Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.Ver Parnassns in Neusiedel Himmlisch! Frau von Seidelbast enipfand Sehnsucht nach Bahreuth und einen fast Da entwickelte sich das Dunkle, Ungeformte zu einem Männerköpfe und Männer¬ Begeisterter Beifall. Großartig, nein wirklich famos! Welche von den drei Langes Schweigen. Tiefe Ergriffenheit. Darauf trat Johann in die Mitte des 4 Nach der gemeßnen Zeit, die eine Magistratsvorlage braucht, um für einen Ver Parnassns in Neusiedel Himmlisch! Frau von Seidelbast enipfand Sehnsucht nach Bahreuth und einen fast Da entwickelte sich das Dunkle, Ungeformte zu einem Männerköpfe und Männer¬ Begeisterter Beifall. Großartig, nein wirklich famos! Welche von den drei Langes Schweigen. Tiefe Ergriffenheit. Darauf trat Johann in die Mitte des 4 Nach der gemeßnen Zeit, die eine Magistratsvorlage braucht, um für einen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0106" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312457"/> <fw type="header" place="top"> Ver Parnassns in Neusiedel</fw><lb/> <p xml:id="ID_440"> Himmlisch! Frau von Seidelbast enipfand Sehnsucht nach Bahreuth und einen fast<lb/> körperlichen Schmerz darüber, daß man die Rheintöchter nicht schweben lassen konnte<lb/> wie dort, und daß der Hort nur in so unvollkommner Weise nachgebildet worden war.</p><lb/> <p xml:id="ID_441"> Da entwickelte sich das Dunkle, Ungeformte zu einem Männerköpfe und Männer¬<lb/> leibe. Alberich ist es, der aus der Tiefe auftaucht, der die Klippe zu erklimmen sucht,<lb/> aber an dem „garstigen, glatten, glitschrigen Glimmer" herabgleitet. „Feuchtes Naß<lb/> füllt ihm die Nase: Verfluchtes Niesen." Die Rheintöchter necken den verliebten<lb/> Alb, nahen sich und entziehn sich ihm und so fort, bis die Sache textlich, szenisch<lb/> und musikalisch zu schwierig wird. Worauf die Musik mit einem überraschenden<lb/> Akkorde abbrach und sich die Gardinen schlössen.</p><lb/> <p xml:id="ID_442"> Begeisterter Beifall. Großartig, nein wirklich famos! Welche von den drei<lb/> jungen Damen am besten genial und gesungen hatte, es war unmöglich, darüber<lb/> zur Einigkeit zu kommen. Auch Herr Neugebauer, der den Alberich gesungen und so<lb/> verliebt genial hatte, daß seine Frau Regungen von Unwillen empfand, erhielt sein<lb/> Teil Lob. Frau von Seidelbast lag in ihrem Lehnstuhle und war so ergriffen, daß<lb/> sie nur noch schwach den Kopf bewegte. Ihre Gedanken weilten in einer fernen<lb/> schönen Vergangenheit. Ach ja, seufzte sie, wer das Glück gehabt hat, ihn, den Meister<lb/> der Meister, persönlich gekannt zu haben, der ist zu beneiden. Ich habe ihn noch<lb/> sehen und grüßen dürfen. Ich habe einen Abend zu seinen Füßen sitzen dürfen.<lb/> Es war nach einer Probe zur Götterdämmerung. Der Meister war himmlisch<lb/> unausstehlich. Nichts war ihm recht. Ein Brasilianer hatte ihn gestellt und durch<lb/> banales Lob tief verstimmt. Aber darf ein Meister, wie er, nicht das Recht haben,<lb/> verstimmt zusein? Ja, meine Herrschaften, ein Künstler darf Launen haben, er soll<lb/> Launen haben. Denn Kunst ist Stimmung. Gnädiges Fräulein, sagte er zu mir — oder<lb/> sagte er Fräulein Frida? oder sagte er Frida? — heiraten Sie niemals einen<lb/> Brasilianer. Die Kerls sind Lausbuben.----O, es war göttlich schön. Von<lb/> dem Tage an, fuhr sie nach einer Pause in tragischen Tone fort, von dem Tage<lb/> an trage ich eine nagende Sehnsucht nach Bayreuth in meiner Seele. Und ach!<lb/> wenige Monate darauf wölbte sich ein grüner Erdhügel über des Meisters Grab.<lb/> Welch ein zermalmender Schmerz! Ich habe diesen Schmerz in der Villa Wahnfried<lb/> empfunden — mit empfunden. Wahnfried wurde meine geistige Heimat, der Kultus<lb/> dieses Unsterblichen meine Lebensaufgabe. Wenn es möglich wäre, die Bayreuther<lb/> Festspiele über ganz Deutschland auszubreiten, ich würde mit Freuden Zeit und<lb/> Kraft dieser Aufgabe widmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_443"> Langes Schweigen. Tiefe Ergriffenheit. Darauf trat Johann in die Mitte des<lb/> Zimmers, machte eine gehorsame Verbeugung und öffnete die Flügeltüren des Speise¬<lb/> saals. Man stieg von den göttlichen Höhen der Kunst herab, man faßte sich, man<lb/> wandte sich den Lachssemmeln und dem russischen Snlnte zu.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> 4</head><lb/> <p xml:id="ID_444" next="#ID_445"> Nach der gemeßnen Zeit, die eine Magistratsvorlage braucht, um für einen<lb/> Stadtverordnetenbeschluß reif zu werden, lag diesem Kollegia der Antrag des Magistrats<lb/> vor, die Stadtverordnetenversammlung wolle beschließen, das Rumpelmcmnsche Legat<lb/> anzunehmen und ein Stadttheater zu erbauen. Man fragt vielleicht, was denn hier<lb/> noch zu beraten und zu beschließen sei, da ja das Geld vorhanden und durch Erb¬<lb/> schaft in den Besitz der Stadt übergegangen war. Wir wollen uns jedoch hüten,<lb/> diese Frage zu stellen, um uns nicht den Vorwurf der Kurzsichtigkeit zuzuziehn. Man<lb/> setze den Fall, daß einer Landgemeinde eine Turmuhr geschenkt wird, soll sie nicht<lb/> vorsichtig erwägen, welche Kosten mit dem Geschenk verbunden sein könnten, soll sie<lb/> nicht sprechen: ja, schön, die Uhr ist da, aber wer kommt für die Uhrschmiere auf?</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0106]
Ver Parnassns in Neusiedel
Himmlisch! Frau von Seidelbast enipfand Sehnsucht nach Bahreuth und einen fast
körperlichen Schmerz darüber, daß man die Rheintöchter nicht schweben lassen konnte
wie dort, und daß der Hort nur in so unvollkommner Weise nachgebildet worden war.
