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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die neue Baugesinnmig

können oder wollen, die ihren alten Kram gern ungestört weiter vertreiben
möchten, nicht etwa, weil sie damit Geld verdienen wollen, o nein, sondern weil
er ihrer Überzeugung nach besser ist als das, was die Künstler und Kunst¬
freunde wünschen. So hat der "Fachverband für die wirtschaftlichen Interessen
des Kunstgewerbes" einen regelrechten Kampf gegen die neue Gebrauchskunst
eröffnet dadurch, daß er den bösen Muthesius bei seinen vorgesetzten Behörden
und sonst noch an einflußreichen Stellen ins rechte Licht zu setzen suchte: er
"beschwerte" sich über ihn. Dieser redselige Geheimrat ruiniere das deutsche
Kunstgewerbe, meinen diese Herren vom Fach. Es ist ein nutzloser Kampf, denn
gesetzt auch, daß Muthesius vom Stuhle der Negierung herunterfiele, so stünde
er doch immer noch fest auf einer guten Sache, und die, die stützend und vor¬
wärtsstrebend neben ihm stehen, gehören zu den geistigen Führern der Nation.
Will der "Fachverband" auch sie unschädlich machen, so muß er schon hand¬
greiflich vorgehn. Aber auch dann wird er das, worum der Kampf eigentlich
tobt, wider die neue Gesinnung und die neuen Gedanken nicht dingfest machen
können.

Zu den wenigen Künstlern, die nicht nur mit Taten, sondern auch mit
Worten für ihre Sache kämpfen, gehört auch Fritz Schumacher. Der junge
Architekt, der auf Grund ungewöhnlich vielversprechender Monumentalbaustudien
so früh ins akademische Lehramt des Dresdner Polytechnikums berufen wurde,
hat sich nicht nur als anregender Geist im Amte, sondern auch als glänzender
Organisator auf der letzten Kunstgewerbeausstellung bewährt. Man freut sich,
seinen gesammelten Aufsätzen, den "Streifzügen eines Architekten" (Jena,
Diederichs, 5 Mark) zu begegnen, und mit großem Genuß verfolgt man seine
glücklich pmzisierten begrifflichen Klärungsversuche. Über die Ziele der Kunst¬
gewerbeausstellung 1906 hat keiner klarer und überzeugender sprechen können
als er. Wenn er das Verhältnis von "Tradition und Nenschaffen", wenn er
die architektonischen Aufgaben der Städte, die Denkmalskunst untersucht -- immer
kann man eines weiten Horizontes, überraschender Perspektiven und eines
überaus besonnenen Urteils sicher sein. Die kleine Auseinandersetzung mit
Naumann über die Berechtigung der Engel in der Kunst ist ein wahres Muster
vornehm geschliffner, scharfsinniger, rein sachlicher Polemik. Schumacher hat
bei weitem nicht das agitatorische Pathos wie etwa Muthesius oder gar die in¬
grimmige Satire Schultze-Naumburgs als Erzieher; sein Idealismus, obgleich
gewiß nicht minder stark als der dieser Mitstreiter, wirkt verhaltner, besonnener,
mehr auf sachliche Klärung als auf unmittelbare Wirkung bedacht. Solche
Köpfe, denen die Sophrosyne, die hohe Mannestugend der Alten, mitgegeben
wurde, haben in der Regel einen kleinern Freundeskreis, aber den haben sie dann
auch sicher, und zwar diesseits wie jenseits der engern Berufsgrenzen. Bei
Karl Henrici, dem Aachener Hochschullehrer, kann ich mir das weniger vor¬
stellen: man muß schon sehr sachlich interessiert sein, wenn man in seine "Ab¬
handlungen aus dem Gebiete der Architektur" (München, Callwey, 4 Mark)


Die neue Baugesinnmig

können oder wollen, die ihren alten Kram gern ungestört weiter vertreiben
möchten, nicht etwa, weil sie damit Geld verdienen wollen, o nein, sondern weil
er ihrer Überzeugung nach besser ist als das, was die Künstler und Kunst¬
freunde wünschen. So hat der „Fachverband für die wirtschaftlichen Interessen
des Kunstgewerbes" einen regelrechten Kampf gegen die neue Gebrauchskunst
eröffnet dadurch, daß er den bösen Muthesius bei seinen vorgesetzten Behörden
und sonst noch an einflußreichen Stellen ins rechte Licht zu setzen suchte: er
„beschwerte" sich über ihn. Dieser redselige Geheimrat ruiniere das deutsche
Kunstgewerbe, meinen diese Herren vom Fach. Es ist ein nutzloser Kampf, denn
gesetzt auch, daß Muthesius vom Stuhle der Negierung herunterfiele, so stünde
er doch immer noch fest auf einer guten Sache, und die, die stützend und vor¬
wärtsstrebend neben ihm stehen, gehören zu den geistigen Führern der Nation.
Will der „Fachverband" auch sie unschädlich machen, so muß er schon hand¬
greiflich vorgehn. Aber auch dann wird er das, worum der Kampf eigentlich
tobt, wider die neue Gesinnung und die neuen Gedanken nicht dingfest machen
können.

