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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die Tätigkeit der ungarischen Koalition

und Diäten lieferte, und daß sie sich der ausschlaggebenden Partei anschlössen.
Dazu kamen noch die zahlreichen Industriellen, die für ihre Unternehmungen
Staatsunterstützungen genossen hatten, unter Fejervary aber nichts erhalten
konnten, weil man ihm die Steuern verweigerte. Hier lagen die haupt¬
sächlichsten Triebfedern für die beschleunigte Inszenierung des "Siegeß der
Koalition" und der Wiederbelebung des Parlamentarismus. Das Haus er¬
ledigte im Fluge die Handelsverträge und die Rekrutenbewilligung. Um seineu
Landsleuten zu schmeicheln, hatte Wekerle bei der Negierungsübernahme aus¬
bedungen, daß der Zolltarif nur als ungarischer und nicht als gemeinsamer
"inartikuliert", d. h. zum Gesetz erklärt werden solle. Der österreichische Minister¬
präsident Fürst Hohenlohe benutzte zwar diesen Umstand, um zurückzutreten,
in Österreich entstand auch große Aufregung darüber, die sich aber legte, als
man dahinter kam, daß dieser formelle Unterschied in Wirklichkeit wenig zu
besage" hat. Die Ende Oktober 1906 erfolgende Ernennung des neuen
gemeinsamen Kriegsministers Feldzeugmeister Schönaich unter der ausdrück¬
lichen Bezeichnung als "Reichskriegsminister", die sein Vorgänger Feldzeug¬
meister von Pitreich auf Einwendung der Ungarn "der Kürze halber" hatte
fallen lassen, zeigte, daß die Krone in der Heeresfrage keineswegs nachgegeben
hatte. Das bewies auch die weitere Tatsache, die kurz danach bekannt
wurde, daß das Koalitionsministerium eine Verpflichtung auf Erhöhung der
Rekrutenziffer übernommen hatte. Das Stutzen der Bevölkerung darüber
wurde aber durch den allgemeinen nationalen Freudentaumel übertönt, mit
dem die Überführung der Gebeine Rakoczys und seiner Verbannungsgenossen
nach Ungarn ins Werk gesetzt wurde. Sonst wurden die parlamentarischen
und Regierungsgeschäfte schlecht und recht fortgeführt, man begnügte sich mit
der Erledigung der laufenden gesetzgeberischen und Regierungsarbeiten, das
Ministerium entledigte sich des immer zweifelhafter gewordnen Polonyi, dem
öffentlich Dinge vorgeworfen wurden, die auch in den korruptesten Perioden
des ungarischen Parteiregiments als unerhört gegolten Hütten. Bezeichnend
ist es übrigens, daß bis heute noch kein gerichtlicher Schritt gegen den ehren¬
werten Herrn erfolgt ist. Er ist eben, wenn auch ein etwas anrüchiges, Mit¬
glied der herrschenden Clique und erfreut sich der Gunst der Börse.

Wem nicht aller Sinn für politische Ironie abhanden gekommen ist, den
müssen die weitern Wandlungen ergötzen, zu denen die Notwendigkeit, sich in
der Herrschaft zu erhalten, die herrschende Partei nötigte. Die Krone wünschte
ini Interesse der Aufrechterhaltung der Monarchie und der Erfüllung ihrer
Bündnisverpflichtungen die Erneuerung des Ausgleichs auf weitere zehn Jahre.
Ein Wunsch der Krone ist den Ungarn niemals als besonders zwingend er¬
schienen, aber jeder vernünftige Mensch jenseits der Leitha war gar nicht
im unklaren darüber, daß der Ausgleich eine dringende Notwendigkeit für das
Land ist, da sich sonst die schleichende volkswirtschaftliche Krise zu einer ge¬
waltigen Katastrophe entwickeln mußte. Gerade die Verwirrung, die durch


Die Tätigkeit der ungarischen Koalition

und Diäten lieferte, und daß sie sich der ausschlaggebenden Partei anschlössen.
Dazu kamen noch die zahlreichen Industriellen, die für ihre Unternehmungen
Staatsunterstützungen genossen hatten, unter Fejervary aber nichts erhalten
konnten, weil man ihm die Steuern verweigerte. Hier lagen die haupt¬
sächlichsten Triebfedern für die beschleunigte Inszenierung des „Siegeß der
Koalition" und der Wiederbelebung des Parlamentarismus. Das Haus er¬
ledigte im Fluge die Handelsverträge und die Rekrutenbewilligung. Um seineu
Landsleuten zu schmeicheln, hatte Wekerle bei der Negierungsübernahme aus¬
bedungen, daß der Zolltarif nur als ungarischer und nicht als gemeinsamer
„inartikuliert", d. h. zum Gesetz erklärt werden solle. Der österreichische Minister¬
präsident Fürst Hohenlohe benutzte zwar diesen Umstand, um zurückzutreten,
in Österreich entstand auch große Aufregung darüber, die sich aber legte, als
man dahinter kam, daß dieser formelle Unterschied in Wirklichkeit wenig zu
besage» hat. Die Ende Oktober 1906 erfolgende Ernennung des neuen
gemeinsamen Kriegsministers Feldzeugmeister Schönaich unter der ausdrück¬
lichen Bezeichnung als „Reichskriegsminister", die sein Vorgänger Feldzeug¬
meister von Pitreich auf Einwendung der Ungarn „der Kürze halber" hatte
fallen lassen, zeigte, daß die Krone in der Heeresfrage keineswegs nachgegeben
hatte. Das bewies auch die weitere Tatsache, die kurz danach bekannt
wurde, daß das Koalitionsministerium eine Verpflichtung auf Erhöhung der
Rekrutenziffer übernommen hatte. Das Stutzen der Bevölkerung darüber
wurde aber durch den allgemeinen nationalen Freudentaumel übertönt, mit
dem die Überführung der Gebeine Rakoczys und seiner Verbannungsgenossen
nach Ungarn ins Werk gesetzt wurde. Sonst wurden die parlamentarischen
und Regierungsgeschäfte schlecht und recht fortgeführt, man begnügte sich mit
der Erledigung der laufenden gesetzgeberischen und Regierungsarbeiten, das
Ministerium entledigte sich des immer zweifelhafter gewordnen Polonyi, dem
öffentlich Dinge vorgeworfen wurden, die auch in den korruptesten Perioden
des ungarischen Parteiregiments als unerhört gegolten Hütten. Bezeichnend
ist es übrigens, daß bis heute noch kein gerichtlicher Schritt gegen den ehren¬
werten Herrn erfolgt ist. Er ist eben, wenn auch ein etwas anrüchiges, Mit¬
glied der herrschenden Clique und erfreut sich der Gunst der Börse.

