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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die Schlacht bei Pavia

an der Frankreichs Könige seit dem unglücklichen, tragikomischen Zuge Karls
des Achten nach Neapel festgehalten hatten.

Franz, um sechs Jahre älter als Karl, war schon ein gefeierter Kriegs¬
held, als der Erzherzog-Infant fast noch in den Kinderschuhen steckte. Kaum
zum Throne gelangt, war Franz durch den Sieg von Marignano Herr von
Mailand und Genua sowie eines großen Teils der Lombardei geworden. Als
dann am 12. Januar 1519 der alte Maximilian sein an Taten und Plänen,
an Enttäuschungen aber auch an Erfolgen reiches Leben schloß, hub ein Ringen
um die Kaiserkrone an, wie es Deutschland weder vor- noch nachher je gesehen
hatte. Die schmählichsten Ränke, ein Hin und Her schnöder Geldgeschäfte, die
Einmischung der fremden Mächte, die doppelzüngige Politik des Papstes Leos
des Zehnten, ein Markten und Feilschen in der Sache, die sich als die wichtigste
der Christenheit gab: alles das war wahrhaftig kein Ruhmesblatt deutscher
Geschichte. Der geachtetste Fürst des Reiches, Friedrich der Weise von Sachsen,
hatte das Diadem Karls des Großen standhaft abgelehnt. Franz von Frank¬
reich, der schon seit Jahren seine Netze ausgeworfen hatte, soll drei Millionen
Taler auf die Bestechung der Kurfürsten verwandt haben. Das Geld spielt
eine ähnliche Rolle wie bei manchen Papstwahlen des Mittelalters und der
Renaissancezeit. Gewiß kämpften auch Maxens Enkel Karl und sein Hof mit
denselben Mitteln, soweit die perennierende Geldnot des Hauses Habsburg es
gestattete, oder soweit die Fuggers und andre Kredit gaben. Merkwürdig
genug ist, daß die Eidgenossen, die sich tatsächlich schon vom Reiche losgerissen
hatten, eine Abordnung an die Kurfürsten schickten, mit der Bitte, "ein houpt
von der Tütschen vnd und von der Wälischen Nation zu wühlen". Aber der
in den Niederlanden geborne und aufgewachsne Karl, obwohl urdeutschen
Stamme entsprossen, galt damals kaum als ein Deutscher. Es war der König
von Spanien, der mit dem von Frankreich um die römische Kaiserkrone rang.
Und nicht etwa ein Erwachen des Nationalgefühls, sondern Karls geschicktere
Diplomatie und seine Unterwerfung unter die Wahlkapitulation haben ver¬
hindert, daß die Krone der Salier und der Staufen an Deutschlands Erbfeind
fiel. Als sich endlich nach monatelangem Verhandeln und Handeln am
28. Juni 1519 die Stimmen der Kurfürsten auf Karl vereinigten, und Franz
den berückendsten Traum seines Ehrgeizes zerronnen sah. da trat zum politischen
Antagonismus zwischen den zwei jungen Fürsten ein persönlicher, der nie mehr
zur Ruhe kam.

Karl machte alsbald das alte Recht des Reichs auf Oberitalien geltend,
und schon 1521 brach der offne Kampf aus. Wir sehen, wie Franz. bei
Vicocca durch das Feldherrntalent Frundsbergs und Pescaras geschlagen,
Mailand verliert, wie 1523 die Franzosen neuerlich in Italien eindringen und
neuerlich geschlagen werden, diesmal von einem Franzosen und königlichen
Prinzen. Der Abfall des Connetable von Bourbon, des ersten Reichsbeamten
und ersten Reichsvasallen der Krone Frankreichs, der von Franz vielfach gekränkt


Grenzboten II 1903 77
Die Schlacht bei Pavia

an der Frankreichs Könige seit dem unglücklichen, tragikomischen Zuge Karls
des Achten nach Neapel festgehalten hatten.

Franz, um sechs Jahre älter als Karl, war schon ein gefeierter Kriegs¬
held, als der Erzherzog-Infant fast noch in den Kinderschuhen steckte. Kaum
zum Throne gelangt, war Franz durch den Sieg von Marignano Herr von
Mailand und Genua sowie eines großen Teils der Lombardei geworden. Als
dann am 12. Januar 1519 der alte Maximilian sein an Taten und Plänen,
an Enttäuschungen aber auch an Erfolgen reiches Leben schloß, hub ein Ringen
um die Kaiserkrone an, wie es Deutschland weder vor- noch nachher je gesehen
hatte. Die schmählichsten Ränke, ein Hin und Her schnöder Geldgeschäfte, die
Einmischung der fremden Mächte, die doppelzüngige Politik des Papstes Leos
des Zehnten, ein Markten und Feilschen in der Sache, die sich als die wichtigste
der Christenheit gab: alles das war wahrhaftig kein Ruhmesblatt deutscher
Geschichte. Der geachtetste Fürst des Reiches, Friedrich der Weise von Sachsen,
hatte das Diadem Karls des Großen standhaft abgelehnt. Franz von Frank¬
reich, der schon seit Jahren seine Netze ausgeworfen hatte, soll drei Millionen
Taler auf die Bestechung der Kurfürsten verwandt haben. Das Geld spielt
eine ähnliche Rolle wie bei manchen Papstwahlen des Mittelalters und der
Renaissancezeit. Gewiß kämpften auch Maxens Enkel Karl und sein Hof mit
denselben Mitteln, soweit die perennierende Geldnot des Hauses Habsburg es
gestattete, oder soweit die Fuggers und andre Kredit gaben. Merkwürdig
genug ist, daß die Eidgenossen, die sich tatsächlich schon vom Reiche losgerissen
hatten, eine Abordnung an die Kurfürsten schickten, mit der Bitte, „ein houpt
von der Tütschen vnd und von der Wälischen Nation zu wühlen". Aber der
in den Niederlanden geborne und aufgewachsne Karl, obwohl urdeutschen
Stamme entsprossen, galt damals kaum als ein Deutscher. Es war der König
von Spanien, der mit dem von Frankreich um die römische Kaiserkrone rang.
Und nicht etwa ein Erwachen des Nationalgefühls, sondern Karls geschicktere
Diplomatie und seine Unterwerfung unter die Wahlkapitulation haben ver¬
hindert, daß die Krone der Salier und der Staufen an Deutschlands Erbfeind
fiel. Als sich endlich nach monatelangem Verhandeln und Handeln am
28. Juni 1519 die Stimmen der Kurfürsten auf Karl vereinigten, und Franz
den berückendsten Traum seines Ehrgeizes zerronnen sah. da trat zum politischen
Antagonismus zwischen den zwei jungen Fürsten ein persönlicher, der nie mehr
zur Ruhe kam.