Zu den wenigen Künstlern, die nicht nur mit Taten, sondern auch mit
Worten für ihre Sache kämpfen, gehört auch Fritz Schumacher. Der junge
Architekt, der auf Grund ungewöhnlich vielversprechender Monumentalbaustudien
so früh ins akademische Lehramt des Dresdner Polytechnikums berufen wurde,
hat sich nicht nur als anregender Geist im Amte, sondern auch als glänzender
Organisator auf der letzten Kunstgewerbeausstellung bewährt. Man freut sich,
seinen gesammelten Aufsätzen, den „Streifzügen eines Architekten" (Jena,
Diederichs, 5 Mark) zu begegnen, und mit großem Genuß verfolgt man seine
glücklich pmzisierten begrifflichen Klärungsversuche. Über die Ziele der Kunst¬
gewerbeausstellung 1906 hat keiner klarer und überzeugender sprechen können
als er. Wenn er das Verhältnis von „Tradition und Nenschaffen", wenn er
die architektonischen Aufgaben der Städte, die Denkmalskunst untersucht — immer
kann man eines weiten Horizontes, überraschender Perspektiven und eines
überaus besonnenen Urteils sicher sein. Die kleine Auseinandersetzung mit
Naumann über die Berechtigung der Engel in der Kunst ist ein wahres Muster
vornehm geschliffner, scharfsinniger, rein sachlicher Polemik. Schumacher hat
bei weitem nicht das agitatorische Pathos wie etwa Muthesius oder gar die in¬
grimmige Satire Schultze-Naumburgs als Erzieher; sein Idealismus, obgleich
gewiß nicht minder stark als der dieser Mitstreiter, wirkt verhaltner, besonnener,
mehr auf sachliche Klärung als auf unmittelbare Wirkung bedacht. Solche
Köpfe, denen die Sophrosyne, die hohe Mannestugend der Alten, mitgegeben
wurde, haben in der Regel einen kleinern Freundeskreis, aber den haben sie dann
auch sicher, und zwar diesseits wie jenseits der engern Berufsgrenzen. Bei
Karl Henrici, dem Aachener Hochschullehrer, kann ich mir das weniger vor¬
stellen: man muß schon sehr sachlich interessiert sein, wenn man in seine „Ab¬
handlungen aus dem Gebiete der Architektur" (München, Callwey, 4 Mark)


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[0146] Die neue Baugesinnmig können oder wollen, die ihren alten Kram gern ungestört weiter vertreiben möchten, nicht etwa, weil sie damit Geld verdienen wollen, o nein, sondern weil er ihrer Überzeugung nach besser ist als das, was die Künstler und Kunst¬ freunde wünschen. So hat der „Fachverband für die wirtschaftlichen Interessen des Kunstgewerbes" einen regelrechten Kampf gegen die neue Gebrauchskunst eröffnet dadurch, daß er den bösen Muthesius bei seinen vorgesetzten Behörden und sonst noch an einflußreichen Stellen ins rechte Licht zu setzen suchte: er „beschwerte" sich über ihn. Dieser redselige Geheimrat ruiniere das deutsche Kunstgewerbe, meinen diese Herren vom Fach. Es ist ein nutzloser Kampf, denn gesetzt auch, daß Muthesius vom Stuhle der Negierung herunterfiele, so stünde er doch immer noch fest auf einer guten Sache, und die, die stützend und vor¬ wärtsstrebend neben ihm stehen, gehören zu den geistigen Führern der Nation. Will der „Fachverband" auch sie unschädlich machen, so muß er schon hand¬ greiflich vorgehn. Aber auch dann wird er das, worum der Kampf eigentlich tobt, wider die neue Gesinnung und die neuen Gedanken nicht dingfest machen können. Zu den wenigen Künstlern, die nicht nur mit Taten, sondern auch mit Worten für ihre Sache kämpfen, gehört auch Fritz Schumacher. Der junge Architekt, der auf Grund ungewöhnlich vielversprechender Monumentalbaustudien so früh ins akademische Lehramt des Dresdner Polytechnikums berufen wurde, hat sich nicht nur als anregender Geist im Amte, sondern auch als glänzender Organisator auf der letzten Kunstgewerbeausstellung bewährt. Man freut sich, seinen gesammelten Aufsätzen, den „Streifzügen eines Architekten" (Jena, Diederichs, 5 Mark) zu begegnen, und mit großem Genuß verfolgt man seine glücklich pmzisierten begrifflichen Klärungsversuche. Über die Ziele der Kunst¬ gewerbeausstellung 1906 hat keiner klarer und überzeugender sprechen können als er. Wenn er das Verhältnis von „Tradition und Nenschaffen", wenn er die architektonischen Aufgaben der Städte, die Denkmalskunst untersucht — immer kann man eines weiten Horizontes, überraschender Perspektiven und eines überaus besonnenen Urteils sicher sein. Die kleine Auseinandersetzung mit Naumann über die Berechtigung der Engel in der Kunst ist ein wahres Muster vornehm geschliffner, scharfsinniger, rein sachlicher Polemik. Schumacher hat bei weitem nicht das agitatorische Pathos wie etwa Muthesius oder gar die in¬ grimmige Satire Schultze-Naumburgs als Erzieher; sein Idealismus, obgleich gewiß nicht minder stark als der dieser Mitstreiter, wirkt verhaltner, besonnener, mehr auf sachliche Klärung als auf unmittelbare Wirkung bedacht. Solche Köpfe, denen die Sophrosyne, die hohe Mannestugend der Alten, mitgegeben wurde, haben in der Regel einen kleinern Freundeskreis, aber den haben sie dann auch sicher, und zwar diesseits wie jenseits der engern Berufsgrenzen. Bei Karl Henrici, dem Aachener Hochschullehrer, kann ich mir das weniger vor¬ stellen: man muß schon sehr sachlich interessiert sein, wenn man in seine „Ab¬ handlungen aus dem Gebiete der Architektur" (München, Callwey, 4 Mark)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/146>, abgerufen am 24.07.2024.