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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

erste Wunsch wurde nur unvollkommen erreicht. Minister von Moltke konnte in der
Hauptsache nur mitteilen, daß die Regierung zunächst noch damit beschäftigt ist, sich die
statistischen Unterlagen zur Beurteilung der Verhältnisse zu verschaffen. Man ist also
noch weiter zurück, als die Fragesteller erwartet hatten. Mehr Glück hatten die Freunde
der Wahlrechtsreform mit ihrer zweiten Absicht. Denn das Haus lehnte zwar die ge¬
stellten Anträge ab, aber in entscheidenden Fragen mit so geringer Mehrheit, daß
das Ergebnis der Abstimmung unmöglich als Wille des Hauses in parlamentarischem
Sinne gelten konnte, sondern als ein Zufall, der bei jeder neuen Abstimmung durch
einen anders wirkenden Zufall in das Gegenteil umgewandelt werden kann. Was
will bei unsern Parteiverhältnissen eine Mehrheit von drei Stimmen sagen! Die
Gegner der Reform haben deshalb auch das Ergebnis durchaus nicht mit Froh¬
locken entgegengenommen, sondern sehr ernsthaft die Ursachen davon zu er¬
örtern gesucht.

Vielleicht wäre schon jetzt die Abstimmung anders ausgefallen, wenn nicht die
Sozialdemokraten den Gegnern jeder Wahlrechtsänderung zu Hilfe gekommen wären.
Die "Genossen" pflegen bekanntlich zur Erinnerung an die bekannten Vorgänge in
Se. Petersburg, als ein petitionierender Volkshaufe mit Gewalt verhindert wurde,
zum Winterpalast zu gelangen, und dieser Versuch zum Blutvergießen führte, in den
Januartagen, die um diesen Gedächtnistag herumliegen, Massenversammlungen zum
Protest gegen das bestehende Wahlrecht abzuhalten. Das Abströmen der Menschen¬
massen aus diesen Versammlungen gibt dann, nachdem die "bessern" Parteiführer
vorsichtig vom Schauplatz verschwunden sind, eine hübsche Gelegenheit für die
Parteisterne zweiter Größe, die am inmoi-um Asutium, ihr Talent als Regisseure
von Straßenumzügen zu bewähren, die den "Schrei des entrechteten, arbeitenden
Volks über das Wahlunrecht" in die breiteste Öffentlichkeit tragen sollen. Diese
Straßendemonstrationen wurden vor zwei Jahren, als sie zum erstenmal vorkamen,
von der Polizei sehr energisch abgewehrt. Es war für beide Teile etwas neues;
die Volksmenge war aufgeregt und zur Widersetzlichkeit geneigt, die Polizei vielfach
nervöser, als gerade nötig war. So kam es zu verschiednen Zusammenstößen.
Seitdem hat man in Berlin aufgehört, die Sache tragisch zu nehmen. Die Teil¬
nehmer an den Umzügen hüten sich, die Polizei zu reizen, und die Polizei begnügt
sich damit, die Trupps der Demonstranten durch Straßensperrungen vom Schloß
und von den Verkehrsmittelpunkten abzuhalten und in entlegne Straßenviertel zu leiten,
wobei möglichste Ruhe bewahrt wird. Es gehört schon die lebhafte Phantasie und
die agitatorische Ausschmückungskunst des sozialdemokratischen Zentralorgans dazu,
um die ruhig ihres Dienstes waltenden Schutzleute zu Schergen der Gewalt und
die Demonstranten selbst zu tragischen Helden von imponierender Wirkung zu
stempeln. In Wirklichkeit sind die Demonstrationen, die am 24. und 25. Januar
versucht wurden, sehr harmloser Natur gewesen. Aber sie haben einen Eindruck
gemacht, an den die Genossen wahrscheinlich nicht gedacht haben. Es mag Länder
geben, wo derartige Umzüge eine gewisse Wirkung ausüben und somit auch eine
entsprechende Berechtigung haben. So in Frankreich, wo Temperament und Phan¬
tasie des Volks von großer Lebhaftigkeit sind, wo der Sinn viel stärker von der
Wirkung einer Pose beeinflußt wird und die Möglichkeit, Massenkundgebungen
hervorzurufen, in geeigneten Augenblicken jederzeit eine reale Bedeutung gewinnen
kann. So auch in England, wo die Volkssitte in allen Schichten jahrhunderte¬
lang darauf hingewirkt hat, jede Betättgung der individuellen Meinung möglichst
frei zu gestalten, wo also jede Massenkundgebung bis zu einem gewissen Grade
denn auch das phlegmatische Temperament "ut der unabhängige Sinn kann sich
"icht ganz der Suggestion des Parteiwesens entziehen -- eine wirkliche Verviel¬
fältigung der individuellen Meinung bedeutet. Aber unserm Nationalcharakter ent-


