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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Fürstin pauline zur Lippe

Student die Verwandten am Harz bisweilen aufgesucht, und drei Jahre vor
der unglückseligen Werbung war auch Pauline mit ihrem Vater in Holstein
gewesen und hatte sich dort besonders eng an ihre Cousine Luise angeschlossen.
Dem Vetter trat sie erst näher, als er -- gerade zu der Zeit, wo der Det-
molder schriftlich um sie anhielt -- mit seiner jungen Frau wieder nach Ballen-
stedt kam. Ob sich Pauline damals in ihrer Not an ihn gewandt, oder ob er
nach seiner Abreise aus freien Stücken Erkundigungen über den lästigen Freier
eingezogen hat, geht aus ihren Briefen nicht deutlich hervor. Ohne Zweifel
aber war es sein Bericht, seine Warnung, die Paulinens Widerstand ent¬
schied. Sie nennt ihn ihren "edeln Ritter", ihren "brüderlichen Freund";
seine Hand, "die Hand eines hilfreichen Engels", hat sie vor dem Abgrund
gerettet. Und nach diesem ersten feurigen Hymnus des Dankes entspinnt sich
zwischen den beiden einer jener Briefwechsel, wie sie das empfindsame Zeit¬
alter liebte.*)

Der Augustenburger, als hochherziger Wohltäter Schillers allgemein be¬
kannt, war klein und unansehnlich von Gestalt, aber begeistert für alles Schöne
und Edle, verstand er auch wieder Begeisterung einzuflößen. So brachte er
denn in Paulinens Leben, das bis dahin an dem kleinen Hofe ziemlich ein¬
förmig verlaufen war, einen neuen, reichen Inhalt. Endlich hatte sie ein
empfängliches Herz gefunden, dem sie ihre Sorgen und Kümmernisse, vor allem
aber ihre Gedanken und Ansichten über Welt und Menschen, über die kleinen
und großen Dinge des Lebens anvertrauen konnte. Sie sah den Vetter nur
selten, bei seinen flüchtigen Besuchen in Ballenstedt. "Ihr einziges, wenn auch
unvollkommnes Ergänzungmittel" war dieser "liebreiche" Briefwechsel, der aber
gerade durch den Schmerz der Entsagung für sie vielleicht noch einen Reiz
mehr erhielt. Durch keine äußerlichen Umstände und Rücksichten gehemmt,
konnten sich die Seelen um so leichter in der Welt der Gedanken finden. Man
schrieb damals nicht bloß Briefe, um sich Mitteilungen zu machen, sondern
man schrieb Briefe, die zugleich Selbstbekenntnisse waren, man legte Wert auf
einen gewählten Ausdruck, man wollte schöne Empfindungen in dem Freunde
erwecken. Auch Paulinens Briefe tragen dem Geschmack der Zeit Rechnung.
Manchen Satz, manche Wendung kann man heute nicht ohne Lächeln lesen.
So hat sie ihm einmal zum Geburtstage eine Weste gestickt und bittet ihn
nun, wenn er sie zu tragen würdige, der liebevollen Freundin zu gedenken,
die bei jedem Stich Segen für ihn vom Himmel erflehte. Seine Freundschaft
ist ihr köstlichstes Gut, sie zittert, es zu verlieren. Als er ihr bei einem Besuch
in Ballenstedt -- für sie ein "Silberblick von Glück" -- zu kalt und gleich-
giltig erschienen ist. fragt sie in banger Sorge, worin sie gefehlt, wodurch sie
ihr Glück verscherzt haben könnte. Und am Schlüsse dieses Briefes versichert



P, Rache!, "Fürstin Pauline zur Lippe und Friedrich Christian von Augustenburg".
Briefe aus den Jahren 1790 bis 1812. Leipzig, 1903, Verlag von Will). Welcher (mit einer
wertvollen Einleitung).
Fürstin pauline zur Lippe

Student die Verwandten am Harz bisweilen aufgesucht, und drei Jahre vor
der unglückseligen Werbung war auch Pauline mit ihrem Vater in Holstein
gewesen und hatte sich dort besonders eng an ihre Cousine Luise angeschlossen.
Dem Vetter trat sie erst näher, als er — gerade zu der Zeit, wo der Det-
molder schriftlich um sie anhielt — mit seiner jungen Frau wieder nach Ballen-
stedt kam. Ob sich Pauline damals in ihrer Not an ihn gewandt, oder ob er
nach seiner Abreise aus freien Stücken Erkundigungen über den lästigen Freier
eingezogen hat, geht aus ihren Briefen nicht deutlich hervor. Ohne Zweifel
aber war es sein Bericht, seine Warnung, die Paulinens Widerstand ent¬
schied. Sie nennt ihn ihren „edeln Ritter", ihren „brüderlichen Freund";
seine Hand, „die Hand eines hilfreichen Engels", hat sie vor dem Abgrund
gerettet. Und nach diesem ersten feurigen Hymnus des Dankes entspinnt sich
zwischen den beiden einer jener Briefwechsel, wie sie das empfindsame Zeit¬
alter liebte.*)

