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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

haftet bekanntlich wie eine Klette der Fehler der Selbstüberschätzung an. Zur Sucht,
die eigne Persönlichkeit geltend zu machen, gesellt sich die deutsche Untugend der
Eigenbrötelei, und das Ende vom Liede ist, daß die bürgerlichen Parteien mit
einer Anzahl nörgelnder, sich auflehnender und absplitternder Bestandteile belastet
sind. Das Fazit ist ein Heruntersinken der Wagschale zugunsten der Sozialdemokratie.
Deren Mitläufer sind am zuverlässigsten. Sie müssen also nicht bei der Sozial¬
demokratie, sondern viel eher bei den bürgerlichen Parteien auf dem "Soll" statt
auf dem "Haben" gebucht werden.

Bei der Sozialdemokratie gibt es jedoch als eine wirkliche Sondererscheinung
noch eine zweite Art von Mitläufern. Das unterscheidende Merkmal der bisher
geschilderten Gattung war ein dunkler Drang, eine Art von unbewußter Wahl¬
verwandtschaft, die sie in die Arme einer bestimmten politischen Partei trieb. Die
Sozialdemokratie aber hat es daneben verstanden, sich Anhänger zu verschaffen, die rein
äußerlich "der Not gehorchend, nicht dem eignen Triebe" sich unter das rote Banner
ducken mußten. Hier ist die Sorge für das tägliche Brot aus Angst vor dem sozial¬
demokratischen Terrorismus zur Triebfeder gegen die eigne Überzeugung geworden.

Unwillkürlich drängt sich der Vergleich dieser Mitläufer mit den Soldaten
auf, die der Eroberer eines fremden Staates seiner eignen Armee eingereiht hat.
Unzweifelhaft drücken sie deren Gefechtswert herunter. Sie werden nicht mit der¬
selben Begeisterung wie die eignen Landeskinder ihr Leben für fremden Vorteil in
die Schanze schlagen und das verhaßte Joch bei der ersten aussichtsreichen Ge¬
legenheit abschütteln. Aber das Bild ist doch nur teilweise zutreffend. Der springende
Punkt ist die ohnmächtige Schwäche des Vaterlandes, die dort den Soldaten dem
äußern, hier den Arbeiter dem innern Feinde ausgeliefert hat. In beiden Fällen
kann der Gedanke zur Abschüttlung der Ketten erst bei einem völligen Umschwung
der Verhältnisse aufkeimen. Damit sind jedoch die Berührungspunkte erschöpft, und
die Unterschiede beginnen. Von den Kämpfen auf Leben und Tod, die der äußern
Unterjochung des Vaterlandes vorausgegangen sind, hat der gepreßte Mitläufer
nichts gespürt. Fast ohne ernstlichen Widerstand ist er seiner Bedrückerin auf Gnade
oder Ungnade überantwortet worden. Dem Soldaten wird niemand die Zuversicht
auf die Wiedergeburt seines Vaterlandes rauben. Kein billig denkender Mensch
wird sich aber wundern, daß bei dem sozialdemokratischen Mitläufer der Glaube an
eine bis zu seiner Befreiung führende Erstarkung der bestehenden Staats- und
Gesellschaftsordnung ins Wanken gerät. Mit Recht schreibt die Antisoziale Korre¬
spondenz von ihnen, daß sie "der patriotischen Begeisterung bar und für die pflicht¬
treue Arbeit am nationalen Werke verloren sind". Aber diese Ernüchterung und
Gleichgiltigkeit ist nicht die einzige Folgeerscheinung. Tagtäglich Verkehren sie im
Kreise der Sozialdemokraten, und der stetige Umgang färbt außer bei ungewöhnlich
selbständigen Charakteren mit eiserner Naturnotwendigkeit unmerklich ab. So gleitet
ein Teil der ursprünglichen Zwangsgenossen allmählich in das sozialdemokratische
Lager hinüber, bis aus dem Saulus ein Paulus geworden ist.

Im günstigern Falle hält die innere Abneigung gegen das rote Lager stand.
Welcher Schaden aber soll der Sozialdemokratie aus dieser in der dunkelsten Herzens¬
kammer verschlossenen Gesinnung erwachsen? Todesmutige Begeisterung ist in der
Gegenwart noch kein Erfordernis für ihre Soldaten. Die ausschlaggebende Rolle
spielt vielmehr das scharfe Überwachungssystem. Um ihrer Existenz willen werden
daher gerade die Mitläufer, die Ursache zur Anzweiflung ihrer waschechter Färbung
haben, den Mund am vollsten nehmen, in keiner Versammlung fehlen, pünktlich ihre
Parteigroschen zahlen und am eifrigsten an die Wahlurne treten. Also auch bet
den gepreßten Mitläufern ist die Sozialdemokratie des vollen Einsatzes ihrer Per¬
sönlichkeit sicher.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

