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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Phokylides und die Lffener

als Quelle des Reichtums ebenso empfohlen wie die Schiffahrt. Mit warmen
Worten preist der Dichter den Segen der Arbeit, an dem Vorbilde der Ameisen
und der Bienen, und das Glück der Ehe. Er warnt vor dem Umgang mit
losen Leuten und mahnt zur Ehrfurcht vor einem grauen Haupte. Es geht
ein großer Zug durch dieses Buch der Lebensweisheit für jedermann, für
Menschen jedes Standes und Berufes, für Männer und Frauen, für hoch
und niedrig, reich und arm, jung und alt. Güte, Wahrheit, Gerechtigkeit,
Sittenreinheit im Gefühle der Verantwortung vor dem einen, höchsten Richter,
das sind die idealen Forderungen eines neuen Gesetzes, das die Schranken
der einzelnen Länder und Städte aufhob und auch in dem Sklaven den
Menschen zu achten gebot.

Wie Phokylides, so ermahnt auch Pindar, vor allem den Kroniden Zeus
zu ehren, der dem Blitz und Donner gebietet, und diese Ehre auch den Eltern,
solange ihnen das Leben beschicken ist, zuteil werden zu lassen. Auch Euri-
pides und Aristophanes zeigen sich mit Sprüchen des phokylideischen Lehr¬
gedichts vertraut. Übereinstimmend mit Phokylides nennt Plato die mensch¬
liche Seele dem Göttlichen nächst verwandt, selbst ein Göttliches, ein Helioid.
In Platos letztem großen Werke, dem Timaos, verbindet sich die Kosmosidee
und der Monotheismus des Pythagoras und des Phokylides mit der
platonischen Jdeenlehre zu einem idealen System der Kosmologie und Anthro¬
pologie. In der Abschiedsrede des sterbenden Königs Kyros an seine Söhne
am Schlüsse von Xenophons Kyropädie kommt derselbe Unsterblichkeitsglaube
zum Ausdruck wie bei Phokylides. Was überhaupt in das große Kapitel
der Lebensweisheit gehörte, schrieb man dem Phokylides zu, mit dem Zusätze:
auch das ist ein Wort des Phokylides. Und so sagt denn Jsokrates, ein
Schüler des Sokrates und Meister der schönen Rede in Athen, in einer
seiner pädagogischen Schriften: man rede zwar von der Poesie des Hesiod,
Theognis und Phokylides, daß sie die besten Ratgeber seien für das Leben der
Menschen, aber wenn die Leute auch so redeten, wollten sie es doch lieber
mit ihren eignen Torheiten untereinander halten, statt mit den Ratschlägen
jener Männer.

Ein so beliebtes und, so weit die griechische Sprache reichte, verbreitetes
Schulbuch konnte sich auch in der christlichen Zeit noch erhalten, um so leichter,
weil es ausgesprochen monotheistisch war. So taucht denn ein großes Stück
des Lehrgedichts in den sibyllinischen Orakeln auf, einem halb jüdischen,
halb christlichen Sammelwerke, in dem die Sibylla, jene Priesterin an dem
altitalischen Heiligtums bei Cumä, die einst dem Äneas geweissagt hatte,
als die Weltmutter erscheint, als die Schwiegertochter Noahs, die mit ihm in
der Arche war. Es sind etwa siebzig Verse, die der Sibyllist seinem in
schlechten griechischen Hexametern geschriebnen Werke einverleibt hat, und in
dem griechischen Gelehrtenlexikon des Suidas wurde dann keck behauptet,
das phokylideische Gedicht sei aus den sibyllinischen Orakeln gestohlen. Der


Phokylides und die Lffener

als Quelle des Reichtums ebenso empfohlen wie die Schiffahrt. Mit warmen
Worten preist der Dichter den Segen der Arbeit, an dem Vorbilde der Ameisen
und der Bienen, und das Glück der Ehe. Er warnt vor dem Umgang mit
losen Leuten und mahnt zur Ehrfurcht vor einem grauen Haupte. Es geht
ein großer Zug durch dieses Buch der Lebensweisheit für jedermann, für
Menschen jedes Standes und Berufes, für Männer und Frauen, für hoch
und niedrig, reich und arm, jung und alt. Güte, Wahrheit, Gerechtigkeit,
Sittenreinheit im Gefühle der Verantwortung vor dem einen, höchsten Richter,
das sind die idealen Forderungen eines neuen Gesetzes, das die Schranken
der einzelnen Länder und Städte aufhob und auch in dem Sklaven den
Menschen zu achten gebot.

