Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches so brutal auch nach außen hin aufgetreten. Die offne Einschüchterung von Kreisen, Die andre bedeutungsvolle Erscheinung in diesen: Wahlkampf, das Bündnis In der auswärtigen Politik dienen die Beziehungen zwischen England, Nußland Maßgebliches und Unmaßgebliches so brutal auch nach außen hin aufgetreten. Die offne Einschüchterung von Kreisen, Die andre bedeutungsvolle Erscheinung in diesen: Wahlkampf, das Bündnis In der auswärtigen Politik dienen die Beziehungen zwischen England, Nußland <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0548" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312233"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2134" prev="#ID_2133"> so brutal auch nach außen hin aufgetreten. Die offne Einschüchterung von Kreisen,<lb/> die bisher diesen Einflüssen gar nicht oder nur wenig unterworfen waren, die<lb/> direkte Bedrohung der politischen Meinungsfreiheit ist in solchem Umfange zum<lb/> erstenmale versucht worden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2135"> Die andre bedeutungsvolle Erscheinung in diesen: Wahlkampf, das Bündnis<lb/> zwischen Zentrum und Polen, hat den Beteiligten nicht die Befriedigung gebracht,<lb/> auf die sie gerechnet hatten. Die deutschen Katholiken im Osten sind, soweit sich<lb/> die Lage bis jetzt übersehe» läßt, der Aufforderung der Zentrumspartei, die Ver¬<lb/> bindung mit ihren deutschen Landsleuten zu lösen und zu den Polen überzugehn,<lb/> im allgemeinen nicht gefolgt. Sie haben sich offenbar nicht überzeugen können,<lb/> daß ihr Glaube in Gefahr ist, aber sie keime» die Pole» und die Ziele ihrer Be¬<lb/> strebungen gut genug, um die Schmach zu empfinden, die ihnen von der Zentrums-<lb/> partei zugemutet wird. Den Polen ist durch die Einigkeit der Deutschen der Wahl¬<lb/> kreis Gnesen-Witkowo entrissen worden. Dieser Wahlkreis umfaßt die Bezirke, in<lb/> denen das Ansiedlungswerk in der Provinz Posen bisher um weitesten vorgeschritten<lb/> ist. Der erfreuliche Wahlerfolg dient also auch zugleich zur Beleuchtung der oft<lb/> aufgestellten Behauptung, daß die Ansiedlungspolitik keine Erfolge aufzuweisen habe,<lb/> sondern nnr den Widerstand der Polen zu größern Leistungen ansporne.</p><lb/> <p xml:id="ID_2136" next="#ID_2137"> In der auswärtigen Politik dienen die Beziehungen zwischen England, Nußland<lb/> und Frankreich und die Stellung dieser drei Mächte zu Deutschland fortgesetzt als<lb/> Grundlage lebhafter Erörterungen in der Presse. König Eduard hat seine Reise<lb/> nach Reval angetreten, nicht ohne vorher eine scharfe Kritik dieses Unternehmens in<lb/> einer lebhaften Debatte des Unterhauses erfahren zu haben. Der Ansturm dieser<lb/> parlamentarischen Kritiker, deren Kern die Arbeiterpartei bildete, wurde, wie zu er¬<lb/> warten war, abgeschlagen. Man pflegt sich in England bei Fragen der auswärtigen<lb/> Politik nicht auf Unmögliches zu verbeißen und sich uicht in unhaltbaren Positionen<lb/> festzulegen. Sir Edward Grey hatte bei dieser Erörterung die volle Überlegenheit<lb/> auf seiner Seite und benutzte die Anregung dieser Frage hauptsächlich, um die Be¬<lb/> fürchtungen oder Hoffnungen zu widerlegen, die durch die Vorstellung eines neuen<lb/> europäischen Dreibunds erregt worden waren. Wir brauchen auf diesen Punkt nicht<lb/> noch einmal zurückzukommen, denn an den bestehenden Auffassungen werden die Aus¬<lb/> führungen des englischen Staatsmanns nicht viel ändern. Unser eigner Standpunkt<lb/> ist den Lesern bekannt. Wir gehören nicht zu denen, in deren politischer Vorstellung<lb/> König Eduard ungefähr dieselbe Rolle spielt, wie für die Franzosen lange Zeit die<lb/> ti-ouSs as Lslfort. Wir starren nicht wie hypnotisiert auf diese eine Stelle und wissen<lb/> bei aller Hochachtung vor der staatsmännischen Bedeutung des britischen Herrschers,<lb/> welche Grenzen ihm gesteckt sind. Nicht seine persönlichen Wünsche, sondern die vielfach<lb/> verschlungnen Interessen der Völker bestimmen den Gang der Politik. Es ist wahr,<lb/> daß die Richtung dieser Interessen nicht überall und immer so klar zutage liegt, daß<lb/> es einer überlegnen staatsmännischen Intelligenz nicht gelingen könnte, sie vorüber¬<lb/> gehend und in bestimmter Ausdehnung in ihrem Sinne zu leiten. Aber es<lb/> ist unschwer einzusehn, daß eine solche Möglichkeit um so eher vorliegt, je<lb/> mehr auf der Gegenseite der Vorstellung Raum gegeben wird, daß die Inter¬<lb/> essen der Völker wirklich die Richtung nehmen, wie es jener Staatsmann gern<lb/> glaube» machen möchte. Es gibt immer Gegenströmungen, die zu unserm Vorteil<lb/> laufen; unsre Staatsmäner müssen sie natürlich in jedem Falle kennen und<lb/> sehn, aber man erschwert ihnen die Arbeit, wenn die öffentliche Meinung<lb/> gewissermaßen angeleitet wird, die Dinge immer nur so zu sehen, wie sie die<lb/> Gegner unsrer Interessen gern gesehen habe» möchten. Das ist durchaus kein<lb/> sorgloser Optimismus. Wir wissen sehr genau, daß die durch die persönliche Tätigkeit</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0548]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
so brutal auch nach außen hin aufgetreten. Die offne Einschüchterung von Kreisen,
die bisher diesen Einflüssen gar nicht oder nur wenig unterworfen waren, die
direkte Bedrohung der politischen Meinungsfreiheit ist in solchem Umfange zum
erstenmale versucht worden.
