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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Der parnassus in Neusiedel

bieten. Nur dies war bemerkenswert, daß ein geteilter Vorhang, ganz so, wie ihn
das Bayreuther Theater hat, vorgesehen war.

Der Schellingsche Entwurf war freilich etwas ganz andres. Dieser zeigte
hohe Originalität und wich weit ab von der gewöhnlichen breit getretner Bahn.
Der Bau sah im Äußern aus, wie wenn er aus drei verschleimen Modellierkartons,
einem Museum, einer Burg und einem Ökonomiegebäude zusammengepappt wäre.
Natürlich! Denn es ist künstlerischer Grundsatz, daß sich der innere Zweck in der
äußern architektonischen Gestaltung abspiegeln muß. Da nun Zuschuuerraum, Bühne
und Kulissenmagazin verschiedne Dinge sind, so muß man das doch von außen
sehen können. Aber mehr noch als dieses künstlerische Prinzip imponierte den
Stadtvätern, das heißt den Freunden Schellingscher Kunst unter ihnen die Ein¬
richtung des Zuschauerraumes. Dieser war, wie die Unterschrift mitteilte, dem
römischen Theater in Taormina nachgebildet. Rechts und links von der Bühne standen
geborstne korinthische Säulen und sonstiges zerfallnes Mauerwerk, und von Säule
zu Säule war ein krummer Balken gelegt, von dem, aus buntbemaltem Stuck ge¬
bildet, Decken und Matten herabhingen, die den obern Abschluß der Bühne bildeten.
Darüber hinweg sah man in der Ferne die weiße, rauchende Spitze des Ätna, und
oben war der ganze Raum mit mattem, tiefblauem Glase überdeckt, das von rück¬
wärts mit elektrischem Lichte beleuchtet wurde. Das war der italienische Himmel.
Daß dieser Himmel kariert war, entsprach ja nicht ganz der Naturwahrheit, die
Kunst soll doch nicht die Natur abschreiben, sondern künstlerisch umbilden. Großartig!
Noch nie dagewesen. Und noch dazu Taormina! Die Schellingianer schwammen
in Wonne und nannten den Entwurf die einzig mögliche Lösung des Problems
eines modernen Theaters. Denn natürlich muß ein modernes Theater den Ausblick
auf den Ätna und einen italienischen Himmel über sich haben. Dieses Theater
mußte gebaut werden, kein andres als dieses!

Dagegen entschied sich die andre Hälfte der Kommission für Himmelby, dessen
Entwurf sich zu dem Schellings verhielt wie Rinderbraten zu Eierkuchen oder wie
eine Chausseewalze zu einem Kinderwagen. Das Haus war massig und schwer,
wie aus dem Ankerbaukasten hingebaut. Es bestand aus Quadern, Klötzen und
Flächen, die mit spärlichem, prähistorischem Zierat versehen waren. Die Ver¬
hältnisse und Wirkungen waren so fein empfunden, daß es schwer war, sie nach¬
zuempfinden. Ein ungebildeter Geschmack hätte darauf kommen können, diese
niedrigen Türen, diese vergitterten Fenster, diese weißgetünchten Wände, diesen
Zuschauerraum, der aussah wie das Innere einer alten Kirche aus der Zopfzeit,
häßlich zu finden. Aber das wäre ein ungebildeter Geschmack gewesen. Ein ge¬
bildeter Geschmack riecht aus dem Häßlichen das feinste Parfüm heraus. Und der
Teil der Kommission, der Himmelbys Partei genommen hatte, wußte, was er sich
und dem Feingeschmacke der Gegenwart schuldig war. Er war von dem Ernste
und der Größe des Planes hingerissen und erklärte: Kein andres als dieses Theater
dürfe gebaut werden. Und der Ermsdorfsche Entwurf kam weiter nicht in Frage.
Und somit stand, da bei jedem der beiden bevorzugten Entwürfe ebensoviel Stimmen
für wie gegen abgegeben wurden, und da es der Herr Bürgermeister ablehnte, mit
seiner Stimme den Ausschlag zu geben und die Verantwortung auf sich zu nehmen,
die Sache still. Man tagte weiter, aber man kam zu keiner Entscheidung.

Und was sagte Herr Baurat Ermsdorf dazu, der doch sicher ebensogut Sach¬
verständiger wie irgend eins der Mitglieder der Kommission war? Wenn er von
einem Schellingianer beim Dämmerschoppeu im Schützen nach seiner Meinung
sondiert wurde, erwiderte er mit dem Tone tiefster' Überzeugung: Schellings
Bau? -- Sehr schön! Höchst originell. Ich gratuliere Ihnen, daß Sie sich für


Der parnassus in Neusiedel

bieten. Nur dies war bemerkenswert, daß ein geteilter Vorhang, ganz so, wie ihn
das Bayreuther Theater hat, vorgesehen war.

