Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die gegenwärtige militärische Lage Hsterreich-Ungarns gegen Serbien und Montenegro

Wahrscheinlich ist nun, daß das Gros der im östlichen Bosnien, in
Banjaluka und Dolna-Tusla, untergebrachten 48. Infanteriedivision über
Loznica und über und nördlich von Zvornik vorgehen wird, während über
Ljubovija die aus Sarajewo vordirigierten und für die Operation über No-
gatica-Visegrad entbehrlichen Kräfte angesetzt werden dürften. Hierzu ist zu
bemerken, daß die vorhandnen Streitkräfte für die Durchführung einer kräftigen
Offensive über die Drina nicht ausreichen, daß vielmehr die an der serbischen
Grenze verteilten beiden Infanteriedivisionen nur die ersten Staffeln des
nötigen Machtaufgebots sein können, während das Gros erst aus dem nächsten
Korpsbereiche von Agram (XIII. Korps) heranzuschieben sein wird. Und dies
um so mehr, als mit einem starken Vorstoß serbischer Truppen über die Drina
gerechnet werden muß.

Wesentlich einfacher liegen die strategischen Verhältnisse im Norden Serbiens.
Hier bilden save und Donau eine so mächtige Grenzbarriere, daß von einem
Überfall Serbiens keine Rede sein kann. Auch bestehen viel günstigere Ver¬
hältnisse für die Versammlung sehr starker Streitkrüfte, da das Kommuni¬
kationsnetz die rasche Ansammlung zahlreicher Truppen ermöglicht und die
vielen wohlhabenden Ortschaften eine Unterbringung begünstigen. Als Auf¬
marschraum des Gros kommt nach dem Bestand an Straßen und Hilfsmitteln,
ferner nach der strategischen Gesamtlage das untere Banat in Betracht, das
ist der Raum Pancsova - Weißkirchen, in dem vier Bahnen münden, und wo
die Donau als Transportlinie seit je eine große Rolle gespielt hat. Von hier
aus ergeben sich günstige Operationsrichtungen durch das Tal der zentralen
Morava, der Kornkammer Serbiens. Diese Richtung ist aber auch deshalb
von so großer Bedeutung, weil sie die für den Bewegungskrieg geeigneten
Räume umfaßt und bei dem schwierigen Nachschub die Okkupation wesentlich
erleichtern würde.

Die Operationsrichtung über Visegrad-Caeak und die durch das Moravatal
stellen die große äußere Umrandung des wahrscheinlichen Kriegstheaters dar;
gelingt es einer österreichischen Offensive, Herr dieser Linien und der sie be¬
grenzenden Räume zu werden, so werden die serbischen mobilen Kräfte in den
westlich und nördlich davon liegenden Räumen eingeschlossen, was zu einer
Kapitulation führen würde. Auf eine solche Niederwerfung der Serben hinzu¬
arbeiten, erscheint auch deshalb wichtig, weil nur ein Festhalten der serbischen
Streitkräfte den Bandenkrieg verhüten kann. Ist die serbische Armee geschlagen
und womöglich zerniert -- die konzentrischen österreichischen Operationslinien
weisen gebieterisch daraufhin, diese Zernierung anzustreben --, so ist auch der
Widerstand des Landes gebrochen, denn der serbische Bauer ist keineswegs
kriegerisch gesinnt, er seufzt im Gegenteil unter der Last der Steuern und der
Politik, die von einigen Hitzköpfen aus persönlichem Interesse gemacht wird.

