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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Fürstin Pauline zur Lippe

Schwester und Witwe regierender Fürsten" kam es hart an, "Untertanin von
ihresgleichen zu werden". Und vor allem: sie hatte als Regentin eidlich gelobt,
ihrem Sohne alle seine Rechte zu erhalten, und wollte ihre Seele nicht mit
einem Meineid belasten. Aber auch für das Land selbst erschien ihr die Mediati-
sierung nicht heilsam: "Wo bleibt das liebliche Bild einer freundlich geleiteten,
glücklichen, zu übersehenden Familie, was nur kleine Länder bieten? Es wäre
für ewig verlöscht." Nicht gewöhnlicher engherziger Kleinstaatgeist spricht sich
in diesen Worten aus. Das Land Lippe konnte mit den zahllosen, zum Teil
arg verrotteten politischen Existenzen, die der eiserne Besen des Korsen vom
Reichsboden hinweggefegt hatte, nicht verglichen werden: Pauline verdiente
Herrscherin zu sein und zu bleiben. Für unser nationales Empfinden aber ist
es noch heute schmerzlich, daß ihr in dem Kampfe um ihre Selbsterhaltung
nichts andres übrig blieb, als sich Napoleon in die Arme zu werfen und so,
wie sie es selbst in einer Denkschrift ausdrückt, ihr kleines hilfloses Fahrzeug
"dem prächtigen, stolzen Kriegsschiff anzuvertrauen, das im Pompe des Sieges
sich bläht und einer ganzen ihm folgenden Flotte gebietet".

Noch vor Jena und Auerstedt bewarb sie sich um Aufnahme in den Rhein¬
bund. Daß sie es in ihren Gesuchen an Schmeicheleien gegen den Gewaltigen
nicht fehlen ließ, ist wohl begreiflich. Die Fürstenbriefe an Napoleon gehören
bekanntlich zu den betrübendsten Erscheinungen der deutschen Geschichte. Aber
auch hier weiß Pauline in die herkömmliche Melodie noch eine eigne Note zu
bringen. "Nur Eure Majestät, so schreibt sie, versteht es, den Erdkreis zu be¬
herrschen und noch bis in die kleinsten Einzelheiten mit Wohltaten zu über¬
häufen. ... Das beigefügte Memoire ist ohne Kunst und Beredsamkeit ge¬
schrieben; das Herz allein hat es diktiert, und ich habe keine fremde Feder dazu
entliehen, da es sich um meine geheimsten Gefühle handelte." Trotzdem ge¬
langte Pauline erst nach vielen Schwierigkeiten und nur mit knapper Not an
das ersehnte Ziel. Napoleon hatte keine große Lust, diese politischen Zwerg¬
gebilde Norddeutschlands zu erhalten, überließ aber die gleichgiltige Sache seinen
Unterbeamten, und einer von diesen war gutmütig genug, auf die Wünsche des
geschickten nassauischen Staatsmanns Hans von Gagern einzugehn. Der Kaiser
schalt nachher sogar darüber, daß er getäuscht worden sei. Pauline aber wußte,
warum sie diesmal mit Geld und Geschenken für die gefälligen Unterhändler
nicht sparte. Als sie im April 1807 endlich in den Rheinbund aufgenommen
worden war, verkündigte sie ihren Untertanen mit stolzer Freude, daß sie ihnen
"künftige Ruhe und bleibende Selbständigkeit durch mächtigen und kraftvollen
Schutz" gesichert habe.