Der Schellingsche Entwurf war freilich etwas ganz andres. Dieser zeigte
hohe Originalität und wich weit ab von der gewöhnlichen breit getretner Bahn.
Der Bau sah im Äußern aus, wie wenn er aus drei verschleimen Modellierkartons,
einem Museum, einer Burg und einem Ökonomiegebäude zusammengepappt wäre.
Natürlich! Denn es ist künstlerischer Grundsatz, daß sich der innere Zweck in der
äußern architektonischen Gestaltung abspiegeln muß. Da nun Zuschuuerraum, Bühne
und Kulissenmagazin verschiedne Dinge sind, so muß man das doch von außen
sehen können. Aber mehr noch als dieses künstlerische Prinzip imponierte den
Stadtvätern, das heißt den Freunden Schellingscher Kunst unter ihnen die Ein¬
richtung des Zuschauerraumes. Dieser war, wie die Unterschrift mitteilte, dem
römischen Theater in Taormina nachgebildet. Rechts und links von der Bühne standen
geborstne korinthische Säulen und sonstiges zerfallnes Mauerwerk, und von Säule
zu Säule war ein krummer Balken gelegt, von dem, aus buntbemaltem Stuck ge¬
bildet, Decken und Matten herabhingen, die den obern Abschluß der Bühne bildeten.
Darüber hinweg sah man in der Ferne die weiße, rauchende Spitze des Ätna, und
oben war der ganze Raum mit mattem, tiefblauem Glase überdeckt, das von rück¬
wärts mit elektrischem Lichte beleuchtet wurde. Das war der italienische Himmel.
Daß dieser Himmel kariert war, entsprach ja nicht ganz der Naturwahrheit, die
Kunst soll doch nicht die Natur abschreiben, sondern künstlerisch umbilden. Großartig!
Noch nie dagewesen. Und noch dazu Taormina! Die Schellingianer schwammen
in Wonne und nannten den Entwurf die einzig mögliche Lösung des Problems
eines modernen Theaters. Denn natürlich muß ein modernes Theater den Ausblick
auf den Ätna und einen italienischen Himmel über sich haben. Dieses Theater
mußte gebaut werden, kein andres als dieses!

Dagegen entschied sich die andre Hälfte der Kommission für Himmelby, dessen
Entwurf sich zu dem Schellings verhielt wie Rinderbraten zu Eierkuchen oder wie
eine Chausseewalze zu einem Kinderwagen. Das Haus war massig und schwer,
wie aus dem Ankerbaukasten hingebaut. Es bestand aus Quadern, Klötzen und
Flächen, die mit spärlichem, prähistorischem Zierat versehen waren. Die Ver¬
hältnisse und Wirkungen waren so fein empfunden, daß es schwer war, sie nach¬
zuempfinden. Ein ungebildeter Geschmack hätte darauf kommen können, diese
niedrigen Türen, diese vergitterten Fenster, diese weißgetünchten Wände, diesen
Zuschauerraum, der aussah wie das Innere einer alten Kirche aus der Zopfzeit,
häßlich zu finden. Aber das wäre ein ungebildeter Geschmack gewesen. Ein ge¬
bildeter Geschmack riecht aus dem Häßlichen das feinste Parfüm heraus. Und der
Teil der Kommission, der Himmelbys Partei genommen hatte, wußte, was er sich
und dem Feingeschmacke der Gegenwart schuldig war. Er war von dem Ernste
und der Größe des Planes hingerissen und erklärte: Kein andres als dieses Theater
dürfe gebaut werden. Und der Ermsdorfsche Entwurf kam weiter nicht in Frage.
Und somit stand, da bei jedem der beiden bevorzugten Entwürfe ebensoviel Stimmen
für wie gegen abgegeben wurden, und da es der Herr Bürgermeister ablehnte, mit
seiner Stimme den Ausschlag zu geben und die Verantwortung auf sich zu nehmen,
die Sache still. Man tagte weiter, aber man kam zu keiner Entscheidung.

