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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Reform unsrer Areditorganisation

Zunahme und Vergrößerung der industriellen Unternehmungen, die Ausdehnung
des Handels neben immer wachsender Bevölkerungszunahme mußten den Be¬
darf einerseits an Betriebskapital, andrerseits an Umlaufsmitteln ungewöhnlich
steigern und so auf dem Geldmarkte Zustände hervorrufen, die über das normale
Maß hinausgehn. Die gesunde Grundlage des Wirtschaftslebens bürgt dafür,
daß die Anspannung des Geldmarktes allmählich überwunden werden wird
auch unter Beibehaltung der gegenwärtigen Bank- und Kreditorganisation.

Dennoch ist es wünschenswert, daß wir nicht stehn bleiben, sondern weiter
arbeiten an der Ausgestaltung dieser Organisation, damit sie möglichst große
Vollkommenheit erlange. Deshalb sind die in den letzten Monaten in großer
Zahl gemachten Neformvorschlüge sehr willkommen. Sie sind jedoch von der
Fachpresse zum Teil in einem Tone kritisiert worden, wie er glücklicherweise
nur selten in den betreffenden Blättern zu hören ist. Am meisten, und zwar
in persönlich gehässiger Form, sind die Vorschläge des Präsidenten der
Preußischen Zentralgenossenschaftskasse Dr- Heiligenstadt*) angefeindet worden.
Dieser stellt die selbstverständliche Forderung auf, daß die Trüger des deutschen
Geldmarktes, die Banken, vor allem zur Besserung der gegenwärtigen Lage
Opfer bringen sollen. Daß nun gerade von der Bankwelt so heftiger
Widerspruch erfolgt, zeigt mit bedauerlicher Deutlichkeit, wie wenig die Banken
gewillt sind, ihre rein privatwirtschaftlichen Interessen hinter den Interessen
der Volkswirtschaft zurückzustellen. Heiligenstadt nimmt vor allen Dingen
darauf Bedacht, die Stellung der Reichsbank zu stärken durch Erhöhung des
Grundkapitals und der Mindestguthaben auf Girokonto sowie durch Abführung
von ein bis zwei Prozent der fremden Gelder, das heißt der Spareinlagen
und der Kontokorrentguthaben, aller Kreditinstitute an die Reichsbank. Hier
geht eine Berliner Tageszeitung so weit, eine versteckte Drohung gegen die
Reichsbank auszusprechen, indem sie darauf hinweist, daß aus der Verwirk¬
lichung der Heiligenstadtschen Vorschläge eine Verstimmung zwischen Reichs¬
bank und Bankwelt hervorgehen könne, die zu einer Praxis (soll heißen: syste¬
matischem Bestreben) der Banken führen würde, die die Bemühungen der
Reichsbank, höhere Girognthaben zu erhalten, durchkreuzen könnte. Diese Er¬
örterung zeigt ganz besonders, daß ein freiwilliges Zurückstecken der Privat-
interessen von den Banken nicht zu erwarten ist, daß also auf dem Wege
der Gesetzgebung den volkswirtschaftlichen Interessen Geltung verschafft werden
muß, sie beweist aber auch, daß die Vorschläge Heiligenstadts im Prinzip das
Richtige getroffen haben, denn nur weil die Überzeugungskraft seiner Dar¬
legungen sehr groß ist, ist auch die Kritik überlaut.

Wir stimmen durchaus nicht allen Vorschlügen Heiligenstadts zu, denn er
begeht selbst den Fehler, die Privatinteressen der Kreditgenossenschaften höher



°') "Der deutsche Geldmarkt" in Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung, und
Volkswirtschaft im Deutschen Reiche.
Grenzboten II 1908 28
Reform unsrer Areditorganisation

Zunahme und Vergrößerung der industriellen Unternehmungen, die Ausdehnung
des Handels neben immer wachsender Bevölkerungszunahme mußten den Be¬
darf einerseits an Betriebskapital, andrerseits an Umlaufsmitteln ungewöhnlich
steigern und so auf dem Geldmarkte Zustände hervorrufen, die über das normale
Maß hinausgehn. Die gesunde Grundlage des Wirtschaftslebens bürgt dafür,
daß die Anspannung des Geldmarktes allmählich überwunden werden wird
auch unter Beibehaltung der gegenwärtigen Bank- und Kreditorganisation.

