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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Fürstin Pauline zur Lippe

Zukunft müsse lehren, ob die Umwälzung für Frankreich heilsam wäre. Die
Demütigung und Schändung des Königtums nach dem verunglückten Flucht¬
versuch erfüllt sie mit tiefster Entrüstung, und voll banger Ahnung sieht sie
noch mehr ähnliche und noch schrecklichere Vorfülle voraus. Die Begeisterung
des Freundes ist ein schöner Irrtum, der seinem Herzen Ehre macht. Nicht
ohne einen gewissen Triumph stellt sie fest, daß er immer kleinlauter wird und
sich zuletzt auch mit Entsetzen von den Greueltaten der Pariser Schreckens¬
männer abwendet. In diesem Hasse gegen die Revolution ist sie mit dem alten
Gleim einig, und wie dieser nicht müde wurde, ,,die Tigernation" mit der
Feder in der Hand zu bekämpfen, so richtete Pauline einen leidenschaftlichen,
wenn auch dichterisch nicht recht gelungner Aufruf an die Franzosen:

Doch Europa soll nicht bloß weinen, sondern auch handeln und die Franken
aus der edeln Völker Reihen ausstoßen. Leider entsprach der Verlauf des
ersten Koalitionskrieges sehr wenig den allgemeinen Erwartungen, die republi¬
kanischen Heere gingen von der Verteidigung bald zum Angriff über, und mit
Schrecken erkennt Pauline die furchtbare Gefahr für ihr armes Vaterland. Sie
klagt über die Uneinigkeit der Verbündeten, und jeder Sieg der Franzosen ist
ihr ein "Stich ins deutsche Herz". Denn sie war früher "eine Tochter Thuiskons"
vis eine Weltbürgerin. Bisweilen mag sie von Politik gar nichts mehr hören,
und es wird ihr nicht leicht, mit dem philosophischen Vetter in allen diesen
Weltbegebenheiten die Weisheit des Allgütiger und den Endzweck der allge¬
meinen Vervollkommnung zu erkennen. Als sie ihn über den Tod seines Vaters
trösten will, schreibt sie: "Jetzt, wo jeder Blick um uns her, jeder Vorfall in
der Zeitgeschichte die Seele erschüttert, bedarf man mehr als jemals innerer
Hilfsquellen, jetzt ist jeder höchst unglücklich, der nicht sich selbst genügt, nicht
im eignen Busen Unterhaltung und sanften Frieden schöpft."

Pauline gehörte nicht zu diesen unglücklichen Naturen. Sie hatte ihre
Bücher und den Verkehr mit dem Freunde, und dadurch wurde sie auch für
manches Unangenehme und Widrige entschädigt, was sie in ihrer nächsten Um¬
gebung erlebte. Das Verhältnis zu ihrem Vater war nicht mehr so herzlich
und ungetrübt wie einst. Der Fürst alterte früh und ließ seine verdrießliche
Laune oft an der Tochter aus, die ihn nicht nur in seiner Krankheit treu
Pflegte, sondern auch bei der Regierung des Landes in wertvollster Weise
unterstützte. Gerade das aber schuf ihr am Hofe viele Feinde. Pauline war,
wie sie selbst später einmal eingesteht, etwas heftig, und "der entscheidende Ton",
der der Regentin von Lippe nicht übel anstand, mag damals, als sie noch die
kleine Prinzessin von Ballenstedt war, oft genug verletzt haben. Sie klagte,
daß sie verkannt werde, daß ihr Verstand und ihre Kenntnisse mehr gepriesen


Fürstin Pauline zur Lippe

Zukunft müsse lehren, ob die Umwälzung für Frankreich heilsam wäre. Die
Demütigung und Schändung des Königtums nach dem verunglückten Flucht¬
versuch erfüllt sie mit tiefster Entrüstung, und voll banger Ahnung sieht sie
noch mehr ähnliche und noch schrecklichere Vorfülle voraus. Die Begeisterung
des Freundes ist ein schöner Irrtum, der seinem Herzen Ehre macht. Nicht
ohne einen gewissen Triumph stellt sie fest, daß er immer kleinlauter wird und
sich zuletzt auch mit Entsetzen von den Greueltaten der Pariser Schreckens¬
männer abwendet. In diesem Hasse gegen die Revolution ist sie mit dem alten
Gleim einig, und wie dieser nicht müde wurde, ,,die Tigernation" mit der
Feder in der Hand zu bekämpfen, so richtete Pauline einen leidenschaftlichen,
wenn auch dichterisch nicht recht gelungner Aufruf an die Franzosen:

Doch Europa soll nicht bloß weinen, sondern auch handeln und die Franken
aus der edeln Völker Reihen ausstoßen. Leider entsprach der Verlauf des
ersten Koalitionskrieges sehr wenig den allgemeinen Erwartungen, die republi¬
kanischen Heere gingen von der Verteidigung bald zum Angriff über, und mit
Schrecken erkennt Pauline die furchtbare Gefahr für ihr armes Vaterland. Sie
klagt über die Uneinigkeit der Verbündeten, und jeder Sieg der Franzosen ist
ihr ein „Stich ins deutsche Herz". Denn sie war früher „eine Tochter Thuiskons"
vis eine Weltbürgerin. Bisweilen mag sie von Politik gar nichts mehr hören,
und es wird ihr nicht leicht, mit dem philosophischen Vetter in allen diesen
Weltbegebenheiten die Weisheit des Allgütiger und den Endzweck der allge¬
meinen Vervollkommnung zu erkennen. Als sie ihn über den Tod seines Vaters
trösten will, schreibt sie: „Jetzt, wo jeder Blick um uns her, jeder Vorfall in
der Zeitgeschichte die Seele erschüttert, bedarf man mehr als jemals innerer
Hilfsquellen, jetzt ist jeder höchst unglücklich, der nicht sich selbst genügt, nicht
im eignen Busen Unterhaltung und sanften Frieden schöpft."

