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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die Tätigkeit der ungarischen Koalition

die politische Hetze der koalierten Parteien drei Jahre hindurch betrieben worden
war, hatte in verderblicher Weise gewirkt. Die Koalitionsregierung mußte
darum im eignen Staatsinteresse alles tun, um den Ausgleich durchzusetzen.
Nun verdankt aber die Unabhängigkeitspartei gerade ihre heutige Größe nur
der unermüdlichen Agitation für das vermeintliche zukünftige magyarische
Paradies mit der wirtschaftlichen und politischen Loslösung von Österreich.
Jetzt mußte sie einen Ausgleich durchführen, der Ungarn bis zum Jahre 1917
und nach aller Wahrscheinlichkeit auch über diesen Termin hinaus an Öster¬
reich bindet. Der Treppenwitz der Weltgeschichte könnte gar kein vernichtenderes
Beispiel für den Unverstand leerer politischer Agitationen erfinden als dieses
wohlverdiente Schicksal der ungarischen Koalitionsregierung, die noch immer
so hieß, obgleich sie eigentlich keine mehr war. Die Verhandlungen, über den
Ausgleich, die schon im September 1906 begonnen hatten, wurden zu wieder¬
holten malen abgebrochen, und die gedruckte öffentliche Meinung gab ebenso
oft ihr Urteil dahin ab, daß sie gänzlich aussichtslos seien. Wenn das
"Glanzkabinett", das so genannt wurde, weil ein Kossuth darin saß, wirklich
ein Ministerium der Koalition gewesen wäre, war diese Ansicht auch ganz
richtig, aber das war es ja schon bei seiner Entstehung nicht mehr, und
Franz Kossuth, der als Träger des Namens seines Vaters erst 1894 mit
dessen Asche ins Land zurückgekehrt und sofort an die Spitze der Kossuth-
partei gestellt worden war, teilt aus Neigung und langjähriger Erfahrung
im Auslande weder ihre intransigenten noch revolutionären Bestrebungen.
Trotz der bittern Notwendigkeit, den Ausgleich abschließen zu müssen, hätte
das Ministerium freilich gern gesehen, wenn es die österreichischen Unter¬
händler hätte übervorteilen können, aber es fand in Freiherrn von Beck einen
ebenbürtigen Gegner. Es kam darum ein gerechter Ausgleich zustande, der
beide Teile befriedigen konnte.

Die Welt war aber doch einigermaßen überrascht, als bekannt wurde,
daß am 5. Oktober der Ausgleich zwischen beiden Ministerien vereinbart worden
war. Es braucht hier nicht verschwiegen zu werden, daß gerade in diesen
Tagen im Befinden des greisen Kaisers Franz Joseph eine Verschlimmerung
eingetreten war, die bei dem hohen Alter des Monarchen ernste Befürchtungen
erweckte. Vom Nachfolger ließ sich kaum eine den Ungarn günstigere Stimmung
in den Ausgleichsfragen erwarten. Es ist überflüssig, hier auf die Be¬
stimmungen des Ausgleichs einzugehn, da diese das Ausland nicht berühren;
dagegen waren alle wahren Freunde der Habsburgischen Monarchie aufrichtig
erfreut, daß nach zehnjährigen Kämpfen dem Reiche eine Friedensperiode in
Aussicht stand, die ihm gestatten würde, wenigstens das gänzlich verwilderte
parlamentarische Leben wieder in Ordnung zu bringen. Denn obgleich in
beiden Reichshälften der Ausgleich einer großen Mehrheit sicher war, mußte
er doch durch außergewöhnliche parlamentarische Maßnahmen durchgesetzt
werden: in Wien durch einen Dringlichkeitsantrag, damit er neben der Unzahl


Grenzbomi II 1908 S
Die Tätigkeit der ungarischen Koalition

die politische Hetze der koalierten Parteien drei Jahre hindurch betrieben worden
war, hatte in verderblicher Weise gewirkt. Die Koalitionsregierung mußte
darum im eignen Staatsinteresse alles tun, um den Ausgleich durchzusetzen.
Nun verdankt aber die Unabhängigkeitspartei gerade ihre heutige Größe nur
der unermüdlichen Agitation für das vermeintliche zukünftige magyarische
Paradies mit der wirtschaftlichen und politischen Loslösung von Österreich.
Jetzt mußte sie einen Ausgleich durchführen, der Ungarn bis zum Jahre 1917
und nach aller Wahrscheinlichkeit auch über diesen Termin hinaus an Öster¬
reich bindet. Der Treppenwitz der Weltgeschichte könnte gar kein vernichtenderes
Beispiel für den Unverstand leerer politischer Agitationen erfinden als dieses
wohlverdiente Schicksal der ungarischen Koalitionsregierung, die noch immer
so hieß, obgleich sie eigentlich keine mehr war. Die Verhandlungen, über den
Ausgleich, die schon im September 1906 begonnen hatten, wurden zu wieder¬
holten malen abgebrochen, und die gedruckte öffentliche Meinung gab ebenso
oft ihr Urteil dahin ab, daß sie gänzlich aussichtslos seien. Wenn das
„Glanzkabinett", das so genannt wurde, weil ein Kossuth darin saß, wirklich
ein Ministerium der Koalition gewesen wäre, war diese Ansicht auch ganz
richtig, aber das war es ja schon bei seiner Entstehung nicht mehr, und
Franz Kossuth, der als Träger des Namens seines Vaters erst 1894 mit
dessen Asche ins Land zurückgekehrt und sofort an die Spitze der Kossuth-
partei gestellt worden war, teilt aus Neigung und langjähriger Erfahrung
im Auslande weder ihre intransigenten noch revolutionären Bestrebungen.
Trotz der bittern Notwendigkeit, den Ausgleich abschließen zu müssen, hätte
das Ministerium freilich gern gesehen, wenn es die österreichischen Unter¬
händler hätte übervorteilen können, aber es fand in Freiherrn von Beck einen
ebenbürtigen Gegner. Es kam darum ein gerechter Ausgleich zustande, der
beide Teile befriedigen konnte.

Die Welt war aber doch einigermaßen überrascht, als bekannt wurde,
daß am 5. Oktober der Ausgleich zwischen beiden Ministerien vereinbart worden
war. Es braucht hier nicht verschwiegen zu werden, daß gerade in diesen
Tagen im Befinden des greisen Kaisers Franz Joseph eine Verschlimmerung
eingetreten war, die bei dem hohen Alter des Monarchen ernste Befürchtungen
erweckte. Vom Nachfolger ließ sich kaum eine den Ungarn günstigere Stimmung
in den Ausgleichsfragen erwarten. Es ist überflüssig, hier auf die Be¬
stimmungen des Ausgleichs einzugehn, da diese das Ausland nicht berühren;
dagegen waren alle wahren Freunde der Habsburgischen Monarchie aufrichtig
erfreut, daß nach zehnjährigen Kämpfen dem Reiche eine Friedensperiode in
Aussicht stand, die ihm gestatten würde, wenigstens das gänzlich verwilderte
parlamentarische Leben wieder in Ordnung zu bringen. Denn obgleich in
beiden Reichshälften der Ausgleich einer großen Mehrheit sicher war, mußte
er doch durch außergewöhnliche parlamentarische Maßnahmen durchgesetzt
werden: in Wien durch einen Dringlichkeitsantrag, damit er neben der Unzahl


Grenzbomi II 1908 S
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/73>, abgerufen am 04.07.2024.