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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Der Marquis von Larabas

Pantagruel nennt seinen Vater Vous; dieses Verhältnis besteht in Frankreich
noch heute. Die Dienstboten werden von der Herrschaft längst nicht mehr
Du genannt. Sogar Eheleute duzten sich in früherer Zeit nicht immer; aus
einem Gespräche vom Juli des Jahres 1527 geht hervor, daß Luther zu Käthe
Du, Käthe aber "Mein lieber Herr Doktor" zu ihm sagte und ihn ihrzte.

In den Gefängnissen besteht die Vorschrift, daß Personen unter achtzehn
Jahren mit Du angeredet werden. Zuchthäusler werden ohne Unterschied Du
genannt. Bekanntlich nannten die Verschwornen in Belgrad den König Alexander
Du, als sie ihn im Juni 1903 ermordeten. Alexander Obrenowitsch, danke ab
und unterschreibe die Abdankungsurkunde, die wir in Händen haben!

Im Zorn oder im Schrecken pflegen wieder die Verbrecher der Obrigkeit
gegenüber ins Du zurückzufallen. Eine gewisse Pietzschker wird wegen einer
Übertretung des Prostitutionsregulativs nach dem Polizeiamt abgeführt. Sie
bittet den Schutzmann, ein Auge zuzudrücken; sie sucht ihn zu bestechen. Als
dieser unerbittlich bleibt, ergießt sich ein Strom von Schimpfreden und Ver¬
wünschungen über ihn, wobei sie ihn mit Du anredet. Solche Fälle wieder¬
holen sich oft, sogar in der Schule. Ein Lausbursche, der die Fortbildungs¬
schule besucht hat, nennt nach seiner Entlassung einen Oberlehrer Du, wie ihn
dieser zur Ruhe vermahnen will. Vor ein paar Jahren ist hier folgendes vor¬
gekommen: Ein Lehrer züchtigte einen kleinen Jungen. Als ob er gebissen
worden wäre, rief der Schlingel: I, Du Luder! Und dabei werden die Schüler
in Frankreich von ihren Lehrern immer mit Vous angeredet, bei uns werden
sie gewöhnlich nach der Konfirmation, vom vierzehnten Jahre ab, auf deu
humanistischen Gymnasien von Untersekunda an gesiezt, ^aturain exxsllas turos,
eg-usu usauö reourrst, sagt Horaz. Auch das Du wird immer unterlaufen,
trotz aller eingebleuten Anredeformen.




9er Marquis von (Larabas
Palle Rosenkrantz Roman von
viertes Raxitel

(worin der Leser über einige Zahlen Ausschluß erhält und die Bekanntschaft einer unsympathischen
Figur macht)

>uf einem Hügel, eine kleine Viertelstunde von Steensgaard ent¬
fernt, steht am Kreuzweg -- gerade, wo der Wald beginnt -- eine
hohe Buche. Sie verdeckt das Schloß mit ihrem Laub; Steensgacird
nämlich ist ein Schloß. Es ist aus rotem Stein erbaut mit nieder¬
ländischen Giebeln und einem kurzen Turm nebst blinkender Spitze.
! Ellen Marswin soll es erbaut haben, und es ist recht augenscheinlich,
daß diese Dame im Bauen tüchtig war.

Die Buche auf der Höhe hat mächtige gekrümmte Aste, und im Mai, wenn
im Walde die Bäume ausschlagen, schließt sich ein dichter Rahmen um das rote
Schloß. Dieses steht inmitten des Parks mit seinen seltnen Laubbäumen und ewig-


Der Marquis von Larabas

Pantagruel nennt seinen Vater Vous; dieses Verhältnis besteht in Frankreich
noch heute. Die Dienstboten werden von der Herrschaft längst nicht mehr
Du genannt. Sogar Eheleute duzten sich in früherer Zeit nicht immer; aus
einem Gespräche vom Juli des Jahres 1527 geht hervor, daß Luther zu Käthe
Du, Käthe aber „Mein lieber Herr Doktor" zu ihm sagte und ihn ihrzte.

In den Gefängnissen besteht die Vorschrift, daß Personen unter achtzehn
Jahren mit Du angeredet werden. Zuchthäusler werden ohne Unterschied Du
genannt. Bekanntlich nannten die Verschwornen in Belgrad den König Alexander
Du, als sie ihn im Juni 1903 ermordeten. Alexander Obrenowitsch, danke ab
und unterschreibe die Abdankungsurkunde, die wir in Händen haben!

Im Zorn oder im Schrecken pflegen wieder die Verbrecher der Obrigkeit
gegenüber ins Du zurückzufallen. Eine gewisse Pietzschker wird wegen einer
Übertretung des Prostitutionsregulativs nach dem Polizeiamt abgeführt. Sie
bittet den Schutzmann, ein Auge zuzudrücken; sie sucht ihn zu bestechen. Als
dieser unerbittlich bleibt, ergießt sich ein Strom von Schimpfreden und Ver¬
wünschungen über ihn, wobei sie ihn mit Du anredet. Solche Fälle wieder¬
holen sich oft, sogar in der Schule. Ein Lausbursche, der die Fortbildungs¬
schule besucht hat, nennt nach seiner Entlassung einen Oberlehrer Du, wie ihn
dieser zur Ruhe vermahnen will. Vor ein paar Jahren ist hier folgendes vor¬
gekommen: Ein Lehrer züchtigte einen kleinen Jungen. Als ob er gebissen
worden wäre, rief der Schlingel: I, Du Luder! Und dabei werden die Schüler
in Frankreich von ihren Lehrern immer mit Vous angeredet, bei uns werden
sie gewöhnlich nach der Konfirmation, vom vierzehnten Jahre ab, auf deu
humanistischen Gymnasien von Untersekunda an gesiezt, ^aturain exxsllas turos,
eg-usu usauö reourrst, sagt Horaz. Auch das Du wird immer unterlaufen,
trotz aller eingebleuten Anredeformen.




