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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

sprechen solche Veranstaltungen nicht. Nicht nur für den feiner entwickelten Ge¬
schmack unsrer gebildeten Kreise, sondern auch für den soliden Sinn der in einfachen
Verhältnissen lebenden Volksschichten haben sie etwas abstoßendes oder auch un¬
gewollt lächerliches. Umzüge sind bei uns der Ausdruck der Festfreude, des
harmlosen Vergnügens; als Ausdruck einer ernsthaften Meinung, deren Gewicht
sie versinnbildlichen sollen, imponieren sie nicht. Im Gegenteil, sie reizen zur
Kritik und zum Widerspruch durch den darin liegenden Anspruch, den Wert der
Meinung durch die Zahl auszudrücken; das verletzt die spezifisch deutsche Abart des
Individualismus. Der deutsche Bürger, und ganz besonders der Berliner, ist gar
nicht darauf abgestimmt, einen Menschenhaufen, der die Straßen durchzieht und
dabei die Arbeitermarseillaise und die eingelernten Parteiphrasen abgröhlt, besonders
ernst zu nehmen. Er sieht sich die Leute nur um so schärfer an, je auffallender
und aufdringlicher sie erscheinen, und dabei entgeht ihm nicht das Überwiegen
der Müßiggänger und bloßen Schreier in diesen Haufen und die große Zahl
derer, die sich offenbar bei dem ganzen Unternehmen gar nicht besonders wohl
fühlen. Die Leute scheinen ihm recht viel überflüssige Zeit zu haben, wenn sie,
statt zu arbeiten und zu rechter Zeit zu reden, den Verkehr auf den Straßen hindern
und sich redlich arbeitenden Bürgern als Wortführer und Vorbilder aufdrängen.
Deshalb haben Straßendemonstrationen bei uns nur die Wirkung, daß die Stimmung
der bürgerlichen Kreise sich noch entschiedner von den sozialdemokratischen Be¬
strebungen abwendet und von Abneigung und Mißtrauen gegen alles erfüllt wird,
was der Herrschaft des Straßenpöbels vielleicht eine Tür öffnen könnte. Mit
ihren Kundgebungen auf den Straßen Berlins haben die Sozialdemokraten auch
die Lage im Abgeordnetenhause erheblich zu ihren Ungunsten gewandt.

Im Reichstage gab eine Jnterpellation über Arbeiteraussperrungen und schwarze
Listen Herrn von Bethmann-Hollweg Gelegenheit, zu dieser ebenso wichtigen als
schwierigen Frage Stellung zu nehmen. Mit Recht lehnte er ein Einschreiten auf
dem Wege eines gesetzlichen Verbots ab, indem er sehr klar die Mtßstände und
Ungerechtigkeiten schilderte, die ein solcher Eingriff durch ein Spezialgesetz nach sich
ziehen müsse. Er wies darauf hin, daß die Rechtsprechung schon gewisse Grundsätze
festgelegt habe, die dem Mißbrauch der erwähnten Druckmittel durch die Arbeit¬
geber zuungunsten der Arbeiter sehr wohl vorbeugen können. Im übrigen kann
nur geholfen werden, wenn es gelingt, Einrichtungen zu schaffen, die jeden einzelnen
Fall nach seiner Eigentümlichkeit zu beurteilen gestatten und auf diesem Wege brauch¬
bare Rechtsgrundsätze herstellen helfen. Vielleicht können sich die vorgeschlagnen
Arbeitskammern zu solchen Organen entwickeln. Der Minister erntete mit seinen
Ausführungen den Beifall der Mehrheit des Hauses. Es ist erfreulich, zu beob¬
achten, daß der Geist vorurteilsloser, aber besonnenen und gemäßigten Fortschreitens
auf sozialem Gebiete dem Reichsamt des Innern auch unter seiner jetzigen Leitung
geblieben ist. Was Graf Posadowsky geschaffen und angebahnt hat, geht nicht ver¬
loren. Herr von Bethmann-Hollweg schreitet auf demselben Wege weiter. Die beiden
Staatsmänner unterscheiden sich nur in der Methode und der persönlichen Eigenart.
Beide sind in gleichem Maße bedeutend als erfahrne Kenner der praktischen Ver¬
waltung und in der Beherrschung ihres umfassenden Arbeitsfeldes. Graf Posadowsky
strebte seiner Natur nach darauf hin, die innern Wurzeln der Erscheinungen klar¬
zulegen und in ihnen allgemeingiltige Wahrheiten zu erkennen; seine Kritiker fanden
ihn oft zu "philosophisch". In Herrn von Bethmann-Hollweg erscheint dieser philo¬
sophische Zug mehr durch einen diplomatischen ersetzt. Er ist offenbar mehr Taktiker
als Prinzipienmann, ohne daß ihm die klare Überzeugung und der feste Wille fehlt,
die ihn auf dasselbe Ziel leiten, das sein Vorgänger gesteckt hat. Es ist also zu
hoffen, daß die Sozialpolitik des Reichs stetig und fest ihren Weg gehen wird.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