haftet bekanntlich wie eine Klette der Fehler der Selbstüberschätzung an. Zur Sucht,
die eigne Persönlichkeit geltend zu machen, gesellt sich die deutsche Untugend der
Eigenbrötelei, und das Ende vom Liede ist, daß die bürgerlichen Parteien mit
einer Anzahl nörgelnder, sich auflehnender und absplitternder Bestandteile belastet
sind. Das Fazit ist ein Heruntersinken der Wagschale zugunsten der Sozialdemokratie.
Deren Mitläufer sind am zuverlässigsten. Sie müssen also nicht bei der Sozial¬
demokratie, sondern viel eher bei den bürgerlichen Parteien auf dem „Soll" statt
auf dem „Haben" gebucht werden.

Bei der Sozialdemokratie gibt es jedoch als eine wirkliche Sondererscheinung
noch eine zweite Art von Mitläufern. Das unterscheidende Merkmal der bisher
geschilderten Gattung war ein dunkler Drang, eine Art von unbewußter Wahl¬
verwandtschaft, die sie in die Arme einer bestimmten politischen Partei trieb. Die
Sozialdemokratie aber hat es daneben verstanden, sich Anhänger zu verschaffen, die rein
äußerlich „der Not gehorchend, nicht dem eignen Triebe" sich unter das rote Banner
ducken mußten. Hier ist die Sorge für das tägliche Brot aus Angst vor dem sozial¬
demokratischen Terrorismus zur Triebfeder gegen die eigne Überzeugung geworden.

Unwillkürlich drängt sich der Vergleich dieser Mitläufer mit den Soldaten
auf, die der Eroberer eines fremden Staates seiner eignen Armee eingereiht hat.
Unzweifelhaft drücken sie deren Gefechtswert herunter. Sie werden nicht mit der¬
selben Begeisterung wie die eignen Landeskinder ihr Leben für fremden Vorteil in
die Schanze schlagen und das verhaßte Joch bei der ersten aussichtsreichen Ge¬
legenheit abschütteln. Aber das Bild ist doch nur teilweise zutreffend. Der springende
Punkt ist die ohnmächtige Schwäche des Vaterlandes, die dort den Soldaten dem
äußern, hier den Arbeiter dem innern Feinde ausgeliefert hat. In beiden Fällen
kann der Gedanke zur Abschüttlung der Ketten erst bei einem völligen Umschwung
der Verhältnisse aufkeimen. Damit sind jedoch die Berührungspunkte erschöpft, und
die Unterschiede beginnen. Von den Kämpfen auf Leben und Tod, die der äußern
Unterjochung des Vaterlandes vorausgegangen sind, hat der gepreßte Mitläufer
nichts gespürt. Fast ohne ernstlichen Widerstand ist er seiner Bedrückerin auf Gnade
oder Ungnade überantwortet worden. Dem Soldaten wird niemand die Zuversicht
auf die Wiedergeburt seines Vaterlandes rauben. Kein billig denkender Mensch
wird sich aber wundern, daß bei dem sozialdemokratischen Mitläufer der Glaube an
eine bis zu seiner Befreiung führende Erstarkung der bestehenden Staats- und
Gesellschaftsordnung ins Wanken gerät. Mit Recht schreibt die Antisoziale Korre¬
spondenz von ihnen, daß sie „der patriotischen Begeisterung bar und für die pflicht¬
treue Arbeit am nationalen Werke verloren sind". Aber diese Ernüchterung und
Gleichgiltigkeit ist nicht die einzige Folgeerscheinung. Tagtäglich Verkehren sie im
Kreise der Sozialdemokraten, und der stetige Umgang färbt außer bei ungewöhnlich
selbständigen Charakteren mit eiserner Naturnotwendigkeit unmerklich ab. So gleitet
ein Teil der ursprünglichen Zwangsgenossen allmählich in das sozialdemokratische
Lager hinüber, bis aus dem Saulus ein Paulus geworden ist.

Im günstigern Falle hält die innere Abneigung gegen das rote Lager stand.
Welcher Schaden aber soll der Sozialdemokratie aus dieser in der dunkelsten Herzens¬
kammer verschlossenen Gesinnung erwachsen? Todesmutige Begeisterung ist in der
Gegenwart noch kein Erfordernis für ihre Soldaten. Die ausschlaggebende Rolle
spielt vielmehr das scharfe Überwachungssystem. Um ihrer Existenz willen werden
daher gerade die Mitläufer, die Ursache zur Anzweiflung ihrer waschechter Färbung
haben, den Mund am vollsten nehmen, in keiner Versammlung fehlen, pünktlich ihre
Parteigroschen zahlen und am eifrigsten an die Wahlurne treten. Also auch bet
den gepreßten Mitläufern ist die Sozialdemokratie des vollen Einsatzes ihrer Per¬
sönlichkeit sicher.


