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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Amerika und die Dauerhaftigkeit seiner politischen Verhältnisse

Er beginnt -- befestigt ist er noch lange nicht, denn die junge Republik hat
schon ihre Revolution gehabt und die erste Regierung gestürzt. Noch ist Leben
und Eigentum geschont geblieben. Sollte das einst nicht mehr der Fall sein,
so werden die Nordamerikaner einschreiten.

Es wäre unrecht, der Politik der Bereinigten Staaten Eroberungsgclüste
vorzuwerfen. Präsident Roosevelt ist zwar das Haupt der imperialistischen
Partei, aber er ist auch ein weiser Staatsmann. Auf das Abenteuer von
Eroberungen im romanisch-kreolischen Amerika möchte er doch nicht eingehn.
Mehrfach hat er in der feierlichsten Weise Anschuldigungen dieser Art zurück¬
gewiesen. Sein Staatssekretär Rook erklärte: nach dem Gebiet unsrer Schwcster-
republiken trachten wir so wenig wie nach Landschaften im Monde. Das ist
glaublich genug. Mit weiteren Landerwerb würden unausbleiblich auch
kreolische Vertreter im Bundcskongreß einziehen, namentlich müßte jeder an¬
gegliederte Staat zwei Senatoren in den Bundessenat senden. Das Treiben
im Senat im Dienste der Politik der materiellen Interessen ist ohnehin derart,
daß Kenner der Dinge nur mit Grausen an einen solchen "Fortschritt" denken.
Wenn nicht kreolische Senatoren selber erschienen, so würden vielleicht Ncw-
Yorker Großkapitalisten das Mandat von zugänglichen Wählern zu erwerben
wissen. Das geschieht leider jetzt schon zu viel. Nach Vermehrung solcher
Vertretungen sehnt sich kein amerikanischer Patriot. Präsident Roosevelt hat
auch den übrigen Republiken wirksam zu Gemüte geführt, daß sie die Monroe-
lehre nicht überspannen dürfen. Wenn sie sich Verfehlungen gegen fremde
Mächte zuschulden kommen ließen, so möchten sie nicht denken, daß die Ver¬
einigten Staaten sie in Schutz nehmen würden. Einzig und allein gegen Er¬
oberungsversuche würden diese sie schützen, in allem übrigen müßten sie für
ihre Handlungen einstehn. Auch in den Vereinigten Staaten sind die poli¬
tischen Probleme so ernst und verwickelt, daß man nicht wünschen wird, sie
durch Eroberung andrer Staatsgebilde mit einer Mischlingsbevölkerung noch
verworrener zu machen.

Das gegenwärtige Haupt des nordamerikanischen Volkes ist ein erleuchteter
Politiker und ein höchst ehrenvoller Charakter. Er setzt soeben seine ganze
Person ein, um sein Vaterland von der es bedrohenden Trustgcfahr zu be¬
freien. Was ihn dabei selbst erwartet, das achtet er nicht. Er will der
Korruption das Haupt zertreten. Nach allem, was wir von dem ausgezeich¬
neten Manne wissen, sind machiavellistische Erobemngspläne bei ihm völlig
ausgeschlossen.

Etwas andres ist es, ob unter kommenden Regierungen gleiche Weisheit
das Nuder leiten wird, und ob man immer entschlossen sein wird, bei auf¬
tauchenden Verwicklungen allen Versuchungen zu widerstehn. Man weiß nicht,
welchen Einfluß die Trusts gewinnen werden; ihnen ist wohl zuzutrauen, daß
sie manches Abenteuer wagen, um zu geschützten Märkten zu gelangen, von


Grenzboten II 1908 34
Amerika und die Dauerhaftigkeit seiner politischen Verhältnisse

Er beginnt — befestigt ist er noch lange nicht, denn die junge Republik hat
schon ihre Revolution gehabt und die erste Regierung gestürzt. Noch ist Leben
und Eigentum geschont geblieben. Sollte das einst nicht mehr der Fall sein,
so werden die Nordamerikaner einschreiten.

Es wäre unrecht, der Politik der Bereinigten Staaten Eroberungsgclüste
vorzuwerfen. Präsident Roosevelt ist zwar das Haupt der imperialistischen
Partei, aber er ist auch ein weiser Staatsmann. Auf das Abenteuer von
Eroberungen im romanisch-kreolischen Amerika möchte er doch nicht eingehn.
Mehrfach hat er in der feierlichsten Weise Anschuldigungen dieser Art zurück¬
gewiesen. Sein Staatssekretär Rook erklärte: nach dem Gebiet unsrer Schwcster-
republiken trachten wir so wenig wie nach Landschaften im Monde. Das ist
glaublich genug. Mit weiteren Landerwerb würden unausbleiblich auch
kreolische Vertreter im Bundcskongreß einziehen, namentlich müßte jeder an¬
gegliederte Staat zwei Senatoren in den Bundessenat senden. Das Treiben
im Senat im Dienste der Politik der materiellen Interessen ist ohnehin derart,
daß Kenner der Dinge nur mit Grausen an einen solchen „Fortschritt" denken.
Wenn nicht kreolische Senatoren selber erschienen, so würden vielleicht Ncw-
Yorker Großkapitalisten das Mandat von zugänglichen Wählern zu erwerben
wissen. Das geschieht leider jetzt schon zu viel. Nach Vermehrung solcher
Vertretungen sehnt sich kein amerikanischer Patriot. Präsident Roosevelt hat
auch den übrigen Republiken wirksam zu Gemüte geführt, daß sie die Monroe-
lehre nicht überspannen dürfen. Wenn sie sich Verfehlungen gegen fremde
Mächte zuschulden kommen ließen, so möchten sie nicht denken, daß die Ver¬
einigten Staaten sie in Schutz nehmen würden. Einzig und allein gegen Er¬
oberungsversuche würden diese sie schützen, in allem übrigen müßten sie für
ihre Handlungen einstehn. Auch in den Vereinigten Staaten sind die poli¬
tischen Probleme so ernst und verwickelt, daß man nicht wünschen wird, sie
durch Eroberung andrer Staatsgebilde mit einer Mischlingsbevölkerung noch
verworrener zu machen.

