Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Fürstin j?anime zur Lippe

werte Menschen, ist ihr Auge dem Licht und der Wahrheit eröffnet, so wird
der Verlust des Hermelins sie nicht unglücklicher machen."

Diese philosophische Ergebenheit hindert sie aber nicht, so tapfer wie möglich
um die Selbständigkeit ihres kleinen Landes zu kämpfen. Als der schlimmste
Feind galt ihr nach wie vor der preußische Nachbar, und dieser stellte bei der
Mobilmachung von 1805 wieder recht hohe und unliebsame Forderungen, denen
sich Pauline immer nur schweren Herzens fügte. Die Berliner Regierung be¬
nahm sich so rücksichtslos, als ob Lippe schon ein preußischer Kreis geworden
wäre. Vielleicht würde die Fürstin dem Willen der Großmacht leichter nach¬
gegeben haben, wenn diese wirklich als Großmacht gehandelt und ihre eigne
und Deutschlands Ehre besser gewahrt hätte. Sehr treffend vergleicht sie das
Preußen von 1806, das Preußen des Schönbrunner und Pariser Vertrags,
mit einer von heftigen Stürmen schon arg initgenommnen Flotte. Schon im
März 1806 suchte sie, zunächst vergeblich, mit Napoleon Fühlung zu gewinnen.
Auch an eine Reise nach Paris dachte sie. Und obwohl schon vier Jahre vorher
zahlreiche deutsche Fürsten, unter ihnen ein Schwager des preußischen Königs,
dem ersten Konsul in Se. Cloud ihre Aufwartung gemacht hatten, obwohl sich
das unwürdige Schauspiel im Herbst 1804 vor dem neuen Kaiser in Mainz
wiederholt hatte, hielt sie es doch noch für nötig, sich vor den Holsteiner
Freunden gewissermaßen zu entschuldigen: sie wollte in deren Augen nicht als
frivol und zu dienstfertig (prompte) erscheinen. Aber es handelte sich nicht um
ihr eignes Schicksal; sie war Mutter und Vormünderin, und nichts, weder die
Rücksicht auf ihre Gesundheit noch persönliche Bedenken (ä^M-örriMtL) würden
sie von dieser Reise zurückgehalten haben, wenn sie damit ihren Kindern ge¬
nützt hätte. Doch vorläufig war das Schlimmste noch glücklich verhütet. Der
russische Kaiser hatte sie, wie sie meint, vor den Klauen des schwarzen Adlers
gerettet: sie konnte noch einmal Atem schöpfen. Das war Ende April. Dann
erfolgte die Gründung des Rheinbundes. Ein neuer unerhörter Gewaltstreich ver¬
nichtete die politische Selbständigkeit zahlreicher Reichsstände im deutschen Süden
und Westen. Was den Fürstenbergs und Hohenlohes zugestoßen war, konnte jeden
Augenblick auch Lippe-Detmold treffen. Preußen bemühte sich jetzt, dem Rhein¬
bund einen norddeutschen Bund entgegenzustellen. Dem Ehrgeiz und der Lünder-
sucht der beiden wichtigsten Mittelstaaten, Sachsen und Hessen, mußten einige
Zugeständnisse gemacht werden. Kein Zweifel, daß auch hier die Kleinern auf¬
geopfert werden sollten. Der Kurfürst von Hessen-Kassel warf sein Auge auf
die beiden Lippe und Waldeck-Pyrmont. Das Unwetter der Mediatisierung zog
drohend auch über Norddeutschland herauf.

Paulinen blieben diese geheimen Verhandlungen zwischen Berlin und Kassel
nicht verborgen. Im August 1806 machte sie sich auf das Einrücken hessischer
Truppen gefaßt und war entschlossen, in diesem Falle sofort nach Paris zu
gehn. Das fürstliche Blut regte sich in ihr, so sehr sie noch vor gar nicht so
langer Zeit die Vorzüge des Privatstandes gepriesen hatte. Der "Tochter,


Fürstin j?anime zur Lippe

werte Menschen, ist ihr Auge dem Licht und der Wahrheit eröffnet, so wird
der Verlust des Hermelins sie nicht unglücklicher machen."

