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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die preußische Artillerie im Dienste des Mstcnrettung5wesens

gesandter der Regierung beigesellte, Diensternst und Artilleristenstolz im An¬
gesicht, sein Geschütz aus dem Schuppen schaffte. Ein Fischer, mit dem ihn
der Stolz auf den schwarzen Kragen, den beide getragen hatten, verband, half
ihm den Mörser, das Tauwerk und den Schießbedarf auf deu Wagen heben,
des Försters Schimmel, das einzige Pferd, das auf der Spitze der Halbinsel
wieherte, zog an. Klein war die Truppe, zwei Mann, ein Pferd, ein Geschütz,
aber die vier hatten im Wintersturm nicht nur ihre Pflicht getan, sondern
mich Glück gehabt und in der dunkeln Januarnacht selbst schon verzweifelnd
mit der sechsten Kugel den drei verstummenden Menschen draußen bei dem
verglimmenden Lichte die schwanke Brücke zum Leben über das Schiff gelegt.
Nun aber dachten sie der Nacht nicht mehr, der Tag war zu hell, der Fischer
trug auf dem ergrauenden Kopfe die letzte gute Mütze aus der Stettiner Zeit,
und zufrieden musterte der Leuchtturmwärter seine Schar im hellen Lichte, aber
der Sonnenschein, der seine Seele füllte und aus seinen Augen leuchtete, war
nicht von jenem Tage, sondern aus der schönen Zeit, als er noch bei der
ersten Sechspfünderbatteric in Stettin Geschützführer war.

Drüben am Norderstrand ragte schon das Ziel, drei an der Spitze durch
ein Tau verbundne Flaggenstangen, die die Takelage eines gestrandeten Schiffes
darstellten. Zweihundert, dreihundert Schritt davon fuhr das Geschütz auf.
Der Mörser wurde herabgenommen und auf einer Bettung oder auf einem
rasch geebneten Strandfleck aufgestellt. Nun galt es noch die Rettungsleine
in Schlangenlinien auf dem Boden ueben dem Geschütz auszubreiten, die
Kugel mit der Leine zu verbinden, zu laden, zu richten, und dann setzte der
Leuchtturmwürter die Lunte auf die Stoppine, und der Schuß krachte. Meist
traf bei diesen Übungen die Bombe das Ziel, das heißt, sie fiel jenseits der
durch die Flaggenstangen bezeichneten Schiffsbreite nieder, sodaß die Leine auf
dem Tau liegen blieb, das die Stangen verband. Doch kam es auch vor,
daß die Kugel vor dem Ziele niederfiel, dann änderte man die Elevation und
die Pulverladung, bis die Kugel die Leine über das Ziel trug. Nicht selten
brach auch eine Leine, weil sie trotz der Sorgfalt, womit sie vor dem Gebrauch
gebeizt und nach dem Gebrauch getrocknet worden war, zu mürbe war, oder
weil sie beim Auffliegen eine Schlinge bildete. Dann fand die Kugel den
Weg ins Meer.

Mit der Musterung der Geräte und mit der Schießübung waren die beiden
ersten Aufgaben der inspizierenden Beamten erledigt. Nun galt es noch mit
Jvlltau, Trosse, Steertblock und Kinnbackblock markierte Schiffbrüchige ans
Land zu befördern. Diese Übung bildete für die Jugend des Stranddorfes
den Höhepunkt des ganzen Tags.

Das Geäst einer Föhre stellte das Takelwerk eines Wracks dar, die Fischer-
bnben enterten hinauf, zogen an der Rettungsleine die Trosse, das Jolltau
und die Blöcke heran und ließen sich, nachdem sie den Apparat kunstgerecht
angebracht hatten, in der Schlinge des Kiunbackblocks das Spcmntau entlang


Die preußische Artillerie im Dienste des Mstcnrettung5wesens

gesandter der Regierung beigesellte, Diensternst und Artilleristenstolz im An¬
gesicht, sein Geschütz aus dem Schuppen schaffte. Ein Fischer, mit dem ihn
der Stolz auf den schwarzen Kragen, den beide getragen hatten, verband, half
ihm den Mörser, das Tauwerk und den Schießbedarf auf deu Wagen heben,
des Försters Schimmel, das einzige Pferd, das auf der Spitze der Halbinsel
wieherte, zog an. Klein war die Truppe, zwei Mann, ein Pferd, ein Geschütz,
aber die vier hatten im Wintersturm nicht nur ihre Pflicht getan, sondern
mich Glück gehabt und in der dunkeln Januarnacht selbst schon verzweifelnd
mit der sechsten Kugel den drei verstummenden Menschen draußen bei dem
verglimmenden Lichte die schwanke Brücke zum Leben über das Schiff gelegt.
Nun aber dachten sie der Nacht nicht mehr, der Tag war zu hell, der Fischer
trug auf dem ergrauenden Kopfe die letzte gute Mütze aus der Stettiner Zeit,
und zufrieden musterte der Leuchtturmwärter seine Schar im hellen Lichte, aber
der Sonnenschein, der seine Seele füllte und aus seinen Augen leuchtete, war
nicht von jenem Tage, sondern aus der schönen Zeit, als er noch bei der
ersten Sechspfünderbatteric in Stettin Geschützführer war.