Wem nicht aller Sinn für politische Ironie abhanden gekommen ist, den
müssen die weitern Wandlungen ergötzen, zu denen die Notwendigkeit, sich in
der Herrschaft zu erhalten, die herrschende Partei nötigte. Die Krone wünschte
ini Interesse der Aufrechterhaltung der Monarchie und der Erfüllung ihrer
Bündnisverpflichtungen die Erneuerung des Ausgleichs auf weitere zehn Jahre.
Ein Wunsch der Krone ist den Ungarn niemals als besonders zwingend er¬
schienen, aber jeder vernünftige Mensch jenseits der Leitha war gar nicht
im unklaren darüber, daß der Ausgleich eine dringende Notwendigkeit für das
Land ist, da sich sonst die schleichende volkswirtschaftliche Krise zu einer ge¬
waltigen Katastrophe entwickeln mußte. Gerade die Verwirrung, die durch


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[0072] Die Tätigkeit der ungarischen Koalition und Diäten lieferte, und daß sie sich der ausschlaggebenden Partei anschlössen. Dazu kamen noch die zahlreichen Industriellen, die für ihre Unternehmungen Staatsunterstützungen genossen hatten, unter Fejervary aber nichts erhalten konnten, weil man ihm die Steuern verweigerte. Hier lagen die haupt¬ sächlichsten Triebfedern für die beschleunigte Inszenierung des „Siegeß der Koalition" und der Wiederbelebung des Parlamentarismus. Das Haus er¬ ledigte im Fluge die Handelsverträge und die Rekrutenbewilligung. Um seineu Landsleuten zu schmeicheln, hatte Wekerle bei der Negierungsübernahme aus¬ bedungen, daß der Zolltarif nur als ungarischer und nicht als gemeinsamer „inartikuliert", d. h. zum Gesetz erklärt werden solle. Der österreichische Minister¬ präsident Fürst Hohenlohe benutzte zwar diesen Umstand, um zurückzutreten, in Österreich entstand auch große Aufregung darüber, die sich aber legte, als man dahinter kam, daß dieser formelle Unterschied in Wirklichkeit wenig zu besage» hat. Die Ende Oktober 1906 erfolgende Ernennung des neuen gemeinsamen Kriegsministers Feldzeugmeister Schönaich unter der ausdrück¬ lichen Bezeichnung als „Reichskriegsminister", die sein Vorgänger Feldzeug¬ meister von Pitreich auf Einwendung der Ungarn „der Kürze halber" hatte fallen lassen, zeigte, daß die Krone in der Heeresfrage keineswegs nachgegeben hatte. Das bewies auch die weitere Tatsache, die kurz danach bekannt wurde, daß das Koalitionsministerium eine Verpflichtung auf Erhöhung der Rekrutenziffer übernommen hatte. Das Stutzen der Bevölkerung darüber wurde aber durch den allgemeinen nationalen Freudentaumel übertönt, mit dem die Überführung der Gebeine Rakoczys und seiner Verbannungsgenossen nach Ungarn ins Werk gesetzt wurde. Sonst wurden die parlamentarischen und Regierungsgeschäfte schlecht und recht fortgeführt, man begnügte sich mit der Erledigung der laufenden gesetzgeberischen und Regierungsarbeiten, das Ministerium entledigte sich des immer zweifelhafter gewordnen Polonyi, dem öffentlich Dinge vorgeworfen wurden, die auch in den korruptesten Perioden des ungarischen Parteiregiments als unerhört gegolten Hütten. Bezeichnend ist es übrigens, daß bis heute noch kein gerichtlicher Schritt gegen den ehren¬ werten Herrn erfolgt ist. Er ist eben, wenn auch ein etwas anrüchiges, Mit¬ glied der herrschenden Clique und erfreut sich der Gunst der Börse. Wem nicht aller Sinn für politische Ironie abhanden gekommen ist, den müssen die weitern Wandlungen ergötzen, zu denen die Notwendigkeit, sich in der Herrschaft zu erhalten, die herrschende Partei nötigte. Die Krone wünschte ini Interesse der Aufrechterhaltung der Monarchie und der Erfüllung ihrer Bündnisverpflichtungen die Erneuerung des Ausgleichs auf weitere zehn Jahre. Ein Wunsch der Krone ist den Ungarn niemals als besonders zwingend er¬ schienen, aber jeder vernünftige Mensch jenseits der Leitha war gar nicht im unklaren darüber, daß der Ausgleich eine dringende Notwendigkeit für das Land ist, da sich sonst die schleichende volkswirtschaftliche Krise zu einer ge¬ waltigen Katastrophe entwickeln mußte. Gerade die Verwirrung, die durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/72>, abgerufen am 04.07.2024.