Neben der durch das Moravatal gedachten Hauptvormarschrichtung kommen
Operationen aus den Aufmarschräumen in Syrmien (Mitrovitza) und aus dem
Gebirgslande des Raumes Weißkirchen-Orsova in Betracht; diese Operations-


Die gegenwärtige militärische Lage Hsterreich-Ungarns gegen Serbien und Montenegro

Wahrscheinlich ist nun, daß das Gros der im östlichen Bosnien, in
Banjaluka und Dolna-Tusla, untergebrachten 48. Infanteriedivision über
Loznica und über und nördlich von Zvornik vorgehen wird, während über
Ljubovija die aus Sarajewo vordirigierten und für die Operation über No-
gatica-Visegrad entbehrlichen Kräfte angesetzt werden dürften. Hierzu ist zu
bemerken, daß die vorhandnen Streitkräfte für die Durchführung einer kräftigen
Offensive über die Drina nicht ausreichen, daß vielmehr die an der serbischen
Grenze verteilten beiden Infanteriedivisionen nur die ersten Staffeln des
nötigen Machtaufgebots sein können, während das Gros erst aus dem nächsten
Korpsbereiche von Agram (XIII. Korps) heranzuschieben sein wird. Und dies
um so mehr, als mit einem starken Vorstoß serbischer Truppen über die Drina
gerechnet werden muß.

Wesentlich einfacher liegen die strategischen Verhältnisse im Norden Serbiens.
Hier bilden save und Donau eine so mächtige Grenzbarriere, daß von einem
Überfall Serbiens keine Rede sein kann. Auch bestehen viel günstigere Ver¬
hältnisse für die Versammlung sehr starker Streitkrüfte, da das Kommuni¬
kationsnetz die rasche Ansammlung zahlreicher Truppen ermöglicht und die
vielen wohlhabenden Ortschaften eine Unterbringung begünstigen. Als Auf¬
marschraum des Gros kommt nach dem Bestand an Straßen und Hilfsmitteln,
ferner nach der strategischen Gesamtlage das untere Banat in Betracht, das
ist der Raum Pancsova - Weißkirchen, in dem vier Bahnen münden, und wo
die Donau als Transportlinie seit je eine große Rolle gespielt hat. Von hier
aus ergeben sich günstige Operationsrichtungen durch das Tal der zentralen
Morava, der Kornkammer Serbiens. Diese Richtung ist aber auch deshalb
von so großer Bedeutung, weil sie die für den Bewegungskrieg geeigneten
Räume umfaßt und bei dem schwierigen Nachschub die Okkupation wesentlich
erleichtern würde.

Die Operationsrichtung über Visegrad-Caeak und die durch das Moravatal
stellen die große äußere Umrandung des wahrscheinlichen Kriegstheaters dar;
gelingt es einer österreichischen Offensive, Herr dieser Linien und der sie be¬
grenzenden Räume zu werden, so werden die serbischen mobilen Kräfte in den
westlich und nördlich davon liegenden Räumen eingeschlossen, was zu einer
Kapitulation führen würde. Auf eine solche Niederwerfung der Serben hinzu¬
arbeiten, erscheint auch deshalb wichtig, weil nur ein Festhalten der serbischen
Streitkräfte den Bandenkrieg verhüten kann. Ist die serbische Armee geschlagen
und womöglich zerniert — die konzentrischen österreichischen Operationslinien
weisen gebieterisch daraufhin, diese Zernierung anzustreben —, so ist auch der
Widerstand des Landes gebrochen, denn der serbische Bauer ist keineswegs
kriegerisch gesinnt, er seufzt im Gegenteil unter der Last der Steuern und der
Politik, die von einigen Hitzköpfen aus persönlichem Interesse gemacht wird.