Wie Phokylides, so ermahnt auch Pindar, vor allem den Kroniden Zeus
zu ehren, der dem Blitz und Donner gebietet, und diese Ehre auch den Eltern,
solange ihnen das Leben beschicken ist, zuteil werden zu lassen. Auch Euri-
pides und Aristophanes zeigen sich mit Sprüchen des phokylideischen Lehr¬
gedichts vertraut. Übereinstimmend mit Phokylides nennt Plato die mensch¬
liche Seele dem Göttlichen nächst verwandt, selbst ein Göttliches, ein Helioid.
In Platos letztem großen Werke, dem Timaos, verbindet sich die Kosmosidee
und der Monotheismus des Pythagoras und des Phokylides mit der
platonischen Jdeenlehre zu einem idealen System der Kosmologie und Anthro¬
pologie. In der Abschiedsrede des sterbenden Königs Kyros an seine Söhne
am Schlüsse von Xenophons Kyropädie kommt derselbe Unsterblichkeitsglaube
zum Ausdruck wie bei Phokylides. Was überhaupt in das große Kapitel
der Lebensweisheit gehörte, schrieb man dem Phokylides zu, mit dem Zusätze:
auch das ist ein Wort des Phokylides. Und so sagt denn Jsokrates, ein
Schüler des Sokrates und Meister der schönen Rede in Athen, in einer
seiner pädagogischen Schriften: man rede zwar von der Poesie des Hesiod,
Theognis und Phokylides, daß sie die besten Ratgeber seien für das Leben der
Menschen, aber wenn die Leute auch so redeten, wollten sie es doch lieber
mit ihren eignen Torheiten untereinander halten, statt mit den Ratschlägen
jener Männer.

Ein so beliebtes und, so weit die griechische Sprache reichte, verbreitetes
Schulbuch konnte sich auch in der christlichen Zeit noch erhalten, um so leichter,
weil es ausgesprochen monotheistisch war. So taucht denn ein großes Stück
des Lehrgedichts in den sibyllinischen Orakeln auf, einem halb jüdischen,
halb christlichen Sammelwerke, in dem die Sibylla, jene Priesterin an dem
altitalischen Heiligtums bei Cumä, die einst dem Äneas geweissagt hatte,
als die Weltmutter erscheint, als die Schwiegertochter Noahs, die mit ihm in
der Arche war. Es sind etwa siebzig Verse, die der Sibyllist seinem in
schlechten griechischen Hexametern geschriebnen Werke einverleibt hat, und in
dem griechischen Gelehrtenlexikon des Suidas wurde dann keck behauptet,
das phokylideische Gedicht sei aus den sibyllinischen Orakeln gestohlen. Der


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[0139] Phokylides und die Lffener als Quelle des Reichtums ebenso empfohlen wie die Schiffahrt. Mit warmen Worten preist der Dichter den Segen der Arbeit, an dem Vorbilde der Ameisen und der Bienen, und das Glück der Ehe. Er warnt vor dem Umgang mit losen Leuten und mahnt zur Ehrfurcht vor einem grauen Haupte. Es geht ein großer Zug durch dieses Buch der Lebensweisheit für jedermann, für Menschen jedes Standes und Berufes, für Männer und Frauen, für hoch und niedrig, reich und arm, jung und alt. Güte, Wahrheit, Gerechtigkeit, Sittenreinheit im Gefühle der Verantwortung vor dem einen, höchsten Richter, das sind die idealen Forderungen eines neuen Gesetzes, das die Schranken der einzelnen Länder und Städte aufhob und auch in dem Sklaven den Menschen zu achten gebot. Wie Phokylides, so ermahnt auch Pindar, vor allem den Kroniden Zeus zu ehren, der dem Blitz und Donner gebietet, und diese Ehre auch den Eltern, solange ihnen das Leben beschicken ist, zuteil werden zu lassen. Auch Euri- pides und Aristophanes zeigen sich mit Sprüchen des phokylideischen Lehr¬ gedichts vertraut. Übereinstimmend mit Phokylides nennt Plato die mensch¬ liche Seele dem Göttlichen nächst verwandt, selbst ein Göttliches, ein Helioid. In Platos letztem großen Werke, dem Timaos, verbindet sich die Kosmosidee und der Monotheismus des Pythagoras und des Phokylides mit der platonischen Jdeenlehre zu einem idealen System der Kosmologie und Anthro¬ pologie. In der Abschiedsrede des sterbenden Königs Kyros an seine Söhne am Schlüsse von Xenophons Kyropädie kommt derselbe Unsterblichkeitsglaube zum Ausdruck wie bei Phokylides. Was überhaupt in das große Kapitel der Lebensweisheit gehörte, schrieb man dem Phokylides zu, mit dem Zusätze: auch das ist ein Wort des Phokylides. Und so sagt denn Jsokrates, ein Schüler des Sokrates und Meister der schönen Rede in Athen, in einer seiner pädagogischen Schriften: man rede zwar von der Poesie des Hesiod, Theognis und Phokylides, daß sie die besten Ratgeber seien für das Leben der Menschen, aber wenn die Leute auch so redeten, wollten sie es doch lieber mit ihren eignen Torheiten untereinander halten, statt mit den Ratschlägen jener Männer. Ein so beliebtes und, so weit die griechische Sprache reichte, verbreitetes Schulbuch konnte sich auch in der christlichen Zeit noch erhalten, um so leichter, weil es ausgesprochen monotheistisch war. So taucht denn ein großes Stück des Lehrgedichts in den sibyllinischen Orakeln auf, einem halb jüdischen, halb christlichen Sammelwerke, in dem die Sibylla, jene Priesterin an dem altitalischen Heiligtums bei Cumä, die einst dem Äneas geweissagt hatte, als die Weltmutter erscheint, als die Schwiegertochter Noahs, die mit ihm in der Arche war. Es sind etwa siebzig Verse, die der Sibyllist seinem in schlechten griechischen Hexametern geschriebnen Werke einverleibt hat, und in dem griechischen Gelehrtenlexikon des Suidas wurde dann keck behauptet, das phokylideische Gedicht sei aus den sibyllinischen Orakeln gestohlen. Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/139>, abgerufen am 23.07.2024.