Das gegenwärtige Haupt des nordamerikanischen Volkes ist ein erleuchteter
Politiker und ein höchst ehrenvoller Charakter. Er setzt soeben seine ganze
Person ein, um sein Vaterland von der es bedrohenden Trustgcfahr zu be¬
freien. Was ihn dabei selbst erwartet, das achtet er nicht. Er will der
Korruption das Haupt zertreten. Nach allem, was wir von dem ausgezeich¬
neten Manne wissen, sind machiavellistische Erobemngspläne bei ihm völlig
ausgeschlossen.

Etwas andres ist es, ob unter kommenden Regierungen gleiche Weisheit
das Nuder leiten wird, und ob man immer entschlossen sein wird, bei auf¬
tauchenden Verwicklungen allen Versuchungen zu widerstehn. Man weiß nicht,
welchen Einfluß die Trusts gewinnen werden; ihnen ist wohl zuzutrauen, daß
sie manches Abenteuer wagen, um zu geschützten Märkten zu gelangen, von


Grenzboten II 1908 34
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[0269] Amerika und die Dauerhaftigkeit seiner politischen Verhältnisse Er beginnt — befestigt ist er noch lange nicht, denn die junge Republik hat schon ihre Revolution gehabt und die erste Regierung gestürzt. Noch ist Leben und Eigentum geschont geblieben. Sollte das einst nicht mehr der Fall sein, so werden die Nordamerikaner einschreiten. Es wäre unrecht, der Politik der Bereinigten Staaten Eroberungsgclüste vorzuwerfen. Präsident Roosevelt ist zwar das Haupt der imperialistischen Partei, aber er ist auch ein weiser Staatsmann. Auf das Abenteuer von Eroberungen im romanisch-kreolischen Amerika möchte er doch nicht eingehn. Mehrfach hat er in der feierlichsten Weise Anschuldigungen dieser Art zurück¬ gewiesen. Sein Staatssekretär Rook erklärte: nach dem Gebiet unsrer Schwcster- republiken trachten wir so wenig wie nach Landschaften im Monde. Das ist glaublich genug. Mit weiteren Landerwerb würden unausbleiblich auch kreolische Vertreter im Bundcskongreß einziehen, namentlich müßte jeder an¬ gegliederte Staat zwei Senatoren in den Bundessenat senden. Das Treiben im Senat im Dienste der Politik der materiellen Interessen ist ohnehin derart, daß Kenner der Dinge nur mit Grausen an einen solchen „Fortschritt" denken. Wenn nicht kreolische Senatoren selber erschienen, so würden vielleicht Ncw- Yorker Großkapitalisten das Mandat von zugänglichen Wählern zu erwerben wissen. Das geschieht leider jetzt schon zu viel. Nach Vermehrung solcher Vertretungen sehnt sich kein amerikanischer Patriot. Präsident Roosevelt hat auch den übrigen Republiken wirksam zu Gemüte geführt, daß sie die Monroe- lehre nicht überspannen dürfen. Wenn sie sich Verfehlungen gegen fremde Mächte zuschulden kommen ließen, so möchten sie nicht denken, daß die Ver¬ einigten Staaten sie in Schutz nehmen würden. Einzig und allein gegen Er¬ oberungsversuche würden diese sie schützen, in allem übrigen müßten sie für ihre Handlungen einstehn. Auch in den Vereinigten Staaten sind die poli¬ tischen Probleme so ernst und verwickelt, daß man nicht wünschen wird, sie durch Eroberung andrer Staatsgebilde mit einer Mischlingsbevölkerung noch verworrener zu machen. Das gegenwärtige Haupt des nordamerikanischen Volkes ist ein erleuchteter Politiker und ein höchst ehrenvoller Charakter. Er setzt soeben seine ganze Person ein, um sein Vaterland von der es bedrohenden Trustgcfahr zu be¬ freien. Was ihn dabei selbst erwartet, das achtet er nicht. Er will der Korruption das Haupt zertreten. Nach allem, was wir von dem ausgezeich¬ neten Manne wissen, sind machiavellistische Erobemngspläne bei ihm völlig ausgeschlossen. Etwas andres ist es, ob unter kommenden Regierungen gleiche Weisheit das Nuder leiten wird, und ob man immer entschlossen sein wird, bei auf¬ tauchenden Verwicklungen allen Versuchungen zu widerstehn. Man weiß nicht, welchen Einfluß die Trusts gewinnen werden; ihnen ist wohl zuzutrauen, daß sie manches Abenteuer wagen, um zu geschützten Märkten zu gelangen, von Grenzboten II 1908 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/269>, abgerufen am 24.07.2024.