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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Amerika und die Dauerhaftigkeit seiner politischen Verhältnisse

vergleichen ließe. Das Negerblut ist hier viel schwächer als in Westindien und
ni Südamerika. Die Mischlinge stammen von Weißen und Indianern ab,
reine Indianer sind (wie auch in Mexiko) noch sehr zahlreich. Das kaukasische
Element ist viel stärker als in Westindien. Guatemala zum Beispiel hat nach der
freilich veralteten Zählung von 1893 unter 1364000 Einwohnern (12 auf den
Quadratkilometer) 482000 Weiße -- ob diese nun gerade einen reinen Stamm¬
baum haben, ist nicht gesagt. Um die Verhinderung der Kriege haben sich Mexiko
und die Vereinigten Staaten große Mühe gegeben. Der Erfolg ist unvollständig.
Zu innern Reformen kommt man schwer, deshalb bleibt die Möglichkeit einer
nordamerikanischen Einmischung immer gegeben, sie hängt von unberechenbaren
Ereignissen ab. Vollständig von den Vereinigten Staaten abhängig ist die junge,
erst am 3. November 1903 proklamierte Republik Panama. Sie bildete bis dahin
einen Teil der Republik Colombia und nahm an häufigem Aufruhr teil. Als
die Vereinigten Staaten den Kanal bauen wollten, boten sie Colombia eine
hohe Summe, doch überschätzten die Machthaber das Erreichbare. Panama,
ohne Frage durch das Newyorker Riesenkapital wirksam unterstützt, jedoch ohne
alle Einwirkung der offiziellen Kreise von Washington, erklärte seine Un¬
abhängigkeit und rief den Schutz der Vereinigten Staaten an. Solcher wurde
ihm dann natürlich zuteil. Die neue Republik verkündete ihre Unabhängigkeit
und erhielt zehn Millionen Dollars dafür, daß sie alle Hoheitsrechte über das
Kanalgebiet abtrat. Seitdem herrscht Ruhe und Ordnung; ein im Frühjahr 1908
erfolgter Angriff columbischer Scharen wird wohl eingestellt werden, ehe die
Vereinigten Staaten eine strenge Miene machen können. In allen innern
Angelegenheiten mögen die Panamesen sich selbst regieren, wenn sie nur nicht
den Kanal oder das Eigentum Fremder antasten. Nach außen vertritt sie
Washington. Und sollten sie die nordamerikanische Politik durchkreuzen, so
wird man rasch mit ihnen umspringen. Dies ist eine Form des Protektorats
des Nordens über kleine Republiken. Santo Domingo und Cuba haben
andre; es lassen sich wohl noch viele finden.

Je weiter nach Süden, desto mehr verschiebt sich die Frage der Ein¬
mischung. Die Entfernung wächst, die Republiken werden größer, die Aus¬
übung einer Vormundschaft wird schwieriger. Die beiden nördlichsten Staaten
stellen das Elend des kreolischen Amerikas am ausgeprägtesten dar. Venezuela
hat eine Bevölkerung von etwa zweieinhalb Millionen Seelen, unter denen
nur etwa 25000 einheimische und 45000 fremde Weiße gezählt werden; ferner
etwa 350000 Indianer, zum Teil noch in vollständiger Unabhängigkeit und
Wildheit. Der Nest, reichlich zwei Millionen, wird aus den Abkömmlingen
der drei völlig verschmolznen Nassen, der Spanier, Neger und Indianer ge¬
bildet. Hier zeigt sich der Mangel an staatenbildender Kraft in erschreckender
Deutlichkeit. Alle die schon erwähnten Schattenseiten sind hier vereinigt. Das
Land ist beinahe so groß wie Deutschland und hat nur eine Bevölkerungs¬
dichtigkeit von 2,3. Es ist sehr schwer zu packen, für Versündigung an Kultur-


Amerika und die Dauerhaftigkeit seiner politischen Verhältnisse

vergleichen ließe. Das Negerblut ist hier viel schwächer als in Westindien und
ni Südamerika. Die Mischlinge stammen von Weißen und Indianern ab,
reine Indianer sind (wie auch in Mexiko) noch sehr zahlreich. Das kaukasische
Element ist viel stärker als in Westindien. Guatemala zum Beispiel hat nach der
freilich veralteten Zählung von 1893 unter 1364000 Einwohnern (12 auf den
Quadratkilometer) 482000 Weiße — ob diese nun gerade einen reinen Stamm¬
baum haben, ist nicht gesagt. Um die Verhinderung der Kriege haben sich Mexiko
und die Vereinigten Staaten große Mühe gegeben. Der Erfolg ist unvollständig.
Zu innern Reformen kommt man schwer, deshalb bleibt die Möglichkeit einer
nordamerikanischen Einmischung immer gegeben, sie hängt von unberechenbaren
Ereignissen ab. Vollständig von den Vereinigten Staaten abhängig ist die junge,
erst am 3. November 1903 proklamierte Republik Panama. Sie bildete bis dahin
einen Teil der Republik Colombia und nahm an häufigem Aufruhr teil. Als
die Vereinigten Staaten den Kanal bauen wollten, boten sie Colombia eine
hohe Summe, doch überschätzten die Machthaber das Erreichbare. Panama,
ohne Frage durch das Newyorker Riesenkapital wirksam unterstützt, jedoch ohne
alle Einwirkung der offiziellen Kreise von Washington, erklärte seine Un¬
abhängigkeit und rief den Schutz der Vereinigten Staaten an. Solcher wurde
ihm dann natürlich zuteil. Die neue Republik verkündete ihre Unabhängigkeit
und erhielt zehn Millionen Dollars dafür, daß sie alle Hoheitsrechte über das
Kanalgebiet abtrat. Seitdem herrscht Ruhe und Ordnung; ein im Frühjahr 1908
erfolgter Angriff columbischer Scharen wird wohl eingestellt werden, ehe die
Vereinigten Staaten eine strenge Miene machen können. In allen innern
Angelegenheiten mögen die Panamesen sich selbst regieren, wenn sie nur nicht
den Kanal oder das Eigentum Fremder antasten. Nach außen vertritt sie
Washington. Und sollten sie die nordamerikanische Politik durchkreuzen, so
wird man rasch mit ihnen umspringen. Dies ist eine Form des Protektorats
des Nordens über kleine Republiken. Santo Domingo und Cuba haben
andre; es lassen sich wohl noch viele finden.

