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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die preußische Artillerie im Dienste des Küstenrettungswesens

1821 und 1831 begrenzen, in Danzig und in Königsberg zu. Viele seiner
süßesten Lieder, deren Heimat man im grünsten Wald, im heimlichsten Grund,
am hellsten, heitersten Mühlbach sucht, sind an jener ernsten Küste zuerst er¬
klungen. Das befremdet selbst den, dem jenes Land als die Heimat großer
Männer, als die Zuflucht einer vom Feinde verfolgten Königsfamilie und als
die Pforte, durch die die Freiheit ins geknechtete Vaterland kam, lieb und ver¬
traut ist.

Aber fremder noch und unerwarteter ist vielen Süddeutschen und Nord¬
deutschen die Tätigkeit, die die preußische Artillerie dort im Dienste der Nächsten¬
liebe entfaltet hat. Und so hell der Glanz ist, der von der Sonne manches
Dichterlebens auf jenem Strande liegt, Heller ist der Glanz und höher die
Weihe, die er im verfloßnen Jahrhundert als Schauplatz der zähen, nuper"
droßnen Arbeit an einer die Menschheit adelnden wunderschönen Einrichtung
erhalten hat.

"Menschenliebe läßt sich nicht befehlen", mit diesem Wort hat man bei
der Gründung der Privatvereine zur Rettung Schiffbrüchiger die geringen Er¬
folge der staatlichen Rettungsstationen erklären wollen. Das Wort war nicht
gerecht. Es urteilte zu rasch und zu hart über die Fürsorge der Regierung
für die Schiffbrüchigen. Die preußische Regierung hat auf alle Fälle das
Verdienst, zuerst von allen Regierungen des Festlandes ihre Küste mit Rettungs¬
einrichtungen versehen zu haben. Menschenliebe läßt sich nicht befehlen, nein,
aber ihre Übung kann man erleichtern, wenn man ausreichende Geldmittel zur
Verfügung hat.

Die Erleichterung der Nächstenliebe durch Sammlung eines Fonds, aus
dem nicht nur Rettungsstationen gegründet und mit den besten Rettnngswerk-
zeugen ausgestattet werden können, sondern auch das Leben der Rettungs¬
mannschaften versichert, ihre Sorge um ihre Familien gemildert, ihr Opfermut
erleichtert und gesteigert werden kann, -- das war eine Aufgabe, die der
preußische Staat in jener schweren Zeit der unbewußten und bewußten Vor¬
bereitung für die Einigungskriege nicht erfüllen konnte. Aber das Verdienst
bleibt ihm, die ersten Rettungsstationen auf dem Festlande gegründet zu haben,
weit vor allen andern Festlandstaaten. Daß diese Einrichtungen dem Mili¬
tarismus zum Opfer gefallen seien, wird man nicht behaupten können, wenn man
sieht, wie sie gerade durch den Militarismus ins Leben gerufen und gefördert
worden sind. Hier versagt auch die Phrase von der UnProduktivität des Mili¬
tarismus. Menschenliebe wurde nicht befohlen, aber sie wurde auf diesem Ge¬
biete geübt, ohne Befehl, aus warmem Herzensdrang, in erster Linie von
preußischen Soldaten. Sie blieb arm an Erfolgen, weil sie arm an Mitteln
war, und weil sie keine auffallenden Erfolge hatte, wurde sie vergessen.

Ich habe als Kind eine tiefe Liebe zu Friedrich dem Großen gefaßt, als
ich las, daß er in seinem Staate zuerst die Tortur, den furchtbarsten Schrecken


Die preußische Artillerie im Dienste des Küstenrettungswesens

1821 und 1831 begrenzen, in Danzig und in Königsberg zu. Viele seiner
süßesten Lieder, deren Heimat man im grünsten Wald, im heimlichsten Grund,
am hellsten, heitersten Mühlbach sucht, sind an jener ernsten Küste zuerst er¬
klungen. Das befremdet selbst den, dem jenes Land als die Heimat großer
Männer, als die Zuflucht einer vom Feinde verfolgten Königsfamilie und als
die Pforte, durch die die Freiheit ins geknechtete Vaterland kam, lieb und ver¬
traut ist.

Aber fremder noch und unerwarteter ist vielen Süddeutschen und Nord¬
deutschen die Tätigkeit, die die preußische Artillerie dort im Dienste der Nächsten¬
liebe entfaltet hat. Und so hell der Glanz ist, der von der Sonne manches
Dichterlebens auf jenem Strande liegt, Heller ist der Glanz und höher die
Weihe, die er im verfloßnen Jahrhundert als Schauplatz der zähen, nuper«
droßnen Arbeit an einer die Menschheit adelnden wunderschönen Einrichtung
erhalten hat.

„Menschenliebe läßt sich nicht befehlen", mit diesem Wort hat man bei
der Gründung der Privatvereine zur Rettung Schiffbrüchiger die geringen Er¬
folge der staatlichen Rettungsstationen erklären wollen. Das Wort war nicht
gerecht. Es urteilte zu rasch und zu hart über die Fürsorge der Regierung
für die Schiffbrüchigen. Die preußische Regierung hat auf alle Fälle das
Verdienst, zuerst von allen Regierungen des Festlandes ihre Küste mit Rettungs¬
einrichtungen versehen zu haben. Menschenliebe läßt sich nicht befehlen, nein,
aber ihre Übung kann man erleichtern, wenn man ausreichende Geldmittel zur
Verfügung hat.

