Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.Karl Schurz lichen Begeisterung vorgestellt hätte, hingegen praktischer in ihren Wohltaten Schurz war durchaus Republikaner und war so weit Amerikaner geworden, Karl Schurz lichen Begeisterung vorgestellt hätte, hingegen praktischer in ihren Wohltaten Schurz war durchaus Republikaner und war so weit Amerikaner geworden, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0299" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312650"/> <fw type="header" place="top"> Karl Schurz</fw><lb/> <p xml:id="ID_1127" prev="#ID_1126"> lichen Begeisterung vorgestellt hätte, hingegen praktischer in ihren Wohltaten<lb/> für die große Menge und viel konservativer in ihren Tendenzen, wie ich sie<lb/> mir je gedacht hätte". Bismarck erwies sich über amerikanische Verhältnisse<lb/> viel eingehender unterrichtet, als es Schurz sonst bei Ausländern gefunden<lb/> hatte, und sein politischer Scharfblick zeigte sich in den Äußerungen: „Aber<lb/> würden die demokratischen Institutionen Amerikas nicht erst dann die wahre<lb/> Probe zu bestehn haben, wenn die außergewöhnlich günstigen Chancen, welche<lb/> aus unsern wunderbaren natürlichen Hilfsmitteln hervorgingen, aufgehört<lb/> haben würden zu existieren? Würden dann die politischen Kämpfe Amerikas<lb/> nicht naturgemäß ein Kampf zwischen reich und arm werden, zwischen den<lb/> wenigen, die besitzen, und den vielen, die entbehren?"</p><lb/> <p xml:id="ID_1128" next="#ID_1129"> Schurz war durchaus Republikaner und war so weit Amerikaner geworden,<lb/> daß er auch die Andeutungen Bismarcks überhörte, wie Lothar Bucher und<lb/> andre nach Deutschland zurückzukehren, wo öffentliche Stellungen mit hervor¬<lb/> ragender Tätigkeit bereit stünden. Volle Befriedigung gewährte ihm im<lb/> nächsten Jahre die Erwählung zum Bundessenator, „die höchste öffentliche<lb/> Stellung, welche meine ehrgeizigsten Träume mir nur je Hütten verheißen<lb/> können". Am 4. März 1869 nahm er seinen Sitz im Senate der Vereinigten<lb/> Staaten ein, erst vierzig Jahre alt nach kaum sechzehnjähriger Anwesenheit<lb/> im Lande. „Würde ich je imstande sein, diesem Lande meine Dankesschuld<lb/> abzutragen und die Ehren, mit denen ich überhäuft worden war, zu recht¬<lb/> fertigen? Um dies zu erfüllen, konnte mein Begriff von Pflicht nicht hoch<lb/> genug gespannt werden." Mit diesem Höhepunkt schließt der zweite Band<lb/> der Lebenserinnerungen, der, bezeichnend genug, in englischer Sprache ge¬<lb/> schrieben ist, während der erste Band deutsch war. Wie die Tochter Agathe<lb/> im Vorwort erzählt, bot sich ihrem Vater für seine Erlebnisse und die poli¬<lb/> tischen Verhältnisse in der neuen Heimat „unwillkürlich die englische Sprache,<lb/> die es ihm gestattete, seine Gedanken über diese Verhältnisse prägnanter aus¬<lb/> zudrücken". Die Übersetzung, die von den beiden Töchtern und Fräulein Mary<lb/> Rolle besorgt wurde, ist ziemlich tadelfrei und läßt nur selten vermissen, daß<lb/> man nicht die unmittelbare Ausdrucksform von Karl Schurz vor Augen hat.<lb/> Zu bedauern bleibt nur. daß die Erinnerungen mit dem Jahre 1870 ab¬<lb/> schließen und die eignen Ansichten des bedeutendsten deutschamerikanischen<lb/> Politikers über den Verlauf seines weitern Lebens, über die Entwicklung der<lb/> Union und der gesamten Weltlage seit jener Zeit nun fremder Darstellung<lb/> vorbehalten bleiben. Es wäre vom größten Wert gewesen, die eignen Urteile<lb/> des Meisters der Sprache darüber zu vernehmen. Denn der zweite Band<lb/> bietet neben der im höchsten Grade lesenswerten Schilderung der Erlebnisse<lb/> der ersten sechzehn amerikanischen Jahre eine ganze Reihe von Rückschauen,<lb/> allgemeinen Erörterungen und Ausblicken in die Zukunft, die gerade als von<lb/> dieser Seite kommend der Beachtung wert sind. Aus allem leuchtet die Tat¬<lb/> sache hervor, daß Schurz ein vollkommner Amerikaner geworden ist. der den<lb/> vollen innerlichen Anschluß an die große Republik des Westens gefunden hat,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0299]