Ganz ungetrübt war freilich diese Freude nicht. Napoleon stellte sehr
hohe Anforderungen an seine Vasallen. Lippe, das nach der alten Reichs¬
matrikel im Kriegsfalle 274 Mann zur Reichsarmee geschickt hatte, mußte jetzt
ein Kontingent von 500 Mann zur steten Verfügung des mächtigen Protektors
unterhalten. Das waren schmerzliche Opfer für die treue Landesmutter, be-


Fürstin Pauline zur Lippe

Schwester und Witwe regierender Fürsten" kam es hart an, „Untertanin von
ihresgleichen zu werden". Und vor allem: sie hatte als Regentin eidlich gelobt,
ihrem Sohne alle seine Rechte zu erhalten, und wollte ihre Seele nicht mit
einem Meineid belasten. Aber auch für das Land selbst erschien ihr die Mediati-
sierung nicht heilsam: „Wo bleibt das liebliche Bild einer freundlich geleiteten,
glücklichen, zu übersehenden Familie, was nur kleine Länder bieten? Es wäre
für ewig verlöscht." Nicht gewöhnlicher engherziger Kleinstaatgeist spricht sich
in diesen Worten aus. Das Land Lippe konnte mit den zahllosen, zum Teil
arg verrotteten politischen Existenzen, die der eiserne Besen des Korsen vom
Reichsboden hinweggefegt hatte, nicht verglichen werden: Pauline verdiente
Herrscherin zu sein und zu bleiben. Für unser nationales Empfinden aber ist
es noch heute schmerzlich, daß ihr in dem Kampfe um ihre Selbsterhaltung
nichts andres übrig blieb, als sich Napoleon in die Arme zu werfen und so,
wie sie es selbst in einer Denkschrift ausdrückt, ihr kleines hilfloses Fahrzeug
„dem prächtigen, stolzen Kriegsschiff anzuvertrauen, das im Pompe des Sieges
sich bläht und einer ganzen ihm folgenden Flotte gebietet".

Noch vor Jena und Auerstedt bewarb sie sich um Aufnahme in den Rhein¬
bund. Daß sie es in ihren Gesuchen an Schmeicheleien gegen den Gewaltigen
nicht fehlen ließ, ist wohl begreiflich. Die Fürstenbriefe an Napoleon gehören
bekanntlich zu den betrübendsten Erscheinungen der deutschen Geschichte. Aber
auch hier weiß Pauline in die herkömmliche Melodie noch eine eigne Note zu
bringen. „Nur Eure Majestät, so schreibt sie, versteht es, den Erdkreis zu be¬
herrschen und noch bis in die kleinsten Einzelheiten mit Wohltaten zu über¬
häufen. ... Das beigefügte Memoire ist ohne Kunst und Beredsamkeit ge¬
schrieben; das Herz allein hat es diktiert, und ich habe keine fremde Feder dazu
entliehen, da es sich um meine geheimsten Gefühle handelte." Trotzdem ge¬
langte Pauline erst nach vielen Schwierigkeiten und nur mit knapper Not an
das ersehnte Ziel. Napoleon hatte keine große Lust, diese politischen Zwerg¬
gebilde Norddeutschlands zu erhalten, überließ aber die gleichgiltige Sache seinen
Unterbeamten, und einer von diesen war gutmütig genug, auf die Wünsche des
geschickten nassauischen Staatsmanns Hans von Gagern einzugehn. Der Kaiser
schalt nachher sogar darüber, daß er getäuscht worden sei. Pauline aber wußte,
warum sie diesmal mit Geld und Geschenken für die gefälligen Unterhändler
nicht sparte. Als sie im April 1807 endlich in den Rheinbund aufgenommen
worden war, verkündigte sie ihren Untertanen mit stolzer Freude, daß sie ihnen
„künftige Ruhe und bleibende Selbständigkeit durch mächtigen und kraftvollen
Schutz" gesichert habe.