Karl machte alsbald das alte Recht des Reichs auf Oberitalien geltend,
und schon 1521 brach der offne Kampf aus. Wir sehen, wie Franz. bei
Vicocca durch das Feldherrntalent Frundsbergs und Pescaras geschlagen,
Mailand verliert, wie 1523 die Franzosen neuerlich in Italien eindringen und
neuerlich geschlagen werden, diesmal von einem Franzosen und königlichen
Prinzen. Der Abfall des Connetable von Bourbon, des ersten Reichsbeamten
und ersten Reichsvasallen der Krone Frankreichs, der von Franz vielfach gekränkt


Grenzboten II 1903 77
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[0609] Die Schlacht bei Pavia an der Frankreichs Könige seit dem unglücklichen, tragikomischen Zuge Karls des Achten nach Neapel festgehalten hatten. Franz, um sechs Jahre älter als Karl, war schon ein gefeierter Kriegs¬ held, als der Erzherzog-Infant fast noch in den Kinderschuhen steckte. Kaum zum Throne gelangt, war Franz durch den Sieg von Marignano Herr von Mailand und Genua sowie eines großen Teils der Lombardei geworden. Als dann am 12. Januar 1519 der alte Maximilian sein an Taten und Plänen, an Enttäuschungen aber auch an Erfolgen reiches Leben schloß, hub ein Ringen um die Kaiserkrone an, wie es Deutschland weder vor- noch nachher je gesehen hatte. Die schmählichsten Ränke, ein Hin und Her schnöder Geldgeschäfte, die Einmischung der fremden Mächte, die doppelzüngige Politik des Papstes Leos des Zehnten, ein Markten und Feilschen in der Sache, die sich als die wichtigste der Christenheit gab: alles das war wahrhaftig kein Ruhmesblatt deutscher Geschichte. Der geachtetste Fürst des Reiches, Friedrich der Weise von Sachsen, hatte das Diadem Karls des Großen standhaft abgelehnt. Franz von Frank¬ reich, der schon seit Jahren seine Netze ausgeworfen hatte, soll drei Millionen Taler auf die Bestechung der Kurfürsten verwandt haben. Das Geld spielt eine ähnliche Rolle wie bei manchen Papstwahlen des Mittelalters und der Renaissancezeit. Gewiß kämpften auch Maxens Enkel Karl und sein Hof mit denselben Mitteln, soweit die perennierende Geldnot des Hauses Habsburg es gestattete, oder soweit die Fuggers und andre Kredit gaben. Merkwürdig genug ist, daß die Eidgenossen, die sich tatsächlich schon vom Reiche losgerissen hatten, eine Abordnung an die Kurfürsten schickten, mit der Bitte, „ein houpt von der Tütschen vnd und von der Wälischen Nation zu wühlen". Aber der in den Niederlanden geborne und aufgewachsne Karl, obwohl urdeutschen Stamme entsprossen, galt damals kaum als ein Deutscher. Es war der König von Spanien, der mit dem von Frankreich um die römische Kaiserkrone rang. Und nicht etwa ein Erwachen des Nationalgefühls, sondern Karls geschicktere Diplomatie und seine Unterwerfung unter die Wahlkapitulation haben ver¬ hindert, daß die Krone der Salier und der Staufen an Deutschlands Erbfeind fiel. Als sich endlich nach monatelangem Verhandeln und Handeln am 28. Juni 1519 die Stimmen der Kurfürsten auf Karl vereinigten, und Franz den berückendsten Traum seines Ehrgeizes zerronnen sah. da trat zum politischen Antagonismus zwischen den zwei jungen Fürsten ein persönlicher, der nie mehr zur Ruhe kam. Karl machte alsbald das alte Recht des Reichs auf Oberitalien geltend, und schon 1521 brach der offne Kampf aus. Wir sehen, wie Franz. bei Vicocca durch das Feldherrntalent Frundsbergs und Pescaras geschlagen, Mailand verliert, wie 1523 die Franzosen neuerlich in Italien eindringen und neuerlich geschlagen werden, diesmal von einem Franzosen und königlichen Prinzen. Der Abfall des Connetable von Bourbon, des ersten Reichsbeamten und ersten Reichsvasallen der Krone Frankreichs, der von Franz vielfach gekränkt Grenzboten II 1903 77

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/609>, abgerufen am 21.06.2024.