Da entwickelte sich das Dunkle, Ungeformte zu einem Männerköpfe und Männer¬
leibe. Alberich ist es, der aus der Tiefe auftaucht, der die Klippe zu erklimmen sucht,
aber an dem „garstigen, glatten, glitschrigen Glimmer" herabgleitet. „Feuchtes Naß
füllt ihm die Nase: Verfluchtes Niesen." Die Rheintöchter necken den verliebten
Alb, nahen sich und entziehn sich ihm und so fort, bis die Sache textlich, szenisch
und musikalisch zu schwierig wird. Worauf die Musik mit einem überraschenden
Akkorde abbrach und sich die Gardinen schlössen.
Begeisterter Beifall. Großartig, nein wirklich famos! Welche von den drei
jungen Damen am besten genial und gesungen hatte, es war unmöglich, darüber
zur Einigkeit zu kommen. Auch Herr Neugebauer, der den Alberich gesungen und so
verliebt genial hatte, daß seine Frau Regungen von Unwillen empfand, erhielt sein
Teil Lob. Frau von Seidelbast lag in ihrem Lehnstuhle und war so ergriffen, daß
sie nur noch schwach den Kopf bewegte. Ihre Gedanken weilten in einer fernen
schönen Vergangenheit. Ach ja, seufzte sie, wer das Glück gehabt hat, ihn, den Meister
der Meister, persönlich gekannt zu haben, der ist zu beneiden. Ich habe ihn noch
sehen und grüßen dürfen. Ich habe einen Abend zu seinen Füßen sitzen dürfen.
Es war nach einer Probe zur Götterdämmerung. Der Meister war himmlisch
unausstehlich. Nichts war ihm recht. Ein Brasilianer hatte ihn gestellt und durch
banales Lob tief verstimmt. Aber darf ein Meister, wie er, nicht das Recht haben,
verstimmt zusein? Ja, meine Herrschaften, ein Künstler darf Launen haben, er soll
Launen haben. Denn Kunst ist Stimmung. Gnädiges Fräulein, sagte er zu mir — oder
sagte er Fräulein Frida? oder sagte er Frida? — heiraten Sie niemals einen
Brasilianer. Die Kerls sind Lausbuben.----O, es war göttlich schön. Von
dem Tage an, fuhr sie nach einer Pause in tragischen Tone fort, von dem Tage
an trage ich eine nagende Sehnsucht nach Bayreuth in meiner Seele. Und ach!
wenige Monate darauf wölbte sich ein grüner Erdhügel über des Meisters Grab.
Welch ein zermalmender Schmerz! Ich habe diesen Schmerz in der Villa Wahnfried
empfunden — mit empfunden. Wahnfried wurde meine geistige Heimat, der Kultus
dieses Unsterblichen meine Lebensaufgabe. Wenn es möglich wäre, die Bayreuther
Festspiele über ganz Deutschland auszubreiten, ich würde mit Freuden Zeit und
Kraft dieser Aufgabe widmen.
Langes Schweigen. Tiefe Ergriffenheit. Darauf trat Johann in die Mitte des
Zimmers, machte eine gehorsame Verbeugung und öffnete die Flügeltüren des Speise¬
saals. Man stieg von den göttlichen Höhen der Kunst herab, man faßte sich, man
wandte sich den Lachssemmeln und dem russischen Snlnte zu.
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Nach der gemeßnen Zeit, die eine Magistratsvorlage braucht, um für einen
Stadtverordnetenbeschluß reif zu werden, lag diesem Kollegia der Antrag des Magistrats
vor, die Stadtverordnetenversammlung wolle beschließen, das Rumpelmcmnsche Legat
anzunehmen und ein Stadttheater zu erbauen. Man fragt vielleicht, was denn hier
noch zu beraten und zu beschließen sei, da ja das Geld vorhanden und durch Erb¬
schaft in den Besitz der Stadt übergegangen war. Wir wollen uns jedoch hüten,
diese Frage zu stellen, um uns nicht den Vorwurf der Kurzsichtigkeit zuzuziehn. Man
setze den Fall, daß einer Landgemeinde eine Turmuhr geschenkt wird, soll sie nicht
vorsichtig erwägen, welche Kosten mit dem Geschenk verbunden sein könnten, soll sie
nicht sprechen: ja, schön, die Uhr ist da, aber wer kommt für die Uhrschmiere auf?
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