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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Gin neuer (Zibdon

natürlichen Kornkammer zur andern fortschreiten, da die Heere mit den Er¬
zeugnissen des Landes, in dem sie gerade standen, ernährt werden mußten,
Verproviantierung von der Heimat aus unmöglich war.

Da man unmöglich zugeben kann, schließt der Verfasser seine Beweis¬
führung, "der italische Ackerbau sei vom Jahre 150 v. Chr. an durch die
Konkurrenz des ausländischen Getreides zugrunde gerichtet worden, so nehme
ich an, daß die Verteuerung des Lebensunterhalts die Ursache dieser Krisis
gewesen ist". Nach dem oben gesagten ist nicht etwa die Landwirtschaft zu¬
grunde gegangen, sondern es hat eben nur der alte Zustand aufgehört, wo
der Landmann außer dem Getreide für seinen und seiner Familie Bedarf noch
einen kleinen Überschuß für die Versorgung des nächsten Städtchens erlangte,
und wo das daraus gelöste Geld für die Befriedigung seiner bescheidnen Be¬
dürfnisse genügte. Indem die Ausbreitung feinerer Kulturen, die einen höhern
Gewinn abwarfen, den Körnerbau einschränkte, kann man Ferrero zugeben,
daß diese Umwälzung eine große Ähnlichkeit mit dem habe, was wir heute
erleben. Dagegen erscheint es verfehlt, wenn er gerade Italien und Nußland
als Beweise anführt; nur England gibt das klassische Beispiel für diesen Um¬
wandlungsprozeß ab, und Deutschland kann deswegen an zweiter Stelle ge¬
nannt werden, weil der Körnerbau durch die Industrialisierung und die ver¬
feinerte Lebenshaltung zwar bis jetzt noch nicht wesentlich eingeschränkt worden
ist, ihn aber die beiden genannten Ursachen zusammen mit der ausländischen
Konkurrenz, oder was dasselbe ist, der Vervollkommnung der Transporttechnik,
unrentabler und unzulänglicher gemacht haben. Ferrero schreibt: "So stammt
beispielsweise die wirtschaftliche Krisis, unter der Italien in den letzten zwanzig
Jahren gelitten hat. von der Steigerung der Ausgaben, als Folge der Ein¬
führung der anglo-französischen industriellen Zivilisation in die landwirtschaft¬
liche Gesellschaft." Dieser Satz hat nur dann einen Sinn, wenn mit der
landwirtschaftlichen Gesellschaft die italienischen Grundherren gemeint sind, die
bekanntlich als Politiker und Pflastertreter in der Stadt leben und infolge
gesteigerter Bedürfnisse aus ihren Pächtern einen höhern Pachtzins heraus¬
zuschlagen suchen; denn daß diese armen Pächter selbst durch die Steigerung
ihrer eignen Luxusbedürfnisse zu einer Änderung der Anbauweise gezwungen
worden wären, davon kann um so weniger die Rede sein, da sie sich ja schon
vor der Krisis hauptsächlich auf Wein, Öl und Südfrüchte verlegt haben. Die
schlimmste Steigerung der Ausgaben bestand übrigens nicht in der vom Mehr¬
bedarf an Luxusartikeln herrührenden, sondern in der von der Politik er-
zwungnen, der Ausgaben für Militär und Marine. "Ist nicht in Nußland
das gleiche nach 1863 eingetreten?" Auch hier ist nicht die Zunahme an
Komfort und Luxus schuld -- im Gegenteil verursacht deren Fehlen zum Teil
die Not --, sondern die auswärtige Politik in der hier oft dargelegten Weise.
Auch hat gar keine Umwälzung der Landwirtschaft, keine Einschränkung des
dem Körnerbau gewidmeten Areals stattgefunden; vielmehr rührt das Elend


Gin neuer (Zibdon

natürlichen Kornkammer zur andern fortschreiten, da die Heere mit den Er¬
zeugnissen des Landes, in dem sie gerade standen, ernährt werden mußten,
Verproviantierung von der Heimat aus unmöglich war.