Die andre bedeutungsvolle Erscheinung in diesen: Wahlkampf, das Bündnis
zwischen Zentrum und Polen, hat den Beteiligten nicht die Befriedigung gebracht,
auf die sie gerechnet hatten. Die deutschen Katholiken im Osten sind, soweit sich
die Lage bis jetzt übersehe» läßt, der Aufforderung der Zentrumspartei, die Ver¬
bindung mit ihren deutschen Landsleuten zu lösen und zu den Polen überzugehn,
im allgemeinen nicht gefolgt. Sie haben sich offenbar nicht überzeugen können,
daß ihr Glaube in Gefahr ist, aber sie keime» die Pole» und die Ziele ihrer Be¬
strebungen gut genug, um die Schmach zu empfinden, die ihnen von der Zentrums-
partei zugemutet wird. Den Polen ist durch die Einigkeit der Deutschen der Wahl¬
kreis Gnesen-Witkowo entrissen worden. Dieser Wahlkreis umfaßt die Bezirke, in
denen das Ansiedlungswerk in der Provinz Posen bisher um weitesten vorgeschritten
ist. Der erfreuliche Wahlerfolg dient also auch zugleich zur Beleuchtung der oft
aufgestellten Behauptung, daß die Ansiedlungspolitik keine Erfolge aufzuweisen habe,
sondern nnr den Widerstand der Polen zu größern Leistungen ansporne.
In der auswärtigen Politik dienen die Beziehungen zwischen England, Nußland
und Frankreich und die Stellung dieser drei Mächte zu Deutschland fortgesetzt als
Grundlage lebhafter Erörterungen in der Presse. König Eduard hat seine Reise
nach Reval angetreten, nicht ohne vorher eine scharfe Kritik dieses Unternehmens in
einer lebhaften Debatte des Unterhauses erfahren zu haben. Der Ansturm dieser
parlamentarischen Kritiker, deren Kern die Arbeiterpartei bildete, wurde, wie zu er¬
warten war, abgeschlagen. Man pflegt sich in England bei Fragen der auswärtigen
Politik nicht auf Unmögliches zu verbeißen und sich uicht in unhaltbaren Positionen
festzulegen. Sir Edward Grey hatte bei dieser Erörterung die volle Überlegenheit
auf seiner Seite und benutzte die Anregung dieser Frage hauptsächlich, um die Be¬
fürchtungen oder Hoffnungen zu widerlegen, die durch die Vorstellung eines neuen
europäischen Dreibunds erregt worden waren. Wir brauchen auf diesen Punkt nicht
noch einmal zurückzukommen, denn an den bestehenden Auffassungen werden die Aus¬
führungen des englischen Staatsmanns nicht viel ändern. Unser eigner Standpunkt
ist den Lesern bekannt. Wir gehören nicht zu denen, in deren politischer Vorstellung
König Eduard ungefähr dieselbe Rolle spielt, wie für die Franzosen lange Zeit die
ti-ouSs as Lslfort. Wir starren nicht wie hypnotisiert auf diese eine Stelle und wissen
bei aller Hochachtung vor der staatsmännischen Bedeutung des britischen Herrschers,
welche Grenzen ihm gesteckt sind. Nicht seine persönlichen Wünsche, sondern die vielfach
verschlungnen Interessen der Völker bestimmen den Gang der Politik. Es ist wahr,
daß die Richtung dieser Interessen nicht überall und immer so klar zutage liegt, daß
es einer überlegnen staatsmännischen Intelligenz nicht gelingen könnte, sie vorüber¬
gehend und in bestimmter Ausdehnung in ihrem Sinne zu leiten. Aber es
ist unschwer einzusehn, daß eine solche Möglichkeit um so eher vorliegt, je
mehr auf der Gegenseite der Vorstellung Raum gegeben wird, daß die Inter¬
essen der Völker wirklich die Richtung nehmen, wie es jener Staatsmann gern
glaube» machen möchte. Es gibt immer Gegenströmungen, die zu unserm Vorteil
laufen; unsre Staatsmäner müssen sie natürlich in jedem Falle kennen und
sehn, aber man erschwert ihnen die Arbeit, wenn die öffentliche Meinung
gewissermaßen angeleitet wird, die Dinge immer nur so zu sehen, wie sie die
Gegner unsrer Interessen gern gesehen habe» möchten. Das ist durchaus kein
sorgloser Optimismus. Wir wissen sehr genau, daß die durch die persönliche Tätigkeit
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |