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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die Neuordnung der Beamtenbesoldungen -- ein sozialpolitisches Problem

gegangen waren. Während sich dem Unternehmungsgeiste allenthalben neue
Bahnen gewinnverheißend öffneten, blieb die wirtschaftliche Lage des auf feste
Bezüge angewiesnen Beamtentums dieselbe. Hatte sie sich früher selbst bei
kleinerm Gehalte infolge des geringern allgemeinen Wohlstands wenig von der
Lage der erwerbenden Kreise unterschieden, so trat sie jetzt in einen oft scharfen
Gegensatz zu dem wirtschaftlichen Aufschwung andrer Stände. Es liegt in der
Natur der Sache, daß die Beamten ihre Verhältnisse dem veränderten Zu¬
stande anzupassen suchten. Leider waren aber die Wege, die hierzu offen
standen, der Art, daß sie nicht ohne tiefe Einwirkung auf das eigenste Wesen
des Standes beschritten werden konnten. Diese Wege waren das Streben
nach Geldheiraten einerseits, Ehelosigkeit und weitgehende Beschränkung in der
Kinderzahl, selbst Verzicht auf Kindersegen andrerseits. Nicht weniger schädlich
wirkte die weit verbreitete Sucht, sich den veränderten Verhältnissen äußerlich
anzupassen durch Einschränkung nach innen, durch Aufrechterhaltung eines
Scheines von Wohlstand nach außen. Damit ist in das Leben vieler Beamten
ein unwahrhaftiger Zug gekommen, der auf die Charakterbildung, und nament¬
lich jene der nachfolgenden Generation, nicht ohne schlimmen Einfluß sein konnte.
Andrerseits hat sich der Wohlstand vieler Beamtenfamilien durch Geldheiraten
und Erbschaften gehoben; dieser erhöhte Wohlstand scheint aber nicht auch zu
einer Hebung des geistigen Lebens innerhalb des Standes beigetragen zu
haben. Mir wenigstens scheint es, als ob dem Leben der Beamten, und
selbst der wohlhabenden, heute vielfach ein kleinlicherer Zug anhaftete als in
den Zeiten der frühern wirtschaftlichen Beschränktheit. Auch anderswo hat ja
der Materialismus weniger geistigen Fortschritt als Philistertum erzeugt. Mit
diesen Zuständen lockerte sich aber auch das Gefüge des Beamtenstandes.
Hatte früher die Ähnlichkeit der Lebenslage eine gleichartige Geistesrichtung
gefördert, so wirkte jetzt die Verschiedenheit der ökonomischen Lage in entgegen¬
gesetztem Sinne; sie wirkte dem gesellschaftlichen Zusammenschlüsse entgegen.
Hatte der Stand früher einen Kitt in der Gleichartigkeit des Familiensinnes
und des Familienlebens, so wirkten jetzt zersplitternd die verschiednen Lebens¬
gewohnheiten und Lebensanschauungen der unverheirateten, der spät heiratenden
und auf Kindersegen verzichtenden, der kinderreichen, kinderarmer, der wohl¬
habenden und vermögenslosen Beamten.

Bei dieser Verschiedenheit der Lebenslage muß eine Gehaltserhöhung, sofern
sie nach bureaukratischen Schema in einer prozentualen Erhöhung der bestehenden
Gehälter bestehen würde, je nach den Verhältnissen des Einzelnen von grund-
verschiedner Wirkung sein. Eine solche gleichmäßige Aufbesserung kann sich als
eine Kolossalsumme im Budget darstellen und doch für viele nicht mehr bedeuten
als ein Tropfen auf den heißen Stein, während andern gegeben wird, was sie
keineswegs dringend bedürfen. Natürlich wird eine solche Aufbesserung gerade
von der letzten Kategorie am angenehmsten empfunden, weil sie gerade da, wo
keine Not vorhanden ist, zu den Annehmlichkeiten des Lebens verwandt werden


