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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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phokylides und die Lssener

und Jonadab in Nordpalästina angesiedelt gewesen. Die Essener waren, wie
es scheint, ursprünglich nordpalästinische Ansiedler, ein selbständiges, arbeit¬
sames, begabtes und frommes Bauernvolk. Daß die Bewohner Samariens, die
Ketzer, zu denen die Essener gehörten, zum Teil selbst medischer und persischer
Abkunft waren, darf man als sicher annehmen nach Josephus (Ant. 12, 5, 5).

Ein sprechendes Zeugnis der trefflichen Gesinnung, die die Essener be-
tätigten, ist der Schwur der Essener. Der Essener, sagt Josephus (B. I. II, 8, 7),
schwört: 1. Gott zu ehren und die Gerechtigkeit gegen die Menschen zu beobachten,
2. die Wahrheit stets zu lieben, 3. weder aus eignem Antriebe noch auf Ver¬
anlassung andrer jemand Schaden zuzufügen, 4. die Ungerechten stets zu
hassen, mitzukämpfen für die Gerechten, bereit zu sein, die Lügner zu über¬
führen, 5. die Treue stets zu wahren (gegen jedermann), 6. die Hände von
Diebstahl und das Gewissen von unlautern Gewinn rein zu halten, 7. falls
er selbst einmal herrschen würde (das heißt uneigennützig zu regieren). Der
Schwur enthält nichts vom jüdischen Gesetz und hat gar nichts von einer
Ordensregel an sich. Als solche hat ihn erst der Verfasser des fünfzehnten
Psalms nicht aufgefaßt, der ihn judaistisch umgeändert hat. Es ist der Bürgereid
essenischer Brüdergemeinden, eine Verpflichtung zu brüderlicher Eintracht, zu
einem Leben in Liebe und heiligem Gemeinsinn, wie die Pythagoreer sagten.
Auf diesem essenischen Ephebeneide beruht die Angabe bei Philo über die Er¬
ziehung der essenischen Jugend zu der Liebe zu Gott, zur Tugend und zu
den Menschen.

Der jüdische Geschichtschreiber Josephus hätte in seiner Schilderung des
jüdischen Krieges gar nichts besseres anführen können zugunsten des Juden¬
tums als die friedliche Lebensgemeinschaft der Essener (Jos. B. I. 2, 8, 5).
Nur, daß die essenischen Ansiedler, die Bürger und Bauern in Nordpalüstina,
keine Judäer waren.*) Sonst würden Philo und Josephus nicht unterlassen
haben, den Unsterblichkeitsglauben der wackern Männer in den Kämpfen der
Makkabüer gegen die Syrer gebührend hervorzuheben. Dieser Unsterblichkeits¬
glaube beweist die Verwandtschaft des Essenismus mit dem Pythagoreismus,
d Karl circle essen Prophet in Vorderasien der Milesier Phokylides war.





*) Die nähere Kenntnis des Wesens der Essener ist besonders den Untersuchungen von
Hilgenfeld und Zeller zu verdanken. Die beste Übersicht über den Stand der Forschung gibt
Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi II", 657 ff., nur mit etwas
zu starker Betonung der Ordensbruderschast der Essener und ihrer nahen Verwandtschaft mit dem
Judentum und dem Pharisäismus.
phokylides und die Lssener

und Jonadab in Nordpalästina angesiedelt gewesen. Die Essener waren, wie
es scheint, ursprünglich nordpalästinische Ansiedler, ein selbständiges, arbeit¬
sames, begabtes und frommes Bauernvolk. Daß die Bewohner Samariens, die
Ketzer, zu denen die Essener gehörten, zum Teil selbst medischer und persischer
Abkunft waren, darf man als sicher annehmen nach Josephus (Ant. 12, 5, 5).

Ein sprechendes Zeugnis der trefflichen Gesinnung, die die Essener be-
tätigten, ist der Schwur der Essener. Der Essener, sagt Josephus (B. I. II, 8, 7),
schwört: 1. Gott zu ehren und die Gerechtigkeit gegen die Menschen zu beobachten,
2. die Wahrheit stets zu lieben, 3. weder aus eignem Antriebe noch auf Ver¬
anlassung andrer jemand Schaden zuzufügen, 4. die Ungerechten stets zu
hassen, mitzukämpfen für die Gerechten, bereit zu sein, die Lügner zu über¬
führen, 5. die Treue stets zu wahren (gegen jedermann), 6. die Hände von
Diebstahl und das Gewissen von unlautern Gewinn rein zu halten, 7. falls
er selbst einmal herrschen würde (das heißt uneigennützig zu regieren). Der
Schwur enthält nichts vom jüdischen Gesetz und hat gar nichts von einer
Ordensregel an sich. Als solche hat ihn erst der Verfasser des fünfzehnten
Psalms nicht aufgefaßt, der ihn judaistisch umgeändert hat. Es ist der Bürgereid
essenischer Brüdergemeinden, eine Verpflichtung zu brüderlicher Eintracht, zu
einem Leben in Liebe und heiligem Gemeinsinn, wie die Pythagoreer sagten.
Auf diesem essenischen Ephebeneide beruht die Angabe bei Philo über die Er¬
ziehung der essenischen Jugend zu der Liebe zu Gott, zur Tugend und zu
den Menschen.

