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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die Stadterweiterung

drängen, und so oft ich in eine große Stadt komme, erstaune ich immer über
das, was in dieser Beziehung geleistet wird, und daß das Wohnungselend der
Armen nicht noch weit größer ist. All diese schwierigen, streitigen, verwickelten
und weitschichtigen Sachen beiseite lassend, will ich nur den Inhalt von ein
paar Kapiteln des zweiten Abschnitts skizzieren, um von des Verfassers gründ¬
lichem Verfahren eine Probe vorzulegen, und weil bei dieser Gelegenheit
wenigstens eine der vielen Fragen dieses Gebiets mit einer jeden Zweifel alls¬
schließenden Bestimmtheit entschieden werden kann.

Hier ist gut sein, hier wollen wir Hütten bauen! Ja, du lieber Petrus,
du hattest gut Hütten bauen vor beinahe neunzehnhundert Jahren und auf
dem Tabor! Im heutigen Dresden würdest du schön angekommen sein, wenn
du dir auf einem beliebigen Plätzchen, das dir gerade gefiele, ein Häuschen
bauen wolltest.^ Häuschen oder Hütten werden überhaupt nicht genehmigt, mag
auch der Wohnungsuchende nichts Größeres und Besseres beanspruchen. Mangoldt
beschreibt nämlich den Verlauf der Dresdner Bauunternehmungen, da sie,
wenn auch nicht in jeder Einzelheit, jedoch in den Grundzügen für die Stadt¬
erweitermlg überhaupt typisch seien. Er beginnt mit der hübschen Bemerkung,
daß dem Ausländer, der eine deutsche Großstadt besucht, nichts so in die Augen
falle wie die in jeder Beziehung herrschende Sauberkeit und vortreffliche Ord¬
nung, daß sich ihm aber bald die strenge Polizeiaufsicht und die Reglementierung
unangenehm fühlbar mache, auf denen dieses schöne Äußere beruht. Diese
beiden Kräfte sind nun vor allem bei der Schaffung neuer Stadtteile tätig,
und zwar natürlich mehr hemmend als fördernd. Davon, daß ein Mann ein
Paar Quadratmeter Land kaufen und darauf ein Häuschen setzen könnte, wie
es sein Bedürfnis fordert und sein Geschmack oder Ungeschmack gestattet, ist in
Dresden und wohl auch in den übrigen Großstädten und größern Mittelstädten
Deutschlands keine Rede mehr. In Kleinstädter kam es vor dreißig Jahren
noch vor, ob heute noch, weiß ich nicht. Für sich oder für andre ein Haus
oder Häuser bauen, das kann man nur, wenn aufgeschlossener -- so lautet die
technische Bezeichnung --, das heißt in'Baustellen gegliederter Baugrund vor¬
handen ist. Wer aber solchen schaffen will, der hat nach der Dresdner Bau¬
ordnung von 1897 folgende Bedingungen zu erfüllen. Er muß ein ziemlich
ausgedehntes Stück Land kaufen, worüber später noch einiges zu sagen sein
wird. Er muß einen Bebauungsplan einreichen, der bis zur Genehmigung
neun Instanzen (vom Tiefbauamt bis zum Ministerium des Innern) zu durch¬
laufen hat, in deren jeder Schwierigkeiten erwachsen können. Im Bebauungs¬
plan müssen die Straßen und Plätze des neuen Stadtteils vorgesehen, und
ehe der Häuserbau beginnen kann, müssen sie hergestellt sein. Ist eine Straße
noch nicht vollständig hergestellt, so muß dem Rat, wenn er die Bauerlaubnis
erteilen soll, eine Kaution erlegt werden, durch die die Vollendung gesichert
wird. Werden Vororte eingemeindet, so wird in jedem einzelnen Falle eine
Vereinbarung darüber getroffen, welche der dort schon vorhandnen Straßen als