Neben der durch das Moravatal gedachten Hauptvormarschrichtung kommen
Operationen aus den Aufmarschräumen in Syrmien (Mitrovitza) und aus dem
Gebirgslande des Raumes Weißkirchen-Orsova in Betracht; diese Operations-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0284" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312635"/>
          <fw type="header" place="top"> Die gegenwärtige militärische Lage Hsterreich-Ungarns gegen Serbien und Montenegro</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1085"> Wahrscheinlich ist nun, daß das Gros der im östlichen Bosnien, in<lb/>
Banjaluka und Dolna-Tusla, untergebrachten 48. Infanteriedivision über<lb/>
Loznica und über und nördlich von Zvornik vorgehen wird, während über<lb/>
Ljubovija die aus Sarajewo vordirigierten und für die Operation über No-<lb/>
gatica-Visegrad entbehrlichen Kräfte angesetzt werden dürften. Hierzu ist zu<lb/>
bemerken, daß die vorhandnen Streitkräfte für die Durchführung einer kräftigen<lb/>
Offensive über die Drina nicht ausreichen, daß vielmehr die an der serbischen<lb/>
Grenze verteilten beiden Infanteriedivisionen nur die ersten Staffeln des<lb/>
nötigen Machtaufgebots sein können, während das Gros erst aus dem nächsten<lb/>
Korpsbereiche von Agram (XIII. Korps) heranzuschieben sein wird. Und dies<lb/>
um so mehr, als mit einem starken Vorstoß serbischer Truppen über die Drina<lb/>
gerechnet werden muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1086"> Wesentlich einfacher liegen die strategischen Verhältnisse im Norden Serbiens.<lb/>
Hier bilden save und Donau eine so mächtige Grenzbarriere, daß von einem<lb/>
Überfall Serbiens keine Rede sein kann. Auch bestehen viel günstigere Ver¬<lb/>
hältnisse für die Versammlung sehr starker Streitkrüfte, da das Kommuni¬<lb/>
kationsnetz die rasche Ansammlung zahlreicher Truppen ermöglicht und die<lb/>
vielen wohlhabenden Ortschaften eine Unterbringung begünstigen. Als Auf¬<lb/>
marschraum des Gros kommt nach dem Bestand an Straßen und Hilfsmitteln,<lb/>
ferner nach der strategischen Gesamtlage das untere Banat in Betracht, das<lb/>
ist der Raum Pancsova - Weißkirchen, in dem vier Bahnen münden, und wo<lb/>
die Donau als Transportlinie seit je eine große Rolle gespielt hat. Von hier<lb/>
aus ergeben sich günstige Operationsrichtungen durch das Tal der zentralen<lb/>
Morava, der Kornkammer Serbiens. Diese Richtung ist aber auch deshalb<lb/>
von so großer Bedeutung, weil sie die für den Bewegungskrieg geeigneten<lb/>
Räume umfaßt und bei dem schwierigen Nachschub die Okkupation wesentlich<lb/>
erleichtern würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1087"> Die Operationsrichtung über Visegrad-Caeak und die durch das Moravatal<lb/>
stellen die große äußere Umrandung des wahrscheinlichen Kriegstheaters dar;<lb/>
gelingt es einer österreichischen Offensive, Herr dieser Linien und der sie be¬<lb/>
grenzenden Räume zu werden, so werden die serbischen mobilen Kräfte in den<lb/>
westlich und nördlich davon liegenden Räumen eingeschlossen, was zu einer<lb/>
Kapitulation führen würde. Auf eine solche Niederwerfung der Serben hinzu¬<lb/>
arbeiten, erscheint auch deshalb wichtig, weil nur ein Festhalten der serbischen<lb/>
Streitkräfte den Bandenkrieg verhüten kann. Ist die serbische Armee geschlagen<lb/>
und womöglich zerniert &#x2014; die konzentrischen österreichischen Operationslinien<lb/>
weisen gebieterisch daraufhin, diese Zernierung anzustreben &#x2014;, so ist auch der<lb/>
Widerstand des Landes gebrochen, denn der serbische Bauer ist keineswegs<lb/>
kriegerisch gesinnt, er seufzt im Gegenteil unter der Last der Steuern und der<lb/>
