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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die Schlacht bei Pavia

stand, dauernd entschieden. Um zunächst auf Franzens Person zurückzukommen,
sei erwähnt, daß sein unzähligem"! zitiertes und zu einem geflügelten ge-
wordnes Wort: "Alles ist verloren, nur die Ehre nicht", der geschichtlichen
Beglaubigung entbehrt. Der angebliche Brief des Königs an seine Mutter,
worin die illustre Phrase vorkommen soll, liegt in Urschrift nicht vor; auch
sonst sprechen Gründe dafür, daß das berühmte Not ebenso eine spätere
Erfindung sei wie Koscziuskos (von diesem selbst dementiertes) nich ^olomas!
und wie so mancher andre "Treppenwitz der Weltgeschichte".

Der gefangne König wurde erst nach San Paolo gebracht, wo eben die
versammelten Mönche (wie man liest) Psalm 119 Vers 71 sangen: "Es ist
mir gut. daß du mich erniedriget hast, damit ich deine Gerechtigkeit kennen
lerne", was den König tief ergriff. Dann wurde er nach Pizzighetone und
hierauf, sehr gegen den Willen Pescaras und Bourbons, nach Spanien gebracht.
Es war zu befürchten, heißt es. daß sich sonst die Söldner des Königs als
Pfand für ihren rückständigen Sold bemächtigt hätten. Fast ein Jahr wurde
Franz zu Madrid in enger, wenn auch standesgemäßer Haft gehalten. Vor
Verdruß und Langeweile wurde der heißblutige junge Mann krank und verstand
sich endlich am 14. Januar 1526 zu einem Frieden, worin er auf seine An¬
sprüche auf Mailand, Genua und Neapel verzichtete, die Oberherrschaft über
Flandern und Artois aufzugeben, das Herzogtum Burgund abzutreten und des
Kaisers Schwester Eleonore zu heiraten versprach. Zugleich mußte er seine zwei
Söhne als Geiseln für die Erfüllung des Vertrages stellen. Die Knaben wurden
in der Tat am Grenzflüßchen Bidassoa gegen den königlichen Vater ausgetauscht.
Aber Franz hatte ganz im Geiste Macchiavells am Tage vor Unterfertigung
des Friedens eine geheime Protestation verfaßt, worin er im vorhinein all seine
zu machenden Versprechungen für null erklärte. Und unmittelbar nach der
Unterfertigung des Friedens ließ er die Franzosen seines Gefolges auf sein
Zimmer kommen und protestierte vor ihnen gegen den erzwungnen Vertrag.

In der Tat verweigerte der König, kaum in Freiheit, die Erfüllung der
Friedensbedingungen. Der Kampf ging in Bälde wieder an und erneuerte sich
noch zweimal, sodaß die Rivalität zwischen Karl und Franz erst mit dem Tode
des Valois endete, Der Habsburger blieb zuletzt Sieger in diesem Ringen,
das die erste Periode der Kämpfe zwischen Österreich und Frankreich darstellt,
die durch drei Jahrhunderte ein Angelpunkt europäischer Geschichte waren und
I. N. erst mit dem Sturze Napoleons einen Abschluß gefunden haben.




Die Schlacht bei Pavia

stand, dauernd entschieden. Um zunächst auf Franzens Person zurückzukommen,
sei erwähnt, daß sein unzähligem«! zitiertes und zu einem geflügelten ge-
wordnes Wort: „Alles ist verloren, nur die Ehre nicht", der geschichtlichen
Beglaubigung entbehrt. Der angebliche Brief des Königs an seine Mutter,
worin die illustre Phrase vorkommen soll, liegt in Urschrift nicht vor; auch
sonst sprechen Gründe dafür, daß das berühmte Not ebenso eine spätere
Erfindung sei wie Koscziuskos (von diesem selbst dementiertes) nich ^olomas!
und wie so mancher andre „Treppenwitz der Weltgeschichte".

