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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Das Leben eines Glücklichen

Heimen Verbindungen verbüßen mußte. Das freilich bleibt uns Bettelheim
schuldig, wie nun Auerbach ganz aus dem Ghetto ins deutsche Leben hinüber¬
trat. Es fehlt hier irgendwo an organischen Darstellungen, aus denen ins¬
besondre die religiöse Entwicklung des in engster Orthodoxie erwachsnen zum
humanistischen Ideal seines Lebens sichtbar würde. Wie Auerbach im Jahre 1842,
als er seine ersten Dorfgeschichten drucken ließ, und wie er später religiös stand,
erfahren wir im Grunde an keiner Stelle; es müssen hier gerade für die Periode
des endgiltigen Umschwungs wichtige Dokumente, nicht nur über innere Vor¬
gänge verloren gegangen sein, fehlt doch auch mangels genügender Unterlagen
ein Bericht über Auerbachs Promotion. Wir erfahren zwar manches über
Auerbachs Spinozismus, wir hören, daß er lange über die Zuführung seiner
Kinder zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft schwankend war, und wir
sehen ihn in den Kämpfen ausgangs der siebziger Jahre als Juden auf seinem
Posten, verletzt auch da, wo ihn niemand verletzen wollte und verletzen konnte --
aber über seine innere dogmatische Stellung zur jüdischen Offenbarung und
zum Christentum hören wir nichts mehr.

Von den Schwarzwülder Dorfgeschichten an bewegt sich Auerbachs Leben
dann alsbald auf der Höhe, die ich oben andeutete. Die ungeheure Wirkung
seiner Dorfgeschichten ist ja oft geschildert worden, am eindringlichsten im
Guten und Bösen von Heinrich von Treitschke, dessen Ausführungen ich hier
(in Heft 49 des 65. Jahrgangs) zitiert habe. Wir verstehn diese Wirkung
historisch heute noch sehr wohl, wenn wir sie auch aus den Dorfgeschichten
selbst unmittelbar nicht mehr ableiten können. Es ist eben nicht anders: die
unverschuldete Schuld so übermäßigen Ruhms mußte Auerbach so gut bezahlen,
wie sie Geibel bezahlen mußte. Es war ein natürlicher Rückschlag, daß beide hinter
großen, größern Poeten jahrelang so weit zurücktreten mußten, daß sie dem
lebenden Bewußtsein als Fortwirkende fast ganz entschwanden. Geibel räumte den
Platz für den überlegnen Storni, Auerbach für Keller, nicht wie Barrels meint
für Gotthelf, der auch heute noch nur mit einem Werk weitern Kreisen bekannt
und selbst mit diesem noch lange nicht durchgedrungen ist. Für Geibel fehlt
uns noch eine so abschließende Arbeit, wie Bettelheims Werk sie für Auerbach
bedeutet, aber die Ausgewählten Gedichte, die im Jahre 1904 von ungenannter
Hand (bei Cotta) herausgekommen sind, lehrten auch den, der es nicht wußte,
daß mit der Unterschätzung Geibels noch weniger getan war wie früher mit
der Überschätzung, und halfen ihn in die richtige Stelle einsetzen. Das leistet
für Auerbach einstweilen Bettelheims niemals überschwengliche, manchmal im
Urteil geradezu harte Biographie, der wir von derselben Hand eine billige
Auswahl der besten Auerbachschen Dorfgeschichten gern folgen sähen.

Was wir an Auerbachs Dorfgeschichten vermissen, deren Art sich übrigens
bei Frenssen in den ältern Werken deutlich als einflußreich erweist, ist die
scharfe Darstellung der Gestalten und Konflikte, wie wir sie etwa bei Keller
immer wieder bewundern. Heinrich von Treitschkes Schlußurteil im fünften


Das Leben eines Glücklichen

Heimen Verbindungen verbüßen mußte. Das freilich bleibt uns Bettelheim
schuldig, wie nun Auerbach ganz aus dem Ghetto ins deutsche Leben hinüber¬
trat. Es fehlt hier irgendwo an organischen Darstellungen, aus denen ins¬
besondre die religiöse Entwicklung des in engster Orthodoxie erwachsnen zum
humanistischen Ideal seines Lebens sichtbar würde. Wie Auerbach im Jahre 1842,
als er seine ersten Dorfgeschichten drucken ließ, und wie er später religiös stand,
erfahren wir im Grunde an keiner Stelle; es müssen hier gerade für die Periode
des endgiltigen Umschwungs wichtige Dokumente, nicht nur über innere Vor¬
gänge verloren gegangen sein, fehlt doch auch mangels genügender Unterlagen
ein Bericht über Auerbachs Promotion. Wir erfahren zwar manches über
Auerbachs Spinozismus, wir hören, daß er lange über die Zuführung seiner
Kinder zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft schwankend war, und wir
sehen ihn in den Kämpfen ausgangs der siebziger Jahre als Juden auf seinem
Posten, verletzt auch da, wo ihn niemand verletzen wollte und verletzen konnte —
aber über seine innere dogmatische Stellung zur jüdischen Offenbarung und
zum Christentum hören wir nichts mehr.