Diese philosophische Ergebenheit hindert sie aber nicht, so tapfer wie möglich
um die Selbständigkeit ihres kleinen Landes zu kämpfen. Als der schlimmste
Feind galt ihr nach wie vor der preußische Nachbar, und dieser stellte bei der
Mobilmachung von 1805 wieder recht hohe und unliebsame Forderungen, denen
sich Pauline immer nur schweren Herzens fügte. Die Berliner Regierung be¬
nahm sich so rücksichtslos, als ob Lippe schon ein preußischer Kreis geworden
wäre. Vielleicht würde die Fürstin dem Willen der Großmacht leichter nach¬
gegeben haben, wenn diese wirklich als Großmacht gehandelt und ihre eigne
und Deutschlands Ehre besser gewahrt hätte. Sehr treffend vergleicht sie das
Preußen von 1806, das Preußen des Schönbrunner und Pariser Vertrags,
mit einer von heftigen Stürmen schon arg initgenommnen Flotte. Schon im
März 1806 suchte sie, zunächst vergeblich, mit Napoleon Fühlung zu gewinnen.
Auch an eine Reise nach Paris dachte sie. Und obwohl schon vier Jahre vorher
zahlreiche deutsche Fürsten, unter ihnen ein Schwager des preußischen Königs,
dem ersten Konsul in Se. Cloud ihre Aufwartung gemacht hatten, obwohl sich
das unwürdige Schauspiel im Herbst 1804 vor dem neuen Kaiser in Mainz
wiederholt hatte, hielt sie es doch noch für nötig, sich vor den Holsteiner
Freunden gewissermaßen zu entschuldigen: sie wollte in deren Augen nicht als
frivol und zu dienstfertig (prompte) erscheinen. Aber es handelte sich nicht um
ihr eignes Schicksal; sie war Mutter und Vormünderin, und nichts, weder die
Rücksicht auf ihre Gesundheit noch persönliche Bedenken (ä^M-örriMtL) würden
sie von dieser Reise zurückgehalten haben, wenn sie damit ihren Kindern ge¬
nützt hätte. Doch vorläufig war das Schlimmste noch glücklich verhütet. Der
russische Kaiser hatte sie, wie sie meint, vor den Klauen des schwarzen Adlers
gerettet: sie konnte noch einmal Atem schöpfen. Das war Ende April. Dann
erfolgte die Gründung des Rheinbundes. Ein neuer unerhörter Gewaltstreich ver¬
nichtete die politische Selbständigkeit zahlreicher Reichsstände im deutschen Süden
und Westen. Was den Fürstenbergs und Hohenlohes zugestoßen war, konnte jeden
Augenblick auch Lippe-Detmold treffen. Preußen bemühte sich jetzt, dem Rhein¬
bund einen norddeutschen Bund entgegenzustellen. Dem Ehrgeiz und der Lünder-
sucht der beiden wichtigsten Mittelstaaten, Sachsen und Hessen, mußten einige
Zugeständnisse gemacht werden. Kein Zweifel, daß auch hier die Kleinern auf¬
geopfert werden sollten. Der Kurfürst von Hessen-Kassel warf sein Auge auf
die beiden Lippe und Waldeck-Pyrmont. Das Unwetter der Mediatisierung zog
drohend auch über Norddeutschland herauf.