Pauline gehörte nicht zu diesen unglücklichen Naturen. Sie hatte ihre
Bücher und den Verkehr mit dem Freunde, und dadurch wurde sie auch für
manches Unangenehme und Widrige entschädigt, was sie in ihrer nächsten Um¬
gebung erlebte. Das Verhältnis zu ihrem Vater war nicht mehr so herzlich
und ungetrübt wie einst. Der Fürst alterte früh und ließ seine verdrießliche
Laune oft an der Tochter aus, die ihn nicht nur in seiner Krankheit treu
Pflegte, sondern auch bei der Regierung des Landes in wertvollster Weise
unterstützte. Gerade das aber schuf ihr am Hofe viele Feinde. Pauline war,
wie sie selbst später einmal eingesteht, etwas heftig, und „der entscheidende Ton",
der der Regentin von Lippe nicht übel anstand, mag damals, als sie noch die
kleine Prinzessin von Ballenstedt war, oft genug verletzt haben. Sie klagte,
daß sie verkannt werde, daß ihr Verstand und ihre Kenntnisse mehr gepriesen


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[0241] Fürstin Pauline zur Lippe Zukunft müsse lehren, ob die Umwälzung für Frankreich heilsam wäre. Die Demütigung und Schändung des Königtums nach dem verunglückten Flucht¬ versuch erfüllt sie mit tiefster Entrüstung, und voll banger Ahnung sieht sie noch mehr ähnliche und noch schrecklichere Vorfülle voraus. Die Begeisterung des Freundes ist ein schöner Irrtum, der seinem Herzen Ehre macht. Nicht ohne einen gewissen Triumph stellt sie fest, daß er immer kleinlauter wird und sich zuletzt auch mit Entsetzen von den Greueltaten der Pariser Schreckens¬ männer abwendet. In diesem Hasse gegen die Revolution ist sie mit dem alten Gleim einig, und wie dieser nicht müde wurde, ,,die Tigernation" mit der Feder in der Hand zu bekämpfen, so richtete Pauline einen leidenschaftlichen, wenn auch dichterisch nicht recht gelungner Aufruf an die Franzosen: Doch Europa soll nicht bloß weinen, sondern auch handeln und die Franken aus der edeln Völker Reihen ausstoßen. Leider entsprach der Verlauf des ersten Koalitionskrieges sehr wenig den allgemeinen Erwartungen, die republi¬ kanischen Heere gingen von der Verteidigung bald zum Angriff über, und mit Schrecken erkennt Pauline die furchtbare Gefahr für ihr armes Vaterland. Sie klagt über die Uneinigkeit der Verbündeten, und jeder Sieg der Franzosen ist ihr ein „Stich ins deutsche Herz". Denn sie war früher „eine Tochter Thuiskons" vis eine Weltbürgerin. Bisweilen mag sie von Politik gar nichts mehr hören, und es wird ihr nicht leicht, mit dem philosophischen Vetter in allen diesen Weltbegebenheiten die Weisheit des Allgütiger und den Endzweck der allge¬ meinen Vervollkommnung zu erkennen. Als sie ihn über den Tod seines Vaters trösten will, schreibt sie: „Jetzt, wo jeder Blick um uns her, jeder Vorfall in der Zeitgeschichte die Seele erschüttert, bedarf man mehr als jemals innerer Hilfsquellen, jetzt ist jeder höchst unglücklich, der nicht sich selbst genügt, nicht im eignen Busen Unterhaltung und sanften Frieden schöpft." Pauline gehörte nicht zu diesen unglücklichen Naturen. Sie hatte ihre Bücher und den Verkehr mit dem Freunde, und dadurch wurde sie auch für manches Unangenehme und Widrige entschädigt, was sie in ihrer nächsten Um¬ gebung erlebte. Das Verhältnis zu ihrem Vater war nicht mehr so herzlich und ungetrübt wie einst. Der Fürst alterte früh und ließ seine verdrießliche Laune oft an der Tochter aus, die ihn nicht nur in seiner Krankheit treu Pflegte, sondern auch bei der Regierung des Landes in wertvollster Weise unterstützte. Gerade das aber schuf ihr am Hofe viele Feinde. Pauline war, wie sie selbst später einmal eingesteht, etwas heftig, und „der entscheidende Ton", der der Regentin von Lippe nicht übel anstand, mag damals, als sie noch die kleine Prinzessin von Ballenstedt war, oft genug verletzt haben. Sie klagte, daß sie verkannt werde, daß ihr Verstand und ihre Kenntnisse mehr gepriesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/241>, abgerufen am 24.07.2024.