Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.Gin Lesebuch der Sozialstatistik erproben, ob dem: wirklich ein Zusammenhang zwischen Geburt und Tod der In dem Abschnitt über Berechnungen des Volksvermögens und Volks¬ Gin Lesebuch der Sozialstatistik erproben, ob dem: wirklich ein Zusammenhang zwischen Geburt und Tod der In dem Abschnitt über Berechnungen des Volksvermögens und Volks¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0352" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312703"/> <fw type="header" place="top"> Gin Lesebuch der Sozialstatistik</fw><lb/> <p xml:id="ID_1345" prev="#ID_1344"> erproben, ob dem: wirklich ein Zusammenhang zwischen Geburt und Tod der<lb/> Menschen und gewissen kabbalistischen Zahlen und dem Stande der Planeten<lb/> nachweisbar sei". Das regt zu allerlei Betrachtungen über den Fortschritt<lb/> des Menschengeistes an, wenn man weiß, daß schon der heilige Augustinus<lb/> im zweiten Kapitel des fünften Buches I)ö Livitg-es den astrologischen<lb/> Aberglauben sehr schön widerlegt hat. Manche, besonders englische Statistiker,<lb/> versuchen den ökonomischen Wert zu ermitteln, der einem Volke durch vor¬<lb/> zeitiges Absterben seiner Angehörigen verloren geht. Schnapper zeigt, daß<lb/> es Torheit ist, den ökonomischen Wert eines Menschen ermitteln und in Geld<lb/> ausdrücken zu wollen, und bemerkt mit Beziehung auf den Kostenwert witzig:<lb/> „ein Student im fünfzehnten Semester, der viele Kommerse hinter sich hat, ist<lb/> nicht unbedingt mehr wert als ein Kommilitone, der bereits früher ins Examen<lb/> gestiegen ist. Jener würde sehr erstaunt sein", wenn er erführe, daß er so viel<lb/> wert sei, wie er seinen Vater gekostet hat. Wenn viele moderne Berufsarten<lb/> die Gesundheit schädigen und das Leben kürzen, und zu den Schädigungen<lb/> auch die Einseitigkeit der Beschäftigung infolge der Arbeitteiluug und die<lb/> Überanstrengung gehören, so ist, wie richtig hervorgehoben wird, daran zu<lb/> erinnern, daß unter diesen beiden Übeln keineswegs bloß die ürmern Klassen,<lb/> sondern auch viele Angehörige der höhern Berufsarten, ja auch reiche Leute<lb/> leiden. Eine englische Statistik weist eine besonders gute Gesundheit und<lb/> lange Lebensdauer für eine Anzahl von bsaltb^ äistriots nach: Gegenden<lb/> mit einer ländlichen Bevölkerung, die uicht wohlhabend ist, aber in guter<lb/> Luft und bei gutem Wasser und leidlich guter Wohnung ihr notdürftiges<lb/> Auskommen hat. Daß diese Art günstiger Lebensbedingungen mit der Ver¬<lb/> wandlung des Agrarstaats in den Industriestaat schwindet, wird zunächst für<lb/> England verhängnisvoll werden, darf aber auch uns nicht gleichgiltig sein.<lb/> Die Tatsache, daß im preußischen Staate der Stadtkreis Frankfurt am Main<lb/> mit 2,6 Kindern auf die Familie die schwächste, der Kreis Zabrze mit 6,9 die<lb/> stärkste Fruchtbarkeit aufweist, wird die wegen der Polengefahr besorgten<lb/> interessieren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1346" next="#ID_1347"> In dem Abschnitt über Berechnungen des Volksvermögens und Volks¬<lb/> einkommens befolgt Schnapper dieselben Grundsätze und warnt vor denselben<lb/> Fehlern wie ich in meiner Volkswirtschaftslehre. Einer dieser Fehler wird,<lb/> wie er nachweist, im größten Maßstabe von der amtlichen preußischen Statistik<lb/> begangen, die das (mobile) Kapital viel zu hoch, den Bodenwert im Ver¬<lb/> hältnis dazu viel zu niedrig ansetzt, weil sie die Hypotheken, die tatsächlich<lb/> einen Teil des Grundwerth darstellen, dem Kapitalvermögen zurechnet; die<lb/> Grundstücke sind als Bestandteile des Nationalvermögens darum nicht weniger<lb/> wert, weil Hypotheken darauf drücken, d. h. weil andre als die Besitzer einen<lb/> Teil des Ertrages genießen. In Württemberg, Ungarn, den Vereinigten<lb/> Staaten rechne man richtiger. Wiesehr die Berechnungen in Geld irreführen,<lb/> sehe man daraus (ich habe diesen Fall ebenfalls angeführt), daß ein Volk</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0352]
