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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Das Tagebuch des Grafen Llmnenthal von ^870/71,

front befohlen^) und auch sofort mit der größten Energie begonnen wurde.
In diesem Sinne wurde zum Beispiel auch eine Anzahl Geschütze vom Süden
an den Nordangriff abgegeben. Die Batterien im Norden haben nicht nur,
wie sich nach der Übergabe zeigte, materiell einen sehr bedeutenden Erfolg ge¬
habt, sondern auch moralisch. Fürst Bismarck berichtete^), daß ihm die
französischen Unterhändler gesagt haben, die schnellen Fortschritte des Nord¬
angriffs hätten besonders dazu beigetragen, den Entschluß zur Kapitulation
zur Reife zu bringen, also das Ziel zu erreichen, das Moltke der Belagerungs¬
artillerie als Aufgabe gesetzt hatte.

Damit ist doch für jeden, der sich vorurteilsfrei über die Sachlage unter¬
richten will, der Beweis geliefert, daß von einem Zumstehnkommen des An¬
griffs, der allerdings einen Mißerfolg bedeuten würde, durchaus nicht die Rede
sein kann, sondern daß der Artillerieangriff trotz der feindlichen Überlegenheit
an Zahl seinen erfolgreichen Fortgang genommen hat. Und damit ist die er¬
freuliche Tatsache erwiesen, daß auch beim Angriff auf Paris, wie im ganzen
Feldzuge, die Leitung der Operationen durch den König und Moltke sachgemäß
und richtig war, und daß der Angriff von allen Truppenteilen mit voller
Hingebung und Tapferkeit und auch mit großem Erfolge durchgeführt wurde.

An diesem Urteil ändert auch der Umstand nichts, daß vor der voll¬
ständigen Durchführung des Angriffs die Lebensmittel in Paris zu Ende
gingen. Es war menschlich richtig und militärisch statthaft, deshalb die
Kapitulation abzuschließen. Es war von den französischen Machthabern sogar
klug, nicht bis zuletzt zu warten, wo sie jede Bedingung hätten annehmen
müssen, sondern daß sie sich hinreichende Zeit für Unterhandlungen sicherten.
Auf französischer Seite hebt man mit Recht als ruhmvoll hervor, daß nur der
Hunger zur Übergabe gezwungen habe; wenn das anch ans deutscher Seite,
und zwar sehr ostentativ geschieht, so erscheint das doch wenig angebracht.
Die Geschichte zeigt viele Beispiele, wie es in einer mit Heroismus verteidigten,
aber durch den Hunger bezwungnen Festung auszusehen pflegt. Auch Blumen-
thal spricht in seinem Tagebuch am 18. November zum Teil in recht drastischen
Ausdrücken von dem Elend und dem Schrecken der Hungersnot, wie sie eine
wirkliche Aushungerung als Ende mit sich bringt. Von alledem war in Paris
noch sehr wenig zu merken; eine Hungersnot ist nicht entstanden; es waren
noch reichlich Lebensmittel für einige Tage vorhanden, was durch mehrfache
Zeugnisse bewiesen wird. So haben die französischen Truppen, als sie die
Forts übergaben, darin eine Menge Lebensmittel, Schinken, Würste, sogar das
frisch gebackne, übrigens recht gute Weißbrot, was ihnen denselben Morgen
geliefert worden war, zurückgelassen. General von Stosch berichtet, daß der
König entschieden verboten habe, Lebensmittel aus den Armeebeständen an Paris




") Generalstabswerk über den Feldzug 1870/71, S, 1172.
Hassel, Aus dem Leben des Königs Albert von Sachsen.
Das Tagebuch des Grafen Llmnenthal von ^870/71,

front befohlen^) und auch sofort mit der größten Energie begonnen wurde.
In diesem Sinne wurde zum Beispiel auch eine Anzahl Geschütze vom Süden
an den Nordangriff abgegeben. Die Batterien im Norden haben nicht nur,
wie sich nach der Übergabe zeigte, materiell einen sehr bedeutenden Erfolg ge¬
habt, sondern auch moralisch. Fürst Bismarck berichtete^), daß ihm die
französischen Unterhändler gesagt haben, die schnellen Fortschritte des Nord¬
angriffs hätten besonders dazu beigetragen, den Entschluß zur Kapitulation
zur Reife zu bringen, also das Ziel zu erreichen, das Moltke der Belagerungs¬
artillerie als Aufgabe gesetzt hatte.

Damit ist doch für jeden, der sich vorurteilsfrei über die Sachlage unter¬
richten will, der Beweis geliefert, daß von einem Zumstehnkommen des An¬
griffs, der allerdings einen Mißerfolg bedeuten würde, durchaus nicht die Rede
sein kann, sondern daß der Artillerieangriff trotz der feindlichen Überlegenheit
an Zahl seinen erfolgreichen Fortgang genommen hat. Und damit ist die er¬
freuliche Tatsache erwiesen, daß auch beim Angriff auf Paris, wie im ganzen
Feldzuge, die Leitung der Operationen durch den König und Moltke sachgemäß
und richtig war, und daß der Angriff von allen Truppenteilen mit voller
Hingebung und Tapferkeit und auch mit großem Erfolge durchgeführt wurde.

