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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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pas Tagebuch des Grafen Llumenthcil von ^370/7^

demselben Sinne schreibt er an jenem Tage: "Ich freue mich, daß noch immer
nicht die ganze Munition hier ist." (Das ist deshalb besonders bezeichnend,
weil der König schon im November die größte Beschleunigung des Munitions¬
transports sehr entschieden befohlen hatte.) Und noch am 27. Dezember
schreibt er von der Beschießung der Forts: "Mir scheint sie trotz aller Intrigen
noch recht fern zu liegen." Daß er Nichtschießer blieb, zeigen am besten die
Bemerkungen, mit denen er die Beschießung selbst begleitete. Über die glanz¬
voll verlaufne Beschießung des Mont Avron schreibt er am 28. Dezember:
"Die Kanonade scheint, wie ich vorausgesehen, kein nennenswertes Resultat
gehabt zu haben." Er muß dann freilich am 29. gestehn, daß er sich geirrt
habe. Als der Südangriff beginnt, nennt er die guten Berichte des ersten
Tages (5. Januar) eine "arge Täuschung". Am 7. Januar spricht er von
der "abscheulichen Beschießung". Am 9. Januar schreibt er: "Die Blamage
hat ihren regelmäßigen Anfang genommen und wird sich wohl noch weiter
ausbilden." Am 24. Januar nennt er die Beschießung "einen begangnen
militärischen Fehler". Am 26. ist er "über das Schießen förmlich erbittert".
Diese wenigen Aussprüche -- sie könnten leicht stark vermehrt werden -- mögen
genügen, das Bild der Beschießung zu geben, wie es sich nach dem Tagebuch
vorstellt.

Dagegen hat Moltke noch in Versailles in einer Selbstkritik ausgesprochen,
wenn er noch einmal die Dispositionen für die Operationen nach der Schlacht
von Sedan -- und die wichtigste davon war doch die Einnahme von Paris --
auszuarbeiten hätte, so würde er es genau ebenso machen, wie es in Wirklich¬
keit geschehen war. Er war also ebenso wie der König, der das wiederholt
in Versailles ausgesprochen hat, mit der Ausführung und dem Erfolg der
Beschießung zufrieden. Über die materielle Wirkung der Beschießung sei der
sehr urteilsfähige und unparteiische General von Stosch, der zuerst zu den
Nichtschießern rechnete, angeführt, der am 30. Januar die große Genugtuung
über den Erfolg schildert und hinzufügt: "Die gewonnenen Resultate hatte
niemand erwartet." Größer noch war die moralische Wirkung, die selbst
Blumenthal anerkennt; er schreibt am 21. Januar: "Die Franzosen können
nun wenigstens später nicht sagen, daß wir es nicht gewagt hätten, ihre be¬
rühmte Weltstadt zu beschießen." Auf die Wichtigkeit dieser moralischen Wirkung
hat Moltke noch in Versailles hingewiesen, als er ausführte, in welcher Weise
die Kriegführung auf den schließlichen Frieden hinwirken müsse. Es müsse
nicht nur jeder Widerstand im freien Felde niedergeworfen, sondern auch die
moralische Widerstandskraft des französischen Volkes völlig gebrochen werden.
Nur so war ein so opferreicher und auch ein dauernder Friede zu erzwingen.
Bei der großen Bedeutung, die Paris für Frankreich hat, mußte in der Tat
vor allem die moralische Widerstandskraft der Hauptstadt gebrochen werden,
und dazu hat die Beschießung wesentlich beigetragen, der es also mit zu danken
ist, daß seit 1871 der Friede gewahrt geblieben ist. Genauern Aufschluß über


pas Tagebuch des Grafen Llumenthcil von ^370/7^

demselben Sinne schreibt er an jenem Tage: „Ich freue mich, daß noch immer
nicht die ganze Munition hier ist." (Das ist deshalb besonders bezeichnend,
weil der König schon im November die größte Beschleunigung des Munitions¬
transports sehr entschieden befohlen hatte.) Und noch am 27. Dezember
schreibt er von der Beschießung der Forts: „Mir scheint sie trotz aller Intrigen
noch recht fern zu liegen." Daß er Nichtschießer blieb, zeigen am besten die
Bemerkungen, mit denen er die Beschießung selbst begleitete. Über die glanz¬
voll verlaufne Beschießung des Mont Avron schreibt er am 28. Dezember:
„Die Kanonade scheint, wie ich vorausgesehen, kein nennenswertes Resultat
gehabt zu haben." Er muß dann freilich am 29. gestehn, daß er sich geirrt
habe. Als der Südangriff beginnt, nennt er die guten Berichte des ersten
Tages (5. Januar) eine „arge Täuschung". Am 7. Januar spricht er von
der „abscheulichen Beschießung". Am 9. Januar schreibt er: „Die Blamage
hat ihren regelmäßigen Anfang genommen und wird sich wohl noch weiter
ausbilden." Am 24. Januar nennt er die Beschießung „einen begangnen
militärischen Fehler". Am 26. ist er „über das Schießen förmlich erbittert".
Diese wenigen Aussprüche — sie könnten leicht stark vermehrt werden — mögen
genügen, das Bild der Beschießung zu geben, wie es sich nach dem Tagebuch
vorstellt.

Dagegen hat Moltke noch in Versailles in einer Selbstkritik ausgesprochen,
wenn er noch einmal die Dispositionen für die Operationen nach der Schlacht
von Sedan — und die wichtigste davon war doch die Einnahme von Paris —
auszuarbeiten hätte, so würde er es genau ebenso machen, wie es in Wirklich¬
keit geschehen war. Er war also ebenso wie der König, der das wiederholt
in Versailles ausgesprochen hat, mit der Ausführung und dem Erfolg der
Beschießung zufrieden. Über die materielle Wirkung der Beschießung sei der
sehr urteilsfähige und unparteiische General von Stosch, der zuerst zu den
Nichtschießern rechnete, angeführt, der am 30. Januar die große Genugtuung
über den Erfolg schildert und hinzufügt: „Die gewonnenen Resultate hatte
niemand erwartet." Größer noch war die moralische Wirkung, die selbst
Blumenthal anerkennt; er schreibt am 21. Januar: „Die Franzosen können
nun wenigstens später nicht sagen, daß wir es nicht gewagt hätten, ihre be¬
rühmte Weltstadt zu beschießen." Auf die Wichtigkeit dieser moralischen Wirkung
hat Moltke noch in Versailles hingewiesen, als er ausführte, in welcher Weise
die Kriegführung auf den schließlichen Frieden hinwirken müsse. Es müsse
nicht nur jeder Widerstand im freien Felde niedergeworfen, sondern auch die
moralische Widerstandskraft des französischen Volkes völlig gebrochen werden.
Nur so war ein so opferreicher und auch ein dauernder Friede zu erzwingen.
Bei der großen Bedeutung, die Paris für Frankreich hat, mußte in der Tat
vor allem die moralische Widerstandskraft der Hauptstadt gebrochen werden,
und dazu hat die Beschießung wesentlich beigetragen, der es also mit zu danken
ist, daß seit 1871 der Friede gewahrt geblieben ist. Genauern Aufschluß über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/322>, abgerufen am 04.07.2024.