Dennoch ist es wünschenswert, daß wir nicht stehn bleiben, sondern weiter
arbeiten an der Ausgestaltung dieser Organisation, damit sie möglichst große
Vollkommenheit erlange. Deshalb sind die in den letzten Monaten in großer
Zahl gemachten Neformvorschlüge sehr willkommen. Sie sind jedoch von der
Fachpresse zum Teil in einem Tone kritisiert worden, wie er glücklicherweise
nur selten in den betreffenden Blättern zu hören ist. Am meisten, und zwar
in persönlich gehässiger Form, sind die Vorschläge des Präsidenten der
Preußischen Zentralgenossenschaftskasse Dr- Heiligenstadt*) angefeindet worden.
Dieser stellt die selbstverständliche Forderung auf, daß die Trüger des deutschen
Geldmarktes, die Banken, vor allem zur Besserung der gegenwärtigen Lage
Opfer bringen sollen. Daß nun gerade von der Bankwelt so heftiger
Widerspruch erfolgt, zeigt mit bedauerlicher Deutlichkeit, wie wenig die Banken
gewillt sind, ihre rein privatwirtschaftlichen Interessen hinter den Interessen
der Volkswirtschaft zurückzustellen. Heiligenstadt nimmt vor allen Dingen
darauf Bedacht, die Stellung der Reichsbank zu stärken durch Erhöhung des
Grundkapitals und der Mindestguthaben auf Girokonto sowie durch Abführung
von ein bis zwei Prozent der fremden Gelder, das heißt der Spareinlagen
und der Kontokorrentguthaben, aller Kreditinstitute an die Reichsbank. Hier
geht eine Berliner Tageszeitung so weit, eine versteckte Drohung gegen die
Reichsbank auszusprechen, indem sie darauf hinweist, daß aus der Verwirk¬
lichung der Heiligenstadtschen Vorschläge eine Verstimmung zwischen Reichs¬
bank und Bankwelt hervorgehen könne, die zu einer Praxis (soll heißen: syste¬
matischem Bestreben) der Banken führen würde, die die Bemühungen der
Reichsbank, höhere Girognthaben zu erhalten, durchkreuzen könnte. Diese Er¬
örterung zeigt ganz besonders, daß ein freiwilliges Zurückstecken der Privat-
interessen von den Banken nicht zu erwarten ist, daß also auf dem Wege
der Gesetzgebung den volkswirtschaftlichen Interessen Geltung verschafft werden
muß, sie beweist aber auch, daß die Vorschläge Heiligenstadts im Prinzip das
Richtige getroffen haben, denn nur weil die Überzeugungskraft seiner Dar¬
legungen sehr groß ist, ist auch die Kritik überlaut.

Wir stimmen durchaus nicht allen Vorschlügen Heiligenstadts zu, denn er
begeht selbst den Fehler, die Privatinteressen der Kreditgenossenschaften höher



°') „Der deutsche Geldmarkt" in Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung, und
Volkswirtschaft im Deutschen Reiche.
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[0221] Reform unsrer Areditorganisation Zunahme und Vergrößerung der industriellen Unternehmungen, die Ausdehnung des Handels neben immer wachsender Bevölkerungszunahme mußten den Be¬ darf einerseits an Betriebskapital, andrerseits an Umlaufsmitteln ungewöhnlich steigern und so auf dem Geldmarkte Zustände hervorrufen, die über das normale Maß hinausgehn. Die gesunde Grundlage des Wirtschaftslebens bürgt dafür, daß die Anspannung des Geldmarktes allmählich überwunden werden wird auch unter Beibehaltung der gegenwärtigen Bank- und Kreditorganisation. Dennoch ist es wünschenswert, daß wir nicht stehn bleiben, sondern weiter arbeiten an der Ausgestaltung dieser Organisation, damit sie möglichst große Vollkommenheit erlange. Deshalb sind die in den letzten Monaten in großer Zahl gemachten Neformvorschlüge sehr willkommen. Sie sind jedoch von der Fachpresse zum Teil in einem Tone kritisiert worden, wie er glücklicherweise nur selten in den betreffenden Blättern zu hören ist. Am meisten, und zwar in persönlich gehässiger Form, sind die Vorschläge des Präsidenten der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse Dr- Heiligenstadt*) angefeindet worden. Dieser stellt die selbstverständliche Forderung auf, daß die Trüger des deutschen Geldmarktes, die Banken, vor allem zur Besserung der gegenwärtigen Lage Opfer bringen sollen. Daß nun gerade von der Bankwelt so heftiger Widerspruch erfolgt, zeigt mit bedauerlicher Deutlichkeit, wie wenig die Banken gewillt sind, ihre rein privatwirtschaftlichen Interessen hinter den Interessen der Volkswirtschaft zurückzustellen. Heiligenstadt nimmt vor allen Dingen darauf Bedacht, die Stellung der Reichsbank zu stärken durch Erhöhung des Grundkapitals und der Mindestguthaben auf Girokonto sowie durch Abführung von ein bis zwei Prozent der fremden Gelder, das heißt der Spareinlagen und der Kontokorrentguthaben, aller Kreditinstitute an die Reichsbank. Hier geht eine Berliner Tageszeitung so weit, eine versteckte Drohung gegen die Reichsbank auszusprechen, indem sie darauf hinweist, daß aus der Verwirk¬ lichung der Heiligenstadtschen Vorschläge eine Verstimmung zwischen Reichs¬ bank und Bankwelt hervorgehen könne, die zu einer Praxis (soll heißen: syste¬ matischem Bestreben) der Banken führen würde, die die Bemühungen der Reichsbank, höhere Girognthaben zu erhalten, durchkreuzen könnte. Diese Er¬ örterung zeigt ganz besonders, daß ein freiwilliges Zurückstecken der Privat- interessen von den Banken nicht zu erwarten ist, daß also auf dem Wege der Gesetzgebung den volkswirtschaftlichen Interessen Geltung verschafft werden muß, sie beweist aber auch, daß die Vorschläge Heiligenstadts im Prinzip das Richtige getroffen haben, denn nur weil die Überzeugungskraft seiner Dar¬ legungen sehr groß ist, ist auch die Kritik überlaut. Wir stimmen durchaus nicht allen Vorschlügen Heiligenstadts zu, denn er begeht selbst den Fehler, die Privatinteressen der Kreditgenossenschaften höher °') „Der deutsche Geldmarkt" in Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung, und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche. Grenzboten II 1908 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/221>, abgerufen am 04.07.2024.