Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Leute, er hat niemals Ferien oder Urlaub, die großen Geschäfte gehn immer fort Politische Bedeutung sollte die Kaiserreise allerdings nicht haben und hatte sie Auf der Rückreise von Korfu her wird nun der Kaiser auch den österreichischen Grenzboten II 1908 38
Maßgebliches und Unmaßgebliches Leute, er hat niemals Ferien oder Urlaub, die großen Geschäfte gehn immer fort Politische Bedeutung sollte die Kaiserreise allerdings nicht haben und hatte sie Auf der Rückreise von Korfu her wird nun der Kaiser auch den österreichischen Grenzboten II 1908 38
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0301" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311988"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1248" prev="#ID_1247"> Leute, er hat niemals Ferien oder Urlaub, die großen Geschäfte gehn immer fort<lb/> und sind die Feinde jeder Idylle.</p><lb/> <p xml:id="ID_1249"> Politische Bedeutung sollte die Kaiserreise allerdings nicht haben und hatte sie<lb/> nicht. Da nun aber die Politik einmal von lebendigen Menschen gemacht wird,<lb/> und auch Monarchen Menschen sind, so sind doch auch ihre persönlichen Begegnungen<lb/> und Eindrücke nicht ohne Bedeutung, trotz allen Redereien von der verringerten<lb/> Wichtigkeit solcher Vorkommnisse. Und wie das Zusammentreffen des Kaisers mit<lb/> dem König Viktor Emanuel, dessen „hoher Intelligenz" Fürst Bülow letzthin ein<lb/> glänzendes Zeugnis ausgestellt hat, in der Lagunenstadt die Unerschütterlichkeit des<lb/> Dreibundes von neuem vor Augen geführt hat, so mag der Kaiser von Korfu aus<lb/> so manchmal den Blick auf den gegenüberliegenden politischen „Wetterwinkel" Europas<lb/> geworfen haben und diesen Verhältnissen innerlich näher getreten sein als sonst,<lb/> wie es jedem aufmerksamen Reisenden im fremden Lande geschieht. Noch ist die<lb/> makedonische Frage keineswegs gelöst, und die Verschiedenheit der Interessen<lb/> Österreichs und Italiens an diesen Gestaden ist zwar zurückgedrängt, aber nicht<lb/> aufgehoben, weil sie in der Natur der Dinge liegt. Die „Sandschakbahn" ist un¬<lb/> zweifelhaft ein zunächst wirtschaftlicher Vorstoß Österreichs nach dem Süden, der<lb/> dem Weltverkehr zugute kommen wird, und unter den neuen italienischen Postämtern<lb/> auf türkischem Boden befindet sich auch eines in Valona an der epirotischen Küste.<lb/> Wie könnten auch die Italiener jemals vergessen, daß die Ostküste der Adria jahr¬<lb/> hundertelang unter venezianischer Herrschaft gestanden hat? Noch heute tragen die<lb/> Städte Dalmatiens und Jstriens ein durchaus italienisches Gepräge, das Italienische<lb/> ist die bevorzugte Verkehrssprache, und der Löwe von San Marco schaut dort noch<lb/> von Toren und Palästen herab. Das alles ist Politisch gleichgiltig und begründet<lb/> keinen praktischen Anspruch, aber vergessen ist es nicht, und dann und wann verrät<lb/> ein an sich ganz unverbindliches Wort, wie manche gebildete Kreise Italiens darüber<lb/> denken. Als letzthin das neueste Drama Gabriele d'Annunzios 1^ Mos, eine<lb/> Verherrlichung altvenezianischer Seeherrlichkeit, eben in Venedig eine Reihe von<lb/> Abenden hintereinander aufgeführt wurde — auch aus dem tirolischen Trentino<lb/> gingen billige Sonderzüge dorthin —, und der Dichter, der selbst am Adriatischen<lb/> Meere zu Hause ist und dieses gern als das eigentlich italienische Meer betrachtet,<lb/> dabei erschien, da hat er bei einem Bankett die Hoffnung ausgesprochen, dereinst<lb/> beide Ufer der Adria unter einer Herrschaft vereinigt zu sehen. Das geht noch<lb/> über die irredentistischen Ansprüche hinaus. Aber das Bündnis zwischen Österreich<lb/> und Italien ist nun einmal eine reine Vernunftehe, kein Herzensbündnis, das wissen<lb/> und fühlen beide Teile; wie es Italien davor bewahrt, der Gefolgschaft Frank¬<lb/> reichs zu verfallen, so sichert es Österreichs Südwestgrenze. Aber drohend schauen<lb/> österreichische Forts vom Monte Brioue bei Riva her auf deu breiten blauen Spiegel<lb/> des Gardasees, und von der andern Seite erinnert der gewaltige Turm von San<lb/> Martino, der überall an und auf dem See sichtbar ist. an die Entscheidungsschlacht<lb/> von Solferino, die der österreichischen Herrschaft über die Lombardei ein Ende<lb/> 'machte und die Möglichkeit zur Einheit Italiens schuf, noch keineswegs diese Ein¬<lb/> heit selbst. Unter diesen Umständen ist es eine wichtige Aufgabe der deutschen<lb/> Politik, zwischen den beiden Bundesgenossen das gute Vernehmen aufrecht zu er¬<lb/> halten und alte Erinnerungen zurückzudrängen um realer gemeinsamer Interessen<lb/> willen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1250" next="#ID_1251"> Auf der Rückreise von Korfu her wird nun der Kaiser auch den österreichischen<lb/> Kriegshafen Pola besuchen, das einst auch zu Venedig gehört hat, und dort die<lb/> österreichische Flotte sehen, die sich ihre 1866 ruhmvoll behauptete Stellung in der<lb/> Adrig nicht entreiße» lassen darf. Von dort wird er nach Wien gehn, um hier am</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1908 38</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0301]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Leute, er hat niemals Ferien oder Urlaub, die großen Geschäfte gehn immer fort
und sind die Feinde jeder Idylle.
