Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.vie deutsche Kulturpartet selben Augenblick offenbar werden, wo der Gegenstand schwante, in dessen Einer großen Inkonsequenz macht sich der Schüler Nietzsches im Vergleich Die "Deutsche Kulturpartei" ist gegründet worden. Schon scheint sie einen vie deutsche Kulturpartet selben Augenblick offenbar werden, wo der Gegenstand schwante, in dessen Einer großen Inkonsequenz macht sich der Schüler Nietzsches im Vergleich Die „Deutsche Kulturpartei" ist gegründet worden. Schon scheint sie einen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0250" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312601"/> <fw type="header" place="top"> vie deutsche Kulturpartet</fw><lb/> <p xml:id="ID_935" prev="#ID_934"> selben Augenblick offenbar werden, wo der Gegenstand schwante, in dessen<lb/> Negation die Einheit besteht. Wäre das Ziel erreicht, Christentum und Kirche<lb/> bis auf den letzten Rest ausgetilgt, so würden die verneinenden Kräfte nichts<lb/> mit sich selber anzufangen wissen und sich gegenseitig zerfleischen.</p><lb/> <p xml:id="ID_936"> Einer großen Inkonsequenz macht sich der Schüler Nietzsches im Vergleich<lb/> zu seinem Meister schuldig. Dieser wollte folgerecht jede Fessel der Indi¬<lb/> vidualität brechen, auch die einer allgemein geltenden Moral und Logik. So<lb/> weit geht Horneffer nicht. Soll doch in der Schule des neuen Kulturideals<lb/> uoch Moral gelehrt werden. Dann muß doch dafür eine allgemeine Formel<lb/> gefunden werden. Denn was bei den Millionen millionenfach verschieden wäre,<lb/> ließe sich in keine Lehre fassen. Sodann ist er auch Gegner jeder Anarchie.<lb/> Ja er verlangt einen starken Staat, der die Auswüchse des Individualismus<lb/> verhindern soll, er ist sogar, man sollte es nicht glauben, Anhänger des mon¬<lb/> archischen Gedankens. Denn er sieht klaren Auges, daß schrankenlose Demo¬<lb/> kratie zur Unterdrückung jeder Individualität wird, in Sklaverei für den<lb/> einzelnen umschlägt. So soll sich der einzelne in den Ansprüchen seiner<lb/> Individualität zugunsten eines Allgemeinen, des Staates beschränken. Vorher,<lb/> bei der Bekämpfung des Christentums sah der Verfasser auch in dem leisesten<lb/> Anspruch auf Allgemeingiltigkeit eine unerträgliche Fessel. Es sollte nicht<lb/> einmal mehr geduldet werden, wenn sich einer solche Fesseln aus innerer Über¬<lb/> zeugung selbst anlegen wollte. Jetzt legt er Ketten von viel härterer Konsistenz<lb/> auf, denn der Staat hat es an sich, daß er mit äußerer Gewalt an den ein¬<lb/> zelnen herantritt. Wir erkennen, Horneffer meint gar nicht den reinen Indi¬<lb/> vidualismus, dessen fanatisch-konsequenter Vorkämpfer Nietzsche war. Er hat<lb/> eine normierte Individualität im Auge, für die man in unmißverständlichem<lb/> Sprachgebrauch den Ausdruck „Persönlichkeit" geprägt hat. Sollte es ihm<lb/> ganz entgangen sein, daß das Christentum mit seinem Anspruch auf Absolutheit<lb/> doch nie Feind der Persönlichkeit, sondern nur der schrankenlos sich ausleben<lb/> wollenden Individualität ist? Nur die Auswüchse der Individualität, das<lb/> Häßliche, Böse, das Haltlose, Wesenwidrige, die Fehler, die in der Entwicklung<lb/> möglich sind und wirklich geworden sind, unterbindet es, nicht das Wachstum<lb/> selbst. Nicht schablonisieren will es die Individuen, sondern in jeder Indi¬<lb/> vidualität sieht es eine ewig wertvolle Idee, die sich ausgestalten soll, und zu<lb/> deren ungehemmter Ausgestaltung es helfen will. Wenn manche Formen des<lb/> Christentums diese Tendenz nur in verdunkelter Gestalt zeigen, so können wir<lb/> uns immer wieder an der Art orientieren, wie Christus Seelen zu gewinnen<lb/> sucht. Das Recht, das Nietzsche von seinem Standpunkt aus geltend machen<lb/> durfte, das Christentum als den Urfeind zu bekämpfen, hat Horneffer, der die<lb/> Individualität doch wieder normieren will, verwirkt.</p><lb/> <p xml:id="ID_937" next="#ID_938"> Die „Deutsche Kulturpartei" ist gegründet worden. Schon scheint sie einen<lb/> Stamm begeisterter Anhänger zu zählen. Als Anhang seiner Schrift gibt Horneffer<lb/> das Programm, auf das sie sich geeinigt hat, im einzelnen schon ausgeführt<lb/> bis auf die Forderung der Feuerbestattung, der Reichseinkommensteuer und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0250]
vie deutsche Kulturpartet
selben Augenblick offenbar werden, wo der Gegenstand schwante, in dessen
Negation die Einheit besteht. Wäre das Ziel erreicht, Christentum und Kirche
bis auf den letzten Rest ausgetilgt, so würden die verneinenden Kräfte nichts
mit sich selber anzufangen wissen und sich gegenseitig zerfleischen.
