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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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N)as können wir von Japan lernen?

Vaterlandsliebe, von einem Nationalbewußtsein, das uns Deutsche aller Stände
erröten macht.

Ein Heer mit solchen moralischen und körperlichen Eigenschaften muß
Außerordentliches leisten und hat es geleistet. Wie erzog Japan dieses Volk,
dieses Heer?

Japans Geschichte ist Japans Erziehung. Bis zum Jahre 1371 war
Japan ein vollkommner Feudalstaat. Die Damnos, Vasallenfürsten, regierten
absolut und wurden anerkannt vom kaiserlichen Hofe, der selbst oft von einem
der mächtigsten Daimios als Hausmeier, Shogun. geleitet wurde. Immer
schwebte dem Volke als Verkörperung des Vaterlandes der Kaiser aus dem
Hause der Tenno vor. das seit 2562 Jahren in Japan herrscht. Das Volk
war in zwei Klassen geschieden: die Bushi und Heinin. Die Bushi -- der
Adel -- wurden Minister, Offiziere. Regierungsbeamte. Der Nest des Volkes
waren die mindergeachtetcn Heinin. Diese Bushi hatten einen äußerst schroffen
Ehrbegriff, der sich nachher auf das ganze Volk ausdehnte, nur schwer zu
kodifizieren ist und nur auf mündlicher Überlieferung beruht. Dem Einfluß
dieses Ehrenkodex des Bushido verdankt das japanische Volk seine besten
Eigenschaften.

Die Samurais, Offiziere und Krieger aus der Kaste der Bushis, hatten
wie erwähnt ein sehr hochgespanntes Ehrgefühl. Als nun allmählich die
Kasten durch die staatliche Umwälzung von 1869 bis 1871 umgestoßen wurden,
sickerte dieser Geist, dessen Jünger in Japan ihrer außerordentlichen Ehren¬
haftigkeit, ihrer unvergleichlichen Tapferkeit, ihres ritterlichen Sinnes und
ihrer Vasallentreue wegen das größte Ansehn genossen, durch alle Schichten
des Volkes. Der Samurai fand Zutritt in allen Kasten, und der hoch¬
geachtete Geist dieser Kaste, vom Staate geschützt und genährt, durchsetzte all¬
mählich das ganze Volk.

Da der Bushido in Wahrheit auch die moralische Religion Japans in sich
birgt -- der Shintoismus ist nur eine einseitige Ahnenverehrung --, ist sein
Einfluß um so eindringlicher, und seine Lehren sind vom größten Interesse
für jeden, der echt japanischen Geist kennen lernen will. Der Hauptgrundsatz
des Bushido (den man in neuerer Zeit auch mit Samuraismus bezeichnet), der
dabei aber durchaus nicht als geschriebnes Dogma, sondern als sinngemäß
angewandter Brauch aufzufassen ist, heißt "größte Scheu gegen alles Unrecht und
Gefühl, Recht zu tun". Hierbei ist jeder sein eigner Richter, das Ehrgefühl muß
aufs äußerste gespannt sein, denn die einzige Strafe ist das Ren-chi-hin, das
Gefühl der Schande. Oft genug ist es ein von niemand erkanntes Unrecht,
vielleicht nur in Gedanken begangen, das im echten Samurai das Ren-chi-hin
bis zu dem Grade entstehen läßt, daß er Selbstmord begeht.

"Je reiner des Menschen Gewissen, desto feiner sein Ehrgefühl", und nach
dieser reinsten Ehrenhaftigkeit zu streben ist jedes echten Samurais uuablüssiges
Streben. In diesem Streben lernt er vor allem sich selbst beherrschen im edelsten


N)as können wir von Japan lernen?

Vaterlandsliebe, von einem Nationalbewußtsein, das uns Deutsche aller Stände
erröten macht.

Ein Heer mit solchen moralischen und körperlichen Eigenschaften muß
Außerordentliches leisten und hat es geleistet. Wie erzog Japan dieses Volk,
dieses Heer?

Japans Geschichte ist Japans Erziehung. Bis zum Jahre 1371 war
Japan ein vollkommner Feudalstaat. Die Damnos, Vasallenfürsten, regierten
absolut und wurden anerkannt vom kaiserlichen Hofe, der selbst oft von einem
der mächtigsten Daimios als Hausmeier, Shogun. geleitet wurde. Immer
schwebte dem Volke als Verkörperung des Vaterlandes der Kaiser aus dem
Hause der Tenno vor. das seit 2562 Jahren in Japan herrscht. Das Volk
war in zwei Klassen geschieden: die Bushi und Heinin. Die Bushi — der
Adel — wurden Minister, Offiziere. Regierungsbeamte. Der Nest des Volkes
waren die mindergeachtetcn Heinin. Diese Bushi hatten einen äußerst schroffen
Ehrbegriff, der sich nachher auf das ganze Volk ausdehnte, nur schwer zu
kodifizieren ist und nur auf mündlicher Überlieferung beruht. Dem Einfluß
dieses Ehrenkodex des Bushido verdankt das japanische Volk seine besten
Eigenschaften.