Drüben am Norderstrand ragte schon das Ziel, drei an der Spitze durch
ein Tau verbundne Flaggenstangen, die die Takelage eines gestrandeten Schiffes
darstellten. Zweihundert, dreihundert Schritt davon fuhr das Geschütz auf.
Der Mörser wurde herabgenommen und auf einer Bettung oder auf einem
rasch geebneten Strandfleck aufgestellt. Nun galt es noch die Rettungsleine
in Schlangenlinien auf dem Boden ueben dem Geschütz auszubreiten, die
Kugel mit der Leine zu verbinden, zu laden, zu richten, und dann setzte der
Leuchtturmwürter die Lunte auf die Stoppine, und der Schuß krachte. Meist
traf bei diesen Übungen die Bombe das Ziel, das heißt, sie fiel jenseits der
durch die Flaggenstangen bezeichneten Schiffsbreite nieder, sodaß die Leine auf
dem Tau liegen blieb, das die Stangen verband. Doch kam es auch vor,
daß die Kugel vor dem Ziele niederfiel, dann änderte man die Elevation und
die Pulverladung, bis die Kugel die Leine über das Ziel trug. Nicht selten
brach auch eine Leine, weil sie trotz der Sorgfalt, womit sie vor dem Gebrauch
gebeizt und nach dem Gebrauch getrocknet worden war, zu mürbe war, oder
weil sie beim Auffliegen eine Schlinge bildete. Dann fand die Kugel den
Weg ins Meer.

Mit der Musterung der Geräte und mit der Schießübung waren die beiden
ersten Aufgaben der inspizierenden Beamten erledigt. Nun galt es noch mit
Jvlltau, Trosse, Steertblock und Kinnbackblock markierte Schiffbrüchige ans
Land zu befördern. Diese Übung bildete für die Jugend des Stranddorfes
den Höhepunkt des ganzen Tags.

Das Geäst einer Föhre stellte das Takelwerk eines Wracks dar, die Fischer-
bnben enterten hinauf, zogen an der Rettungsleine die Trosse, das Jolltau
und die Blöcke heran und ließen sich, nachdem sie den Apparat kunstgerecht
angebracht hatten, in der Schlinge des Kiunbackblocks das Spcmntau entlang


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[0469] Die preußische Artillerie im Dienste des Mstcnrettung5wesens gesandter der Regierung beigesellte, Diensternst und Artilleristenstolz im An¬ gesicht, sein Geschütz aus dem Schuppen schaffte. Ein Fischer, mit dem ihn der Stolz auf den schwarzen Kragen, den beide getragen hatten, verband, half ihm den Mörser, das Tauwerk und den Schießbedarf auf deu Wagen heben, des Försters Schimmel, das einzige Pferd, das auf der Spitze der Halbinsel wieherte, zog an. Klein war die Truppe, zwei Mann, ein Pferd, ein Geschütz, aber die vier hatten im Wintersturm nicht nur ihre Pflicht getan, sondern mich Glück gehabt und in der dunkeln Januarnacht selbst schon verzweifelnd mit der sechsten Kugel den drei verstummenden Menschen draußen bei dem verglimmenden Lichte die schwanke Brücke zum Leben über das Schiff gelegt. Nun aber dachten sie der Nacht nicht mehr, der Tag war zu hell, der Fischer trug auf dem ergrauenden Kopfe die letzte gute Mütze aus der Stettiner Zeit, und zufrieden musterte der Leuchtturmwärter seine Schar im hellen Lichte, aber der Sonnenschein, der seine Seele füllte und aus seinen Augen leuchtete, war nicht von jenem Tage, sondern aus der schönen Zeit, als er noch bei der ersten Sechspfünderbatteric in Stettin Geschützführer war. Drüben am Norderstrand ragte schon das Ziel, drei an der Spitze durch ein Tau verbundne Flaggenstangen, die die Takelage eines gestrandeten Schiffes darstellten. Zweihundert, dreihundert Schritt davon fuhr das Geschütz auf. Der Mörser wurde herabgenommen und auf einer Bettung oder auf einem rasch geebneten Strandfleck aufgestellt. Nun galt es noch die Rettungsleine in Schlangenlinien auf dem Boden ueben dem Geschütz auszubreiten, die Kugel mit der Leine zu verbinden, zu laden, zu richten, und dann setzte der Leuchtturmwürter die Lunte auf die Stoppine, und der Schuß krachte. Meist traf bei diesen Übungen die Bombe das Ziel, das heißt, sie fiel jenseits der durch die Flaggenstangen bezeichneten Schiffsbreite nieder, sodaß die Leine auf dem Tau liegen blieb, das die Stangen verband. Doch kam es auch vor, daß die Kugel vor dem Ziele niederfiel, dann änderte man die Elevation und die Pulverladung, bis die Kugel die Leine über das Ziel trug. Nicht selten brach auch eine Leine, weil sie trotz der Sorgfalt, womit sie vor dem Gebrauch gebeizt und nach dem Gebrauch getrocknet worden war, zu mürbe war, oder weil sie beim Auffliegen eine Schlinge bildete. Dann fand die Kugel den Weg ins Meer. Mit der Musterung der Geräte und mit der Schießübung waren die beiden ersten Aufgaben der inspizierenden Beamten erledigt. Nun galt es noch mit Jvlltau, Trosse, Steertblock und Kinnbackblock markierte Schiffbrüchige ans Land zu befördern. Diese Übung bildete für die Jugend des Stranddorfes den Höhepunkt des ganzen Tags. Das Geäst einer Föhre stellte das Takelwerk eines Wracks dar, die Fischer- bnben enterten hinauf, zogen an der Rettungsleine die Trosse, das Jolltau und die Blöcke heran und ließen sich, nachdem sie den Apparat kunstgerecht angebracht hatten, in der Schlinge des Kiunbackblocks das Spcmntau entlang

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/469>, abgerufen am 20.06.2024.