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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Amerika und die Dauerhaftigkeit seiner politischen Verhältnisse

In Hauptgruppen ergibt das:

Quadratkilometer Einwohner
Vereinigte Staaten mit Portorico . 9413000 77013000
Spanisch-Amerika...... 11736 800 46453000
Brasilien......... 8361400 16000000
Haiti.......... 28700 1425000
Unabhängig........ 29638900 139891000
Europäisch-Amerika..... 10644000 8220000

Die Vereinigten Staaten besitzen also schon mehr als die Hälfte der Ein¬
wohner und beinahe den dritten Teil der Fläche des unabhängigen Amerikas;
vom ganzen Weltteil rund den vierten Teil, wobei aber zu berücksichtigen ist, daß
der größte Teil von Britisch-Amerika wegen klimatischer Verhältnisse wenig
Wert hat. Am schwersten fällt ins Gewicht, daß die Vereinigten Staaten ab¬
gesehen von ihren Negern eine leidlich einheitliche Bevölkerung haben. Die
auf Grund der englischen Sprache gebildete neue amerikanische Nationalität
nimmt alles in ihren Bann, Nordeuropüer, Südeuropüer, Slawen, Türken,
Juden. Schon die Kinder der deutschen Einwandrer verstehn nur noch not¬
dürftig Deutsch, die Enkel kaum noch irgend etwas. Vom deutschen Stand¬
punkt aus muß man das bedauern, für die Gesamtheit des nordamerikanischen
Volkes ist es ein Glück. Entstünde dort ein zweites vielzüngiges Gemein¬
wesen wie Österreich-Ungarn, so würde es wie dieses seine besten Kräfte im
Nationalitütenstreit aufreiben.

Gegen Farbige ist das Rassenbewußtsein allerdings unerbittlich. Was die
Neger anlangt, so haben wir es schon hervorgehoben. Auch gegen Asiaten
bäumt es sich mit aller Heftigkeit auf. Der Nordamerikaner ist fest entschlossen,
seinen halben Weltteil gegen die unabsehbaren Scharen der Japaner, Chinesen
und Hindus abzusperren. Die Absendung der atlantischen Flotte nach dem
Stillen Ozean hat den Japanern einen Wink gegeben, den sie nicht mißverstanden
haben; die beschloßne und schon begonnene Befestigung Manilas kündigt ihnen
an, daß sie es keineswegs mit einer nur vorübergehenden Maßregel zu tun
haben. Noch haben die Asiaten in den Vereinigten Staaten nichts zu bedeuten.
Im Jahre 1900 zählte man 86000 Japaner und 119000 Chinesen. Die Zahl
der Neger dagegen ist groß. Sie wurde 1900 zu 8840000 Köpfen ermittelt
und war seit zehn Jahren um 1352000 Köpfe gestiegen. Doch war der
Prozentsatz von 11,9 auf 11,6 gesunken. Die Weißen haben eben Zuzug aus
Europa, die Neger nicht. Ohne kaukasische Einwandrung würde die weiße
Bevölkerung auf ihrem Stande beharren, während die schwarze eine sehr große
Fruchtbarkeit aufweist. Damit gestaltet sich ein eigentümliches Problem: zur¬
zeit ist die Negerbevölkerung machtlos. Aber wird das immer so bleiben? Die
europäische Einwandrung nach den Südstaaten ist gering, und wenn einmal
die Tore zugemacht werden, was keineswegs zu den Unmöglichkeiten gehört,
wird es nicht ausgeschlossen sein, daß südlich vom Ohio eine farbige Mehrheit


Amerika und die Dauerhaftigkeit seiner politischen Verhältnisse

In Hauptgruppen ergibt das:

Quadratkilometer Einwohner
Vereinigte Staaten mit Portorico . 9413000 77013000
Spanisch-Amerika...... 11736 800 46453000
Brasilien......... 8361400 16000000
Haiti.......... 28700 1425000
Unabhängig........ 29638900 139891000
Europäisch-Amerika..... 10644000 8220000

Die Vereinigten Staaten besitzen also schon mehr als die Hälfte der Ein¬
wohner und beinahe den dritten Teil der Fläche des unabhängigen Amerikas;
vom ganzen Weltteil rund den vierten Teil, wobei aber zu berücksichtigen ist, daß
der größte Teil von Britisch-Amerika wegen klimatischer Verhältnisse wenig
Wert hat. Am schwersten fällt ins Gewicht, daß die Vereinigten Staaten ab¬
gesehen von ihren Negern eine leidlich einheitliche Bevölkerung haben. Die
auf Grund der englischen Sprache gebildete neue amerikanische Nationalität
nimmt alles in ihren Bann, Nordeuropüer, Südeuropüer, Slawen, Türken,
Juden. Schon die Kinder der deutschen Einwandrer verstehn nur noch not¬
dürftig Deutsch, die Enkel kaum noch irgend etwas. Vom deutschen Stand¬
punkt aus muß man das bedauern, für die Gesamtheit des nordamerikanischen
Volkes ist es ein Glück. Entstünde dort ein zweites vielzüngiges Gemein¬
wesen wie Österreich-Ungarn, so würde es wie dieses seine besten Kräfte im
Nationalitütenstreit aufreiben.