Politik, die von einigen Hitzköpfen aus persönlichem Interesse gemacht wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1088" next="#ID_1089"> Neben der durch das Moravatal gedachten Hauptvormarschrichtung kommen<lb/>
Operationen aus den Aufmarschräumen in Syrmien (Mitrovitza) und aus dem<lb/>
Gebirgslande des Raumes Weißkirchen-Orsova in Betracht; diese Operations-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0284] Die gegenwärtige militärische Lage Hsterreich-Ungarns gegen Serbien und Montenegro Wahrscheinlich ist nun, daß das Gros der im östlichen Bosnien, in Banjaluka und Dolna-Tusla, untergebrachten 48. Infanteriedivision über Loznica und über und nördlich von Zvornik vorgehen wird, während über Ljubovija die aus Sarajewo vordirigierten und für die Operation über No- gatica-Visegrad entbehrlichen Kräfte angesetzt werden dürften. Hierzu ist zu bemerken, daß die vorhandnen Streitkräfte für die Durchführung einer kräftigen Offensive über die Drina nicht ausreichen, daß vielmehr die an der serbischen Grenze verteilten beiden Infanteriedivisionen nur die ersten Staffeln des nötigen Machtaufgebots sein können, während das Gros erst aus dem nächsten Korpsbereiche von Agram (XIII. Korps) heranzuschieben sein wird. Und dies um so mehr, als mit einem starken Vorstoß serbischer Truppen über die Drina gerechnet werden muß. Wesentlich einfacher liegen die strategischen Verhältnisse im Norden Serbiens. Hier bilden save und Donau eine so mächtige Grenzbarriere, daß von einem Überfall Serbiens keine Rede sein kann. Auch bestehen viel günstigere Ver¬ hältnisse für die Versammlung sehr starker Streitkrüfte, da das Kommuni¬ kationsnetz die rasche Ansammlung zahlreicher Truppen ermöglicht und die vielen wohlhabenden Ortschaften eine Unterbringung begünstigen. Als Auf¬ marschraum des Gros kommt nach dem Bestand an Straßen und Hilfsmitteln, ferner nach der strategischen Gesamtlage das untere Banat in Betracht, das ist der Raum Pancsova - Weißkirchen, in dem vier Bahnen münden, und wo die Donau als Transportlinie seit je eine große Rolle gespielt hat. Von hier aus ergeben sich günstige Operationsrichtungen durch das Tal der zentralen Morava, der Kornkammer Serbiens. Diese Richtung ist aber auch deshalb von so großer Bedeutung, weil sie die für den Bewegungskrieg geeigneten Räume umfaßt und bei dem schwierigen Nachschub die Okkupation wesentlich erleichtern würde. Die Operationsrichtung über Visegrad-Caeak und die durch das Moravatal stellen die große äußere Umrandung des wahrscheinlichen Kriegstheaters dar; gelingt es einer österreichischen Offensive, Herr dieser Linien und der sie be¬ grenzenden Räume zu werden, so werden die serbischen mobilen Kräfte in den westlich und nördlich davon liegenden Räumen eingeschlossen, was zu einer Kapitulation führen würde. Auf eine solche Niederwerfung der Serben hinzu¬ arbeiten, erscheint auch deshalb wichtig, weil nur ein Festhalten der serbischen Streitkräfte den Bandenkrieg verhüten kann. Ist die serbische Armee geschlagen und womöglich zerniert — die konzentrischen österreichischen Operationslinien weisen gebieterisch daraufhin, diese Zernierung anzustreben —, so ist auch der Widerstand des Landes gebrochen, denn der serbische Bauer ist keineswegs kriegerisch gesinnt, er seufzt im Gegenteil unter der Last der Steuern und der Politik, die von einigen Hitzköpfen aus persönlichem Interesse gemacht wird. Neben der durch das Moravatal gedachten Hauptvormarschrichtung kommen Operationen aus den Aufmarschräumen in Syrmien (Mitrovitza) und aus dem Gebirgslande des Raumes Weißkirchen-Orsova in Betracht; diese Operations-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/284
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/284>, abgerufen am 23.07.2024.