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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Aus dein griechischen Erzgebirge

Apotheose der Waldeinsamkeit vernommen hat, den wird ein jubelndes Gefühl
überkommen, wenn er jetzt, nach über sechzig Jahren, den Spuren eines jüngern
Forschers folgt, der jene lange vernachlässigten Gebiete der alten Erz- und
Waldgebirge Griechenlands, die Chalkidike, mit offnen Augen und Sinnen
für alle ihre Schönheiten und Merkwürdigkeiten durchstreift und seine Be¬
obachtungen in einem anspruchslosen und doch so ansprechenden Schriftchen
niedergelegt hat.*) Denn jetzt sehen wir, daß Fallmerayers bangende Furcht
um das Schicksal der chalkidischen Waldgrunde nicht begründet war, daß ihre
Pracht und Üppigkeit noch jetzt den Wandrer mit Entzücken erfüllt. Wer das
Los des Waldes im Orient kennt, wer seine mutwillige Verwüstung geschaut
hat, der wird angesichts dieser neuen Schilderungen ein stilles Dankgebet gen
Himmel senden und zugleich allen Freunden der griechischen Landschaft laute
Kunde geben von der Neuentdeckung einer ihrer verborgensten Kleinodien.

Denn Struck hat, was auch Fallmerayer und viele andre nach ihm nicht
getan haben, die ganze Chalkidike mit Ausnahme des Athos durchforscht und
damit einen Überblick über ihren Gesamtcharakter ermöglicht, in landschaftlicher,
geo- und ethnographischer, wirtschaftlicher und historisch-antiquarischer Hinsicht
gegeben. Wir greifen einiges davon heraus, bringen in innern Zusammen¬
hang, was in der Form eines Reiseberichts auseinanderfiel, und werfen einige
vergleichende Rückblicke auf die frühere Reiseliteratur.

Des Lobes voll ist auch unser Gewährsmann über das Landschaftsbild
der Chalkidike. Das gilt zumal von dem Rumpf der Halbinsel, und zwar
weniger von ihrem westlichen Teile, der mehr das Gepräge einer südlichen
Kulturlandschaft zeigt mit Gruppen von Oliven, Platanen und Zypressen, als
von dem erzhaltigen Cholomondagebirge im Osten, das durch dichte Kastanien-,
Eichen- und Buchenwaldungen schon Fallmerayers Entzücken erregte und stellen¬
weise ganz den Charakter eines Urwaldes annimmt. Die Perle dieser Gegend
ist das Gebiet zwischen den Dörfern Nawenikia und Larigowi (Struck S. 17
und 21; vgl. Fallmerayer S. 273 und 275), das durch seine Riesenkastanien
berühmt ist, und wo es noch starke Wildbestände von Hirschen, Rehen und
Wildschweinen gibt. Die drei südlichen Landzungen, Ajon Oros, Longos und
Kassandra (im Altertum Akte, Sithonia, Pallene) Stufen sich in ihrem Wald-
reichtum von Osten nach Westen ab: Ajon Oros ein romantischer Walddom,
den Fallmerayer so unnachahmlich beschrieben hat, mit weichern, rundem
Formen, Longos von rauheren, wildromantischem Charakter und mit ebenfalls
noch wildreichen Waldbeständen von Fichten, Platanen, Buchen, Erdbeerbäumen
und Steineichen (Struck S. 61), endlich Kassandra, waldarm und, land¬
schaftlich dem westlichen Rumpfstück entsprechend, nur Kulturland ohne hohe
Gebirgszüge.



*) Adolf Struck, Makedonische Fahrten. I- Chalkidike. Zur Kunde der Balkanhalbinsel.
Heft 4, 83 S. Wien und Leipzig, Hartleben, 1907.
Aus dein griechischen Erzgebirge

Apotheose der Waldeinsamkeit vernommen hat, den wird ein jubelndes Gefühl
überkommen, wenn er jetzt, nach über sechzig Jahren, den Spuren eines jüngern
Forschers folgt, der jene lange vernachlässigten Gebiete der alten Erz- und
Waldgebirge Griechenlands, die Chalkidike, mit offnen Augen und Sinnen
für alle ihre Schönheiten und Merkwürdigkeiten durchstreift und seine Be¬
obachtungen in einem anspruchslosen und doch so ansprechenden Schriftchen
niedergelegt hat.*) Denn jetzt sehen wir, daß Fallmerayers bangende Furcht
um das Schicksal der chalkidischen Waldgrunde nicht begründet war, daß ihre
Pracht und Üppigkeit noch jetzt den Wandrer mit Entzücken erfüllt. Wer das
Los des Waldes im Orient kennt, wer seine mutwillige Verwüstung geschaut
hat, der wird angesichts dieser neuen Schilderungen ein stilles Dankgebet gen
Himmel senden und zugleich allen Freunden der griechischen Landschaft laute
Kunde geben von der Neuentdeckung einer ihrer verborgensten Kleinodien.

Denn Struck hat, was auch Fallmerayer und viele andre nach ihm nicht
getan haben, die ganze Chalkidike mit Ausnahme des Athos durchforscht und
damit einen Überblick über ihren Gesamtcharakter ermöglicht, in landschaftlicher,
geo- und ethnographischer, wirtschaftlicher und historisch-antiquarischer Hinsicht
gegeben. Wir greifen einiges davon heraus, bringen in innern Zusammen¬
hang, was in der Form eines Reiseberichts auseinanderfiel, und werfen einige
vergleichende Rückblicke auf die frühere Reiseliteratur.

