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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Rulturxartei

brochen hat, muß zu noch kühnerer Gestalt gesteigert werden. Der Protestan¬
tismus muß sich selbst überbieten. Die völlige Ausscheidung der Kirche aus
dem deutschen Leben wird darum als das Endziel der deutschen Entwicklung
aufgestellt. Deshalb muß der Staat einen Ersatz für die Kirche schaffen, der
geeignet ist, sie allmählich zu verdrängen. Einstweilen mag er ja für das
Häuflein geistig Rückständiger auch noch die Kirchen dulden, aber die neutrale
Simultanschule mit konfessionslosen Sittenunterricht, die Aufhebung jeder
kirchlichen Aufsicht und Bevormundung für die Lehrerseminare und andre Ein¬
richtungen werden schließlich schon die Kirche entwurzeln. Doch dies schreibt
Horneffer dem Liberalismus als obersten Grundsatz ins Stammbuch: Jede
Freiheit dürfe er dulden, jedoch "eine Freiheit kann er niemals dulden, den
Willen zur Unfreiheit". Alle kirchlich Gesinnten haben den Willen zur Unfreiheit,
sie wollen sich ja an eine absolute Wahrheit binden. Diese Gesinnungsart
bedarf einer gründlichen Ausrottung. Es wird also nichts übrig bleiben, als
der Rat des Philosophen Überweg, einmal dreißig Jahre lang alle, die sich
noch irgendwie zum Christenglauben bekennen wollen^ niederzukartätschen.

Der Verfasser zieht diese gründlichen Konsequenzen in seinem Buche nicht.
Er empfiehlt dem Staate vielmehr die Einrichtung lehrfreier Volks¬
akademien. Philosophisch herangebildete Volkserzieher sollen in diesen, gleich
den bisherigen Kirchen, überall in Stadt und Land zu gründenden Anstalten
ungehemmt ihre Wahrheit verkünden. Jeder soll da nach seiner Überzeugung
das Volk über die tiefsten und bedeutsamsten Fragen des Lebens aufklären.

Wo bleibt aber der religiöse Inhalt, den der Verfasser dem Liberalismus
zu geben versprach, der ihm anstatt der bisherigen Hohlheit eine innere Kraft
geben sollte, der überlegen, die die katholische und evangelische Kirche an ihren
religiösen Idealen besitzen? Das Religiöse ist nach der Anschauung des Ver¬
fassers ein weiterer Begriff als bei uns Vertretern positiver Religion. "Religion
ist alles, was das menschliche Gemüt von den letzten Dingen sagt." Wir
verstehn ihn also wohl nicht falsch mit der Annahme, daß das Religiöse, um
das sich seine neue Kulturpartei scharen will, die freie Diskussion der Volks¬
akademien über jene "tiefsten und bedeutsamsten Fragen des Lebens" fein soll.
Ist das wirklich ein religiöser Inhalt? Angenommen, diesen Erörterungen,
in denen der eine dies, der andre jenes behauptet und einer wider den andern
ist, käme wirklich ein Interesse weiterer Volkskreise entgegen, meint der Ver¬
fasser wirklich, solches formale Interesse für tiefere Fragen könne an Kraft
dem Christenglauben die Spitze bieten, der, wie die Geschichte lehrt, in Zeiten
der Krise den Märtyrermut gibt, auch das Leben hinzuopfern? Horneffer redet
von einer "unausgesprochnen Einheit", die alle Anhänger des neuen Kultur-
ideals verbinde zu einem Geist, einer Hoffnung, einer Liebe. Wir aber
halten diese Einheit nicht bloß für unaussprechbar, sondern auch für unaus¬
denkbar, für ein Unwirkliches und Niezuverwirklichendes, für ein hölzernes
Eisen. Es ist eine bloße Einheit in der Negation. Diese gibt nie eine positive,
'fruchtbare, lebenwirkende Kraft. Ihre Nichtigkeit würde zum mindesten in dem-