Und was sagte Herr Baurat Ermsdorf dazu, der doch sicher ebensogut Sach¬
verständiger wie irgend eins der Mitglieder der Kommission war? Wenn er von
einem Schellingianer beim Dämmerschoppeu im Schützen nach seiner Meinung
sondiert wurde, erwiderte er mit dem Tone tiefster' Überzeugung: Schellings
Bau? — Sehr schön! Höchst originell. Ich gratuliere Ihnen, daß Sie sich für


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[0159] Der parnassus in Neusiedel bieten. Nur dies war bemerkenswert, daß ein geteilter Vorhang, ganz so, wie ihn das Bayreuther Theater hat, vorgesehen war. Der Schellingsche Entwurf war freilich etwas ganz andres. Dieser zeigte hohe Originalität und wich weit ab von der gewöhnlichen breit getretner Bahn. Der Bau sah im Äußern aus, wie wenn er aus drei verschleimen Modellierkartons, einem Museum, einer Burg und einem Ökonomiegebäude zusammengepappt wäre. Natürlich! Denn es ist künstlerischer Grundsatz, daß sich der innere Zweck in der äußern architektonischen Gestaltung abspiegeln muß. Da nun Zuschuuerraum, Bühne und Kulissenmagazin verschiedne Dinge sind, so muß man das doch von außen sehen können. Aber mehr noch als dieses künstlerische Prinzip imponierte den Stadtvätern, das heißt den Freunden Schellingscher Kunst unter ihnen die Ein¬ richtung des Zuschauerraumes. Dieser war, wie die Unterschrift mitteilte, dem römischen Theater in Taormina nachgebildet. Rechts und links von der Bühne standen geborstne korinthische Säulen und sonstiges zerfallnes Mauerwerk, und von Säule zu Säule war ein krummer Balken gelegt, von dem, aus buntbemaltem Stuck ge¬ bildet, Decken und Matten herabhingen, die den obern Abschluß der Bühne bildeten. Darüber hinweg sah man in der Ferne die weiße, rauchende Spitze des Ätna, und oben war der ganze Raum mit mattem, tiefblauem Glase überdeckt, das von rück¬ wärts mit elektrischem Lichte beleuchtet wurde. Das war der italienische Himmel. Daß dieser Himmel kariert war, entsprach ja nicht ganz der Naturwahrheit, die Kunst soll doch nicht die Natur abschreiben, sondern künstlerisch umbilden. Großartig! Noch nie dagewesen. Und noch dazu Taormina! Die Schellingianer schwammen in Wonne und nannten den Entwurf die einzig mögliche Lösung des Problems eines modernen Theaters. Denn natürlich muß ein modernes Theater den Ausblick auf den Ätna und einen italienischen Himmel über sich haben. Dieses Theater mußte gebaut werden, kein andres als dieses! Dagegen entschied sich die andre Hälfte der Kommission für Himmelby, dessen Entwurf sich zu dem Schellings verhielt wie Rinderbraten zu Eierkuchen oder wie eine Chausseewalze zu einem Kinderwagen. Das Haus war massig und schwer, wie aus dem Ankerbaukasten hingebaut. Es bestand aus Quadern, Klötzen und Flächen, die mit spärlichem, prähistorischem Zierat versehen waren. Die Ver¬ hältnisse und Wirkungen waren so fein empfunden, daß es schwer war, sie nach¬ zuempfinden. Ein ungebildeter Geschmack hätte darauf kommen können, diese niedrigen Türen, diese vergitterten Fenster, diese weißgetünchten Wände, diesen Zuschauerraum, der aussah wie das Innere einer alten Kirche aus der Zopfzeit, häßlich zu finden. Aber das wäre ein ungebildeter Geschmack gewesen. Ein ge¬ bildeter Geschmack riecht aus dem Häßlichen das feinste Parfüm heraus. Und der Teil der Kommission, der Himmelbys Partei genommen hatte, wußte, was er sich und dem Feingeschmacke der Gegenwart schuldig war. Er war von dem Ernste und der Größe des Planes hingerissen und erklärte: Kein andres als dieses Theater dürfe gebaut werden. Und der Ermsdorfsche Entwurf kam weiter nicht in Frage. Und somit stand, da bei jedem der beiden bevorzugten Entwürfe ebensoviel Stimmen für wie gegen abgegeben wurden, und da es der Herr Bürgermeister ablehnte, mit seiner Stimme den Ausschlag zu geben und die Verantwortung auf sich zu nehmen, die Sache still. Man tagte weiter, aber man kam zu keiner Entscheidung. Und was sagte Herr Baurat Ermsdorf dazu, der doch sicher ebensogut Sach¬ verständiger wie irgend eins der Mitglieder der Kommission war? Wenn er von einem Schellingianer beim Dämmerschoppeu im Schützen nach seiner Meinung sondiert wurde, erwiderte er mit dem Tone tiefster' Überzeugung: Schellings Bau? — Sehr schön! Höchst originell. Ich gratuliere Ihnen, daß Sie sich für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/159>, abgerufen am 12.12.2024.