Politische Bedeutung sollte die Kaiserreise allerdings nicht haben und hatte sie
nicht. Da nun aber die Politik einmal von lebendigen Menschen gemacht wird,
und auch Monarchen Menschen sind, so sind doch auch ihre persönlichen Begegnungen
und Eindrücke nicht ohne Bedeutung, trotz allen Redereien von der verringerten
Wichtigkeit solcher Vorkommnisse. Und wie das Zusammentreffen des Kaisers mit
dem König Viktor Emanuel, dessen „hoher Intelligenz" Fürst Bülow letzthin ein
glänzendes Zeugnis ausgestellt hat, in der Lagunenstadt die Unerschütterlichkeit des
Dreibundes von neuem vor Augen geführt hat, so mag der Kaiser von Korfu aus
so manchmal den Blick auf den gegenüberliegenden politischen „Wetterwinkel" Europas
geworfen haben und diesen Verhältnissen innerlich näher getreten sein als sonst,
wie es jedem aufmerksamen Reisenden im fremden Lande geschieht. Noch ist die
makedonische Frage keineswegs gelöst, und die Verschiedenheit der Interessen
Österreichs und Italiens an diesen Gestaden ist zwar zurückgedrängt, aber nicht
aufgehoben, weil sie in der Natur der Dinge liegt. Die „Sandschakbahn" ist un¬
zweifelhaft ein zunächst wirtschaftlicher Vorstoß Österreichs nach dem Süden, der
dem Weltverkehr zugute kommen wird, und unter den neuen italienischen Postämtern
auf türkischem Boden befindet sich auch eines in Valona an der epirotischen Küste.
Wie könnten auch die Italiener jemals vergessen, daß die Ostküste der Adria jahr¬
hundertelang unter venezianischer Herrschaft gestanden hat? Noch heute tragen die
Städte Dalmatiens und Jstriens ein durchaus italienisches Gepräge, das Italienische
ist die bevorzugte Verkehrssprache, und der Löwe von San Marco schaut dort noch
von Toren und Palästen herab. Das alles ist Politisch gleichgiltig und begründet
keinen praktischen Anspruch, aber vergessen ist es nicht, und dann und wann verrät
ein an sich ganz unverbindliches Wort, wie manche gebildete Kreise Italiens darüber
denken. Als letzthin das neueste Drama Gabriele d'Annunzios 1^ Mos, eine
Verherrlichung altvenezianischer Seeherrlichkeit, eben in Venedig eine Reihe von
Abenden hintereinander aufgeführt wurde — auch aus dem tirolischen Trentino
gingen billige Sonderzüge dorthin —, und der Dichter, der selbst am Adriatischen
Meere zu Hause ist und dieses gern als das eigentlich italienische Meer betrachtet,
dabei erschien, da hat er bei einem Bankett die Hoffnung ausgesprochen, dereinst
beide Ufer der Adria unter einer Herrschaft vereinigt zu sehen. Das geht noch
über die irredentistischen Ansprüche hinaus. Aber das Bündnis zwischen Österreich
und Italien ist nun einmal eine reine Vernunftehe, kein Herzensbündnis, das wissen
und fühlen beide Teile; wie es Italien davor bewahrt, der Gefolgschaft Frank¬
reichs zu verfallen, so sichert es Österreichs Südwestgrenze. Aber drohend schauen
österreichische Forts vom Monte Brioue bei Riva her auf deu breiten blauen Spiegel
des Gardasees, und von der andern Seite erinnert der gewaltige Turm von San
Martino, der überall an und auf dem See sichtbar ist. an die Entscheidungsschlacht
von Solferino, die der österreichischen Herrschaft über die Lombardei ein Ende
'machte und die Möglichkeit zur Einheit Italiens schuf, noch keineswegs diese Ein¬
heit selbst. Unter diesen Umständen ist es eine wichtige Aufgabe der deutschen
Politik, zwischen den beiden Bundesgenossen das gute Vernehmen aufrecht zu er¬
halten und alte Erinnerungen zurückzudrängen um realer gemeinsamer Interessen
willen.
Auf der Rückreise von Korfu her wird nun der Kaiser auch den österreichischen
Kriegshafen Pola besuchen, das einst auch zu Venedig gehört hat, und dort die
österreichische Flotte sehen, die sich ihre 1866 ruhmvoll behauptete Stellung in der
Adrig nicht entreiße» lassen darf. Von dort wird er nach Wien gehn, um hier am
Grenzboten II 1908 38
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