Paulinen blieben diese geheimen Verhandlungen zwischen Berlin und Kassel
nicht verborgen. Im August 1806 machte sie sich auf das Einrücken hessischer
Truppen gefaßt und war entschlossen, in diesem Falle sofort nach Paris zu
gehn. Das fürstliche Blut regte sich in ihr, so sehr sie noch vor gar nicht so
langer Zeit die Vorzüge des Privatstandes gepriesen hatte. Der „Tochter,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0328" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312015"/>
          <fw type="header" place="top"> Fürstin j?anime zur Lippe</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1326" prev="#ID_1325"> werte Menschen, ist ihr Auge dem Licht und der Wahrheit eröffnet, so wird<lb/>
der Verlust des Hermelins sie nicht unglücklicher machen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1327"> Diese philosophische Ergebenheit hindert sie aber nicht, so tapfer wie möglich<lb/>
um die Selbständigkeit ihres kleinen Landes zu kämpfen. Als der schlimmste<lb/>
Feind galt ihr nach wie vor der preußische Nachbar, und dieser stellte bei der<lb/>
Mobilmachung von 1805 wieder recht hohe und unliebsame Forderungen, denen<lb/>
sich Pauline immer nur schweren Herzens fügte. Die Berliner Regierung be¬<lb/>
nahm sich so rücksichtslos, als ob Lippe schon ein preußischer Kreis geworden<lb/>
wäre. Vielleicht würde die Fürstin dem Willen der Großmacht leichter nach¬<lb/>
gegeben haben, wenn diese wirklich als Großmacht gehandelt und ihre eigne<lb/>
und Deutschlands Ehre besser gewahrt hätte. Sehr treffend vergleicht sie das<lb/>
Preußen von 1806, das Preußen des Schönbrunner und Pariser Vertrags,<lb/>
mit einer von heftigen Stürmen schon arg initgenommnen Flotte. Schon im<lb/>
März 1806 suchte sie, zunächst vergeblich, mit Napoleon Fühlung zu gewinnen.<lb/>
Auch an eine Reise nach Paris dachte sie. Und obwohl schon vier Jahre vorher<lb/>
zahlreiche deutsche Fürsten, unter ihnen ein Schwager des preußischen Königs,<lb/>
dem ersten Konsul in Se. Cloud ihre Aufwartung gemacht hatten, obwohl sich<lb/>
das unwürdige Schauspiel im Herbst 1804 vor dem neuen Kaiser in Mainz<lb/>
wiederholt hatte, hielt sie es doch noch für nötig, sich vor den Holsteiner<lb/>
Freunden gewissermaßen zu entschuldigen: sie wollte in deren Augen nicht als<lb/>
frivol und zu dienstfertig (prompte) erscheinen. Aber es handelte sich nicht um<lb/>
ihr eignes Schicksal; sie war Mutter und Vormünderin, und nichts, weder die<lb/>
Rücksicht auf ihre Gesundheit noch persönliche Bedenken (ä^M-örriMtL) würden<lb/>
sie von dieser Reise zurückgehalten haben, wenn sie damit ihren Kindern ge¬<lb/>
nützt hätte. Doch vorläufig war das Schlimmste noch glücklich verhütet. Der<lb/>
russische Kaiser hatte sie, wie sie meint, vor den Klauen des schwarzen Adlers<lb/>
gerettet: sie konnte noch einmal Atem schöpfen. Das war Ende April. Dann<lb/>
erfolgte die Gründung des Rheinbundes. Ein neuer unerhörter Gewaltstreich ver¬<lb/>
nichtete die politische Selbständigkeit zahlreicher Reichsstände im deutschen Süden<lb/>
und Westen. Was den Fürstenbergs und Hohenlohes zugestoßen war, konnte jeden<lb/>
Augenblick auch Lippe-Detmold treffen. Preußen bemühte sich jetzt, dem Rhein¬<lb/>
bund einen norddeutschen Bund entgegenzustellen. Dem Ehrgeiz und der Lünder-<lb/>
sucht der beiden wichtigsten Mittelstaaten, Sachsen und Hessen, mußten einige<lb/>
Zugeständnisse gemacht werden. Kein Zweifel, daß auch hier die Kleinern auf¬<lb/>
geopfert werden sollten. Der Kurfürst von Hessen-Kassel warf sein Auge auf<lb/>
die beiden Lippe und Waldeck-Pyrmont. Das Unwetter der Mediatisierung zog<lb/>
drohend auch über Norddeutschland herauf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1328" next="#ID_1329"> Paulinen blieben diese geheimen Verhandlungen zwischen Berlin und Kassel<lb/>
