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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

auch aus dieser Seite den Parteipriuzipien die richtige Stelle angewiesen. Diese
Prinzipien sind notwendig als Ausgangspunkt des politischen Denkens, als Mittet
der Verständigung, um die Gesinnungsgenossen zusammenzuführen und zusammen¬
zuhalten, sowie ihnen das Ziel zu bezeichnen, dem sie als ihrem Ideal zustreben.
Aber bisher schleppten die Führer und Vertreter der Demokratie ihre Prinzipien
überall wie eine schwere Rüstung mit sich und kamen nicht vorwärts, weil sie gar
nicht ans das Ziel sahen, sondern immer nur daran dachten, sich in jedem Augen¬
blick als gewaltige Kämpen zu zeigen. So ließen sie sich beständig in ihrer glänzenden
Rüstung bewundern und merkten gar nicht, daß sie sich fortwährend in einem engen
Kreise bewegten, statt vorwärts zu schreiten. Jetzt ist in diesem Kreise das Be¬
wußtsein erwacht, daß man ein Ziel anstrebt, in dessen Erreichung die Prinzipien
viel besser gewahrt sind, als wenn man bloß damit paradiert. Es hat die Herren
freilich eine große Überwindung gekostet, den herkömmlichen, mit dem Wesen der
Demokratie zusammenhängenden Respekt vor dem Unverstand der Wählermassen
fahren zu lassen. Wer sich grundsätzlich ans die Masse und auf den Durchschnitt
stützt, muß ja immer etwas Unverstand zur Schau tragen; das gehört zum Geschäft.
Aber schließlich hat die Erfahrung zu denken gegeben, daß die großen Wählermassen
doch nicht bei der bürgerlichen Demokratie bleiben, sondern zur Sozialdemokratie
gehn, wenn sie immer und immer nur auf Unzufriedenheit und Opposition, niemals
ans positive Erfolge gestimmt werden. Man hat sich endlich entschlossen, es ein¬
mal auf andre Art zu versuchen, nachdem die letzten Reichstagswahlen eine gewisse
Enttäuschung und Ernüchterung unter den freiwilligen und unfreiwilligen Mit¬
läufer" der Sozialdemokratie hervorgebracht haben. Eine starke Strömung im
Liberalismus will es nun, statt mit der Furcht vor dem Wähler, mit der Gewinnung
des Wählers durch den praktischen Erfolg versuchen. Darum hat man die unver¬
besserlichen Doktrinäre in den Fraktionen der Linken abgeschüttelt, selbst auf die
Gefahr hin, daß die Herren Dr. Barth, Potthoff, von Gerlach usw. hingehen und
ihre eigne Partei gründen, die zwischen Liberalismus und Sozialismus umherirrt
wie der Schmied von Jüterbogk, der nicht wußte, ob er in den Himmel oder in
die Hölle gehörte. Unter den Männern, die sich von der Gemeinschaft der Doktri¬
näre und Allesverderber losgelöst haben, war auch Friedrich Naumann, der bis
jetzt in diese Gemeinschaft tief verstrickt war, nun aber, ohne sich untreu zu werden,
doch den Weg zur Realpolitik zurückgefunden hat.

Diese Wandlung im demokratischen Liberalismus ist von außerordentlicher
Bedeutung. Denn wenn ein Zug zum Doktrinarismus auch tief im Wesen dieser
politischen Anschauung begründet ist, so ist er doch nicht notwendig damit verbunden.
In andern Ländern, die schon auf eine längere Parlamentarische Entwicklung zurück¬
blicken, ist der Liberalismus schon längst realpolitisch und darum regierungsfähig.
Bei uns ist er -- und zwar hauptsächlich durch eigne Schuld -- künstlich davon
zurückgehalten worden. Wird das jetzt anders, so öffnet sich eine weite Perspektive
auf die Umgestaltung des politischen Denkens in den Kreisen, die bisher in der
Negation stecken geblieben sind. Wir können, wenn diese Entwicklung nicht wieder
unterbrochen wird, eine Gesundung und Erstarkung des Liberalismus erleben, der
die Grenze zwischen sich und der Sozialdemokratie wieder scharf und kräftig zieht
und durch die Fähigkeit zu positiver Mitarbeit die freiheitlichen, individualistischen
Strömungen im Volke aus dem Zustand unfruchtbarer und verbissener Opposition erlöst.
Der Anfang dazu ist gemacht; ob die Folgezeit dem entsprechen wird, wissen wir freilich
nicht. Am meisten zu fürchten hätte eine solche Entwicklung die Sozialdemokratie.