Die Samurais, Offiziere und Krieger aus der Kaste der Bushis, hatten
wie erwähnt ein sehr hochgespanntes Ehrgefühl. Als nun allmählich die
Kasten durch die staatliche Umwälzung von 1869 bis 1871 umgestoßen wurden,
sickerte dieser Geist, dessen Jünger in Japan ihrer außerordentlichen Ehren¬
haftigkeit, ihrer unvergleichlichen Tapferkeit, ihres ritterlichen Sinnes und
ihrer Vasallentreue wegen das größte Ansehn genossen, durch alle Schichten
des Volkes. Der Samurai fand Zutritt in allen Kasten, und der hoch¬
geachtete Geist dieser Kaste, vom Staate geschützt und genährt, durchsetzte all¬
mählich das ganze Volk.

Da der Bushido in Wahrheit auch die moralische Religion Japans in sich
birgt — der Shintoismus ist nur eine einseitige Ahnenverehrung —, ist sein
Einfluß um so eindringlicher, und seine Lehren sind vom größten Interesse
für jeden, der echt japanischen Geist kennen lernen will. Der Hauptgrundsatz
des Bushido (den man in neuerer Zeit auch mit Samuraismus bezeichnet), der
dabei aber durchaus nicht als geschriebnes Dogma, sondern als sinngemäß
angewandter Brauch aufzufassen ist, heißt „größte Scheu gegen alles Unrecht und
Gefühl, Recht zu tun". Hierbei ist jeder sein eigner Richter, das Ehrgefühl muß
aufs äußerste gespannt sein, denn die einzige Strafe ist das Ren-chi-hin, das
Gefühl der Schande. Oft genug ist es ein von niemand erkanntes Unrecht,
vielleicht nur in Gedanken begangen, das im echten Samurai das Ren-chi-hin
bis zu dem Grade entstehen läßt, daß er Selbstmord begeht.

„Je reiner des Menschen Gewissen, desto feiner sein Ehrgefühl", und nach
dieser reinsten Ehrenhaftigkeit zu streben ist jedes echten Samurais uuablüssiges
Streben. In diesem Streben lernt er vor allem sich selbst beherrschen im edelsten


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[0031] N)as können wir von Japan lernen? Vaterlandsliebe, von einem Nationalbewußtsein, das uns Deutsche aller Stände erröten macht. Ein Heer mit solchen moralischen und körperlichen Eigenschaften muß Außerordentliches leisten und hat es geleistet. Wie erzog Japan dieses Volk, dieses Heer? Japans Geschichte ist Japans Erziehung. Bis zum Jahre 1371 war Japan ein vollkommner Feudalstaat. Die Damnos, Vasallenfürsten, regierten absolut und wurden anerkannt vom kaiserlichen Hofe, der selbst oft von einem der mächtigsten Daimios als Hausmeier, Shogun. geleitet wurde. Immer schwebte dem Volke als Verkörperung des Vaterlandes der Kaiser aus dem Hause der Tenno vor. das seit 2562 Jahren in Japan herrscht. Das Volk war in zwei Klassen geschieden: die Bushi und Heinin. Die Bushi — der Adel — wurden Minister, Offiziere. Regierungsbeamte. Der Nest des Volkes waren die mindergeachtetcn Heinin. Diese Bushi hatten einen äußerst schroffen Ehrbegriff, der sich nachher auf das ganze Volk ausdehnte, nur schwer zu kodifizieren ist und nur auf mündlicher Überlieferung beruht. Dem Einfluß dieses Ehrenkodex des Bushido verdankt das japanische Volk seine besten Eigenschaften. Die Samurais, Offiziere und Krieger aus der Kaste der Bushis, hatten wie erwähnt ein sehr hochgespanntes Ehrgefühl. Als nun allmählich die Kasten durch die staatliche Umwälzung von 1869 bis 1871 umgestoßen wurden, sickerte dieser Geist, dessen Jünger in Japan ihrer außerordentlichen Ehren¬ haftigkeit, ihrer unvergleichlichen Tapferkeit, ihres ritterlichen Sinnes und ihrer Vasallentreue wegen das größte Ansehn genossen, durch alle Schichten des Volkes. Der Samurai fand Zutritt in allen Kasten, und der hoch¬ geachtete Geist dieser Kaste, vom Staate geschützt und genährt, durchsetzte all¬ mählich das ganze Volk. Da der Bushido in Wahrheit auch die moralische Religion Japans in sich birgt — der Shintoismus ist nur eine einseitige Ahnenverehrung —, ist sein Einfluß um so eindringlicher, und seine Lehren sind vom größten Interesse für jeden, der echt japanischen Geist kennen lernen will. Der Hauptgrundsatz des Bushido (den man in neuerer Zeit auch mit Samuraismus bezeichnet), der dabei aber durchaus nicht als geschriebnes Dogma, sondern als sinngemäß angewandter Brauch aufzufassen ist, heißt „größte Scheu gegen alles Unrecht und Gefühl, Recht zu tun". Hierbei ist jeder sein eigner Richter, das Ehrgefühl muß aufs äußerste gespannt sein, denn die einzige Strafe ist das Ren-chi-hin, das Gefühl der Schande. Oft genug ist es ein von niemand erkanntes Unrecht, vielleicht nur in Gedanken begangen, das im echten Samurai das Ren-chi-hin bis zu dem Grade entstehen läßt, daß er Selbstmord begeht. „Je reiner des Menschen Gewissen, desto feiner sein Ehrgefühl", und nach dieser reinsten Ehrenhaftigkeit zu streben ist jedes echten Samurais uuablüssiges Streben. In diesem Streben lernt er vor allem sich selbst beherrschen im edelsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/31>, abgerufen am 12.12.2024.