Des Lobes voll ist auch unser Gewährsmann über das Landschaftsbild
der Chalkidike. Das gilt zumal von dem Rumpf der Halbinsel, und zwar
weniger von ihrem westlichen Teile, der mehr das Gepräge einer südlichen
Kulturlandschaft zeigt mit Gruppen von Oliven, Platanen und Zypressen, als
von dem erzhaltigen Cholomondagebirge im Osten, das durch dichte Kastanien-,
Eichen- und Buchenwaldungen schon Fallmerayers Entzücken erregte und stellen¬
weise ganz den Charakter eines Urwaldes annimmt. Die Perle dieser Gegend
ist das Gebiet zwischen den Dörfern Nawenikia und Larigowi (Struck S. 17
und 21; vgl. Fallmerayer S. 273 und 275), das durch seine Riesenkastanien
berühmt ist, und wo es noch starke Wildbestände von Hirschen, Rehen und
Wildschweinen gibt. Die drei südlichen Landzungen, Ajon Oros, Longos und
Kassandra (im Altertum Akte, Sithonia, Pallene) Stufen sich in ihrem Wald-
reichtum von Osten nach Westen ab: Ajon Oros ein romantischer Walddom,
den Fallmerayer so unnachahmlich beschrieben hat, mit weichern, rundem
Formen, Longos von rauheren, wildromantischem Charakter und mit ebenfalls
noch wildreichen Waldbeständen von Fichten, Platanen, Buchen, Erdbeerbäumen
und Steineichen (Struck S. 61), endlich Kassandra, waldarm und, land¬
schaftlich dem westlichen Rumpfstück entsprechend, nur Kulturland ohne hohe
Gebirgszüge.



*) Adolf Struck, Makedonische Fahrten. I- Chalkidike. Zur Kunde der Balkanhalbinsel.
Heft 4, 83 S. Wien und Leipzig, Hartleben, 1907.
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[0337] Aus dein griechischen Erzgebirge Apotheose der Waldeinsamkeit vernommen hat, den wird ein jubelndes Gefühl überkommen, wenn er jetzt, nach über sechzig Jahren, den Spuren eines jüngern Forschers folgt, der jene lange vernachlässigten Gebiete der alten Erz- und Waldgebirge Griechenlands, die Chalkidike, mit offnen Augen und Sinnen für alle ihre Schönheiten und Merkwürdigkeiten durchstreift und seine Be¬ obachtungen in einem anspruchslosen und doch so ansprechenden Schriftchen niedergelegt hat.*) Denn jetzt sehen wir, daß Fallmerayers bangende Furcht um das Schicksal der chalkidischen Waldgrunde nicht begründet war, daß ihre Pracht und Üppigkeit noch jetzt den Wandrer mit Entzücken erfüllt. Wer das Los des Waldes im Orient kennt, wer seine mutwillige Verwüstung geschaut hat, der wird angesichts dieser neuen Schilderungen ein stilles Dankgebet gen Himmel senden und zugleich allen Freunden der griechischen Landschaft laute Kunde geben von der Neuentdeckung einer ihrer verborgensten Kleinodien. Denn Struck hat, was auch Fallmerayer und viele andre nach ihm nicht getan haben, die ganze Chalkidike mit Ausnahme des Athos durchforscht und damit einen Überblick über ihren Gesamtcharakter ermöglicht, in landschaftlicher, geo- und ethnographischer, wirtschaftlicher und historisch-antiquarischer Hinsicht gegeben. Wir greifen einiges davon heraus, bringen in innern Zusammen¬ hang, was in der Form eines Reiseberichts auseinanderfiel, und werfen einige vergleichende Rückblicke auf die frühere Reiseliteratur. Des Lobes voll ist auch unser Gewährsmann über das Landschaftsbild der Chalkidike. Das gilt zumal von dem Rumpf der Halbinsel, und zwar weniger von ihrem westlichen Teile, der mehr das Gepräge einer südlichen Kulturlandschaft zeigt mit Gruppen von Oliven, Platanen und Zypressen, als von dem erzhaltigen Cholomondagebirge im Osten, das durch dichte Kastanien-, Eichen- und Buchenwaldungen schon Fallmerayers Entzücken erregte und stellen¬ weise ganz den Charakter eines Urwaldes annimmt. Die Perle dieser Gegend ist das Gebiet zwischen den Dörfern Nawenikia und Larigowi (Struck S. 17 und 21; vgl. Fallmerayer S. 273 und 275), das durch seine Riesenkastanien berühmt ist, und wo es noch starke Wildbestände von Hirschen, Rehen und Wildschweinen gibt. Die drei südlichen Landzungen, Ajon Oros, Longos und Kassandra (im Altertum Akte, Sithonia, Pallene) Stufen sich in ihrem Wald- reichtum von Osten nach Westen ab: Ajon Oros ein romantischer Walddom, den Fallmerayer so unnachahmlich beschrieben hat, mit weichern, rundem Formen, Longos von rauheren, wildromantischem Charakter und mit ebenfalls noch wildreichen Waldbeständen von Fichten, Platanen, Buchen, Erdbeerbäumen und Steineichen (Struck S. 61), endlich Kassandra, waldarm und, land¬ schaftlich dem westlichen Rumpfstück entsprechend, nur Kulturland ohne hohe Gebirgszüge. *) Adolf Struck, Makedonische Fahrten. I- Chalkidike. Zur Kunde der Balkanhalbinsel. Heft 4, 83 S. Wien und Leipzig, Hartleben, 1907.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/337>, abgerufen am 24.07.2024.