Der Augustenburger, als hochherziger Wohltäter Schillers allgemein be¬
kannt, war klein und unansehnlich von Gestalt, aber begeistert für alles Schöne
und Edle, verstand er auch wieder Begeisterung einzuflößen. So brachte er
denn in Paulinens Leben, das bis dahin an dem kleinen Hofe ziemlich ein¬
förmig verlaufen war, einen neuen, reichen Inhalt. Endlich hatte sie ein
empfängliches Herz gefunden, dem sie ihre Sorgen und Kümmernisse, vor allem
aber ihre Gedanken und Ansichten über Welt und Menschen, über die kleinen
und großen Dinge des Lebens anvertrauen konnte. Sie sah den Vetter nur
selten, bei seinen flüchtigen Besuchen in Ballenstedt. „Ihr einziges, wenn auch
unvollkommnes Ergänzungmittel" war dieser „liebreiche" Briefwechsel, der aber
gerade durch den Schmerz der Entsagung für sie vielleicht noch einen Reiz
mehr erhielt. Durch keine äußerlichen Umstände und Rücksichten gehemmt,
konnten sich die Seelen um so leichter in der Welt der Gedanken finden. Man
schrieb damals nicht bloß Briefe, um sich Mitteilungen zu machen, sondern
man schrieb Briefe, die zugleich Selbstbekenntnisse waren, man legte Wert auf
einen gewählten Ausdruck, man wollte schöne Empfindungen in dem Freunde
erwecken. Auch Paulinens Briefe tragen dem Geschmack der Zeit Rechnung.
Manchen Satz, manche Wendung kann man heute nicht ohne Lächeln lesen.
So hat sie ihm einmal zum Geburtstage eine Weste gestickt und bittet ihn
nun, wenn er sie zu tragen würdige, der liebevollen Freundin zu gedenken,
die bei jedem Stich Segen für ihn vom Himmel erflehte. Seine Freundschaft
ist ihr köstlichstes Gut, sie zittert, es zu verlieren. Als er ihr bei einem Besuch
in Ballenstedt — für sie ein „Silberblick von Glück" — zu kalt und gleich-
giltig erschienen ist. fragt sie in banger Sorge, worin sie gefehlt, wodurch sie
ihr Glück verscherzt haben könnte. Und am Schlüsse dieses Briefes versichert



P, Rache!, „Fürstin Pauline zur Lippe und Friedrich Christian von Augustenburg".
Briefe aus den Jahren 1790 bis 1812. Leipzig, 1903, Verlag von Will). Welcher (mit einer
wertvollen Einleitung).
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[0239] Fürstin pauline zur Lippe Student die Verwandten am Harz bisweilen aufgesucht, und drei Jahre vor der unglückseligen Werbung war auch Pauline mit ihrem Vater in Holstein gewesen und hatte sich dort besonders eng an ihre Cousine Luise angeschlossen. Dem Vetter trat sie erst näher, als er — gerade zu der Zeit, wo der Det- molder schriftlich um sie anhielt — mit seiner jungen Frau wieder nach Ballen- stedt kam. Ob sich Pauline damals in ihrer Not an ihn gewandt, oder ob er nach seiner Abreise aus freien Stücken Erkundigungen über den lästigen Freier eingezogen hat, geht aus ihren Briefen nicht deutlich hervor. Ohne Zweifel aber war es sein Bericht, seine Warnung, die Paulinens Widerstand ent¬ schied. Sie nennt ihn ihren „edeln Ritter", ihren „brüderlichen Freund"; seine Hand, „die Hand eines hilfreichen Engels", hat sie vor dem Abgrund gerettet. Und nach diesem ersten feurigen Hymnus des Dankes entspinnt sich zwischen den beiden einer jener Briefwechsel, wie sie das empfindsame Zeit¬ alter liebte.*) Der Augustenburger, als hochherziger Wohltäter Schillers allgemein be¬ kannt, war klein und unansehnlich von Gestalt, aber begeistert für alles Schöne und Edle, verstand er auch wieder Begeisterung einzuflößen. So brachte er denn in Paulinens Leben, das bis dahin an dem kleinen Hofe ziemlich ein¬ förmig verlaufen war, einen neuen, reichen Inhalt. Endlich hatte sie ein empfängliches Herz gefunden, dem sie ihre Sorgen und Kümmernisse, vor allem aber ihre Gedanken und Ansichten über Welt und Menschen, über die kleinen und großen Dinge des Lebens anvertrauen konnte. Sie sah den Vetter nur selten, bei seinen flüchtigen Besuchen in Ballenstedt. „Ihr einziges, wenn auch unvollkommnes Ergänzungmittel" war dieser „liebreiche" Briefwechsel, der aber gerade durch den Schmerz der Entsagung für sie vielleicht noch einen Reiz mehr erhielt. Durch keine äußerlichen Umstände und Rücksichten gehemmt, konnten sich die Seelen um so leichter in der Welt der Gedanken finden. Man schrieb damals nicht bloß Briefe, um sich Mitteilungen zu machen, sondern man schrieb Briefe, die zugleich Selbstbekenntnisse waren, man legte Wert auf einen gewählten Ausdruck, man wollte schöne Empfindungen in dem Freunde erwecken. Auch Paulinens Briefe tragen dem Geschmack der Zeit Rechnung. Manchen Satz, manche Wendung kann man heute nicht ohne Lächeln lesen. So hat sie ihm einmal zum Geburtstage eine Weste gestickt und bittet ihn nun, wenn er sie zu tragen würdige, der liebevollen Freundin zu gedenken, die bei jedem Stich Segen für ihn vom Himmel erflehte. Seine Freundschaft ist ihr köstlichstes Gut, sie zittert, es zu verlieren. Als er ihr bei einem Besuch in Ballenstedt — für sie ein „Silberblick von Glück" — zu kalt und gleich- giltig erschienen ist. fragt sie in banger Sorge, worin sie gefehlt, wodurch sie ihr Glück verscherzt haben könnte. Und am Schlüsse dieses Briefes versichert P, Rache!, „Fürstin Pauline zur Lippe und Friedrich Christian von Augustenburg". Briefe aus den Jahren 1790 bis 1812. Leipzig, 1903, Verlag von Will). Welcher (mit einer wertvollen Einleitung).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/239>, abgerufen am 24.07.2024.