lichen eines ganzen Landes!
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