Grenzboten II 1908 24
Die Stadterweiterung

drängen, und so oft ich in eine große Stadt komme, erstaune ich immer über
das, was in dieser Beziehung geleistet wird, und daß das Wohnungselend der
Armen nicht noch weit größer ist. All diese schwierigen, streitigen, verwickelten
und weitschichtigen Sachen beiseite lassend, will ich nur den Inhalt von ein
paar Kapiteln des zweiten Abschnitts skizzieren, um von des Verfassers gründ¬
lichem Verfahren eine Probe vorzulegen, und weil bei dieser Gelegenheit
wenigstens eine der vielen Fragen dieses Gebiets mit einer jeden Zweifel alls¬
schließenden Bestimmtheit entschieden werden kann.

Hier ist gut sein, hier wollen wir Hütten bauen! Ja, du lieber Petrus,
du hattest gut Hütten bauen vor beinahe neunzehnhundert Jahren und auf
dem Tabor! Im heutigen Dresden würdest du schön angekommen sein, wenn
du dir auf einem beliebigen Plätzchen, das dir gerade gefiele, ein Häuschen
bauen wolltest.^ Häuschen oder Hütten werden überhaupt nicht genehmigt, mag
auch der Wohnungsuchende nichts Größeres und Besseres beanspruchen. Mangoldt
beschreibt nämlich den Verlauf der Dresdner Bauunternehmungen, da sie,
wenn auch nicht in jeder Einzelheit, jedoch in den Grundzügen für die Stadt¬
erweitermlg überhaupt typisch seien. Er beginnt mit der hübschen Bemerkung,
daß dem Ausländer, der eine deutsche Großstadt besucht, nichts so in die Augen
falle wie die in jeder Beziehung herrschende Sauberkeit und vortreffliche Ord¬
nung, daß sich ihm aber bald die strenge Polizeiaufsicht und die Reglementierung
unangenehm fühlbar mache, auf denen dieses schöne Äußere beruht. Diese
beiden Kräfte sind nun vor allem bei der Schaffung neuer Stadtteile tätig,
und zwar natürlich mehr hemmend als fördernd. Davon, daß ein Mann ein
Paar Quadratmeter Land kaufen und darauf ein Häuschen setzen könnte, wie
es sein Bedürfnis fordert und sein Geschmack oder Ungeschmack gestattet, ist in
Dresden und wohl auch in den übrigen Großstädten und größern Mittelstädten
Deutschlands keine Rede mehr. In Kleinstädter kam es vor dreißig Jahren
noch vor, ob heute noch, weiß ich nicht. Für sich oder für andre ein Haus
oder Häuser bauen, das kann man nur, wenn aufgeschlossener — so lautet die
technische Bezeichnung —, das heißt in'Baustellen gegliederter Baugrund vor¬
handen ist. Wer aber solchen schaffen will, der hat nach der Dresdner Bau¬
ordnung von 1897 folgende Bedingungen zu erfüllen. Er muß ein ziemlich
ausgedehntes Stück Land kaufen, worüber später noch einiges zu sagen sein
wird. Er muß einen Bebauungsplan einreichen, der bis zur Genehmigung
neun Instanzen (vom Tiefbauamt bis zum Ministerium des Innern) zu durch¬
laufen hat, in deren jeder Schwierigkeiten erwachsen können. Im Bebauungs¬
plan müssen die Straßen und Plätze des neuen Stadtteils vorgesehen, und
ehe der Häuserbau beginnen kann, müssen sie hergestellt sein. Ist eine Straße
noch nicht vollständig hergestellt, so muß dem Rat, wenn er die Bauerlaubnis
erteilen soll, eine Kaution erlegt werden, durch die die Vollendung gesichert
wird. Werden Vororte eingemeindet, so wird in jedem einzelnen Falle eine
Vereinbarung darüber getroffen, welche der dort schon vorhandnen Straßen als


Grenzboten II 1908 24
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/189>, abgerufen am 04.07.2024.