Je weiter nach Süden, desto mehr verschiebt sich die Frage der Ein¬
mischung. Die Entfernung wächst, die Republiken werden größer, die Aus¬
übung einer Vormundschaft wird schwieriger. Die beiden nördlichsten Staaten
stellen das Elend des kreolischen Amerikas am ausgeprägtesten dar. Venezuela
hat eine Bevölkerung von etwa zweieinhalb Millionen Seelen, unter denen
nur etwa 25000 einheimische und 45000 fremde Weiße gezählt werden; ferner
etwa 350000 Indianer, zum Teil noch in vollständiger Unabhängigkeit und
Wildheit. Der Nest, reichlich zwei Millionen, wird aus den Abkömmlingen
der drei völlig verschmolznen Nassen, der Spanier, Neger und Indianer ge¬
bildet. Hier zeigt sich der Mangel an staatenbildender Kraft in erschreckender
Deutlichkeit. Alle die schon erwähnten Schattenseiten sind hier vereinigt. Das
Land ist beinahe so groß wie Deutschland und hat nur eine Bevölkerungs¬
dichtigkeit von 2,3. Es ist sehr schwer zu packen, für Versündigung an Kultur-


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[0272] Amerika und die Dauerhaftigkeit seiner politischen Verhältnisse vergleichen ließe. Das Negerblut ist hier viel schwächer als in Westindien und ni Südamerika. Die Mischlinge stammen von Weißen und Indianern ab, reine Indianer sind (wie auch in Mexiko) noch sehr zahlreich. Das kaukasische Element ist viel stärker als in Westindien. Guatemala zum Beispiel hat nach der freilich veralteten Zählung von 1893 unter 1364000 Einwohnern (12 auf den Quadratkilometer) 482000 Weiße — ob diese nun gerade einen reinen Stamm¬ baum haben, ist nicht gesagt. Um die Verhinderung der Kriege haben sich Mexiko und die Vereinigten Staaten große Mühe gegeben. Der Erfolg ist unvollständig. Zu innern Reformen kommt man schwer, deshalb bleibt die Möglichkeit einer nordamerikanischen Einmischung immer gegeben, sie hängt von unberechenbaren Ereignissen ab. Vollständig von den Vereinigten Staaten abhängig ist die junge, erst am 3. November 1903 proklamierte Republik Panama. Sie bildete bis dahin einen Teil der Republik Colombia und nahm an häufigem Aufruhr teil. Als die Vereinigten Staaten den Kanal bauen wollten, boten sie Colombia eine hohe Summe, doch überschätzten die Machthaber das Erreichbare. Panama, ohne Frage durch das Newyorker Riesenkapital wirksam unterstützt, jedoch ohne alle Einwirkung der offiziellen Kreise von Washington, erklärte seine Un¬ abhängigkeit und rief den Schutz der Vereinigten Staaten an. Solcher wurde ihm dann natürlich zuteil. Die neue Republik verkündete ihre Unabhängigkeit und erhielt zehn Millionen Dollars dafür, daß sie alle Hoheitsrechte über das Kanalgebiet abtrat. Seitdem herrscht Ruhe und Ordnung; ein im Frühjahr 1908 erfolgter Angriff columbischer Scharen wird wohl eingestellt werden, ehe die Vereinigten Staaten eine strenge Miene machen können. In allen innern Angelegenheiten mögen die Panamesen sich selbst regieren, wenn sie nur nicht den Kanal oder das Eigentum Fremder antasten. Nach außen vertritt sie Washington. Und sollten sie die nordamerikanische Politik durchkreuzen, so wird man rasch mit ihnen umspringen. Dies ist eine Form des Protektorats des Nordens über kleine Republiken. Santo Domingo und Cuba haben andre; es lassen sich wohl noch viele finden. Je weiter nach Süden, desto mehr verschiebt sich die Frage der Ein¬ mischung. Die Entfernung wächst, die Republiken werden größer, die Aus¬ übung einer Vormundschaft wird schwieriger. Die beiden nördlichsten Staaten stellen das Elend des kreolischen Amerikas am ausgeprägtesten dar. Venezuela hat eine Bevölkerung von etwa zweieinhalb Millionen Seelen, unter denen nur etwa 25000 einheimische und 45000 fremde Weiße gezählt werden; ferner etwa 350000 Indianer, zum Teil noch in vollständiger Unabhängigkeit und Wildheit. Der Nest, reichlich zwei Millionen, wird aus den Abkömmlingen der drei völlig verschmolznen Nassen, der Spanier, Neger und Indianer ge¬ bildet. Hier zeigt sich der Mangel an staatenbildender Kraft in erschreckender Deutlichkeit. Alle die schon erwähnten Schattenseiten sind hier vereinigt. Das Land ist beinahe so groß wie Deutschland und hat nur eine Bevölkerungs¬ dichtigkeit von 2,3. Es ist sehr schwer zu packen, für Versündigung an Kultur-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/272>, abgerufen am 24.07.2024.