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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die neue Baugesinnung

auch über den Garten ein. Er wird freilich nur im Einvernehmen mit einem
tüchtigen Gärtner etwas Ganzes zustande bringen. Gute, schlichte Regeln und
Beispiele für ein solches friedliches Zusammenarbeiten gibt der Kölner Garten¬
direktor Fritz Encke in seinem neuen Werke "Der Hausgarten" (Jena, Diederichs),
während Willy Lange und Otto Stahr die "Gartengestaltung der Neuzeit"
sehr einläßlich mit zahlreichen, zum Teil farbigen Abbildungen und genauen
Pflanzentabellen vom gärtnerischen Standpunkt aus behandeln (Leipzig, I. I,
Weber). Für den Laien ist die Fülle der Möglichkeiten, die die Verfasser des
stattlichen Bandes auf 400 Seiten (mit 277 Abildungen) ausbreiten, etwas ver¬
wirrend. Auch neigt Lange entschieden mehr zu den überwundnen Geschmacks¬
formen der Landschaftsgärtnerei, zur malerischen Selbstherrlichkeit der Vegetation,
als sich mit unsern heutigen Bedürfnissen nach strengerer Stilisierung verein¬
baren läßt.

Der sogenannte "Naturgarten", dem Lange den größten Raum vor andern
Gestaltungen widmet, ist doch eigentlich ein Widerspruch in sich: wenn die
freie Natur zum Garten gebändigt wird, so ist sie eben nicht mehr "freie"
Natur, ist sie künstlerisches Ausdrucksmittel für den Menschen. Lange ist
hier ästhetisch recht unsicher, was um so peinlicher hervortritt, als er fort¬
während "Gesetze" aus seinen Grundsätzen abstrahiert. Über Grundsätze läßt
sich streiten, Gesetze müssen feststehn, sonst sind sie lächerlich. "Bei Fels¬
gestaltungen im Garten werden wir uns mit der Erreichung von Naturwahr¬
heit im Garten begnügen müssen." Was heißt das, wo von Gestaltung die
Rede ist?

"Das Alte hat für uns sinnige Bedeutung, und wo es nicht vorhanden
ist, kann es bisweilen, z. B. mittels alter Stämme, Mauerreste, mit künstlerischem
Takt geschaffen werden, ohne daß man in hohle Kulissenreißerei verfällt." Ich
fürchte doch, daß man drein verfallen wird, wenn man etwa durch alte Birken-
stümpfe, "Reste hier scheinbar gefällter Bäume, die Einheitlichkeit zwischen Garten¬
natur und Menschenwerk für das künstlerische Gefühl herstellen" will. Rat¬
schläge wie der, daß die Kleinbauten des Gartens in demselben künstlerischen
"Stil" gehalten seien wie das Haus, sind ebenso veraltet wie die Warnung vor
kräftigem Farbenstrich, die dann ein Stück weiter unten wieder aufgehoben wird.
Also Vorsicht überall da, wo Lange den Garten sozusagen als Gesamtkunstwerk
behandelt. Wo er als Gärtner, als Botaniker, als Fachmann im engern Sinne
spricht, da ist das mitgeteilte Material lehrreich, die Erfahrungen sind wert¬
voll, und das Gefühl für das Sonderleben der Pflanzen ist so lebendig, daß
man in jedem Falle von dem Buche Nutzen ziehn wird. Es ist sehr bedauerlich,
daß diese reichen gärtnerischen Möglichkeiten auf den Fachausstellungen nicht mehr
hervortreten: die Dresdner Internationale Gartenbau-Ausstellung des vorigen
Jahres zeigte noch so gut wie gar keinen Fortschritt über die übliche Renom-
misterei mit kostbaren Treibhausgewächsen hinaus. Rhododendren, Azaleen oder
Orchideen, mögen sie noch so massenhaft aufgestellt werden, helfen noch nicht


Die neue Baugesinnung

auch über den Garten ein. Er wird freilich nur im Einvernehmen mit einem
tüchtigen Gärtner etwas Ganzes zustande bringen. Gute, schlichte Regeln und
Beispiele für ein solches friedliches Zusammenarbeiten gibt der Kölner Garten¬
direktor Fritz Encke in seinem neuen Werke „Der Hausgarten" (Jena, Diederichs),
während Willy Lange und Otto Stahr die „Gartengestaltung der Neuzeit"
sehr einläßlich mit zahlreichen, zum Teil farbigen Abbildungen und genauen
Pflanzentabellen vom gärtnerischen Standpunkt aus behandeln (Leipzig, I. I,
Weber). Für den Laien ist die Fülle der Möglichkeiten, die die Verfasser des
stattlichen Bandes auf 400 Seiten (mit 277 Abildungen) ausbreiten, etwas ver¬
wirrend. Auch neigt Lange entschieden mehr zu den überwundnen Geschmacks¬
formen der Landschaftsgärtnerei, zur malerischen Selbstherrlichkeit der Vegetation,
als sich mit unsern heutigen Bedürfnissen nach strengerer Stilisierung verein¬
baren läßt.

Der sogenannte „Naturgarten", dem Lange den größten Raum vor andern
Gestaltungen widmet, ist doch eigentlich ein Widerspruch in sich: wenn die
freie Natur zum Garten gebändigt wird, so ist sie eben nicht mehr „freie"
Natur, ist sie künstlerisches Ausdrucksmittel für den Menschen. Lange ist
hier ästhetisch recht unsicher, was um so peinlicher hervortritt, als er fort¬
während „Gesetze" aus seinen Grundsätzen abstrahiert. Über Grundsätze läßt
sich streiten, Gesetze müssen feststehn, sonst sind sie lächerlich. „Bei Fels¬
gestaltungen im Garten werden wir uns mit der Erreichung von Naturwahr¬
heit im Garten begnügen müssen." Was heißt das, wo von Gestaltung die
Rede ist?