Die Erleichterung der Nächstenliebe durch Sammlung eines Fonds, aus
dem nicht nur Rettungsstationen gegründet und mit den besten Rettnngswerk-
zeugen ausgestattet werden können, sondern auch das Leben der Rettungs¬
mannschaften versichert, ihre Sorge um ihre Familien gemildert, ihr Opfermut
erleichtert und gesteigert werden kann, — das war eine Aufgabe, die der
preußische Staat in jener schweren Zeit der unbewußten und bewußten Vor¬
bereitung für die Einigungskriege nicht erfüllen konnte. Aber das Verdienst
bleibt ihm, die ersten Rettungsstationen auf dem Festlande gegründet zu haben,
weit vor allen andern Festlandstaaten. Daß diese Einrichtungen dem Mili¬
tarismus zum Opfer gefallen seien, wird man nicht behaupten können, wenn man
sieht, wie sie gerade durch den Militarismus ins Leben gerufen und gefördert
worden sind. Hier versagt auch die Phrase von der UnProduktivität des Mili¬
tarismus. Menschenliebe wurde nicht befohlen, aber sie wurde auf diesem Ge¬
biete geübt, ohne Befehl, aus warmem Herzensdrang, in erster Linie von
preußischen Soldaten. Sie blieb arm an Erfolgen, weil sie arm an Mitteln
war, und weil sie keine auffallenden Erfolge hatte, wurde sie vergessen.

Ich habe als Kind eine tiefe Liebe zu Friedrich dem Großen gefaßt, als
ich las, daß er in seinem Staate zuerst die Tortur, den furchtbarsten Schrecken


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[0628] Die preußische Artillerie im Dienste des Küstenrettungswesens 1821 und 1831 begrenzen, in Danzig und in Königsberg zu. Viele seiner süßesten Lieder, deren Heimat man im grünsten Wald, im heimlichsten Grund, am hellsten, heitersten Mühlbach sucht, sind an jener ernsten Küste zuerst er¬ klungen. Das befremdet selbst den, dem jenes Land als die Heimat großer Männer, als die Zuflucht einer vom Feinde verfolgten Königsfamilie und als die Pforte, durch die die Freiheit ins geknechtete Vaterland kam, lieb und ver¬ traut ist. Aber fremder noch und unerwarteter ist vielen Süddeutschen und Nord¬ deutschen die Tätigkeit, die die preußische Artillerie dort im Dienste der Nächsten¬ liebe entfaltet hat. Und so hell der Glanz ist, der von der Sonne manches Dichterlebens auf jenem Strande liegt, Heller ist der Glanz und höher die Weihe, die er im verfloßnen Jahrhundert als Schauplatz der zähen, nuper« droßnen Arbeit an einer die Menschheit adelnden wunderschönen Einrichtung erhalten hat. „Menschenliebe läßt sich nicht befehlen", mit diesem Wort hat man bei der Gründung der Privatvereine zur Rettung Schiffbrüchiger die geringen Er¬ folge der staatlichen Rettungsstationen erklären wollen. Das Wort war nicht gerecht. Es urteilte zu rasch und zu hart über die Fürsorge der Regierung für die Schiffbrüchigen. Die preußische Regierung hat auf alle Fälle das Verdienst, zuerst von allen Regierungen des Festlandes ihre Küste mit Rettungs¬ einrichtungen versehen zu haben. Menschenliebe läßt sich nicht befehlen, nein, aber ihre Übung kann man erleichtern, wenn man ausreichende Geldmittel zur Verfügung hat. Die Erleichterung der Nächstenliebe durch Sammlung eines Fonds, aus dem nicht nur Rettungsstationen gegründet und mit den besten Rettnngswerk- zeugen ausgestattet werden können, sondern auch das Leben der Rettungs¬ mannschaften versichert, ihre Sorge um ihre Familien gemildert, ihr Opfermut erleichtert und gesteigert werden kann, — das war eine Aufgabe, die der preußische Staat in jener schweren Zeit der unbewußten und bewußten Vor¬ bereitung für die Einigungskriege nicht erfüllen konnte. Aber das Verdienst bleibt ihm, die ersten Rettungsstationen auf dem Festlande gegründet zu haben, weit vor allen andern Festlandstaaten. Daß diese Einrichtungen dem Mili¬ tarismus zum Opfer gefallen seien, wird man nicht behaupten können, wenn man sieht, wie sie gerade durch den Militarismus ins Leben gerufen und gefördert worden sind. Hier versagt auch die Phrase von der UnProduktivität des Mili¬ tarismus. Menschenliebe wurde nicht befohlen, aber sie wurde auf diesem Ge¬ biete geübt, ohne Befehl, aus warmem Herzensdrang, in erster Linie von preußischen Soldaten. Sie blieb arm an Erfolgen, weil sie arm an Mitteln war, und weil sie keine auffallenden Erfolge hatte, wurde sie vergessen. Ich habe als Kind eine tiefe Liebe zu Friedrich dem Großen gefaßt, als ich las, daß er in seinem Staate zuerst die Tortur, den furchtbarsten Schrecken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/628>, abgerufen am 21.06.2024.