Grenzboten I 1909 ^
Maßgebliches und Unmaßgebliches

erste Wunsch wurde nur unvollkommen erreicht. Minister von Moltke konnte in der
Hauptsache nur mitteilen, daß die Regierung zunächst noch damit beschäftigt ist, sich die
statistischen Unterlagen zur Beurteilung der Verhältnisse zu verschaffen. Man ist also
noch weiter zurück, als die Fragesteller erwartet hatten. Mehr Glück hatten die Freunde
der Wahlrechtsreform mit ihrer zweiten Absicht. Denn das Haus lehnte zwar die ge¬
stellten Anträge ab, aber in entscheidenden Fragen mit so geringer Mehrheit, daß
das Ergebnis der Abstimmung unmöglich als Wille des Hauses in parlamentarischem
Sinne gelten konnte, sondern als ein Zufall, der bei jeder neuen Abstimmung durch
einen anders wirkenden Zufall in das Gegenteil umgewandelt werden kann. Was
will bei unsern Parteiverhältnissen eine Mehrheit von drei Stimmen sagen! Die
Gegner der Reform haben deshalb auch das Ergebnis durchaus nicht mit Froh¬
locken entgegengenommen, sondern sehr ernsthaft die Ursachen davon zu er¬
örtern gesucht.

Vielleicht wäre schon jetzt die Abstimmung anders ausgefallen, wenn nicht die
Sozialdemokraten den Gegnern jeder Wahlrechtsänderung zu Hilfe gekommen wären.
Die „Genossen" pflegen bekanntlich zur Erinnerung an die bekannten Vorgänge in
Se. Petersburg, als ein petitionierender Volkshaufe mit Gewalt verhindert wurde,
zum Winterpalast zu gelangen, und dieser Versuch zum Blutvergießen führte, in den
Januartagen, die um diesen Gedächtnistag herumliegen, Massenversammlungen zum
Protest gegen das bestehende Wahlrecht abzuhalten. Das Abströmen der Menschen¬
massen aus diesen Versammlungen gibt dann, nachdem die „bessern" Parteiführer
vorsichtig vom Schauplatz verschwunden sind, eine hübsche Gelegenheit für die
Parteisterne zweiter Größe, die am inmoi-um Asutium, ihr Talent als Regisseure
von Straßenumzügen zu bewähren, die den „Schrei des entrechteten, arbeitenden
Volks über das Wahlunrecht" in die breiteste Öffentlichkeit tragen sollen. Diese
Straßendemonstrationen wurden vor zwei Jahren, als sie zum erstenmal vorkamen,
von der Polizei sehr energisch abgewehrt. Es war für beide Teile etwas neues;
die Volksmenge war aufgeregt und zur Widersetzlichkeit geneigt, die Polizei vielfach
nervöser, als gerade nötig war. So kam es zu verschiednen Zusammenstößen.
Seitdem hat man in Berlin aufgehört, die Sache tragisch zu nehmen. Die Teil¬
nehmer an den Umzügen hüten sich, die Polizei zu reizen, und die Polizei begnügt
sich damit, die Trupps der Demonstranten durch Straßensperrungen vom Schloß
und von den Verkehrsmittelpunkten abzuhalten und in entlegne Straßenviertel zu leiten,
wobei möglichste Ruhe bewahrt wird. Es gehört schon die lebhafte Phantasie und
die agitatorische Ausschmückungskunst des sozialdemokratischen Zentralorgans dazu,
um die ruhig ihres Dienstes waltenden Schutzleute zu Schergen der Gewalt und
die Demonstranten selbst zu tragischen Helden von imponierender Wirkung zu
stempeln. In Wirklichkeit sind die Demonstrationen, die am 24. und 25. Januar
versucht wurden, sehr harmloser Natur gewesen. Aber sie haben einen Eindruck
gemacht, an den die Genossen wahrscheinlich nicht gedacht haben. Es mag Länder
geben, wo derartige Umzüge eine gewisse Wirkung ausüben und somit auch eine
entsprechende Berechtigung haben. So in Frankreich, wo Temperament und Phan¬
tasie des Volks von großer Lebhaftigkeit sind, wo der Sinn viel stärker von der
Wirkung einer Pose beeinflußt wird und die Möglichkeit, Massenkundgebungen
hervorzurufen, in geeigneten Augenblicken jederzeit eine reale Bedeutung gewinnen
kann. So auch in England, wo die Volkssitte in allen Schichten jahrhunderte¬
lang darauf hingewirkt hat, jede Betättgung der individuellen Meinung möglichst
frei zu gestalten, wo also jede Massenkundgebung bis zu einem gewissen Grade
denn auch das phlegmatische Temperament »ut der unabhängige Sinn kann sich
"icht ganz der Suggestion des Parteiwesens entziehen — eine wirkliche Verviel¬
fältigung der individuellen Meinung bedeutet. Aber unserm Nationalcharakter ent-