An diesem Urteil ändert auch der Umstand nichts, daß vor der voll¬
ständigen Durchführung des Angriffs die Lebensmittel in Paris zu Ende
gingen. Es war menschlich richtig und militärisch statthaft, deshalb die
Kapitulation abzuschließen. Es war von den französischen Machthabern sogar
klug, nicht bis zuletzt zu warten, wo sie jede Bedingung hätten annehmen
müssen, sondern daß sie sich hinreichende Zeit für Unterhandlungen sicherten.
Auf französischer Seite hebt man mit Recht als ruhmvoll hervor, daß nur der
Hunger zur Übergabe gezwungen habe; wenn das anch ans deutscher Seite,
und zwar sehr ostentativ geschieht, so erscheint das doch wenig angebracht.
Die Geschichte zeigt viele Beispiele, wie es in einer mit Heroismus verteidigten,
aber durch den Hunger bezwungnen Festung auszusehen pflegt. Auch Blumen-
thal spricht in seinem Tagebuch am 18. November zum Teil in recht drastischen
Ausdrücken von dem Elend und dem Schrecken der Hungersnot, wie sie eine
wirkliche Aushungerung als Ende mit sich bringt. Von alledem war in Paris
noch sehr wenig zu merken; eine Hungersnot ist nicht entstanden; es waren
noch reichlich Lebensmittel für einige Tage vorhanden, was durch mehrfache
Zeugnisse bewiesen wird. So haben die französischen Truppen, als sie die
Forts übergaben, darin eine Menge Lebensmittel, Schinken, Würste, sogar das
frisch gebackne, übrigens recht gute Weißbrot, was ihnen denselben Morgen
geliefert worden war, zurückgelassen. General von Stosch berichtet, daß der
König entschieden verboten habe, Lebensmittel aus den Armeebeständen an Paris




«) Generalstabswerk über den Feldzug 1870/71, S, 1172.
Hassel, Aus dem Leben des Königs Albert von Sachsen.
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[0324] Das Tagebuch des Grafen Llmnenthal von ^870/71, front befohlen^) und auch sofort mit der größten Energie begonnen wurde. In diesem Sinne wurde zum Beispiel auch eine Anzahl Geschütze vom Süden an den Nordangriff abgegeben. Die Batterien im Norden haben nicht nur, wie sich nach der Übergabe zeigte, materiell einen sehr bedeutenden Erfolg ge¬ habt, sondern auch moralisch. Fürst Bismarck berichtete^), daß ihm die französischen Unterhändler gesagt haben, die schnellen Fortschritte des Nord¬ angriffs hätten besonders dazu beigetragen, den Entschluß zur Kapitulation zur Reife zu bringen, also das Ziel zu erreichen, das Moltke der Belagerungs¬ artillerie als Aufgabe gesetzt hatte. Damit ist doch für jeden, der sich vorurteilsfrei über die Sachlage unter¬ richten will, der Beweis geliefert, daß von einem Zumstehnkommen des An¬ griffs, der allerdings einen Mißerfolg bedeuten würde, durchaus nicht die Rede sein kann, sondern daß der Artillerieangriff trotz der feindlichen Überlegenheit an Zahl seinen erfolgreichen Fortgang genommen hat. Und damit ist die er¬ freuliche Tatsache erwiesen, daß auch beim Angriff auf Paris, wie im ganzen Feldzuge, die Leitung der Operationen durch den König und Moltke sachgemäß und richtig war, und daß der Angriff von allen Truppenteilen mit voller Hingebung und Tapferkeit und auch mit großem Erfolge durchgeführt wurde. An diesem Urteil ändert auch der Umstand nichts, daß vor der voll¬ ständigen Durchführung des Angriffs die Lebensmittel in Paris zu Ende gingen. Es war menschlich richtig und militärisch statthaft, deshalb die Kapitulation abzuschließen. Es war von den französischen Machthabern sogar klug, nicht bis zuletzt zu warten, wo sie jede Bedingung hätten annehmen müssen, sondern daß sie sich hinreichende Zeit für Unterhandlungen sicherten. Auf französischer Seite hebt man mit Recht als ruhmvoll hervor, daß nur der Hunger zur Übergabe gezwungen habe; wenn das anch ans deutscher Seite, und zwar sehr ostentativ geschieht, so erscheint das doch wenig angebracht. Die Geschichte zeigt viele Beispiele, wie es in einer mit Heroismus verteidigten, aber durch den Hunger bezwungnen Festung auszusehen pflegt. Auch Blumen- thal spricht in seinem Tagebuch am 18. November zum Teil in recht drastischen Ausdrücken von dem Elend und dem Schrecken der Hungersnot, wie sie eine wirkliche Aushungerung als Ende mit sich bringt. Von alledem war in Paris noch sehr wenig zu merken; eine Hungersnot ist nicht entstanden; es waren noch reichlich Lebensmittel für einige Tage vorhanden, was durch mehrfache Zeugnisse bewiesen wird. So haben die französischen Truppen, als sie die Forts übergaben, darin eine Menge Lebensmittel, Schinken, Würste, sogar das frisch gebackne, übrigens recht gute Weißbrot, was ihnen denselben Morgen geliefert worden war, zurückgelassen. General von Stosch berichtet, daß der König entschieden verboten habe, Lebensmittel aus den Armeebeständen an Paris «) Generalstabswerk über den Feldzug 1870/71, S, 1172. Hassel, Aus dem Leben des Königs Albert von Sachsen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/324>, abgerufen am 04.07.2024.