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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Fürstin pauline zur Lippe

schreiben brauchte, so konnte sie doch den Sorgen der Politik nicht aus dem
Wege gehn, und in den Wirren einer harten und rücksichtslosen Zeit gelang
es ihr nur mit vieler Mühe, ihrem Sohne das väterliche Erbe zu retten.

Die junge Prinzessin, die mit dem allbekannten Freunde und Gönner aller
aufstrebenden Talente in ziemlich regelmäßigem Briefwechsel stand und sich von
seiner Muse beeinflussen ließ, war Pauline von Anhalt-Bernburg. Ein General
Napoleons verglich die spätere Regentin von Lippe einmal mit der mächtigen
Katharina der Zweiten und meinte, daß es diese Fürstinnen aus dem Hause
Anhalt verstanden Hütten, das Zepter zu tragen und die Bewunderung Europas
und der Welt zu erringen. Ganz unrecht hat der Schmeichler nicht. In ihren
enger gezognen Grenzen hat Pauline sicherlich ebenso großes erreicht wie die
kleine Zerbsterin, die durch eine Laune des Schicksals nach Rußland ver¬
schlagen wurde.

Paulinens Vater, Fürst Friedrich Albrecht von Anhalt-Bernburg, ein
jüngerer Zeitgenosse des großen preußischen Königs, war ein tüchtiger Ver¬
walter seines kleinen Landes, das sich als schmales Gebiet von der untern
Saale bis an den Fuß des Harzes erstreckte. In Ballenstedt wurde Pauline
am 23. Februar 1769 geboren. In kräftiger Bergluft wuchs sie auf, und ihr
ganzes Leben lang hat sie sich ein inniges Verhältnis zu der sie umgebenden
Natur bewahrt. Eins ihrer besten Gedichte preist das Erwachen des Frühlings
in zarten und tiefempfunden Versen. Sie liebte es, die Sonne über den
Bergen aufgehn zu sehen, und fühlte sich dann höhern Sphären näher gerückt.
Die Mutter hatte sie bald nach der Geburt verloren. Desto liebevoller nahm
sich ihrer der Vater an. Sie erhielt eine sehr sorgfältige und besonders für
die damalige Zeit recht ungewöhnliche Erziehung und lernte zusammen mit
ihrem einzigen, etwas ältern Bruder nicht nur Französisch, sondern auch Latein.
Wie eine Gymnasiastin von heute las sie Tacitus und Vergil. Auch das
Italienische war ihr nicht fremd, und sehr leid tat es ihr, daß sie keine Gelegen¬
heit hatte, Englisch zu lernen, und darum Gibbon, Hume und die berühmten
Moralphilosophen nur in der Übersetzung lesen konnte. Eine unermüdlich lern¬
begierige Natur, hielt sie jeden Tag für verloren, an dem sie nicht neue
Kenntnisse erworben hatte. Ein Büchermensch, eine trockne Stubengelehrte
wurde sie trotzdem nicht. Sie hatte einen offnen Blick für das, was in der
Welt vorging, und einen stark ausgebildeten praktischen Sinn, und da sie für
ihren Vater längere Zeit alle Kanzleigeschäfte besorgen mußte, fand sie sich in
den Akten und in der Staatsverwaltung bald ebenso leicht zurecht wie in der
schönen Literatur. Dagegen sagten die nichtigen Tändeleien des Hoflebens ihr
nicht zu. Wenn sie bei Festen und Empfängen ganze Tage mit alltäglichen
Gesprächen zubringen mußte, kam sie sich wie eine Sklavin vor und dankte
Gott, daß sie nur Kopien großer Höfe kannte. Auch dort gab es für ihren
Geschmack schon "Kabalen und Truglarven" genug, und sie war erstaunt, bei
den Höflingen, durchlauchtigen und nicht durchlauchtigen, noch hin und wieder


Fürstin pauline zur Lippe

schreiben brauchte, so konnte sie doch den Sorgen der Politik nicht aus dem
Wege gehn, und in den Wirren einer harten und rücksichtslosen Zeit gelang
es ihr nur mit vieler Mühe, ihrem Sohne das väterliche Erbe zu retten.

Die junge Prinzessin, die mit dem allbekannten Freunde und Gönner aller
aufstrebenden Talente in ziemlich regelmäßigem Briefwechsel stand und sich von
seiner Muse beeinflussen ließ, war Pauline von Anhalt-Bernburg. Ein General
Napoleons verglich die spätere Regentin von Lippe einmal mit der mächtigen
Katharina der Zweiten und meinte, daß es diese Fürstinnen aus dem Hause
Anhalt verstanden Hütten, das Zepter zu tragen und die Bewunderung Europas
und der Welt zu erringen. Ganz unrecht hat der Schmeichler nicht. In ihren
enger gezognen Grenzen hat Pauline sicherlich ebenso großes erreicht wie die
kleine Zerbsterin, die durch eine Laune des Schicksals nach Rußland ver¬
schlagen wurde.