Von den Schwarzwülder Dorfgeschichten an bewegt sich Auerbachs Leben
dann alsbald auf der Höhe, die ich oben andeutete. Die ungeheure Wirkung
seiner Dorfgeschichten ist ja oft geschildert worden, am eindringlichsten im
Guten und Bösen von Heinrich von Treitschke, dessen Ausführungen ich hier
(in Heft 49 des 65. Jahrgangs) zitiert habe. Wir verstehn diese Wirkung
historisch heute noch sehr wohl, wenn wir sie auch aus den Dorfgeschichten
selbst unmittelbar nicht mehr ableiten können. Es ist eben nicht anders: die
unverschuldete Schuld so übermäßigen Ruhms mußte Auerbach so gut bezahlen,
wie sie Geibel bezahlen mußte. Es war ein natürlicher Rückschlag, daß beide hinter
großen, größern Poeten jahrelang so weit zurücktreten mußten, daß sie dem
lebenden Bewußtsein als Fortwirkende fast ganz entschwanden. Geibel räumte den
Platz für den überlegnen Storni, Auerbach für Keller, nicht wie Barrels meint
für Gotthelf, der auch heute noch nur mit einem Werk weitern Kreisen bekannt
und selbst mit diesem noch lange nicht durchgedrungen ist. Für Geibel fehlt
uns noch eine so abschließende Arbeit, wie Bettelheims Werk sie für Auerbach
bedeutet, aber die Ausgewählten Gedichte, die im Jahre 1904 von ungenannter
Hand (bei Cotta) herausgekommen sind, lehrten auch den, der es nicht wußte,
daß mit der Unterschätzung Geibels noch weniger getan war wie früher mit
der Überschätzung, und halfen ihn in die richtige Stelle einsetzen. Das leistet
für Auerbach einstweilen Bettelheims niemals überschwengliche, manchmal im
Urteil geradezu harte Biographie, der wir von derselben Hand eine billige
Auswahl der besten Auerbachschen Dorfgeschichten gern folgen sähen.

Was wir an Auerbachs Dorfgeschichten vermissen, deren Art sich übrigens
bei Frenssen in den ältern Werken deutlich als einflußreich erweist, ist die
scharfe Darstellung der Gestalten und Konflikte, wie wir sie etwa bei Keller
immer wieder bewundern. Heinrich von Treitschkes Schlußurteil im fünften


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[0151] Das Leben eines Glücklichen Heimen Verbindungen verbüßen mußte. Das freilich bleibt uns Bettelheim schuldig, wie nun Auerbach ganz aus dem Ghetto ins deutsche Leben hinüber¬ trat. Es fehlt hier irgendwo an organischen Darstellungen, aus denen ins¬ besondre die religiöse Entwicklung des in engster Orthodoxie erwachsnen zum humanistischen Ideal seines Lebens sichtbar würde. Wie Auerbach im Jahre 1842, als er seine ersten Dorfgeschichten drucken ließ, und wie er später religiös stand, erfahren wir im Grunde an keiner Stelle; es müssen hier gerade für die Periode des endgiltigen Umschwungs wichtige Dokumente, nicht nur über innere Vor¬ gänge verloren gegangen sein, fehlt doch auch mangels genügender Unterlagen ein Bericht über Auerbachs Promotion. Wir erfahren zwar manches über Auerbachs Spinozismus, wir hören, daß er lange über die Zuführung seiner Kinder zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft schwankend war, und wir sehen ihn in den Kämpfen ausgangs der siebziger Jahre als Juden auf seinem Posten, verletzt auch da, wo ihn niemand verletzen wollte und verletzen konnte — aber über seine innere dogmatische Stellung zur jüdischen Offenbarung und zum Christentum hören wir nichts mehr. Von den Schwarzwülder Dorfgeschichten an bewegt sich Auerbachs Leben dann alsbald auf der Höhe, die ich oben andeutete. Die ungeheure Wirkung seiner Dorfgeschichten ist ja oft geschildert worden, am eindringlichsten im Guten und Bösen von Heinrich von Treitschke, dessen Ausführungen ich hier (in Heft 49 des 65. Jahrgangs) zitiert habe. Wir verstehn diese Wirkung historisch heute noch sehr wohl, wenn wir sie auch aus den Dorfgeschichten selbst unmittelbar nicht mehr ableiten können. Es ist eben nicht anders: die unverschuldete Schuld so übermäßigen Ruhms mußte Auerbach so gut bezahlen, wie sie Geibel bezahlen mußte. Es war ein natürlicher Rückschlag, daß beide hinter großen, größern Poeten jahrelang so weit zurücktreten mußten, daß sie dem lebenden Bewußtsein als Fortwirkende fast ganz entschwanden. Geibel räumte den Platz für den überlegnen Storni, Auerbach für Keller, nicht wie Barrels meint für Gotthelf, der auch heute noch nur mit einem Werk weitern Kreisen bekannt und selbst mit diesem noch lange nicht durchgedrungen ist. Für Geibel fehlt uns noch eine so abschließende Arbeit, wie Bettelheims Werk sie für Auerbach bedeutet, aber die Ausgewählten Gedichte, die im Jahre 1904 von ungenannter Hand (bei Cotta) herausgekommen sind, lehrten auch den, der es nicht wußte, daß mit der Unterschätzung Geibels noch weniger getan war wie früher mit der Überschätzung, und halfen ihn in die richtige Stelle einsetzen. Das leistet für Auerbach einstweilen Bettelheims niemals überschwengliche, manchmal im Urteil geradezu harte Biographie, der wir von derselben Hand eine billige Auswahl der besten Auerbachschen Dorfgeschichten gern folgen sähen. Was wir an Auerbachs Dorfgeschichten vermissen, deren Art sich übrigens bei Frenssen in den ältern Werken deutlich als einflußreich erweist, ist die scharfe Darstellung der Gestalten und Konflikte, wie wir sie etwa bei Keller immer wieder bewundern. Heinrich von Treitschkes Schlußurteil im fünften

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/151>, abgerufen am 24.07.2024.