Der jüdische Geschichtschreiber Josephus hätte in seiner Schilderung des
jüdischen Krieges gar nichts besseres anführen können zugunsten des Juden¬
tums als die friedliche Lebensgemeinschaft der Essener (Jos. B. I. 2, 8, 5).
Nur, daß die essenischen Ansiedler, die Bürger und Bauern in Nordpalüstina,
keine Judäer waren.*) Sonst würden Philo und Josephus nicht unterlassen
haben, den Unsterblichkeitsglauben der wackern Männer in den Kämpfen der
Makkabüer gegen die Syrer gebührend hervorzuheben. Dieser Unsterblichkeits¬
glaube beweist die Verwandtschaft des Essenismus mit dem Pythagoreismus,
d Karl circle essen Prophet in Vorderasien der Milesier Phokylides war.





*) Die nähere Kenntnis des Wesens der Essener ist besonders den Untersuchungen von
Hilgenfeld und Zeller zu verdanken. Die beste Übersicht über den Stand der Forschung gibt
Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi II", 657 ff., nur mit etwas
zu starker Betonung der Ordensbruderschast der Essener und ihrer nahen Verwandtschaft mit dem
Judentum und dem Pharisäismus.
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[0146] phokylides und die Lssener und Jonadab in Nordpalästina angesiedelt gewesen. Die Essener waren, wie es scheint, ursprünglich nordpalästinische Ansiedler, ein selbständiges, arbeit¬ sames, begabtes und frommes Bauernvolk. Daß die Bewohner Samariens, die Ketzer, zu denen die Essener gehörten, zum Teil selbst medischer und persischer Abkunft waren, darf man als sicher annehmen nach Josephus (Ant. 12, 5, 5). Ein sprechendes Zeugnis der trefflichen Gesinnung, die die Essener be- tätigten, ist der Schwur der Essener. Der Essener, sagt Josephus (B. I. II, 8, 7), schwört: 1. Gott zu ehren und die Gerechtigkeit gegen die Menschen zu beobachten, 2. die Wahrheit stets zu lieben, 3. weder aus eignem Antriebe noch auf Ver¬ anlassung andrer jemand Schaden zuzufügen, 4. die Ungerechten stets zu hassen, mitzukämpfen für die Gerechten, bereit zu sein, die Lügner zu über¬ führen, 5. die Treue stets zu wahren (gegen jedermann), 6. die Hände von Diebstahl und das Gewissen von unlautern Gewinn rein zu halten, 7. falls er selbst einmal herrschen würde (das heißt uneigennützig zu regieren). Der Schwur enthält nichts vom jüdischen Gesetz und hat gar nichts von einer Ordensregel an sich. Als solche hat ihn erst der Verfasser des fünfzehnten Psalms nicht aufgefaßt, der ihn judaistisch umgeändert hat. Es ist der Bürgereid essenischer Brüdergemeinden, eine Verpflichtung zu brüderlicher Eintracht, zu einem Leben in Liebe und heiligem Gemeinsinn, wie die Pythagoreer sagten. Auf diesem essenischen Ephebeneide beruht die Angabe bei Philo über die Er¬ ziehung der essenischen Jugend zu der Liebe zu Gott, zur Tugend und zu den Menschen. Der jüdische Geschichtschreiber Josephus hätte in seiner Schilderung des jüdischen Krieges gar nichts besseres anführen können zugunsten des Juden¬ tums als die friedliche Lebensgemeinschaft der Essener (Jos. B. I. 2, 8, 5). Nur, daß die essenischen Ansiedler, die Bürger und Bauern in Nordpalüstina, keine Judäer waren.*) Sonst würden Philo und Josephus nicht unterlassen haben, den Unsterblichkeitsglauben der wackern Männer in den Kämpfen der Makkabüer gegen die Syrer gebührend hervorzuheben. Dieser Unsterblichkeits¬ glaube beweist die Verwandtschaft des Essenismus mit dem Pythagoreismus, d Karl circle essen Prophet in Vorderasien der Milesier Phokylides war. *) Die nähere Kenntnis des Wesens der Essener ist besonders den Untersuchungen von Hilgenfeld und Zeller zu verdanken. Die beste Übersicht über den Stand der Forschung gibt Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi II", 657 ff., nur mit etwas zu starker Betonung der Ordensbruderschast der Essener und ihrer nahen Verwandtschaft mit dem Judentum und dem Pharisäismus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/146>, abgerufen am 23.07.2024.