Die deutsche Rulturxartei

brochen hat, muß zu noch kühnerer Gestalt gesteigert werden. Der Protestan¬
tismus muß sich selbst überbieten. Die völlige Ausscheidung der Kirche aus
dem deutschen Leben wird darum als das Endziel der deutschen Entwicklung
aufgestellt. Deshalb muß der Staat einen Ersatz für die Kirche schaffen, der
geeignet ist, sie allmählich zu verdrängen. Einstweilen mag er ja für das
Häuflein geistig Rückständiger auch noch die Kirchen dulden, aber die neutrale
Simultanschule mit konfessionslosen Sittenunterricht, die Aufhebung jeder
kirchlichen Aufsicht und Bevormundung für die Lehrerseminare und andre Ein¬
richtungen werden schließlich schon die Kirche entwurzeln. Doch dies schreibt
Horneffer dem Liberalismus als obersten Grundsatz ins Stammbuch: Jede
Freiheit dürfe er dulden, jedoch „eine Freiheit kann er niemals dulden, den
Willen zur Unfreiheit". Alle kirchlich Gesinnten haben den Willen zur Unfreiheit,
sie wollen sich ja an eine absolute Wahrheit binden. Diese Gesinnungsart
bedarf einer gründlichen Ausrottung. Es wird also nichts übrig bleiben, als
der Rat des Philosophen Überweg, einmal dreißig Jahre lang alle, die sich
noch irgendwie zum Christenglauben bekennen wollen^ niederzukartätschen.

Der Verfasser zieht diese gründlichen Konsequenzen in seinem Buche nicht.
Er empfiehlt dem Staate vielmehr die Einrichtung lehrfreier Volks¬
akademien. Philosophisch herangebildete Volkserzieher sollen in diesen, gleich
den bisherigen Kirchen, überall in Stadt und Land zu gründenden Anstalten
ungehemmt ihre Wahrheit verkünden. Jeder soll da nach seiner Überzeugung
das Volk über die tiefsten und bedeutsamsten Fragen des Lebens aufklären.

Wo bleibt aber der religiöse Inhalt, den der Verfasser dem Liberalismus
zu geben versprach, der ihm anstatt der bisherigen Hohlheit eine innere Kraft
geben sollte, der überlegen, die die katholische und evangelische Kirche an ihren
religiösen Idealen besitzen? Das Religiöse ist nach der Anschauung des Ver¬
fassers ein weiterer Begriff als bei uns Vertretern positiver Religion. „Religion
ist alles, was das menschliche Gemüt von den letzten Dingen sagt." Wir
verstehn ihn also wohl nicht falsch mit der Annahme, daß das Religiöse, um
das sich seine neue Kulturpartei scharen will, die freie Diskussion der Volks¬
akademien über jene „tiefsten und bedeutsamsten Fragen des Lebens" fein soll.
Ist das wirklich ein religiöser Inhalt? Angenommen, diesen Erörterungen,
in denen der eine dies, der andre jenes behauptet und einer wider den andern
ist, käme wirklich ein Interesse weiterer Volkskreise entgegen, meint der Ver¬
fasser wirklich, solches formale Interesse für tiefere Fragen könne an Kraft
dem Christenglauben die Spitze bieten, der, wie die Geschichte lehrt, in Zeiten
der Krise den Märtyrermut gibt, auch das Leben hinzuopfern? Horneffer redet
von einer „unausgesprochnen Einheit", die alle Anhänger des neuen Kultur-
ideals verbinde zu einem Geist, einer Hoffnung, einer Liebe. Wir aber
halten diese Einheit nicht bloß für unaussprechbar, sondern auch für unaus¬
denkbar, für ein Unwirkliches und Niezuverwirklichendes, für ein hölzernes
Eisen. Es ist eine bloße Einheit in der Negation. Diese gibt nie eine positive,
'fruchtbare, lebenwirkende Kraft. Ihre Nichtigkeit würde zum mindesten in dem-


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[0249] Die deutsche Rulturxartei brochen hat, muß zu noch kühnerer Gestalt gesteigert werden. Der Protestan¬ tismus muß sich selbst überbieten. Die völlige Ausscheidung der Kirche aus dem deutschen Leben wird darum als das Endziel der deutschen Entwicklung aufgestellt. Deshalb muß der Staat einen Ersatz für die Kirche schaffen, der geeignet ist, sie allmählich zu verdrängen. Einstweilen mag er ja für das Häuflein geistig Rückständiger auch noch die Kirchen dulden, aber die neutrale Simultanschule mit konfessionslosen Sittenunterricht, die Aufhebung jeder kirchlichen Aufsicht und Bevormundung für die Lehrerseminare und andre Ein¬ richtungen werden schließlich schon die Kirche entwurzeln. Doch dies schreibt Horneffer dem Liberalismus als obersten Grundsatz ins Stammbuch: Jede Freiheit dürfe er dulden, jedoch „eine Freiheit kann er niemals dulden, den Willen zur Unfreiheit". Alle kirchlich Gesinnten haben den Willen zur Unfreiheit, sie wollen sich ja an eine absolute Wahrheit binden. Diese Gesinnungsart bedarf einer gründlichen Ausrottung. Es wird also nichts übrig bleiben, als der Rat des Philosophen Überweg, einmal dreißig Jahre lang alle, die sich noch irgendwie zum Christenglauben bekennen wollen^ niederzukartätschen. Der Verfasser zieht diese gründlichen Konsequenzen in seinem Buche nicht. Er empfiehlt dem Staate vielmehr die Einrichtung lehrfreier Volks¬ akademien. Philosophisch herangebildete Volkserzieher sollen in diesen, gleich den bisherigen Kirchen, überall in Stadt und Land zu gründenden Anstalten ungehemmt ihre Wahrheit verkünden. Jeder soll da nach seiner Überzeugung das Volk über die tiefsten und bedeutsamsten Fragen des Lebens aufklären. Wo bleibt aber der religiöse Inhalt, den der Verfasser dem Liberalismus zu geben versprach, der ihm anstatt der bisherigen Hohlheit eine innere Kraft geben sollte, der überlegen, die die katholische und evangelische Kirche an ihren religiösen Idealen besitzen? Das Religiöse ist nach der Anschauung des Ver¬ fassers ein weiterer Begriff als bei uns Vertretern positiver Religion. „Religion ist alles, was das menschliche Gemüt von den letzten Dingen sagt." Wir verstehn ihn also wohl nicht falsch mit der Annahme, daß das Religiöse, um das sich seine neue Kulturpartei scharen will, die freie Diskussion der Volks¬ akademien über jene „tiefsten und bedeutsamsten Fragen des Lebens" fein soll. Ist das wirklich ein religiöser Inhalt? Angenommen, diesen Erörterungen, in denen der eine dies, der andre jenes behauptet und einer wider den andern ist, käme wirklich ein Interesse weiterer Volkskreise entgegen, meint der Ver¬ fasser wirklich, solches formale Interesse für tiefere Fragen könne an Kraft dem Christenglauben die Spitze bieten, der, wie die Geschichte lehrt, in Zeiten der Krise den Märtyrermut gibt, auch das Leben hinzuopfern? Horneffer redet von einer „unausgesprochnen Einheit", die alle Anhänger des neuen Kultur- ideals verbinde zu einem Geist, einer Hoffnung, einer Liebe. Wir aber halten diese Einheit nicht bloß für unaussprechbar, sondern auch für unaus¬ denkbar, für ein Unwirkliches und Niezuverwirklichendes, für ein hölzernes Eisen. Es ist eine bloße Einheit in der Negation. Diese gibt nie eine positive, 'fruchtbare, lebenwirkende Kraft. Ihre Nichtigkeit würde zum mindesten in dem-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/249>, abgerufen am 23.07.2024.