nicht verborgen. Im August 1806 machte sie sich auf das Einrücken hessischer<lb/>
Truppen gefaßt und war entschlossen, in diesem Falle sofort nach Paris zu<lb/>
gehn. Das fürstliche Blut regte sich in ihr, so sehr sie noch vor gar nicht so<lb/>
langer Zeit die Vorzüge des Privatstandes gepriesen hatte.  Der &#x201E;Tochter,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0328] Fürstin j?anime zur Lippe werte Menschen, ist ihr Auge dem Licht und der Wahrheit eröffnet, so wird der Verlust des Hermelins sie nicht unglücklicher machen." Diese philosophische Ergebenheit hindert sie aber nicht, so tapfer wie möglich um die Selbständigkeit ihres kleinen Landes zu kämpfen. Als der schlimmste Feind galt ihr nach wie vor der preußische Nachbar, und dieser stellte bei der Mobilmachung von 1805 wieder recht hohe und unliebsame Forderungen, denen sich Pauline immer nur schweren Herzens fügte. Die Berliner Regierung be¬ nahm sich so rücksichtslos, als ob Lippe schon ein preußischer Kreis geworden wäre. Vielleicht würde die Fürstin dem Willen der Großmacht leichter nach¬ gegeben haben, wenn diese wirklich als Großmacht gehandelt und ihre eigne und Deutschlands Ehre besser gewahrt hätte. Sehr treffend vergleicht sie das Preußen von 1806, das Preußen des Schönbrunner und Pariser Vertrags, mit einer von heftigen Stürmen schon arg initgenommnen Flotte. Schon im März 1806 suchte sie, zunächst vergeblich, mit Napoleon Fühlung zu gewinnen. Auch an eine Reise nach Paris dachte sie. Und obwohl schon vier Jahre vorher zahlreiche deutsche Fürsten, unter ihnen ein Schwager des preußischen Königs, dem ersten Konsul in Se. Cloud ihre Aufwartung gemacht hatten, obwohl sich das unwürdige Schauspiel im Herbst 1804 vor dem neuen Kaiser in Mainz wiederholt hatte, hielt sie es doch noch für nötig, sich vor den Holsteiner Freunden gewissermaßen zu entschuldigen: sie wollte in deren Augen nicht als frivol und zu dienstfertig (prompte) erscheinen. Aber es handelte sich nicht um ihr eignes Schicksal; sie war Mutter und Vormünderin, und nichts, weder die Rücksicht auf ihre Gesundheit noch persönliche Bedenken (ä^M-örriMtL) würden sie von dieser Reise zurückgehalten haben, wenn sie damit ihren Kindern ge¬ nützt hätte. Doch vorläufig war das Schlimmste noch glücklich verhütet. Der russische Kaiser hatte sie, wie sie meint, vor den Klauen des schwarzen Adlers gerettet: sie konnte noch einmal Atem schöpfen. Das war Ende April. Dann erfolgte die Gründung des Rheinbundes. Ein neuer unerhörter Gewaltstreich ver¬ nichtete die politische Selbständigkeit zahlreicher Reichsstände im deutschen Süden und Westen. Was den Fürstenbergs und Hohenlohes zugestoßen war, konnte jeden Augenblick auch Lippe-Detmold treffen. Preußen bemühte sich jetzt, dem Rhein¬ bund einen norddeutschen Bund entgegenzustellen. Dem Ehrgeiz und der Lünder- sucht der beiden wichtigsten Mittelstaaten, Sachsen und Hessen, mußten einige Zugeständnisse gemacht werden. Kein Zweifel, daß auch hier die Kleinern auf¬ geopfert werden sollten. Der Kurfürst von Hessen-Kassel warf sein Auge auf die beiden Lippe und Waldeck-Pyrmont. Das Unwetter der Mediatisierung zog drohend auch über Norddeutschland herauf. Paulinen blieben diese geheimen Verhandlungen zwischen Berlin und Kassel nicht verborgen. Im August 1806 machte sie sich auf das Einrücken hessischer Truppen gefaßt und war entschlossen, in diesem Falle sofort nach Paris zu gehn. Das fürstliche Blut regte sich in ihr, so sehr sie noch vor gar nicht so langer Zeit die Vorzüge des Privatstandes gepriesen hatte. Der „Tochter,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/328
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/328>, abgerufen am 24.07.2024.