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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Wieso? erwiderte der Direktor nicht ungekränkt.

Denkst du denn, daß sie dir die Sache auf dem Präsentierbrette bringen
werden? Gleich gehst du hin zu der Seidelbasten und sagst: Soundso, und sie
müsse dirs schriftlich geben, daß sie das Stadtorchester nehmen wollte. Aber das
bitte ich mir aus, daß du vorher nicht ins Wirtshaus gehst. Und mit dem Posten
als Konzertmeister läßt du dich nicht abspeisen. Du dirigierst selber, das bitte ich
mir aus.

Eduard Krebs hatte sich bisher nur in einem Gedankenspiele erfreulicher Mög¬
lichkeiten bewegt, nun war er vor die Entscheidung gestellt. Und dies durch seine
Frau, die keinen Spaß verstand. Und zu Frau von Seidelbast sollte er gehn.
Und den Siegfried sollte er dirigieren. Eduard Krebs litt nicht an übergroßer
Bescheidenheit, aber hier tauchte doch der Zweifel in ihm auf, ob er auch leisten
könne, was er unternahm. Er hatte noch nie eine Oper dirigiert, und er erinnerte
sich mit Schaudern, welche Mühe es gemacht hatte, seinem Orchester die Tann-
häuserouverture einzupauken. Es wäre ihm unter diesen Umständen nicht unlieb
gewesen, als Dirigent abgelehnt zu werden.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

(Die Konservativen und die Reichspolitik. Finanzreform und Blockpolitik.
Wahlrechtsdebatte im preußischen Abgeordnetenhause. Straßendemonstrationen.
Sozialpolitisches aus dem Reichstage. Die Lage im Orient.)

Die Beunruhigung, die durch die Stellungnahme der Agrarier und Konser¬
vativen zu der Rede des Fürsten Bülow im Abgeordnetenhause hervorgerufen
worden ist, kann auch heute noch nicht ganz als beseitigt gelten, obwohl man schon
auf allen Seiten angefangen hat, darüber ruhiger zu denken. Unser nervöses, durch
die Tagespresse beeinflußtes Zeitalter reagiert ja in der Regel sehr schnell auf alle
möglichen Eindrücke, die sich einigermaßen sensationell deuten lassen, und es bedarf
immer erst einiger Zeit, ehe diese Eindrücke auf ihren wahren Wert zurückgeführt
werden. Von konservativer Seite war die Rede des preußischen Ministerpräsidenten
im Abgeordnetenhause durch Herrn von Arnim-Zusedom beantwortet worden. Diese
Antwort bekundete zwar, daß die Konservativen in vielen Punkten ihre Sprödig-
keit gegenüber den Wünschen der Regierung bewahrten, aber andrerseits deutete in
ihr auch nichts darauf hin, daß die Partei die bisherige Politik verlassen, den
Block sprengen oder gar dem Reichskanzler eine Absage erteilen wollte. Inzwischen
aber kam das agrarisch-konservative Echo der Kanzlerrede aus dem Lande. Das
Auftreten des Herrn von Oldenburg in der Versammlung der westpreußischen
Konservativen, das Interview des Herrn von Treuenfels in einem französischen
Blatte, verschiedne Beschlüsse von Landwirtschaftskammern und andern agrarisch ge¬
sinnten Körperschaften, dazu der erregte Chor der Preßstimmen -- das alles war
geeignet, Aufsehen zu erregen, und die Phantasie der Gegner gab diesen Er¬
scheinungen eine noch über die naheliegenden Eindrücke hinausgehende Bedeutung.

So war man geneigt, eine rednerische Leistung aus dem Abgeordnetenhause,
die zu Anfang der jetzt verflossenen Woche vor sich ging, sehr stark zu überschätzen


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Wieso? erwiderte der Direktor nicht ungekränkt.

Denkst du denn, daß sie dir die Sache auf dem Präsentierbrette bringen
werden? Gleich gehst du hin zu der Seidelbasten und sagst: Soundso, und sie
müsse dirs schriftlich geben, daß sie das Stadtorchester nehmen wollte. Aber das
bitte ich mir aus, daß du vorher nicht ins Wirtshaus gehst. Und mit dem Posten
als Konzertmeister läßt du dich nicht abspeisen. Du dirigierst selber, das bitte ich
mir aus.

Eduard Krebs hatte sich bisher nur in einem Gedankenspiele erfreulicher Mög¬
lichkeiten bewegt, nun war er vor die Entscheidung gestellt. Und dies durch seine
Frau, die keinen Spaß verstand. Und zu Frau von Seidelbast sollte er gehn.
Und den Siegfried sollte er dirigieren. Eduard Krebs litt nicht an übergroßer
Bescheidenheit, aber hier tauchte doch der Zweifel in ihm auf, ob er auch leisten
könne, was er unternahm. Er hatte noch nie eine Oper dirigiert, und er erinnerte
sich mit Schaudern, welche Mühe es gemacht hatte, seinem Orchester die Tann-
häuserouverture einzupauken. Es wäre ihm unter diesen Umständen nicht unlieb
gewesen, als Dirigent abgelehnt zu werden.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

(Die Konservativen und die Reichspolitik. Finanzreform und Blockpolitik.
Wahlrechtsdebatte im preußischen Abgeordnetenhause. Straßendemonstrationen.
Sozialpolitisches aus dem Reichstage. Die Lage im Orient.)