Ganz ungetrübt war freilich diese Freude nicht. Napoleon stellte sehr
hohe Anforderungen an seine Vasallen. Lippe, das nach der alten Reichs¬
matrikel im Kriegsfalle 274 Mann zur Reichsarmee geschickt hatte, mußte jetzt
ein Kontingent von 500 Mann zur steten Verfügung des mächtigen Protektors
unterhalten. Das waren schmerzliche Opfer für die treue Landesmutter, be-


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[0329] Fürstin Pauline zur Lippe Schwester und Witwe regierender Fürsten" kam es hart an, „Untertanin von ihresgleichen zu werden". Und vor allem: sie hatte als Regentin eidlich gelobt, ihrem Sohne alle seine Rechte zu erhalten, und wollte ihre Seele nicht mit einem Meineid belasten. Aber auch für das Land selbst erschien ihr die Mediati- sierung nicht heilsam: „Wo bleibt das liebliche Bild einer freundlich geleiteten, glücklichen, zu übersehenden Familie, was nur kleine Länder bieten? Es wäre für ewig verlöscht." Nicht gewöhnlicher engherziger Kleinstaatgeist spricht sich in diesen Worten aus. Das Land Lippe konnte mit den zahllosen, zum Teil arg verrotteten politischen Existenzen, die der eiserne Besen des Korsen vom Reichsboden hinweggefegt hatte, nicht verglichen werden: Pauline verdiente Herrscherin zu sein und zu bleiben. Für unser nationales Empfinden aber ist es noch heute schmerzlich, daß ihr in dem Kampfe um ihre Selbsterhaltung nichts andres übrig blieb, als sich Napoleon in die Arme zu werfen und so, wie sie es selbst in einer Denkschrift ausdrückt, ihr kleines hilfloses Fahrzeug „dem prächtigen, stolzen Kriegsschiff anzuvertrauen, das im Pompe des Sieges sich bläht und einer ganzen ihm folgenden Flotte gebietet". Noch vor Jena und Auerstedt bewarb sie sich um Aufnahme in den Rhein¬ bund. Daß sie es in ihren Gesuchen an Schmeicheleien gegen den Gewaltigen nicht fehlen ließ, ist wohl begreiflich. Die Fürstenbriefe an Napoleon gehören bekanntlich zu den betrübendsten Erscheinungen der deutschen Geschichte. Aber auch hier weiß Pauline in die herkömmliche Melodie noch eine eigne Note zu bringen. „Nur Eure Majestät, so schreibt sie, versteht es, den Erdkreis zu be¬ herrschen und noch bis in die kleinsten Einzelheiten mit Wohltaten zu über¬ häufen. ... Das beigefügte Memoire ist ohne Kunst und Beredsamkeit ge¬ schrieben; das Herz allein hat es diktiert, und ich habe keine fremde Feder dazu entliehen, da es sich um meine geheimsten Gefühle handelte." Trotzdem ge¬ langte Pauline erst nach vielen Schwierigkeiten und nur mit knapper Not an das ersehnte Ziel. Napoleon hatte keine große Lust, diese politischen Zwerg¬ gebilde Norddeutschlands zu erhalten, überließ aber die gleichgiltige Sache seinen Unterbeamten, und einer von diesen war gutmütig genug, auf die Wünsche des geschickten nassauischen Staatsmanns Hans von Gagern einzugehn. Der Kaiser schalt nachher sogar darüber, daß er getäuscht worden sei. Pauline aber wußte, warum sie diesmal mit Geld und Geschenken für die gefälligen Unterhändler nicht sparte. Als sie im April 1807 endlich in den Rheinbund aufgenommen worden war, verkündigte sie ihren Untertanen mit stolzer Freude, daß sie ihnen „künftige Ruhe und bleibende Selbständigkeit durch mächtigen und kraftvollen Schutz" gesichert habe. Ganz ungetrübt war freilich diese Freude nicht. Napoleon stellte sehr hohe Anforderungen an seine Vasallen. Lippe, das nach der alten Reichs¬ matrikel im Kriegsfalle 274 Mann zur Reichsarmee geschickt hatte, mußte jetzt ein Kontingent von 500 Mann zur steten Verfügung des mächtigen Protektors unterhalten. Das waren schmerzliche Opfer für die treue Landesmutter, be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/329>, abgerufen am 24.07.2024.