„Das Alte hat für uns sinnige Bedeutung, und wo es nicht vorhanden
ist, kann es bisweilen, z. B. mittels alter Stämme, Mauerreste, mit künstlerischem
Takt geschaffen werden, ohne daß man in hohle Kulissenreißerei verfällt." Ich
fürchte doch, daß man drein verfallen wird, wenn man etwa durch alte Birken-
stümpfe, „Reste hier scheinbar gefällter Bäume, die Einheitlichkeit zwischen Garten¬
natur und Menschenwerk für das künstlerische Gefühl herstellen" will. Rat¬
schläge wie der, daß die Kleinbauten des Gartens in demselben künstlerischen
„Stil" gehalten seien wie das Haus, sind ebenso veraltet wie die Warnung vor
kräftigem Farbenstrich, die dann ein Stück weiter unten wieder aufgehoben wird.
Also Vorsicht überall da, wo Lange den Garten sozusagen als Gesamtkunstwerk
behandelt. Wo er als Gärtner, als Botaniker, als Fachmann im engern Sinne
spricht, da ist das mitgeteilte Material lehrreich, die Erfahrungen sind wert¬
voll, und das Gefühl für das Sonderleben der Pflanzen ist so lebendig, daß
man in jedem Falle von dem Buche Nutzen ziehn wird. Es ist sehr bedauerlich,
daß diese reichen gärtnerischen Möglichkeiten auf den Fachausstellungen nicht mehr
hervortreten: die Dresdner Internationale Gartenbau-Ausstellung des vorigen
Jahres zeigte noch so gut wie gar keinen Fortschritt über die übliche Renom-
misterei mit kostbaren Treibhausgewächsen hinaus. Rhododendren, Azaleen oder
Orchideen, mögen sie noch so massenhaft aufgestellt werden, helfen noch nicht


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[0096] Die neue Baugesinnung auch über den Garten ein. Er wird freilich nur im Einvernehmen mit einem tüchtigen Gärtner etwas Ganzes zustande bringen. Gute, schlichte Regeln und Beispiele für ein solches friedliches Zusammenarbeiten gibt der Kölner Garten¬ direktor Fritz Encke in seinem neuen Werke „Der Hausgarten" (Jena, Diederichs), während Willy Lange und Otto Stahr die „Gartengestaltung der Neuzeit" sehr einläßlich mit zahlreichen, zum Teil farbigen Abbildungen und genauen Pflanzentabellen vom gärtnerischen Standpunkt aus behandeln (Leipzig, I. I, Weber). Für den Laien ist die Fülle der Möglichkeiten, die die Verfasser des stattlichen Bandes auf 400 Seiten (mit 277 Abildungen) ausbreiten, etwas ver¬ wirrend. Auch neigt Lange entschieden mehr zu den überwundnen Geschmacks¬ formen der Landschaftsgärtnerei, zur malerischen Selbstherrlichkeit der Vegetation, als sich mit unsern heutigen Bedürfnissen nach strengerer Stilisierung verein¬ baren läßt. Der sogenannte „Naturgarten", dem Lange den größten Raum vor andern Gestaltungen widmet, ist doch eigentlich ein Widerspruch in sich: wenn die freie Natur zum Garten gebändigt wird, so ist sie eben nicht mehr „freie" Natur, ist sie künstlerisches Ausdrucksmittel für den Menschen. Lange ist hier ästhetisch recht unsicher, was um so peinlicher hervortritt, als er fort¬ während „Gesetze" aus seinen Grundsätzen abstrahiert. Über Grundsätze läßt sich streiten, Gesetze müssen feststehn, sonst sind sie lächerlich. „Bei Fels¬ gestaltungen im Garten werden wir uns mit der Erreichung von Naturwahr¬ heit im Garten begnügen müssen." Was heißt das, wo von Gestaltung die Rede ist? „Das Alte hat für uns sinnige Bedeutung, und wo es nicht vorhanden ist, kann es bisweilen, z. B. mittels alter Stämme, Mauerreste, mit künstlerischem Takt geschaffen werden, ohne daß man in hohle Kulissenreißerei verfällt." Ich fürchte doch, daß man drein verfallen wird, wenn man etwa durch alte Birken- stümpfe, „Reste hier scheinbar gefällter Bäume, die Einheitlichkeit zwischen Garten¬ natur und Menschenwerk für das künstlerische Gefühl herstellen" will. Rat¬ schläge wie der, daß die Kleinbauten des Gartens in demselben künstlerischen „Stil" gehalten seien wie das Haus, sind ebenso veraltet wie die Warnung vor kräftigem Farbenstrich, die dann ein Stück weiter unten wieder aufgehoben wird. Also Vorsicht überall da, wo Lange den Garten sozusagen als Gesamtkunstwerk behandelt. Wo er als Gärtner, als Botaniker, als Fachmann im engern Sinne spricht, da ist das mitgeteilte Material lehrreich, die Erfahrungen sind wert¬ voll, und das Gefühl für das Sonderleben der Pflanzen ist so lebendig, daß man in jedem Falle von dem Buche Nutzen ziehn wird. Es ist sehr bedauerlich, daß diese reichen gärtnerischen Möglichkeiten auf den Fachausstellungen nicht mehr hervortreten: die Dresdner Internationale Gartenbau-Ausstellung des vorigen Jahres zeigte noch so gut wie gar keinen Fortschritt über die übliche Renom- misterei mit kostbaren Treibhausgewächsen hinaus. Rhododendren, Azaleen oder Orchideen, mögen sie noch so massenhaft aufgestellt werden, helfen noch nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/96>, abgerufen am 24.07.2024.