Paulinens Vater, Fürst Friedrich Albrecht von Anhalt-Bernburg, ein
jüngerer Zeitgenosse des großen preußischen Königs, war ein tüchtiger Ver¬
walter seines kleinen Landes, das sich als schmales Gebiet von der untern
Saale bis an den Fuß des Harzes erstreckte. In Ballenstedt wurde Pauline
am 23. Februar 1769 geboren. In kräftiger Bergluft wuchs sie auf, und ihr
ganzes Leben lang hat sie sich ein inniges Verhältnis zu der sie umgebenden
Natur bewahrt. Eins ihrer besten Gedichte preist das Erwachen des Frühlings
in zarten und tiefempfunden Versen. Sie liebte es, die Sonne über den
Bergen aufgehn zu sehen, und fühlte sich dann höhern Sphären näher gerückt.
Die Mutter hatte sie bald nach der Geburt verloren. Desto liebevoller nahm
sich ihrer der Vater an. Sie erhielt eine sehr sorgfältige und besonders für
die damalige Zeit recht ungewöhnliche Erziehung und lernte zusammen mit
ihrem einzigen, etwas ältern Bruder nicht nur Französisch, sondern auch Latein.
Wie eine Gymnasiastin von heute las sie Tacitus und Vergil. Auch das
Italienische war ihr nicht fremd, und sehr leid tat es ihr, daß sie keine Gelegen¬
heit hatte, Englisch zu lernen, und darum Gibbon, Hume und die berühmten
Moralphilosophen nur in der Übersetzung lesen konnte. Eine unermüdlich lern¬
begierige Natur, hielt sie jeden Tag für verloren, an dem sie nicht neue
Kenntnisse erworben hatte. Ein Büchermensch, eine trockne Stubengelehrte
wurde sie trotzdem nicht. Sie hatte einen offnen Blick für das, was in der
Welt vorging, und einen stark ausgebildeten praktischen Sinn, und da sie für
ihren Vater längere Zeit alle Kanzleigeschäfte besorgen mußte, fand sie sich in
den Akten und in der Staatsverwaltung bald ebenso leicht zurecht wie in der
schönen Literatur. Dagegen sagten die nichtigen Tändeleien des Hoflebens ihr
nicht zu. Wenn sie bei Festen und Empfängen ganze Tage mit alltäglichen
Gesprächen zubringen mußte, kam sie sich wie eine Sklavin vor und dankte
Gott, daß sie nur Kopien großer Höfe kannte. Auch dort gab es für ihren
Geschmack schon „Kabalen und Truglarven" genug, und sie war erstaunt, bei
den Höflingen, durchlauchtigen und nicht durchlauchtigen, noch hin und wieder


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[0235] Fürstin pauline zur Lippe schreiben brauchte, so konnte sie doch den Sorgen der Politik nicht aus dem Wege gehn, und in den Wirren einer harten und rücksichtslosen Zeit gelang es ihr nur mit vieler Mühe, ihrem Sohne das väterliche Erbe zu retten. Die junge Prinzessin, die mit dem allbekannten Freunde und Gönner aller aufstrebenden Talente in ziemlich regelmäßigem Briefwechsel stand und sich von seiner Muse beeinflussen ließ, war Pauline von Anhalt-Bernburg. Ein General Napoleons verglich die spätere Regentin von Lippe einmal mit der mächtigen Katharina der Zweiten und meinte, daß es diese Fürstinnen aus dem Hause Anhalt verstanden Hütten, das Zepter zu tragen und die Bewunderung Europas und der Welt zu erringen. Ganz unrecht hat der Schmeichler nicht. In ihren enger gezognen Grenzen hat Pauline sicherlich ebenso großes erreicht wie die kleine Zerbsterin, die durch eine Laune des Schicksals nach Rußland ver¬ schlagen wurde. Paulinens Vater, Fürst Friedrich Albrecht von Anhalt-Bernburg, ein jüngerer Zeitgenosse des großen preußischen Königs, war ein tüchtiger Ver¬ walter seines kleinen Landes, das sich als schmales Gebiet von der untern Saale bis an den Fuß des Harzes erstreckte. In Ballenstedt wurde Pauline am 23. Februar 1769 geboren. In kräftiger Bergluft wuchs sie auf, und ihr ganzes Leben lang hat sie sich ein inniges Verhältnis zu der sie umgebenden Natur bewahrt. Eins ihrer besten Gedichte preist das Erwachen des Frühlings in zarten und tiefempfunden Versen. Sie liebte es, die Sonne über den Bergen aufgehn zu sehen, und fühlte sich dann höhern Sphären näher gerückt. Die Mutter hatte sie bald nach der Geburt verloren. Desto liebevoller nahm sich ihrer der Vater an. Sie erhielt eine sehr sorgfältige und besonders für die damalige Zeit recht ungewöhnliche Erziehung und lernte zusammen mit ihrem einzigen, etwas ältern Bruder nicht nur Französisch, sondern auch Latein. Wie eine Gymnasiastin von heute las sie Tacitus und Vergil. Auch das Italienische war ihr nicht fremd, und sehr leid tat es ihr, daß sie keine Gelegen¬ heit hatte, Englisch zu lernen, und darum Gibbon, Hume und die berühmten Moralphilosophen nur in der Übersetzung lesen konnte. Eine unermüdlich lern¬ begierige Natur, hielt sie jeden Tag für verloren, an dem sie nicht neue Kenntnisse erworben hatte. Ein Büchermensch, eine trockne Stubengelehrte wurde sie trotzdem nicht. Sie hatte einen offnen Blick für das, was in der Welt vorging, und einen stark ausgebildeten praktischen Sinn, und da sie für ihren Vater längere Zeit alle Kanzleigeschäfte besorgen mußte, fand sie sich in den Akten und in der Staatsverwaltung bald ebenso leicht zurecht wie in der schönen Literatur. Dagegen sagten die nichtigen Tändeleien des Hoflebens ihr nicht zu. Wenn sie bei Festen und Empfängen ganze Tage mit alltäglichen Gesprächen zubringen mußte, kam sie sich wie eine Sklavin vor und dankte Gott, daß sie nur Kopien großer Höfe kannte. Auch dort gab es für ihren Geschmack schon „Kabalen und Truglarven" genug, und sie war erstaunt, bei den Höflingen, durchlauchtigen und nicht durchlauchtigen, noch hin und wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/235>, abgerufen am 24.07.2024.