Da man unmöglich zugeben kann, schließt der Verfasser seine Beweis¬
führung, „der italische Ackerbau sei vom Jahre 150 v. Chr. an durch die
Konkurrenz des ausländischen Getreides zugrunde gerichtet worden, so nehme
ich an, daß die Verteuerung des Lebensunterhalts die Ursache dieser Krisis
gewesen ist". Nach dem oben gesagten ist nicht etwa die Landwirtschaft zu¬
grunde gegangen, sondern es hat eben nur der alte Zustand aufgehört, wo
der Landmann außer dem Getreide für seinen und seiner Familie Bedarf noch
einen kleinen Überschuß für die Versorgung des nächsten Städtchens erlangte,
und wo das daraus gelöste Geld für die Befriedigung seiner bescheidnen Be¬
dürfnisse genügte. Indem die Ausbreitung feinerer Kulturen, die einen höhern
Gewinn abwarfen, den Körnerbau einschränkte, kann man Ferrero zugeben,
daß diese Umwälzung eine große Ähnlichkeit mit dem habe, was wir heute
erleben. Dagegen erscheint es verfehlt, wenn er gerade Italien und Nußland
als Beweise anführt; nur England gibt das klassische Beispiel für diesen Um¬
wandlungsprozeß ab, und Deutschland kann deswegen an zweiter Stelle ge¬
nannt werden, weil der Körnerbau durch die Industrialisierung und die ver¬
feinerte Lebenshaltung zwar bis jetzt noch nicht wesentlich eingeschränkt worden
ist, ihn aber die beiden genannten Ursachen zusammen mit der ausländischen
Konkurrenz, oder was dasselbe ist, der Vervollkommnung der Transporttechnik,
unrentabler und unzulänglicher gemacht haben. Ferrero schreibt: „So stammt
beispielsweise die wirtschaftliche Krisis, unter der Italien in den letzten zwanzig
Jahren gelitten hat. von der Steigerung der Ausgaben, als Folge der Ein¬
führung der anglo-französischen industriellen Zivilisation in die landwirtschaft¬
liche Gesellschaft." Dieser Satz hat nur dann einen Sinn, wenn mit der
landwirtschaftlichen Gesellschaft die italienischen Grundherren gemeint sind, die
bekanntlich als Politiker und Pflastertreter in der Stadt leben und infolge
gesteigerter Bedürfnisse aus ihren Pächtern einen höhern Pachtzins heraus¬
zuschlagen suchen; denn daß diese armen Pächter selbst durch die Steigerung
ihrer eignen Luxusbedürfnisse zu einer Änderung der Anbauweise gezwungen
worden wären, davon kann um so weniger die Rede sein, da sie sich ja schon
vor der Krisis hauptsächlich auf Wein, Öl und Südfrüchte verlegt haben. Die
schlimmste Steigerung der Ausgaben bestand übrigens nicht in der vom Mehr¬
bedarf an Luxusartikeln herrührenden, sondern in der von der Politik er-
zwungnen, der Ausgaben für Militär und Marine. „Ist nicht in Nußland
das gleiche nach 1863 eingetreten?" Auch hier ist nicht die Zunahme an
Komfort und Luxus schuld — im Gegenteil verursacht deren Fehlen zum Teil
die Not —, sondern die auswärtige Politik in der hier oft dargelegten Weise.
Auch hat gar keine Umwälzung der Landwirtschaft, keine Einschränkung des
dem Körnerbau gewidmeten Areals stattgefunden; vielmehr rührt das Elend


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[0090] Gin neuer (Zibdon natürlichen Kornkammer zur andern fortschreiten, da die Heere mit den Er¬ zeugnissen des Landes, in dem sie gerade standen, ernährt werden mußten, Verproviantierung von der Heimat aus unmöglich war. Da man unmöglich zugeben kann, schließt der Verfasser seine Beweis¬ führung, „der italische Ackerbau sei vom Jahre 150 v. Chr. an durch die Konkurrenz des ausländischen Getreides zugrunde gerichtet worden, so nehme ich an, daß die Verteuerung des Lebensunterhalts die Ursache dieser Krisis gewesen ist". Nach dem oben gesagten ist nicht etwa die Landwirtschaft zu¬ grunde gegangen, sondern es hat eben nur der alte Zustand aufgehört, wo der Landmann außer dem Getreide für seinen und seiner Familie Bedarf noch einen kleinen Überschuß für die Versorgung des nächsten Städtchens erlangte, und wo das daraus gelöste Geld für die Befriedigung seiner bescheidnen Be¬ dürfnisse genügte. Indem die Ausbreitung feinerer Kulturen, die einen höhern Gewinn abwarfen, den Körnerbau einschränkte, kann man Ferrero zugeben, daß diese Umwälzung eine große Ähnlichkeit mit dem habe, was wir heute erleben. Dagegen erscheint es verfehlt, wenn er gerade Italien und Nußland als Beweise anführt; nur England gibt das klassische Beispiel für diesen Um¬ wandlungsprozeß ab, und Deutschland kann deswegen an zweiter Stelle ge¬ nannt werden, weil der Körnerbau durch die Industrialisierung und die ver¬ feinerte Lebenshaltung zwar bis jetzt noch nicht wesentlich eingeschränkt worden ist, ihn aber die beiden genannten Ursachen zusammen mit der ausländischen Konkurrenz, oder was dasselbe ist, der Vervollkommnung der Transporttechnik, unrentabler und unzulänglicher gemacht haben. Ferrero schreibt: „So stammt beispielsweise die wirtschaftliche Krisis, unter der Italien in den letzten zwanzig Jahren gelitten hat. von der Steigerung der Ausgaben, als Folge der Ein¬ führung der anglo-französischen industriellen Zivilisation in die landwirtschaft¬ liche Gesellschaft." Dieser Satz hat nur dann einen Sinn, wenn mit der landwirtschaftlichen Gesellschaft die italienischen Grundherren gemeint sind, die bekanntlich als Politiker und Pflastertreter in der Stadt leben und infolge gesteigerter Bedürfnisse aus ihren Pächtern einen höhern Pachtzins heraus¬ zuschlagen suchen; denn daß diese armen Pächter selbst durch die Steigerung ihrer eignen Luxusbedürfnisse zu einer Änderung der Anbauweise gezwungen worden wären, davon kann um so weniger die Rede sein, da sie sich ja schon vor der Krisis hauptsächlich auf Wein, Öl und Südfrüchte verlegt haben. Die schlimmste Steigerung der Ausgaben bestand übrigens nicht in der vom Mehr¬ bedarf an Luxusartikeln herrührenden, sondern in der von der Politik er- zwungnen, der Ausgaben für Militär und Marine. „Ist nicht in Nußland das gleiche nach 1863 eingetreten?" Auch hier ist nicht die Zunahme an Komfort und Luxus schuld — im Gegenteil verursacht deren Fehlen zum Teil die Not —, sondern die auswärtige Politik in der hier oft dargelegten Weise. Auch hat gar keine Umwälzung der Landwirtschaft, keine Einschränkung des dem Körnerbau gewidmeten Areals stattgefunden; vielmehr rührt das Elend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/90>, abgerufen am 24.07.2024.