sprechen solche Veranstaltungen nicht. Nicht nur für den feiner entwickelten Ge¬
schmack unsrer gebildeten Kreise, sondern auch für den soliden Sinn der in einfachen
Verhältnissen lebenden Volksschichten haben sie etwas abstoßendes oder auch un¬
gewollt lächerliches. Umzüge sind bei uns der Ausdruck der Festfreude, des
harmlosen Vergnügens; als Ausdruck einer ernsthaften Meinung, deren Gewicht
sie versinnbildlichen sollen, imponieren sie nicht. Im Gegenteil, sie reizen zur
Kritik und zum Widerspruch durch den darin liegenden Anspruch, den Wert der
Meinung durch die Zahl auszudrücken; das verletzt die spezifisch deutsche Abart des
Individualismus. Der deutsche Bürger, und ganz besonders der Berliner, ist gar
nicht darauf abgestimmt, einen Menschenhaufen, der die Straßen durchzieht und
dabei die Arbeitermarseillaise und die eingelernten Parteiphrasen abgröhlt, besonders
ernst zu nehmen. Er sieht sich die Leute nur um so schärfer an, je auffallender
und aufdringlicher sie erscheinen, und dabei entgeht ihm nicht das Überwiegen
der Müßiggänger und bloßen Schreier in diesen Haufen und die große Zahl
derer, die sich offenbar bei dem ganzen Unternehmen gar nicht besonders wohl
fühlen. Die Leute scheinen ihm recht viel überflüssige Zeit zu haben, wenn sie,
statt zu arbeiten und zu rechter Zeit zu reden, den Verkehr auf den Straßen hindern
und sich redlich arbeitenden Bürgern als Wortführer und Vorbilder aufdrängen.
Deshalb haben Straßendemonstrationen bei uns nur die Wirkung, daß die Stimmung
der bürgerlichen Kreise sich noch entschiedner von den sozialdemokratischen Be¬
strebungen abwendet und von Abneigung und Mißtrauen gegen alles erfüllt wird,
was der Herrschaft des Straßenpöbels vielleicht eine Tür öffnen könnte. Mit
ihren Kundgebungen auf den Straßen Berlins haben die Sozialdemokraten auch
die Lage im Abgeordnetenhause erheblich zu ihren Ungunsten gewandt.

Im Reichstage gab eine Jnterpellation über Arbeiteraussperrungen und schwarze
Listen Herrn von Bethmann-Hollweg Gelegenheit, zu dieser ebenso wichtigen als
schwierigen Frage Stellung zu nehmen. Mit Recht lehnte er ein Einschreiten auf
dem Wege eines gesetzlichen Verbots ab, indem er sehr klar die Mtßstände und
Ungerechtigkeiten schilderte, die ein solcher Eingriff durch ein Spezialgesetz nach sich
ziehen müsse. Er wies darauf hin, daß die Rechtsprechung schon gewisse Grundsätze
festgelegt habe, die dem Mißbrauch der erwähnten Druckmittel durch die Arbeit¬
geber zuungunsten der Arbeiter sehr wohl vorbeugen können. Im übrigen kann
nur geholfen werden, wenn es gelingt, Einrichtungen zu schaffen, die jeden einzelnen
Fall nach seiner Eigentümlichkeit zu beurteilen gestatten und auf diesem Wege brauch¬
bare Rechtsgrundsätze herstellen helfen. Vielleicht können sich die vorgeschlagnen
Arbeitskammern zu solchen Organen entwickeln. Der Minister erntete mit seinen
Ausführungen den Beifall der Mehrheit des Hauses. Es ist erfreulich, zu beob¬
achten, daß der Geist vorurteilsloser, aber besonnenen und gemäßigten Fortschreitens
auf sozialem Gebiete dem Reichsamt des Innern auch unter seiner jetzigen Leitung
geblieben ist. Was Graf Posadowsky geschaffen und angebahnt hat, geht nicht ver¬
loren. Herr von Bethmann-Hollweg schreitet auf demselben Wege weiter. Die beiden
Staatsmänner unterscheiden sich nur in der Methode und der persönlichen Eigenart.
Beide sind in gleichem Maße bedeutend als erfahrne Kenner der praktischen Ver¬
waltung und in der Beherrschung ihres umfassenden Arbeitsfeldes. Graf Posadowsky
strebte seiner Natur nach darauf hin, die innern Wurzeln der Erscheinungen klar¬
zulegen und in ihnen allgemeingiltige Wahrheiten zu erkennen; seine Kritiker fanden
ihn oft zu „philosophisch". In Herrn von Bethmann-Hollweg erscheint dieser philo¬
sophische Zug mehr durch einen diplomatischen ersetzt. Er ist offenbar mehr Taktiker
als Prinzipienmann, ohne daß ihm die klare Überzeugung und der feste Wille fehlt,
die ihn auf dasselbe Ziel leiten, das sein Vorgänger gesteckt hat. Es ist also zu
hoffen, daß die Sozialpolitik des Reichs stetig und fest ihren Weg gehen wird.