Karl Schurz
lichen Begeisterung vorgestellt hätte, hingegen praktischer in ihren Wohltaten
für die große Menge und viel konservativer in ihren Tendenzen, wie ich sie
mir je gedacht hätte". Bismarck erwies sich über amerikanische Verhältnisse
viel eingehender unterrichtet, als es Schurz sonst bei Ausländern gefunden
hatte, und sein politischer Scharfblick zeigte sich in den Äußerungen: „Aber
würden die demokratischen Institutionen Amerikas nicht erst dann die wahre
Probe zu bestehn haben, wenn die außergewöhnlich günstigen Chancen, welche
aus unsern wunderbaren natürlichen Hilfsmitteln hervorgingen, aufgehört
haben würden zu existieren? Würden dann die politischen Kämpfe Amerikas
nicht naturgemäß ein Kampf zwischen reich und arm werden, zwischen den
wenigen, die besitzen, und den vielen, die entbehren?"
Schurz war durchaus Republikaner und war so weit Amerikaner geworden,
daß er auch die Andeutungen Bismarcks überhörte, wie Lothar Bucher und
andre nach Deutschland zurückzukehren, wo öffentliche Stellungen mit hervor¬
ragender Tätigkeit bereit stünden. Volle Befriedigung gewährte ihm im
nächsten Jahre die Erwählung zum Bundessenator, „die höchste öffentliche
Stellung, welche meine ehrgeizigsten Träume mir nur je Hütten verheißen
können". Am 4. März 1869 nahm er seinen Sitz im Senate der Vereinigten
Staaten ein, erst vierzig Jahre alt nach kaum sechzehnjähriger Anwesenheit
im Lande. „Würde ich je imstande sein, diesem Lande meine Dankesschuld
abzutragen und die Ehren, mit denen ich überhäuft worden war, zu recht¬
fertigen? Um dies zu erfüllen, konnte mein Begriff von Pflicht nicht hoch
genug gespannt werden." Mit diesem Höhepunkt schließt der zweite Band
der Lebenserinnerungen, der, bezeichnend genug, in englischer Sprache ge¬
schrieben ist, während der erste Band deutsch war. Wie die Tochter Agathe
im Vorwort erzählt, bot sich ihrem Vater für seine Erlebnisse und die poli¬
tischen Verhältnisse in der neuen Heimat „unwillkürlich die englische Sprache,
die es ihm gestattete, seine Gedanken über diese Verhältnisse prägnanter aus¬
zudrücken". Die Übersetzung, die von den beiden Töchtern und Fräulein Mary
Rolle besorgt wurde, ist ziemlich tadelfrei und läßt nur selten vermissen, daß
man nicht die unmittelbare Ausdrucksform von Karl Schurz vor Augen hat.
Zu bedauern bleibt nur. daß die Erinnerungen mit dem Jahre 1870 ab¬
schließen und die eignen Ansichten des bedeutendsten deutschamerikanischen
Politikers über den Verlauf seines weitern Lebens, über die Entwicklung der
Union und der gesamten Weltlage seit jener Zeit nun fremder Darstellung
vorbehalten bleiben. Es wäre vom größten Wert gewesen, die eignen Urteile
des Meisters der Sprache darüber zu vernehmen. Denn der zweite Band
bietet neben der im höchsten Grade lesenswerten Schilderung der Erlebnisse
der ersten sechzehn amerikanischen Jahre eine ganze Reihe von Rückschauen,
allgemeinen Erörterungen und Ausblicken in die Zukunft, die gerade als von
dieser Seite kommend der Beachtung wert sind. Aus allem leuchtet die Tat¬
sache hervor, daß Schurz ein vollkommner Amerikaner geworden ist. der den
vollen innerlichen Anschluß an die große Republik des Westens gefunden hat,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |