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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Auswärtige Anleihen in der russischen Budgetgesctzgcbung

250000000 Mark zu vier Prozent auf sechs Monate anbot, angeblich, um
diesem Institut zu helfen, seinen Diskontosatz zu halten. Das Angebot wurde
abgelehnt.

Wenn man alle diese Daten liest, weiß man nicht, was man davon ledig¬
lich auf das persönliche Konto des Herrn Witte und was allein auf das der
unkontrollierbaren Bureaukratie zu setzen hat. Eins wird aber deutlich bewiesen,
daß auch der materielle Schaden, den eine solche Bureaukratie dem Lande zu¬
fügen kaun, ganz außerordentlich groß ist. und es ist schwer verständlich, wie
sich Herr Kokowtzew zu der Geschmacklosigkeit hinreißen lassen konnte, bei den
letzten Budgetdebatte" die deutsche Finanzwirtschaft einer kritischen und wenig
freundlichen Betrachtung zu unterziehn.

Wir haben schon darauf hingewiesen, daß mehr als die Hälfte der
russischen Schulden im Auslande -- eine halbe Milliarde Mark in Deutsch¬
land -- untergebracht ist. Infolgedessen hat das Ausland ein ebenso
großes Interesse daran, daß die russischen Finanzen einer scharfen
öffentlichen Kontrolle unterliegen, wie die Russen selbst. Uns darf
es im Interesse des großen Publikums nicht beruhigen, wenn die Gro߬
banken, wie es gegenwärtig in Frankreich geschieht, unter den durch die Ein¬
berufung einer Volksvertretung bewirkten neuen Verhältnissen die Sicherheit
Rußlands so hoch einschätzen, daß sie bereit sind, eine Anleihe zu übernehmen.
Die Bankiers lassen sich für ein verhältnismäßig schnell vorübergehendes Risiko
eine so hohe Kommission zahlen, daß sie schon einem gewissen Wagemut Raum
geben können. Das große Publikum aber, der deutsche Sparer, setzt für vier
bis fünf Prozent oft das Ergebnis eines langen mühevollen Lebens aufs
Spiel; er trägt das Risiko solange, als er das russische Papier in der Hand
hat, und er muß es in der Hand behalten, da es ohne größere Verluste im
Laufe der nächsten Jahre kaum zu realisieren sein dürfte. Darum müssen wir
uns auch genau darüber klar werden, was denn die Volksvertreter bei den
Finanzen mitzureden haben, und was sich gegen früher gebessert hat. Wir
haben gezeigt, daß die Mitwirkung der Volksvertretung an der Beaufsichtigung
der Finanzen gering, an der Kontrolle der Anleihenabschlüsse aber gleich Null
ist. Darum die Zurückhaltung der deutschen Banken von der Emission der jüngsten
russischen Anleihe, darum auch die Sprödigkeit der Londoner und der Pariser
Bankiers, die in dem niedrigen Emissionskurse zum Ausdruck kommt.




Auswärtige Anleihen in der russischen Budgetgesctzgcbung

250000000 Mark zu vier Prozent auf sechs Monate anbot, angeblich, um
diesem Institut zu helfen, seinen Diskontosatz zu halten. Das Angebot wurde
abgelehnt.

Wenn man alle diese Daten liest, weiß man nicht, was man davon ledig¬
lich auf das persönliche Konto des Herrn Witte und was allein auf das der
unkontrollierbaren Bureaukratie zu setzen hat. Eins wird aber deutlich bewiesen,
daß auch der materielle Schaden, den eine solche Bureaukratie dem Lande zu¬
fügen kaun, ganz außerordentlich groß ist. und es ist schwer verständlich, wie
sich Herr Kokowtzew zu der Geschmacklosigkeit hinreißen lassen konnte, bei den
letzten Budgetdebatte» die deutsche Finanzwirtschaft einer kritischen und wenig
freundlichen Betrachtung zu unterziehn.

Wir haben schon darauf hingewiesen, daß mehr als die Hälfte der
russischen Schulden im Auslande — eine halbe Milliarde Mark in Deutsch¬
land — untergebracht ist. Infolgedessen hat das Ausland ein ebenso
großes Interesse daran, daß die russischen Finanzen einer scharfen
öffentlichen Kontrolle unterliegen, wie die Russen selbst. Uns darf
es im Interesse des großen Publikums nicht beruhigen, wenn die Gro߬
banken, wie es gegenwärtig in Frankreich geschieht, unter den durch die Ein¬
berufung einer Volksvertretung bewirkten neuen Verhältnissen die Sicherheit
Rußlands so hoch einschätzen, daß sie bereit sind, eine Anleihe zu übernehmen.
Die Bankiers lassen sich für ein verhältnismäßig schnell vorübergehendes Risiko
eine so hohe Kommission zahlen, daß sie schon einem gewissen Wagemut Raum
geben können. Das große Publikum aber, der deutsche Sparer, setzt für vier
bis fünf Prozent oft das Ergebnis eines langen mühevollen Lebens aufs
Spiel; er trägt das Risiko solange, als er das russische Papier in der Hand
hat, und er muß es in der Hand behalten, da es ohne größere Verluste im
Laufe der nächsten Jahre kaum zu realisieren sein dürfte. Darum müssen wir
uns auch genau darüber klar werden, was denn die Volksvertreter bei den
Finanzen mitzureden haben, und was sich gegen früher gebessert hat. Wir
haben gezeigt, daß die Mitwirkung der Volksvertretung an der Beaufsichtigung
der Finanzen gering, an der Kontrolle der Anleihenabschlüsse aber gleich Null
ist. Darum die Zurückhaltung der deutschen Banken von der Emission der jüngsten
russischen Anleihe, darum auch die Sprödigkeit der Londoner und der Pariser
Bankiers, die in dem niedrigen Emissionskurse zum Ausdruck kommt.




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[0242] Auswärtige Anleihen in der russischen Budgetgesctzgcbung 250000000 Mark zu vier Prozent auf sechs Monate anbot, angeblich, um diesem Institut zu helfen, seinen Diskontosatz zu halten. Das Angebot wurde abgelehnt. Wenn man alle diese Daten liest, weiß man nicht, was man davon ledig¬ lich auf das persönliche Konto des Herrn Witte und was allein auf das der unkontrollierbaren Bureaukratie zu setzen hat. Eins wird aber deutlich bewiesen, daß auch der materielle Schaden, den eine solche Bureaukratie dem Lande zu¬ fügen kaun, ganz außerordentlich groß ist. und es ist schwer verständlich, wie sich Herr Kokowtzew zu der Geschmacklosigkeit hinreißen lassen konnte, bei den letzten Budgetdebatte» die deutsche Finanzwirtschaft einer kritischen und wenig freundlichen Betrachtung zu unterziehn. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß mehr als die Hälfte der russischen Schulden im Auslande — eine halbe Milliarde Mark in Deutsch¬ land — untergebracht ist. Infolgedessen hat das Ausland ein ebenso großes Interesse daran, daß die russischen Finanzen einer scharfen öffentlichen Kontrolle unterliegen, wie die Russen selbst. Uns darf es im Interesse des großen Publikums nicht beruhigen, wenn die Gro߬ banken, wie es gegenwärtig in Frankreich geschieht, unter den durch die Ein¬ berufung einer Volksvertretung bewirkten neuen Verhältnissen die Sicherheit Rußlands so hoch einschätzen, daß sie bereit sind, eine Anleihe zu übernehmen. Die Bankiers lassen sich für ein verhältnismäßig schnell vorübergehendes Risiko eine so hohe Kommission zahlen, daß sie schon einem gewissen Wagemut Raum geben können. Das große Publikum aber, der deutsche Sparer, setzt für vier bis fünf Prozent oft das Ergebnis eines langen mühevollen Lebens aufs Spiel; er trägt das Risiko solange, als er das russische Papier in der Hand hat, und er muß es in der Hand behalten, da es ohne größere Verluste im Laufe der nächsten Jahre kaum zu realisieren sein dürfte. Darum müssen wir uns auch genau darüber klar werden, was denn die Volksvertreter bei den Finanzen mitzureden haben, und was sich gegen früher gebessert hat. Wir haben gezeigt, daß die Mitwirkung der Volksvertretung an der Beaufsichtigung der Finanzen gering, an der Kontrolle der Anleihenabschlüsse aber gleich Null ist. Darum die Zurückhaltung der deutschen Banken von der Emission der jüngsten russischen Anleihe, darum auch die Sprödigkeit der Londoner und der Pariser Bankiers, die in dem niedrigen Emissionskurse zum Ausdruck kommt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/242>, abgerufen am 23.07.2024.