Zur Beurteilung des Liberalismus bieten die Ereignisse in England eine
interessante Parallele. Eine starke liberale Flutwelle hatte das Kabinett Campbell-
Bannerman in die Höhe' getragen. Die Vereinigung der doktrinär veranlagten
radikalen und der realpolitisch veranlagten, dem Imperialismus zuneigenden Richtung


Maßgebliches und Unmaßgebliches

auch aus dieser Seite den Parteipriuzipien die richtige Stelle angewiesen. Diese
Prinzipien sind notwendig als Ausgangspunkt des politischen Denkens, als Mittet
der Verständigung, um die Gesinnungsgenossen zusammenzuführen und zusammen¬
zuhalten, sowie ihnen das Ziel zu bezeichnen, dem sie als ihrem Ideal zustreben.
Aber bisher schleppten die Führer und Vertreter der Demokratie ihre Prinzipien
überall wie eine schwere Rüstung mit sich und kamen nicht vorwärts, weil sie gar
nicht ans das Ziel sahen, sondern immer nur daran dachten, sich in jedem Augen¬
blick als gewaltige Kämpen zu zeigen. So ließen sie sich beständig in ihrer glänzenden
Rüstung bewundern und merkten gar nicht, daß sie sich fortwährend in einem engen
Kreise bewegten, statt vorwärts zu schreiten. Jetzt ist in diesem Kreise das Be¬
wußtsein erwacht, daß man ein Ziel anstrebt, in dessen Erreichung die Prinzipien
viel besser gewahrt sind, als wenn man bloß damit paradiert. Es hat die Herren
freilich eine große Überwindung gekostet, den herkömmlichen, mit dem Wesen der
Demokratie zusammenhängenden Respekt vor dem Unverstand der Wählermassen
fahren zu lassen. Wer sich grundsätzlich ans die Masse und auf den Durchschnitt
stützt, muß ja immer etwas Unverstand zur Schau tragen; das gehört zum Geschäft.
Aber schließlich hat die Erfahrung zu denken gegeben, daß die großen Wählermassen
doch nicht bei der bürgerlichen Demokratie bleiben, sondern zur Sozialdemokratie
gehn, wenn sie immer und immer nur auf Unzufriedenheit und Opposition, niemals
ans positive Erfolge gestimmt werden. Man hat sich endlich entschlossen, es ein¬
mal auf andre Art zu versuchen, nachdem die letzten Reichstagswahlen eine gewisse
Enttäuschung und Ernüchterung unter den freiwilligen und unfreiwilligen Mit¬
läufer» der Sozialdemokratie hervorgebracht haben. Eine starke Strömung im
Liberalismus will es nun, statt mit der Furcht vor dem Wähler, mit der Gewinnung
des Wählers durch den praktischen Erfolg versuchen. Darum hat man die unver¬
besserlichen Doktrinäre in den Fraktionen der Linken abgeschüttelt, selbst auf die
Gefahr hin, daß die Herren Dr. Barth, Potthoff, von Gerlach usw. hingehen und
ihre eigne Partei gründen, die zwischen Liberalismus und Sozialismus umherirrt
wie der Schmied von Jüterbogk, der nicht wußte, ob er in den Himmel oder in
die Hölle gehörte. Unter den Männern, die sich von der Gemeinschaft der Doktri¬
näre und Allesverderber losgelöst haben, war auch Friedrich Naumann, der bis
jetzt in diese Gemeinschaft tief verstrickt war, nun aber, ohne sich untreu zu werden,
doch den Weg zur Realpolitik zurückgefunden hat.

Diese Wandlung im demokratischen Liberalismus ist von außerordentlicher
Bedeutung. Denn wenn ein Zug zum Doktrinarismus auch tief im Wesen dieser
politischen Anschauung begründet ist, so ist er doch nicht notwendig damit verbunden.
In andern Ländern, die schon auf eine längere Parlamentarische Entwicklung zurück¬
blicken, ist der Liberalismus schon längst realpolitisch und darum regierungsfähig.
Bei uns ist er — und zwar hauptsächlich durch eigne Schuld — künstlich davon
zurückgehalten worden. Wird das jetzt anders, so öffnet sich eine weite Perspektive
auf die Umgestaltung des politischen Denkens in den Kreisen, die bisher in der
Negation stecken geblieben sind. Wir können, wenn diese Entwicklung nicht wieder
unterbrochen wird, eine Gesundung und Erstarkung des Liberalismus erleben, der
die Grenze zwischen sich und der Sozialdemokratie wieder scharf und kräftig zieht
und durch die Fähigkeit zu positiver Mitarbeit die freiheitlichen, individualistischen
Strömungen im Volke aus dem Zustand unfruchtbarer und verbissener Opposition erlöst.
Der Anfang dazu ist gemacht; ob die Folgezeit dem entsprechen wird, wissen wir freilich
nicht. Am meisten zu fürchten hätte eine solche Entwicklung die Sozialdemokratie.