Der gefangne König wurde erst nach San Paolo gebracht, wo eben die
versammelten Mönche (wie man liest) Psalm 119 Vers 71 sangen: „Es ist
mir gut. daß du mich erniedriget hast, damit ich deine Gerechtigkeit kennen
lerne", was den König tief ergriff. Dann wurde er nach Pizzighetone und
hierauf, sehr gegen den Willen Pescaras und Bourbons, nach Spanien gebracht.
Es war zu befürchten, heißt es. daß sich sonst die Söldner des Königs als
Pfand für ihren rückständigen Sold bemächtigt hätten. Fast ein Jahr wurde
Franz zu Madrid in enger, wenn auch standesgemäßer Haft gehalten. Vor
Verdruß und Langeweile wurde der heißblutige junge Mann krank und verstand
sich endlich am 14. Januar 1526 zu einem Frieden, worin er auf seine An¬
sprüche auf Mailand, Genua und Neapel verzichtete, die Oberherrschaft über
Flandern und Artois aufzugeben, das Herzogtum Burgund abzutreten und des
Kaisers Schwester Eleonore zu heiraten versprach. Zugleich mußte er seine zwei
Söhne als Geiseln für die Erfüllung des Vertrages stellen. Die Knaben wurden
in der Tat am Grenzflüßchen Bidassoa gegen den königlichen Vater ausgetauscht.
Aber Franz hatte ganz im Geiste Macchiavells am Tage vor Unterfertigung
des Friedens eine geheime Protestation verfaßt, worin er im vorhinein all seine
zu machenden Versprechungen für null erklärte. Und unmittelbar nach der
Unterfertigung des Friedens ließ er die Franzosen seines Gefolges auf sein
Zimmer kommen und protestierte vor ihnen gegen den erzwungnen Vertrag.

In der Tat verweigerte der König, kaum in Freiheit, die Erfüllung der
Friedensbedingungen. Der Kampf ging in Bälde wieder an und erneuerte sich
noch zweimal, sodaß die Rivalität zwischen Karl und Franz erst mit dem Tode
des Valois endete, Der Habsburger blieb zuletzt Sieger in diesem Ringen,
das die erste Periode der Kämpfe zwischen Österreich und Frankreich darstellt,
die durch drei Jahrhunderte ein Angelpunkt europäischer Geschichte waren und
I. N. erst mit dem Sturze Napoleons einen Abschluß gefunden haben.




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[0619] Die Schlacht bei Pavia stand, dauernd entschieden. Um zunächst auf Franzens Person zurückzukommen, sei erwähnt, daß sein unzähligem«! zitiertes und zu einem geflügelten ge- wordnes Wort: „Alles ist verloren, nur die Ehre nicht", der geschichtlichen Beglaubigung entbehrt. Der angebliche Brief des Königs an seine Mutter, worin die illustre Phrase vorkommen soll, liegt in Urschrift nicht vor; auch sonst sprechen Gründe dafür, daß das berühmte Not ebenso eine spätere Erfindung sei wie Koscziuskos (von diesem selbst dementiertes) nich ^olomas! und wie so mancher andre „Treppenwitz der Weltgeschichte". Der gefangne König wurde erst nach San Paolo gebracht, wo eben die versammelten Mönche (wie man liest) Psalm 119 Vers 71 sangen: „Es ist mir gut. daß du mich erniedriget hast, damit ich deine Gerechtigkeit kennen lerne", was den König tief ergriff. Dann wurde er nach Pizzighetone und hierauf, sehr gegen den Willen Pescaras und Bourbons, nach Spanien gebracht. Es war zu befürchten, heißt es. daß sich sonst die Söldner des Königs als Pfand für ihren rückständigen Sold bemächtigt hätten. Fast ein Jahr wurde Franz zu Madrid in enger, wenn auch standesgemäßer Haft gehalten. Vor Verdruß und Langeweile wurde der heißblutige junge Mann krank und verstand sich endlich am 14. Januar 1526 zu einem Frieden, worin er auf seine An¬ sprüche auf Mailand, Genua und Neapel verzichtete, die Oberherrschaft über Flandern und Artois aufzugeben, das Herzogtum Burgund abzutreten und des Kaisers Schwester Eleonore zu heiraten versprach. Zugleich mußte er seine zwei Söhne als Geiseln für die Erfüllung des Vertrages stellen. Die Knaben wurden in der Tat am Grenzflüßchen Bidassoa gegen den königlichen Vater ausgetauscht. Aber Franz hatte ganz im Geiste Macchiavells am Tage vor Unterfertigung des Friedens eine geheime Protestation verfaßt, worin er im vorhinein all seine zu machenden Versprechungen für null erklärte. Und unmittelbar nach der Unterfertigung des Friedens ließ er die Franzosen seines Gefolges auf sein Zimmer kommen und protestierte vor ihnen gegen den erzwungnen Vertrag. In der Tat verweigerte der König, kaum in Freiheit, die Erfüllung der Friedensbedingungen. Der Kampf ging in Bälde wieder an und erneuerte sich noch zweimal, sodaß die Rivalität zwischen Karl und Franz erst mit dem Tode des Valois endete, Der Habsburger blieb zuletzt Sieger in diesem Ringen, das die erste Periode der Kämpfe zwischen Österreich und Frankreich darstellt, die durch drei Jahrhunderte ein Angelpunkt europäischer Geschichte waren und I. N. erst mit dem Sturze Napoleons einen Abschluß gefunden haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/619>, abgerufen am 21.06.2024.