Grenzboten I 1909 ^
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[0321] Maßgebliches und Unmaßgebliches erste Wunsch wurde nur unvollkommen erreicht. Minister von Moltke konnte in der Hauptsache nur mitteilen, daß die Regierung zunächst noch damit beschäftigt ist, sich die statistischen Unterlagen zur Beurteilung der Verhältnisse zu verschaffen. Man ist also noch weiter zurück, als die Fragesteller erwartet hatten. Mehr Glück hatten die Freunde der Wahlrechtsreform mit ihrer zweiten Absicht. Denn das Haus lehnte zwar die ge¬ stellten Anträge ab, aber in entscheidenden Fragen mit so geringer Mehrheit, daß das Ergebnis der Abstimmung unmöglich als Wille des Hauses in parlamentarischem Sinne gelten konnte, sondern als ein Zufall, der bei jeder neuen Abstimmung durch einen anders wirkenden Zufall in das Gegenteil umgewandelt werden kann. Was will bei unsern Parteiverhältnissen eine Mehrheit von drei Stimmen sagen! Die Gegner der Reform haben deshalb auch das Ergebnis durchaus nicht mit Froh¬ locken entgegengenommen, sondern sehr ernsthaft die Ursachen davon zu er¬ örtern gesucht. Vielleicht wäre schon jetzt die Abstimmung anders ausgefallen, wenn nicht die Sozialdemokraten den Gegnern jeder Wahlrechtsänderung zu Hilfe gekommen wären. Die „Genossen" pflegen bekanntlich zur Erinnerung an die bekannten Vorgänge in Se. Petersburg, als ein petitionierender Volkshaufe mit Gewalt verhindert wurde, zum Winterpalast zu gelangen, und dieser Versuch zum Blutvergießen führte, in den Januartagen, die um diesen Gedächtnistag herumliegen, Massenversammlungen zum Protest gegen das bestehende Wahlrecht abzuhalten. Das Abströmen der Menschen¬ massen aus diesen Versammlungen gibt dann, nachdem die „bessern" Parteiführer vorsichtig vom Schauplatz verschwunden sind, eine hübsche Gelegenheit für die Parteisterne zweiter Größe, die am inmoi-um Asutium, ihr Talent als Regisseure von Straßenumzügen zu bewähren, die den „Schrei des entrechteten, arbeitenden Volks über das Wahlunrecht" in die breiteste Öffentlichkeit tragen sollen. Diese Straßendemonstrationen wurden vor zwei Jahren, als sie zum erstenmal vorkamen, von der Polizei sehr energisch abgewehrt. Es war für beide Teile etwas neues; die Volksmenge war aufgeregt und zur Widersetzlichkeit geneigt, die Polizei vielfach nervöser, als gerade nötig war. So kam es zu verschiednen Zusammenstößen. Seitdem hat man in Berlin aufgehört, die Sache tragisch zu nehmen. Die Teil¬ nehmer an den Umzügen hüten sich, die Polizei zu reizen, und die Polizei begnügt sich damit, die Trupps der Demonstranten durch Straßensperrungen vom Schloß und von den Verkehrsmittelpunkten abzuhalten und in entlegne Straßenviertel zu leiten, wobei möglichste Ruhe bewahrt wird. Es gehört schon die lebhafte Phantasie und die agitatorische Ausschmückungskunst des sozialdemokratischen Zentralorgans dazu, um die ruhig ihres Dienstes waltenden Schutzleute zu Schergen der Gewalt und die Demonstranten selbst zu tragischen Helden von imponierender Wirkung zu stempeln. In Wirklichkeit sind die Demonstrationen, die am 24. und 25. Januar versucht wurden, sehr harmloser Natur gewesen. Aber sie haben einen Eindruck gemacht, an den die Genossen wahrscheinlich nicht gedacht haben. Es mag Länder geben, wo derartige Umzüge eine gewisse Wirkung ausüben und somit auch eine entsprechende Berechtigung haben. So in Frankreich, wo Temperament und Phan¬ tasie des Volks von großer Lebhaftigkeit sind, wo der Sinn viel stärker von der Wirkung einer Pose beeinflußt wird und die Möglichkeit, Massenkundgebungen hervorzurufen, in geeigneten Augenblicken jederzeit eine reale Bedeutung gewinnen kann. So auch in England, wo die Volkssitte in allen Schichten jahrhunderte¬ lang darauf hingewirkt hat, jede Betättgung der individuellen Meinung möglichst frei zu gestalten, wo also jede Massenkundgebung bis zu einem gewissen Grade denn auch das phlegmatische Temperament »ut der unabhängige Sinn kann sich "icht ganz der Suggestion des Parteiwesens entziehen — eine wirkliche Verviel¬ fältigung der individuellen Meinung bedeutet. Aber unserm Nationalcharakter ent- Grenzboten I 1909 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/321>, abgerufen am 03.07.2024.