Die Beunruhigung, die durch die Stellungnahme der Agrarier und Konser¬
vativen zu der Rede des Fürsten Bülow im Abgeordnetenhause hervorgerufen
worden ist, kann auch heute noch nicht ganz als beseitigt gelten, obwohl man schon
auf allen Seiten angefangen hat, darüber ruhiger zu denken. Unser nervöses, durch
die Tagespresse beeinflußtes Zeitalter reagiert ja in der Regel sehr schnell auf alle
möglichen Eindrücke, die sich einigermaßen sensationell deuten lassen, und es bedarf
immer erst einiger Zeit, ehe diese Eindrücke auf ihren wahren Wert zurückgeführt
werden. Von konservativer Seite war die Rede des preußischen Ministerpräsidenten
im Abgeordnetenhause durch Herrn von Arnim-Zusedom beantwortet worden. Diese
Antwort bekundete zwar, daß die Konservativen in vielen Punkten ihre Sprödig-
keit gegenüber den Wünschen der Regierung bewahrten, aber andrerseits deutete in
ihr auch nichts darauf hin, daß die Partei die bisherige Politik verlassen, den
Block sprengen oder gar dem Reichskanzler eine Absage erteilen wollte. Inzwischen
aber kam das agrarisch-konservative Echo der Kanzlerrede aus dem Lande. Das
Auftreten des Herrn von Oldenburg in der Versammlung der westpreußischen
Konservativen, das Interview des Herrn von Treuenfels in einem französischen
Blatte, verschiedne Beschlüsse von Landwirtschaftskammern und andern agrarisch ge¬
sinnten Körperschaften, dazu der erregte Chor der Preßstimmen — das alles war
geeignet, Aufsehen zu erregen, und die Phantasie der Gegner gab diesen Er¬
scheinungen eine noch über die naheliegenden Eindrücke hinausgehende Bedeutung.

So war man geneigt, eine rednerische Leistung aus dem Abgeordnetenhause,
die zu Anfang der jetzt verflossenen Woche vor sich ging, sehr stark zu überschätzen


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[0318] Maßgebliches und Unmaßgebliches Wieso? erwiderte der Direktor nicht ungekränkt. Denkst du denn, daß sie dir die Sache auf dem Präsentierbrette bringen werden? Gleich gehst du hin zu der Seidelbasten und sagst: Soundso, und sie müsse dirs schriftlich geben, daß sie das Stadtorchester nehmen wollte. Aber das bitte ich mir aus, daß du vorher nicht ins Wirtshaus gehst. Und mit dem Posten als Konzertmeister läßt du dich nicht abspeisen. Du dirigierst selber, das bitte ich mir aus. Eduard Krebs hatte sich bisher nur in einem Gedankenspiele erfreulicher Mög¬ lichkeiten bewegt, nun war er vor die Entscheidung gestellt. Und dies durch seine Frau, die keinen Spaß verstand. Und zu Frau von Seidelbast sollte er gehn. Und den Siegfried sollte er dirigieren. Eduard Krebs litt nicht an übergroßer Bescheidenheit, aber hier tauchte doch der Zweifel in ihm auf, ob er auch leisten könne, was er unternahm. Er hatte noch nie eine Oper dirigiert, und er erinnerte sich mit Schaudern, welche Mühe es gemacht hatte, seinem Orchester die Tann- häuserouverture einzupauken. Es wäre ihm unter diesen Umständen nicht unlieb gewesen, als Dirigent abgelehnt zu werden. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel (Die Konservativen und die Reichspolitik. Finanzreform und Blockpolitik. Wahlrechtsdebatte im preußischen Abgeordnetenhause. Straßendemonstrationen. Sozialpolitisches aus dem Reichstage. Die Lage im Orient.) Die Beunruhigung, die durch die Stellungnahme der Agrarier und Konser¬ vativen zu der Rede des Fürsten Bülow im Abgeordnetenhause hervorgerufen worden ist, kann auch heute noch nicht ganz als beseitigt gelten, obwohl man schon auf allen Seiten angefangen hat, darüber ruhiger zu denken. Unser nervöses, durch die Tagespresse beeinflußtes Zeitalter reagiert ja in der Regel sehr schnell auf alle möglichen Eindrücke, die sich einigermaßen sensationell deuten lassen, und es bedarf immer erst einiger Zeit, ehe diese Eindrücke auf ihren wahren Wert zurückgeführt werden. Von konservativer Seite war die Rede des preußischen Ministerpräsidenten im Abgeordnetenhause durch Herrn von Arnim-Zusedom beantwortet worden. Diese Antwort bekundete zwar, daß die Konservativen in vielen Punkten ihre Sprödig- keit gegenüber den Wünschen der Regierung bewahrten, aber andrerseits deutete in ihr auch nichts darauf hin, daß die Partei die bisherige Politik verlassen, den Block sprengen oder gar dem Reichskanzler eine Absage erteilen wollte. Inzwischen aber kam das agrarisch-konservative Echo der Kanzlerrede aus dem Lande. Das Auftreten des Herrn von Oldenburg in der Versammlung der westpreußischen Konservativen, das Interview des Herrn von Treuenfels in einem französischen Blatte, verschiedne Beschlüsse von Landwirtschaftskammern und andern agrarisch ge¬ sinnten Körperschaften, dazu der erregte Chor der Preßstimmen — das alles war geeignet, Aufsehen zu erregen, und die Phantasie der Gegner gab diesen Er¬ scheinungen eine noch über die naheliegenden Eindrücke hinausgehende Bedeutung. So war man geneigt, eine rednerische Leistung aus dem Abgeordnetenhause, die zu Anfang der jetzt verflossenen Woche vor sich ging, sehr stark zu überschätzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/318>, abgerufen am 12.12.2024.