Einer großen Inkonsequenz macht sich der Schüler Nietzsches im Vergleich
zu seinem Meister schuldig. Dieser wollte folgerecht jede Fessel der Indi¬
vidualität brechen, auch die einer allgemein geltenden Moral und Logik. So
weit geht Horneffer nicht. Soll doch in der Schule des neuen Kulturideals
uoch Moral gelehrt werden. Dann muß doch dafür eine allgemeine Formel
gefunden werden. Denn was bei den Millionen millionenfach verschieden wäre,
ließe sich in keine Lehre fassen. Sodann ist er auch Gegner jeder Anarchie.
Ja er verlangt einen starken Staat, der die Auswüchse des Individualismus
verhindern soll, er ist sogar, man sollte es nicht glauben, Anhänger des mon¬
archischen Gedankens. Denn er sieht klaren Auges, daß schrankenlose Demo¬
kratie zur Unterdrückung jeder Individualität wird, in Sklaverei für den
einzelnen umschlägt. So soll sich der einzelne in den Ansprüchen seiner
Individualität zugunsten eines Allgemeinen, des Staates beschränken. Vorher,
bei der Bekämpfung des Christentums sah der Verfasser auch in dem leisesten
Anspruch auf Allgemeingiltigkeit eine unerträgliche Fessel. Es sollte nicht
einmal mehr geduldet werden, wenn sich einer solche Fesseln aus innerer Über¬
zeugung selbst anlegen wollte. Jetzt legt er Ketten von viel härterer Konsistenz
auf, denn der Staat hat es an sich, daß er mit äußerer Gewalt an den ein¬
zelnen herantritt. Wir erkennen, Horneffer meint gar nicht den reinen Indi¬
vidualismus, dessen fanatisch-konsequenter Vorkämpfer Nietzsche war. Er hat
eine normierte Individualität im Auge, für die man in unmißverständlichem
Sprachgebrauch den Ausdruck „Persönlichkeit" geprägt hat. Sollte es ihm
ganz entgangen sein, daß das Christentum mit seinem Anspruch auf Absolutheit
doch nie Feind der Persönlichkeit, sondern nur der schrankenlos sich ausleben
wollenden Individualität ist? Nur die Auswüchse der Individualität, das
Häßliche, Böse, das Haltlose, Wesenwidrige, die Fehler, die in der Entwicklung
möglich sind und wirklich geworden sind, unterbindet es, nicht das Wachstum
selbst. Nicht schablonisieren will es die Individuen, sondern in jeder Indi¬
vidualität sieht es eine ewig wertvolle Idee, die sich ausgestalten soll, und zu
deren ungehemmter Ausgestaltung es helfen will. Wenn manche Formen des
Christentums diese Tendenz nur in verdunkelter Gestalt zeigen, so können wir
uns immer wieder an der Art orientieren, wie Christus Seelen zu gewinnen
sucht. Das Recht, das Nietzsche von seinem Standpunkt aus geltend machen
durfte, das Christentum als den Urfeind zu bekämpfen, hat Horneffer, der die
Individualität doch wieder normieren will, verwirkt.
Die „Deutsche Kulturpartei" ist gegründet worden. Schon scheint sie einen
Stamm begeisterter Anhänger zu zählen. Als Anhang seiner Schrift gibt Horneffer
das Programm, auf das sie sich geeinigt hat, im einzelnen schon ausgeführt
bis auf die Forderung der Feuerbestattung, der Reichseinkommensteuer und
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