Gegen Farbige ist das Rassenbewußtsein allerdings unerbittlich. Was die
Neger anlangt, so haben wir es schon hervorgehoben. Auch gegen Asiaten
bäumt es sich mit aller Heftigkeit auf. Der Nordamerikaner ist fest entschlossen,
seinen halben Weltteil gegen die unabsehbaren Scharen der Japaner, Chinesen
und Hindus abzusperren. Die Absendung der atlantischen Flotte nach dem
Stillen Ozean hat den Japanern einen Wink gegeben, den sie nicht mißverstanden
haben; die beschloßne und schon begonnene Befestigung Manilas kündigt ihnen
an, daß sie es keineswegs mit einer nur vorübergehenden Maßregel zu tun
haben. Noch haben die Asiaten in den Vereinigten Staaten nichts zu bedeuten.
Im Jahre 1900 zählte man 86000 Japaner und 119000 Chinesen. Die Zahl
der Neger dagegen ist groß. Sie wurde 1900 zu 8840000 Köpfen ermittelt
und war seit zehn Jahren um 1352000 Köpfe gestiegen. Doch war der
Prozentsatz von 11,9 auf 11,6 gesunken. Die Weißen haben eben Zuzug aus
Europa, die Neger nicht. Ohne kaukasische Einwandrung würde die weiße
Bevölkerung auf ihrem Stande beharren, während die schwarze eine sehr große
Fruchtbarkeit aufweist. Damit gestaltet sich ein eigentümliches Problem: zur¬
zeit ist die Negerbevölkerung machtlos. Aber wird das immer so bleiben? Die
europäische Einwandrung nach den Südstaaten ist gering, und wenn einmal
die Tore zugemacht werden, was keineswegs zu den Unmöglichkeiten gehört,
wird es nicht ausgeschlossen sein, daß südlich vom Ohio eine farbige Mehrheit


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[0218] Amerika und die Dauerhaftigkeit seiner politischen Verhältnisse In Hauptgruppen ergibt das: Quadratkilometer Einwohner Vereinigte Staaten mit Portorico . 9413000 77013000 Spanisch-Amerika...... 11736 800 46453000 Brasilien......... 8361400 16000000 Haiti.......... 28700 1425000 Unabhängig........ 29638900 139891000 Europäisch-Amerika..... 10644000 8220000 Die Vereinigten Staaten besitzen also schon mehr als die Hälfte der Ein¬ wohner und beinahe den dritten Teil der Fläche des unabhängigen Amerikas; vom ganzen Weltteil rund den vierten Teil, wobei aber zu berücksichtigen ist, daß der größte Teil von Britisch-Amerika wegen klimatischer Verhältnisse wenig Wert hat. Am schwersten fällt ins Gewicht, daß die Vereinigten Staaten ab¬ gesehen von ihren Negern eine leidlich einheitliche Bevölkerung haben. Die auf Grund der englischen Sprache gebildete neue amerikanische Nationalität nimmt alles in ihren Bann, Nordeuropüer, Südeuropüer, Slawen, Türken, Juden. Schon die Kinder der deutschen Einwandrer verstehn nur noch not¬ dürftig Deutsch, die Enkel kaum noch irgend etwas. Vom deutschen Stand¬ punkt aus muß man das bedauern, für die Gesamtheit des nordamerikanischen Volkes ist es ein Glück. Entstünde dort ein zweites vielzüngiges Gemein¬ wesen wie Österreich-Ungarn, so würde es wie dieses seine besten Kräfte im Nationalitütenstreit aufreiben. Gegen Farbige ist das Rassenbewußtsein allerdings unerbittlich. Was die Neger anlangt, so haben wir es schon hervorgehoben. Auch gegen Asiaten bäumt es sich mit aller Heftigkeit auf. Der Nordamerikaner ist fest entschlossen, seinen halben Weltteil gegen die unabsehbaren Scharen der Japaner, Chinesen und Hindus abzusperren. Die Absendung der atlantischen Flotte nach dem Stillen Ozean hat den Japanern einen Wink gegeben, den sie nicht mißverstanden haben; die beschloßne und schon begonnene Befestigung Manilas kündigt ihnen an, daß sie es keineswegs mit einer nur vorübergehenden Maßregel zu tun haben. Noch haben die Asiaten in den Vereinigten Staaten nichts zu bedeuten. Im Jahre 1900 zählte man 86000 Japaner und 119000 Chinesen. Die Zahl der Neger dagegen ist groß. Sie wurde 1900 zu 8840000 Köpfen ermittelt und war seit zehn Jahren um 1352000 Köpfe gestiegen. Doch war der Prozentsatz von 11,9 auf 11,6 gesunken. Die Weißen haben eben Zuzug aus Europa, die Neger nicht. Ohne kaukasische Einwandrung würde die weiße Bevölkerung auf ihrem Stande beharren, während die schwarze eine sehr große Fruchtbarkeit aufweist. Damit gestaltet sich ein eigentümliches Problem: zur¬ zeit ist die Negerbevölkerung machtlos. Aber wird das immer so bleiben? Die europäische Einwandrung nach den Südstaaten ist gering, und wenn einmal die Tore zugemacht werden, was keineswegs zu den Unmöglichkeiten gehört, wird es nicht ausgeschlossen sein, daß südlich vom Ohio eine farbige Mehrheit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/218>, abgerufen am 24.07.2024.