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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die Tätigkeit der ungarischen Koalition

Artilleriematerials die Habsburgische Monarchie nicht bündnisunfähig gemacht.
Nirgends droht eine äußere Gefahr, und die Verbündeten konnten in Ruhe
abwarten, bis die magyarischen Heißsporne ihre durch die Macht der Phrase
errungne Stellung wieder eingebüßt oder vernünftigem Leuten Platz gemacht
hatten, nachdem das Volk zu der Einsicht gekommen war, daß es sich auf
Jrrpfaden bewegte.

Man hatte allerdings in den letzten Jahren die Agitation etwas eilig
betrieben, weil man dem in vielen Dingen nachgiebig gewesnen hochbetagten
Kaiser Franz Joseph noch etwas abzupressen gedachte, was sicher kein Nach¬
folger gewähren würde. Es kann aber niemand von den Habsburger", er¬
warten, daß sie etwa, anders als die Hohenzollern, in der Frage der Hoheit
über die Armee nachgeben würden. Wer die Vorgänge der letzten Jahre mit
unbefangnen Auge verfolgt hat, der muß die Festigkeit des greisen Monarchen
anerkennen, mit der er unerschütterlich wie einst Kaiser Wilhelm der Erste an
seiner Armee festhält, obwohl er fast auf keiner Seite Unterstützung fand, ein
Meer von Entstellungen und indirekten Angriffen ihn umgab, und er seinen
Lieblingsgedanken, daß er wenigstens Ungarn glücklich gemacht habe, mit
Schmerz als Täuschung erkennen mußte. Wer ihm aber in der Heeresfrage
den Vorwurf der Unentschiedenheit macht, der sagt die Unwahrheit. Und
wenn er morgen als oberster Kriegsherr den aus Ungarn rekrutierten Regi¬
mentern Fahnen mit seinen Abzeichen als König von Ungarn verleihen will,
so wird das noch lange keine Teilung der Armee bedeuten, aber die ungarischen
Regimenter werden sich unter den neuen Fahnen ebenso tapfer schlagen wie
unter den jetzigen Feldzeichen, geradeso wie einst die bayrischen, sächsischen,
braunschweigischen usw. Regimenter mit ihren Fahnen neben den preußischen.
Davon hängt die Tüchtigkeit eines Heeres durchaus nicht ab, wohl aber
davon, daß es einen Kriegsherrn hat, der die Sache versteht und von einem
höhern Standpunkte aus betrachtet, und daß nicht wechselnde parlamentarische
Kriegsminister ihre Privatliebhabereien daran erproben, wie die Zustände ge¬
wisser Armeen und Flotten leider lehren. Kaiser Franz Joseph hat den
Magyaren in den letzten vierzig Jahren wahrlich keinen Anlaß gegeben, mit
ihm unzufrieden zu sein. Er hat in allen nicht ausschlaggebenden Fragen
ihnen stets nachgegeben, weil sie immer einen korrekten parlamentarischen
Aufmarsch in Szene zu setzen verstanden, was in der andern Reichshälfte
allemal verunglückte. Nur als sie die militärische Oberhoheit der Krone be¬
rührten, war der Konflikt da. Das Rechtsverhältnis zwischen Österreich und
Ungarn gründet sich auf die Pragmatische Sanktion von 1723, nach der unter
Aufrechterhaltung der Selbständigkeit Ungarns dieses mit den österreichischen
Erbländer nur durch die Person des Herrschers und den Zweck der gemein¬
samen Verteidigung und Sicherheit verbunden wird. Daraus ergibt sich, daß
die Leitung der äußern Politik und des Kriegswesens gemeinsam sein muß,
daß aber beide Neichshälften kein einheitliches Wirtschaftsgebiet zu bilden
brauchen.


Die Tätigkeit der ungarischen Koalition

Artilleriematerials die Habsburgische Monarchie nicht bündnisunfähig gemacht.
Nirgends droht eine äußere Gefahr, und die Verbündeten konnten in Ruhe
abwarten, bis die magyarischen Heißsporne ihre durch die Macht der Phrase
errungne Stellung wieder eingebüßt oder vernünftigem Leuten Platz gemacht
hatten, nachdem das Volk zu der Einsicht gekommen war, daß es sich auf
Jrrpfaden bewegte.

Man hatte allerdings in den letzten Jahren die Agitation etwas eilig
betrieben, weil man dem in vielen Dingen nachgiebig gewesnen hochbetagten
Kaiser Franz Joseph noch etwas abzupressen gedachte, was sicher kein Nach¬
folger gewähren würde. Es kann aber niemand von den Habsburger», er¬
warten, daß sie etwa, anders als die Hohenzollern, in der Frage der Hoheit
über die Armee nachgeben würden. Wer die Vorgänge der letzten Jahre mit
unbefangnen Auge verfolgt hat, der muß die Festigkeit des greisen Monarchen
anerkennen, mit der er unerschütterlich wie einst Kaiser Wilhelm der Erste an
seiner Armee festhält, obwohl er fast auf keiner Seite Unterstützung fand, ein
Meer von Entstellungen und indirekten Angriffen ihn umgab, und er seinen
Lieblingsgedanken, daß er wenigstens Ungarn glücklich gemacht habe, mit
Schmerz als Täuschung erkennen mußte. Wer ihm aber in der Heeresfrage
den Vorwurf der Unentschiedenheit macht, der sagt die Unwahrheit. Und
wenn er morgen als oberster Kriegsherr den aus Ungarn rekrutierten Regi¬
mentern Fahnen mit seinen Abzeichen als König von Ungarn verleihen will,
so wird das noch lange keine Teilung der Armee bedeuten, aber die ungarischen
Regimenter werden sich unter den neuen Fahnen ebenso tapfer schlagen wie
unter den jetzigen Feldzeichen, geradeso wie einst die bayrischen, sächsischen,
braunschweigischen usw. Regimenter mit ihren Fahnen neben den preußischen.
Davon hängt die Tüchtigkeit eines Heeres durchaus nicht ab, wohl aber
davon, daß es einen Kriegsherrn hat, der die Sache versteht und von einem
höhern Standpunkte aus betrachtet, und daß nicht wechselnde parlamentarische
Kriegsminister ihre Privatliebhabereien daran erproben, wie die Zustände ge¬
wisser Armeen und Flotten leider lehren. Kaiser Franz Joseph hat den
Magyaren in den letzten vierzig Jahren wahrlich keinen Anlaß gegeben, mit
ihm unzufrieden zu sein. Er hat in allen nicht ausschlaggebenden Fragen
ihnen stets nachgegeben, weil sie immer einen korrekten parlamentarischen
Aufmarsch in Szene zu setzen verstanden, was in der andern Reichshälfte
allemal verunglückte. Nur als sie die militärische Oberhoheit der Krone be¬
rührten, war der Konflikt da. Das Rechtsverhältnis zwischen Österreich und
Ungarn gründet sich auf die Pragmatische Sanktion von 1723, nach der unter
Aufrechterhaltung der Selbständigkeit Ungarns dieses mit den österreichischen
Erbländer nur durch die Person des Herrschers und den Zweck der gemein¬
samen Verteidigung und Sicherheit verbunden wird. Daraus ergibt sich, daß
die Leitung der äußern Politik und des Kriegswesens gemeinsam sein muß,
daß aber beide Neichshälften kein einheitliches Wirtschaftsgebiet zu bilden
brauchen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/66>, abgerufen am 24.07.2024.