Grenzboten I 1908 11
Die Neuordnung der Beamtenbesoldungen — ein sozialpolitisches Problem

gegangen waren. Während sich dem Unternehmungsgeiste allenthalben neue
Bahnen gewinnverheißend öffneten, blieb die wirtschaftliche Lage des auf feste
Bezüge angewiesnen Beamtentums dieselbe. Hatte sie sich früher selbst bei
kleinerm Gehalte infolge des geringern allgemeinen Wohlstands wenig von der
Lage der erwerbenden Kreise unterschieden, so trat sie jetzt in einen oft scharfen
Gegensatz zu dem wirtschaftlichen Aufschwung andrer Stände. Es liegt in der
Natur der Sache, daß die Beamten ihre Verhältnisse dem veränderten Zu¬
stande anzupassen suchten. Leider waren aber die Wege, die hierzu offen
standen, der Art, daß sie nicht ohne tiefe Einwirkung auf das eigenste Wesen
des Standes beschritten werden konnten. Diese Wege waren das Streben
nach Geldheiraten einerseits, Ehelosigkeit und weitgehende Beschränkung in der
Kinderzahl, selbst Verzicht auf Kindersegen andrerseits. Nicht weniger schädlich
wirkte die weit verbreitete Sucht, sich den veränderten Verhältnissen äußerlich
anzupassen durch Einschränkung nach innen, durch Aufrechterhaltung eines
Scheines von Wohlstand nach außen. Damit ist in das Leben vieler Beamten
ein unwahrhaftiger Zug gekommen, der auf die Charakterbildung, und nament¬
lich jene der nachfolgenden Generation, nicht ohne schlimmen Einfluß sein konnte.
Andrerseits hat sich der Wohlstand vieler Beamtenfamilien durch Geldheiraten
und Erbschaften gehoben; dieser erhöhte Wohlstand scheint aber nicht auch zu
einer Hebung des geistigen Lebens innerhalb des Standes beigetragen zu
haben. Mir wenigstens scheint es, als ob dem Leben der Beamten, und
selbst der wohlhabenden, heute vielfach ein kleinlicherer Zug anhaftete als in
den Zeiten der frühern wirtschaftlichen Beschränktheit. Auch anderswo hat ja
der Materialismus weniger geistigen Fortschritt als Philistertum erzeugt. Mit
diesen Zuständen lockerte sich aber auch das Gefüge des Beamtenstandes.
Hatte früher die Ähnlichkeit der Lebenslage eine gleichartige Geistesrichtung
gefördert, so wirkte jetzt die Verschiedenheit der ökonomischen Lage in entgegen¬
gesetztem Sinne; sie wirkte dem gesellschaftlichen Zusammenschlüsse entgegen.
Hatte der Stand früher einen Kitt in der Gleichartigkeit des Familiensinnes
und des Familienlebens, so wirkten jetzt zersplitternd die verschiednen Lebens¬
gewohnheiten und Lebensanschauungen der unverheirateten, der spät heiratenden
und auf Kindersegen verzichtenden, der kinderreichen, kinderarmer, der wohl¬
habenden und vermögenslosen Beamten.

Bei dieser Verschiedenheit der Lebenslage muß eine Gehaltserhöhung, sofern
sie nach bureaukratischen Schema in einer prozentualen Erhöhung der bestehenden
Gehälter bestehen würde, je nach den Verhältnissen des Einzelnen von grund-
verschiedner Wirkung sein. Eine solche gleichmäßige Aufbesserung kann sich als
eine Kolossalsumme im Budget darstellen und doch für viele nicht mehr bedeuten
als ein Tropfen auf den heißen Stein, während andern gegeben wird, was sie
keineswegs dringend bedürfen. Natürlich wird eine solche Aufbesserung gerade
von der letzten Kategorie am angenehmsten empfunden, weil sie gerade da, wo
keine Not vorhanden ist, zu den Annehmlichkeiten des Lebens verwandt werden


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[0085] Die Neuordnung der Beamtenbesoldungen — ein sozialpolitisches Problem gegangen waren. Während sich dem Unternehmungsgeiste allenthalben neue Bahnen gewinnverheißend öffneten, blieb die wirtschaftliche Lage des auf feste Bezüge angewiesnen Beamtentums dieselbe. Hatte sie sich früher selbst bei kleinerm Gehalte infolge des geringern allgemeinen Wohlstands wenig von der Lage der erwerbenden Kreise unterschieden, so trat sie jetzt in einen oft scharfen Gegensatz zu dem wirtschaftlichen Aufschwung andrer Stände. Es liegt in der Natur der Sache, daß die Beamten ihre Verhältnisse dem veränderten Zu¬ stande anzupassen suchten. Leider waren aber die Wege, die hierzu offen standen, der Art, daß sie nicht ohne tiefe Einwirkung auf das eigenste Wesen des Standes beschritten werden konnten. Diese Wege waren das Streben nach Geldheiraten einerseits, Ehelosigkeit und weitgehende Beschränkung in der Kinderzahl, selbst Verzicht auf Kindersegen andrerseits. Nicht weniger schädlich wirkte die weit verbreitete Sucht, sich den veränderten Verhältnissen äußerlich anzupassen durch Einschränkung nach innen, durch Aufrechterhaltung eines Scheines von Wohlstand nach außen. Damit ist in das Leben vieler Beamten ein unwahrhaftiger Zug gekommen, der auf die Charakterbildung, und nament¬ lich jene der nachfolgenden Generation, nicht ohne schlimmen Einfluß sein konnte. Andrerseits hat sich der Wohlstand vieler Beamtenfamilien durch Geldheiraten und Erbschaften gehoben; dieser erhöhte Wohlstand scheint aber nicht auch zu einer Hebung des geistigen Lebens innerhalb des Standes beigetragen zu haben. Mir wenigstens scheint es, als ob dem Leben der Beamten, und selbst der wohlhabenden, heute vielfach ein kleinlicherer Zug anhaftete als in den Zeiten der frühern wirtschaftlichen Beschränktheit. Auch anderswo hat ja der Materialismus weniger geistigen Fortschritt als Philistertum erzeugt. Mit diesen Zuständen lockerte sich aber auch das Gefüge des Beamtenstandes. Hatte früher die Ähnlichkeit der Lebenslage eine gleichartige Geistesrichtung gefördert, so wirkte jetzt die Verschiedenheit der ökonomischen Lage in entgegen¬ gesetztem Sinne; sie wirkte dem gesellschaftlichen Zusammenschlüsse entgegen. Hatte der Stand früher einen Kitt in der Gleichartigkeit des Familiensinnes und des Familienlebens, so wirkten jetzt zersplitternd die verschiednen Lebens¬ gewohnheiten und Lebensanschauungen der unverheirateten, der spät heiratenden und auf Kindersegen verzichtenden, der kinderreichen, kinderarmer, der wohl¬ habenden und vermögenslosen Beamten. Bei dieser Verschiedenheit der Lebenslage muß eine Gehaltserhöhung, sofern sie nach bureaukratischen Schema in einer prozentualen Erhöhung der bestehenden Gehälter bestehen würde, je nach den Verhältnissen des Einzelnen von grund- verschiedner Wirkung sein. Eine solche gleichmäßige Aufbesserung kann sich als eine Kolossalsumme im Budget darstellen und doch für viele nicht mehr bedeuten als ein Tropfen auf den heißen Stein, während andern gegeben wird, was sie keineswegs dringend bedürfen. Natürlich wird eine solche Aufbesserung gerade von der letzten Kategorie am angenehmsten empfunden, weil sie gerade da, wo keine Not vorhanden ist, zu den Annehmlichkeiten des Lebens verwandt werden Grenzboten I 1908 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/85>, abgerufen am 22.07.2024.