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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Das Tagebuch des Grafen Blumenthal von ^870/71.

Verdienste der Armee und besonders anch des Königs herabzusetzen, so dürfen
sie nicht unwidersprochen bleiben.

Am 23. Dezember 1870 schreibt Blumenthal: "Es ist ein wahrer Segen,
daß der König fest bleibt und von dem kindischen Einzelschießen und dem zweck¬
losen Knallen nichts wissen will." Dazu bemerkt der General von Müller*):
Unverständlich ist es, wie nach den vom Könige in der Konferenz (am 17. De¬
zember) getroffnen Entscheidungen General von Blumenthal noch am 23. Dezember
behaupten kounte, der König sei gegen die Beschießung... Das große Ver¬
dienst, das König Wilhelm sich durch seine Initiative erworben hat, wird durch
jene Aufzeichnung Blumenthals verdunkelt, die von vielen ungenügend unter¬
richteten Lesern für zutreffend angenommen wird.
**

Diese Zurückweisung wird nun neuerdings) aus gewissen Kreisen angefochten.
Zwar die Tatsache, daß seit dem 28. November der König und demnächst auch
Moltke entschieden für die Durchführung des Artillerieangriffs eintraten, können
sie nicht in Abrede stellen. Auch die Entscheidung der Konferenz vom 17. De¬
zember steht fest, nämlich daß der König ein Bombardement vor der Nieder¬
kämpfung der Forts ablehnte, dagegen den Angriff auf die Forts in Aussicht
nahm, um dadurch ein Bombardement möglich zu machen. Ganz klar spricht
das der Beschießungsbefehl vom 29. Dezember aus: Die erste Aufgabe der Be¬
lagerungsartillerie ist das Niederkämpfen des Feuers der Forts ... und die
Gewinnung näherer Stellungen zur Einleitung einer kräftigen Beschießung
der Stadt.

Nun wird versucht, jene Bemerkung Blumenthals doch zu retten, indem
ihr die Bedeutung untergelegt wird, er habe dabei unterschieden zwischen Be¬
schießung der Forts und der innern Stadt, und nur diese habe er dabei im
Auge gehabt. Seine Befürchtung, der König werde nicht fest bleiben, habe sich
in der Tat als begründet erwiesen, da die Stadt doch auch alsbald beschossen
worden sei, nachdem durch eine neue Erfindung die Schußweite der Geschütze
vergrößert worden sei.

Wie steht es nun mit dieser neuen Erfindung? Wer vom Artilleriewesen
einige Kenntnisse hat, weiß, daß jedes Geschütz für eine gewisse größte Schu߬
weite konstruiert ist. Dieser entspricht die größte Erhöhung des Rohres, nach
der die Stärke der Lafette bemessen wird, so zwar, daß diese bei einer weitern
Vermehrung der Erhöhung der Gefahr des Unbrauchbarwerdens ausgesetzt ist.
Im Jahre 1870 wußte jeder Artillerieoffizier, daß durch besondre Maßregeln
die normale (schußtafelmäßige) Schußweite für außergewöhnliche Fälle vermehrt
werden kann, nämlich durch das Herumlegen oder Herausnehmen der Richt¬
maschine, wozu bei der Feldartillerie das Eingraben des Lafettenschwanzes kam;
und es ist danach auch in verschiednen Fällen verfahren, zum Beispiel bei Metz,




") v. Müller: Ergimzungshefi zur Beschießung von Paris, 1904, Seite 13.
*") Grenzboten 1907, Heft 25, Seite 605 Sö.
Das Tagebuch des Grafen Blumenthal von ^870/71.

Verdienste der Armee und besonders anch des Königs herabzusetzen, so dürfen
sie nicht unwidersprochen bleiben.

Am 23. Dezember 1870 schreibt Blumenthal: „Es ist ein wahrer Segen,
daß der König fest bleibt und von dem kindischen Einzelschießen und dem zweck¬
losen Knallen nichts wissen will." Dazu bemerkt der General von Müller*):
Unverständlich ist es, wie nach den vom Könige in der Konferenz (am 17. De¬
zember) getroffnen Entscheidungen General von Blumenthal noch am 23. Dezember
behaupten kounte, der König sei gegen die Beschießung... Das große Ver¬
dienst, das König Wilhelm sich durch seine Initiative erworben hat, wird durch
jene Aufzeichnung Blumenthals verdunkelt, die von vielen ungenügend unter¬
richteten Lesern für zutreffend angenommen wird.
**

Diese Zurückweisung wird nun neuerdings) aus gewissen Kreisen angefochten.
Zwar die Tatsache, daß seit dem 28. November der König und demnächst auch
Moltke entschieden für die Durchführung des Artillerieangriffs eintraten, können
sie nicht in Abrede stellen. Auch die Entscheidung der Konferenz vom 17. De¬
zember steht fest, nämlich daß der König ein Bombardement vor der Nieder¬
kämpfung der Forts ablehnte, dagegen den Angriff auf die Forts in Aussicht
nahm, um dadurch ein Bombardement möglich zu machen. Ganz klar spricht
das der Beschießungsbefehl vom 29. Dezember aus: Die erste Aufgabe der Be¬
lagerungsartillerie ist das Niederkämpfen des Feuers der Forts ... und die
Gewinnung näherer Stellungen zur Einleitung einer kräftigen Beschießung
der Stadt.