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[0328] Maßgebliches und Unmaßgebliches haftet bekanntlich wie eine Klette der Fehler der Selbstüberschätzung an. Zur Sucht, die eigne Persönlichkeit geltend zu machen, gesellt sich die deutsche Untugend der Eigenbrötelei, und das Ende vom Liede ist, daß die bürgerlichen Parteien mit einer Anzahl nörgelnder, sich auflehnender und absplitternder Bestandteile belastet sind. Das Fazit ist ein Heruntersinken der Wagschale zugunsten der Sozialdemokratie. Deren Mitläufer sind am zuverlässigsten. Sie müssen also nicht bei der Sozial¬ demokratie, sondern viel eher bei den bürgerlichen Parteien auf dem „Soll" statt auf dem „Haben" gebucht werden. Bei der Sozialdemokratie gibt es jedoch als eine wirkliche Sondererscheinung noch eine zweite Art von Mitläufern. Das unterscheidende Merkmal der bisher geschilderten Gattung war ein dunkler Drang, eine Art von unbewußter Wahl¬ verwandtschaft, die sie in die Arme einer bestimmten politischen Partei trieb. Die Sozialdemokratie aber hat es daneben verstanden, sich Anhänger zu verschaffen, die rein äußerlich „der Not gehorchend, nicht dem eignen Triebe" sich unter das rote Banner ducken mußten. Hier ist die Sorge für das tägliche Brot aus Angst vor dem sozial¬ demokratischen Terrorismus zur Triebfeder gegen die eigne Überzeugung geworden. Unwillkürlich drängt sich der Vergleich dieser Mitläufer mit den Soldaten auf, die der Eroberer eines fremden Staates seiner eignen Armee eingereiht hat. Unzweifelhaft drücken sie deren Gefechtswert herunter. Sie werden nicht mit der¬ selben Begeisterung wie die eignen Landeskinder ihr Leben für fremden Vorteil in die Schanze schlagen und das verhaßte Joch bei der ersten aussichtsreichen Ge¬ legenheit abschütteln. Aber das Bild ist doch nur teilweise zutreffend. Der springende Punkt ist die ohnmächtige Schwäche des Vaterlandes, die dort den Soldaten dem äußern, hier den Arbeiter dem innern Feinde ausgeliefert hat. In beiden Fällen kann der Gedanke zur Abschüttlung der Ketten erst bei einem völligen Umschwung der Verhältnisse aufkeimen. Damit sind jedoch die Berührungspunkte erschöpft, und die Unterschiede beginnen. Von den Kämpfen auf Leben und Tod, die der äußern Unterjochung des Vaterlandes vorausgegangen sind, hat der gepreßte Mitläufer nichts gespürt. Fast ohne ernstlichen Widerstand ist er seiner Bedrückerin auf Gnade oder Ungnade überantwortet worden. Dem Soldaten wird niemand die Zuversicht auf die Wiedergeburt seines Vaterlandes rauben. Kein billig denkender Mensch wird sich aber wundern, daß bei dem sozialdemokratischen Mitläufer der Glaube an eine bis zu seiner Befreiung führende Erstarkung der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung ins Wanken gerät. Mit Recht schreibt die Antisoziale Korre¬ spondenz von ihnen, daß sie „der patriotischen Begeisterung bar und für die pflicht¬ treue Arbeit am nationalen Werke verloren sind". Aber diese Ernüchterung und Gleichgiltigkeit ist nicht die einzige Folgeerscheinung. Tagtäglich Verkehren sie im Kreise der Sozialdemokraten, und der stetige Umgang färbt außer bei ungewöhnlich selbständigen Charakteren mit eiserner Naturnotwendigkeit unmerklich ab. So gleitet ein Teil der ursprünglichen Zwangsgenossen allmählich in das sozialdemokratische Lager hinüber, bis aus dem Saulus ein Paulus geworden ist. Im günstigern Falle hält die innere Abneigung gegen das rote Lager stand. Welcher Schaden aber soll der Sozialdemokratie aus dieser in der dunkelsten Herzens¬ kammer verschlossenen Gesinnung erwachsen? Todesmutige Begeisterung ist in der Gegenwart noch kein Erfordernis für ihre Soldaten. Die ausschlaggebende Rolle spielt vielmehr das scharfe Überwachungssystem. Um ihrer Existenz willen werden daher gerade die Mitläufer, die Ursache zur Anzweiflung ihrer waschechter Färbung haben, den Mund am vollsten nehmen, in keiner Versammlung fehlen, pünktlich ihre Parteigroschen zahlen und am eifrigsten an die Wahlurne treten. Also auch bet den gepreßten Mitläufern ist die Sozialdemokratie des vollen Einsatzes ihrer Per¬ sönlichkeit sicher.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/328>, abgerufen am 12.12.2024.