Gin Lesebuch der Sozialstatistik
erproben, ob dem: wirklich ein Zusammenhang zwischen Geburt und Tod der
Menschen und gewissen kabbalistischen Zahlen und dem Stande der Planeten
nachweisbar sei". Das regt zu allerlei Betrachtungen über den Fortschritt
des Menschengeistes an, wenn man weiß, daß schon der heilige Augustinus
im zweiten Kapitel des fünften Buches I)ö Livitg-es den astrologischen
Aberglauben sehr schön widerlegt hat. Manche, besonders englische Statistiker,
versuchen den ökonomischen Wert zu ermitteln, der einem Volke durch vor¬
zeitiges Absterben seiner Angehörigen verloren geht. Schnapper zeigt, daß
es Torheit ist, den ökonomischen Wert eines Menschen ermitteln und in Geld
ausdrücken zu wollen, und bemerkt mit Beziehung auf den Kostenwert witzig:
„ein Student im fünfzehnten Semester, der viele Kommerse hinter sich hat, ist
nicht unbedingt mehr wert als ein Kommilitone, der bereits früher ins Examen
gestiegen ist. Jener würde sehr erstaunt sein", wenn er erführe, daß er so viel
wert sei, wie er seinen Vater gekostet hat. Wenn viele moderne Berufsarten
die Gesundheit schädigen und das Leben kürzen, und zu den Schädigungen
auch die Einseitigkeit der Beschäftigung infolge der Arbeitteiluug und die
Überanstrengung gehören, so ist, wie richtig hervorgehoben wird, daran zu
erinnern, daß unter diesen beiden Übeln keineswegs bloß die ürmern Klassen,
sondern auch viele Angehörige der höhern Berufsarten, ja auch reiche Leute
leiden. Eine englische Statistik weist eine besonders gute Gesundheit und
lange Lebensdauer für eine Anzahl von bsaltb^ äistriots nach: Gegenden
mit einer ländlichen Bevölkerung, die uicht wohlhabend ist, aber in guter
Luft und bei gutem Wasser und leidlich guter Wohnung ihr notdürftiges
Auskommen hat. Daß diese Art günstiger Lebensbedingungen mit der Ver¬
wandlung des Agrarstaats in den Industriestaat schwindet, wird zunächst für
England verhängnisvoll werden, darf aber auch uns nicht gleichgiltig sein.
Die Tatsache, daß im preußischen Staate der Stadtkreis Frankfurt am Main
mit 2,6 Kindern auf die Familie die schwächste, der Kreis Zabrze mit 6,9 die
stärkste Fruchtbarkeit aufweist, wird die wegen der Polengefahr besorgten
interessieren.
In dem Abschnitt über Berechnungen des Volksvermögens und Volks¬
einkommens befolgt Schnapper dieselben Grundsätze und warnt vor denselben
Fehlern wie ich in meiner Volkswirtschaftslehre. Einer dieser Fehler wird,
wie er nachweist, im größten Maßstabe von der amtlichen preußischen Statistik
begangen, die das (mobile) Kapital viel zu hoch, den Bodenwert im Ver¬
hältnis dazu viel zu niedrig ansetzt, weil sie die Hypotheken, die tatsächlich
einen Teil des Grundwerth darstellen, dem Kapitalvermögen zurechnet; die
Grundstücke sind als Bestandteile des Nationalvermögens darum nicht weniger
wert, weil Hypotheken darauf drücken, d. h. weil andre als die Besitzer einen
Teil des Ertrages genießen. In Württemberg, Ungarn, den Vereinigten
Staaten rechne man richtiger. Wiesehr die Berechnungen in Geld irreführen,
sehe man daraus (ich habe diesen Fall ebenfalls angeführt), daß ein Volk
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