Zur Beurteilung des Liberalismus bieten die Ereignisse in England eine
interessante Parallele. Eine starke liberale Flutwelle hatte das Kabinett Campbell-
Bannerman in die Höhe' getragen. Die Vereinigung der doktrinär veranlagten
radikalen und der realpolitisch veranlagten, dem Imperialismus zuneigenden Richtung


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[0161] Maßgebliches und Unmaßgebliches auch aus dieser Seite den Parteipriuzipien die richtige Stelle angewiesen. Diese Prinzipien sind notwendig als Ausgangspunkt des politischen Denkens, als Mittet der Verständigung, um die Gesinnungsgenossen zusammenzuführen und zusammen¬ zuhalten, sowie ihnen das Ziel zu bezeichnen, dem sie als ihrem Ideal zustreben. Aber bisher schleppten die Führer und Vertreter der Demokratie ihre Prinzipien überall wie eine schwere Rüstung mit sich und kamen nicht vorwärts, weil sie gar nicht ans das Ziel sahen, sondern immer nur daran dachten, sich in jedem Augen¬ blick als gewaltige Kämpen zu zeigen. So ließen sie sich beständig in ihrer glänzenden Rüstung bewundern und merkten gar nicht, daß sie sich fortwährend in einem engen Kreise bewegten, statt vorwärts zu schreiten. Jetzt ist in diesem Kreise das Be¬ wußtsein erwacht, daß man ein Ziel anstrebt, in dessen Erreichung die Prinzipien viel besser gewahrt sind, als wenn man bloß damit paradiert. Es hat die Herren freilich eine große Überwindung gekostet, den herkömmlichen, mit dem Wesen der Demokratie zusammenhängenden Respekt vor dem Unverstand der Wählermassen fahren zu lassen. Wer sich grundsätzlich ans die Masse und auf den Durchschnitt stützt, muß ja immer etwas Unverstand zur Schau tragen; das gehört zum Geschäft. Aber schließlich hat die Erfahrung zu denken gegeben, daß die großen Wählermassen doch nicht bei der bürgerlichen Demokratie bleiben, sondern zur Sozialdemokratie gehn, wenn sie immer und immer nur auf Unzufriedenheit und Opposition, niemals ans positive Erfolge gestimmt werden. Man hat sich endlich entschlossen, es ein¬ mal auf andre Art zu versuchen, nachdem die letzten Reichstagswahlen eine gewisse Enttäuschung und Ernüchterung unter den freiwilligen und unfreiwilligen Mit¬ läufer» der Sozialdemokratie hervorgebracht haben. Eine starke Strömung im Liberalismus will es nun, statt mit der Furcht vor dem Wähler, mit der Gewinnung des Wählers durch den praktischen Erfolg versuchen. Darum hat man die unver¬ besserlichen Doktrinäre in den Fraktionen der Linken abgeschüttelt, selbst auf die Gefahr hin, daß die Herren Dr. Barth, Potthoff, von Gerlach usw. hingehen und ihre eigne Partei gründen, die zwischen Liberalismus und Sozialismus umherirrt wie der Schmied von Jüterbogk, der nicht wußte, ob er in den Himmel oder in die Hölle gehörte. Unter den Männern, die sich von der Gemeinschaft der Doktri¬ näre und Allesverderber losgelöst haben, war auch Friedrich Naumann, der bis jetzt in diese Gemeinschaft tief verstrickt war, nun aber, ohne sich untreu zu werden, doch den Weg zur Realpolitik zurückgefunden hat. Diese Wandlung im demokratischen Liberalismus ist von außerordentlicher Bedeutung. Denn wenn ein Zug zum Doktrinarismus auch tief im Wesen dieser politischen Anschauung begründet ist, so ist er doch nicht notwendig damit verbunden. In andern Ländern, die schon auf eine längere Parlamentarische Entwicklung zurück¬ blicken, ist der Liberalismus schon längst realpolitisch und darum regierungsfähig. Bei uns ist er — und zwar hauptsächlich durch eigne Schuld — künstlich davon zurückgehalten worden. Wird das jetzt anders, so öffnet sich eine weite Perspektive auf die Umgestaltung des politischen Denkens in den Kreisen, die bisher in der Negation stecken geblieben sind. Wir können, wenn diese Entwicklung nicht wieder unterbrochen wird, eine Gesundung und Erstarkung des Liberalismus erleben, der die Grenze zwischen sich und der Sozialdemokratie wieder scharf und kräftig zieht und durch die Fähigkeit zu positiver Mitarbeit die freiheitlichen, individualistischen Strömungen im Volke aus dem Zustand unfruchtbarer und verbissener Opposition erlöst. Der Anfang dazu ist gemacht; ob die Folgezeit dem entsprechen wird, wissen wir freilich nicht. Am meisten zu fürchten hätte eine solche Entwicklung die Sozialdemokratie. Zur Beurteilung des Liberalismus bieten die Ereignisse in England eine interessante Parallele. Eine starke liberale Flutwelle hatte das Kabinett Campbell- Bannerman in die Höhe' getragen. Die Vereinigung der doktrinär veranlagten radikalen und der realpolitisch veranlagten, dem Imperialismus zuneigenden Richtung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/161>, abgerufen am 24.07.2024.