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[0322] Maßgebliches und Unmaßgebliches sprechen solche Veranstaltungen nicht. Nicht nur für den feiner entwickelten Ge¬ schmack unsrer gebildeten Kreise, sondern auch für den soliden Sinn der in einfachen Verhältnissen lebenden Volksschichten haben sie etwas abstoßendes oder auch un¬ gewollt lächerliches. Umzüge sind bei uns der Ausdruck der Festfreude, des harmlosen Vergnügens; als Ausdruck einer ernsthaften Meinung, deren Gewicht sie versinnbildlichen sollen, imponieren sie nicht. Im Gegenteil, sie reizen zur Kritik und zum Widerspruch durch den darin liegenden Anspruch, den Wert der Meinung durch die Zahl auszudrücken; das verletzt die spezifisch deutsche Abart des Individualismus. Der deutsche Bürger, und ganz besonders der Berliner, ist gar nicht darauf abgestimmt, einen Menschenhaufen, der die Straßen durchzieht und dabei die Arbeitermarseillaise und die eingelernten Parteiphrasen abgröhlt, besonders ernst zu nehmen. Er sieht sich die Leute nur um so schärfer an, je auffallender und aufdringlicher sie erscheinen, und dabei entgeht ihm nicht das Überwiegen der Müßiggänger und bloßen Schreier in diesen Haufen und die große Zahl derer, die sich offenbar bei dem ganzen Unternehmen gar nicht besonders wohl fühlen. Die Leute scheinen ihm recht viel überflüssige Zeit zu haben, wenn sie, statt zu arbeiten und zu rechter Zeit zu reden, den Verkehr auf den Straßen hindern und sich redlich arbeitenden Bürgern als Wortführer und Vorbilder aufdrängen. Deshalb haben Straßendemonstrationen bei uns nur die Wirkung, daß die Stimmung der bürgerlichen Kreise sich noch entschiedner von den sozialdemokratischen Be¬ strebungen abwendet und von Abneigung und Mißtrauen gegen alles erfüllt wird, was der Herrschaft des Straßenpöbels vielleicht eine Tür öffnen könnte. Mit ihren Kundgebungen auf den Straßen Berlins haben die Sozialdemokraten auch die Lage im Abgeordnetenhause erheblich zu ihren Ungunsten gewandt. Im Reichstage gab eine Jnterpellation über Arbeiteraussperrungen und schwarze Listen Herrn von Bethmann-Hollweg Gelegenheit, zu dieser ebenso wichtigen als schwierigen Frage Stellung zu nehmen. Mit Recht lehnte er ein Einschreiten auf dem Wege eines gesetzlichen Verbots ab, indem er sehr klar die Mtßstände und Ungerechtigkeiten schilderte, die ein solcher Eingriff durch ein Spezialgesetz nach sich ziehen müsse. Er wies darauf hin, daß die Rechtsprechung schon gewisse Grundsätze festgelegt habe, die dem Mißbrauch der erwähnten Druckmittel durch die Arbeit¬ geber zuungunsten der Arbeiter sehr wohl vorbeugen können. Im übrigen kann nur geholfen werden, wenn es gelingt, Einrichtungen zu schaffen, die jeden einzelnen Fall nach seiner Eigentümlichkeit zu beurteilen gestatten und auf diesem Wege brauch¬ bare Rechtsgrundsätze herstellen helfen. Vielleicht können sich die vorgeschlagnen Arbeitskammern zu solchen Organen entwickeln. Der Minister erntete mit seinen Ausführungen den Beifall der Mehrheit des Hauses. Es ist erfreulich, zu beob¬ achten, daß der Geist vorurteilsloser, aber besonnenen und gemäßigten Fortschreitens auf sozialem Gebiete dem Reichsamt des Innern auch unter seiner jetzigen Leitung geblieben ist. Was Graf Posadowsky geschaffen und angebahnt hat, geht nicht ver¬ loren. Herr von Bethmann-Hollweg schreitet auf demselben Wege weiter. Die beiden Staatsmänner unterscheiden sich nur in der Methode und der persönlichen Eigenart. Beide sind in gleichem Maße bedeutend als erfahrne Kenner der praktischen Ver¬ waltung und in der Beherrschung ihres umfassenden Arbeitsfeldes. Graf Posadowsky strebte seiner Natur nach darauf hin, die innern Wurzeln der Erscheinungen klar¬ zulegen und in ihnen allgemeingiltige Wahrheiten zu erkennen; seine Kritiker fanden ihn oft zu „philosophisch". In Herrn von Bethmann-Hollweg erscheint dieser philo¬ sophische Zug mehr durch einen diplomatischen ersetzt. Er ist offenbar mehr Taktiker als Prinzipienmann, ohne daß ihm die klare Überzeugung und der feste Wille fehlt, die ihn auf dasselbe Ziel leiten, das sein Vorgänger gesteckt hat. Es ist also zu hoffen, daß die Sozialpolitik des Reichs stetig und fest ihren Weg gehen wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/322>, abgerufen am 12.12.2024.