9er Marquis von (Larabas
Palle Rosenkrantz Roman von
viertes Raxitel

(worin der Leser über einige Zahlen Ausschluß erhält und die Bekanntschaft einer unsympathischen
Figur macht)

>uf einem Hügel, eine kleine Viertelstunde von Steensgaard ent¬
fernt, steht am Kreuzweg — gerade, wo der Wald beginnt — eine
hohe Buche. Sie verdeckt das Schloß mit ihrem Laub; Steensgacird
nämlich ist ein Schloß. Es ist aus rotem Stein erbaut mit nieder¬
ländischen Giebeln und einem kurzen Turm nebst blinkender Spitze.
! Ellen Marswin soll es erbaut haben, und es ist recht augenscheinlich,
daß diese Dame im Bauen tüchtig war.

Die Buche auf der Höhe hat mächtige gekrümmte Aste, und im Mai, wenn
im Walde die Bäume ausschlagen, schließt sich ein dichter Rahmen um das rote
Schloß. Dieses steht inmitten des Parks mit seinen seltnen Laubbäumen und ewig-


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[0097] Der Marquis von Larabas Pantagruel nennt seinen Vater Vous; dieses Verhältnis besteht in Frankreich noch heute. Die Dienstboten werden von der Herrschaft längst nicht mehr Du genannt. Sogar Eheleute duzten sich in früherer Zeit nicht immer; aus einem Gespräche vom Juli des Jahres 1527 geht hervor, daß Luther zu Käthe Du, Käthe aber „Mein lieber Herr Doktor" zu ihm sagte und ihn ihrzte. In den Gefängnissen besteht die Vorschrift, daß Personen unter achtzehn Jahren mit Du angeredet werden. Zuchthäusler werden ohne Unterschied Du genannt. Bekanntlich nannten die Verschwornen in Belgrad den König Alexander Du, als sie ihn im Juni 1903 ermordeten. Alexander Obrenowitsch, danke ab und unterschreibe die Abdankungsurkunde, die wir in Händen haben! Im Zorn oder im Schrecken pflegen wieder die Verbrecher der Obrigkeit gegenüber ins Du zurückzufallen. Eine gewisse Pietzschker wird wegen einer Übertretung des Prostitutionsregulativs nach dem Polizeiamt abgeführt. Sie bittet den Schutzmann, ein Auge zuzudrücken; sie sucht ihn zu bestechen. Als dieser unerbittlich bleibt, ergießt sich ein Strom von Schimpfreden und Ver¬ wünschungen über ihn, wobei sie ihn mit Du anredet. Solche Fälle wieder¬ holen sich oft, sogar in der Schule. Ein Lausbursche, der die Fortbildungs¬ schule besucht hat, nennt nach seiner Entlassung einen Oberlehrer Du, wie ihn dieser zur Ruhe vermahnen will. Vor ein paar Jahren ist hier folgendes vor¬ gekommen: Ein Lehrer züchtigte einen kleinen Jungen. Als ob er gebissen worden wäre, rief der Schlingel: I, Du Luder! Und dabei werden die Schüler in Frankreich von ihren Lehrern immer mit Vous angeredet, bei uns werden sie gewöhnlich nach der Konfirmation, vom vierzehnten Jahre ab, auf deu humanistischen Gymnasien von Untersekunda an gesiezt, ^aturain exxsllas turos, eg-usu usauö reourrst, sagt Horaz. Auch das Du wird immer unterlaufen, trotz aller eingebleuten Anredeformen. 9er Marquis von (Larabas Palle Rosenkrantz Roman von viertes Raxitel (worin der Leser über einige Zahlen Ausschluß erhält und die Bekanntschaft einer unsympathischen Figur macht) >uf einem Hügel, eine kleine Viertelstunde von Steensgaard ent¬ fernt, steht am Kreuzweg — gerade, wo der Wald beginnt — eine hohe Buche. Sie verdeckt das Schloß mit ihrem Laub; Steensgacird nämlich ist ein Schloß. Es ist aus rotem Stein erbaut mit nieder¬ ländischen Giebeln und einem kurzen Turm nebst blinkender Spitze. ! Ellen Marswin soll es erbaut haben, und es ist recht augenscheinlich, daß diese Dame im Bauen tüchtig war. Die Buche auf der Höhe hat mächtige gekrümmte Aste, und im Mai, wenn im Walde die Bäume ausschlagen, schließt sich ein dichter Rahmen um das rote Schloß. Dieses steht inmitten des Parks mit seinen seltnen Laubbäumen und ewig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/97>, abgerufen am 04.07.2024.