Nun wird versucht, jene Bemerkung Blumenthals doch zu retten, indem
ihr die Bedeutung untergelegt wird, er habe dabei unterschieden zwischen Be¬
schießung der Forts und der innern Stadt, und nur diese habe er dabei im
Auge gehabt. Seine Befürchtung, der König werde nicht fest bleiben, habe sich
in der Tat als begründet erwiesen, da die Stadt doch auch alsbald beschossen
worden sei, nachdem durch eine neue Erfindung die Schußweite der Geschütze
vergrößert worden sei.

Wie steht es nun mit dieser neuen Erfindung? Wer vom Artilleriewesen
einige Kenntnisse hat, weiß, daß jedes Geschütz für eine gewisse größte Schu߬
weite konstruiert ist. Dieser entspricht die größte Erhöhung des Rohres, nach
der die Stärke der Lafette bemessen wird, so zwar, daß diese bei einer weitern
Vermehrung der Erhöhung der Gefahr des Unbrauchbarwerdens ausgesetzt ist.
Im Jahre 1870 wußte jeder Artillerieoffizier, daß durch besondre Maßregeln
die normale (schußtafelmäßige) Schußweite für außergewöhnliche Fälle vermehrt
werden kann, nämlich durch das Herumlegen oder Herausnehmen der Richt¬
maschine, wozu bei der Feldartillerie das Eingraben des Lafettenschwanzes kam;
und es ist danach auch in verschiednen Fällen verfahren, zum Beispiel bei Metz,




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[0319] Das Tagebuch des Grafen Blumenthal von ^870/71. Verdienste der Armee und besonders anch des Königs herabzusetzen, so dürfen sie nicht unwidersprochen bleiben. Am 23. Dezember 1870 schreibt Blumenthal: „Es ist ein wahrer Segen, daß der König fest bleibt und von dem kindischen Einzelschießen und dem zweck¬ losen Knallen nichts wissen will." Dazu bemerkt der General von Müller*): Unverständlich ist es, wie nach den vom Könige in der Konferenz (am 17. De¬ zember) getroffnen Entscheidungen General von Blumenthal noch am 23. Dezember behaupten kounte, der König sei gegen die Beschießung... Das große Ver¬ dienst, das König Wilhelm sich durch seine Initiative erworben hat, wird durch jene Aufzeichnung Blumenthals verdunkelt, die von vielen ungenügend unter¬ richteten Lesern für zutreffend angenommen wird. ** Diese Zurückweisung wird nun neuerdings) aus gewissen Kreisen angefochten. Zwar die Tatsache, daß seit dem 28. November der König und demnächst auch Moltke entschieden für die Durchführung des Artillerieangriffs eintraten, können sie nicht in Abrede stellen. Auch die Entscheidung der Konferenz vom 17. De¬ zember steht fest, nämlich daß der König ein Bombardement vor der Nieder¬ kämpfung der Forts ablehnte, dagegen den Angriff auf die Forts in Aussicht nahm, um dadurch ein Bombardement möglich zu machen. Ganz klar spricht das der Beschießungsbefehl vom 29. Dezember aus: Die erste Aufgabe der Be¬ lagerungsartillerie ist das Niederkämpfen des Feuers der Forts ... und die Gewinnung näherer Stellungen zur Einleitung einer kräftigen Beschießung der Stadt. Nun wird versucht, jene Bemerkung Blumenthals doch zu retten, indem ihr die Bedeutung untergelegt wird, er habe dabei unterschieden zwischen Be¬ schießung der Forts und der innern Stadt, und nur diese habe er dabei im Auge gehabt. Seine Befürchtung, der König werde nicht fest bleiben, habe sich in der Tat als begründet erwiesen, da die Stadt doch auch alsbald beschossen worden sei, nachdem durch eine neue Erfindung die Schußweite der Geschütze vergrößert worden sei. Wie steht es nun mit dieser neuen Erfindung? Wer vom Artilleriewesen einige Kenntnisse hat, weiß, daß jedes Geschütz für eine gewisse größte Schu߬ weite konstruiert ist. Dieser entspricht die größte Erhöhung des Rohres, nach der die Stärke der Lafette bemessen wird, so zwar, daß diese bei einer weitern Vermehrung der Erhöhung der Gefahr des Unbrauchbarwerdens ausgesetzt ist. Im Jahre 1870 wußte jeder Artillerieoffizier, daß durch besondre Maßregeln die normale (schußtafelmäßige) Schußweite für außergewöhnliche Fälle vermehrt werden kann, nämlich durch das Herumlegen oder Herausnehmen der Richt¬ maschine, wozu bei der Feldartillerie das Eingraben des Lafettenschwanzes kam; und es ist danach auch in verschiednen Fällen verfahren, zum Beispiel bei Metz, ») v. Müller: Ergimzungshefi zur Beschießung von Paris, 1904, Seite 13. *») Grenzboten 1907, Heft 25, Seite 605 Sö.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/319>, abgerufen am 24.07.2024.